Die gelbe Kuh, ausgestellt als The Yellow Cow (Öl auf Leinwand, 140,5 x 189,2 cm[1]

Die gelbe Kuh lautet der Titel eines Gemäldes von Franz Marc aus dem Jahr 1911. Es ist eines der bekanntesten Werke des Künstlers und zeigt eine seiner zahlreichen Tierdarstellungen im Stile des Expressionismus. Als zentrales Motiv dominiert eine springende gelbe Kuh das Gemälde. Sie umgibt eine bunte, strukturierte Landschaft. Das Bild prägt die von Marc mitentwickelte Farbsymbolik, die nicht eine naturalistische Farbwidergabe, sondern die Vermittlung der Gefühle des Motivs. Seit 1949 befindet es sich im Besitz der Solomon R. Guggenheim Foundation, die es im New Yorker Solomon R. Guggenheim Museum ausstellt. Zuvor wurde das Gemälde unter anderem in den Ausstellungen des blauen Reiters in München und in der Galerie Nierendorf gezeigt.

Geschichte des Gemäldes Bearbeiten

 
Franz Marc im Jahr 1910.

An der gelben Kuh arbeitete Marcs im Sommer des Jahres 1911.

Vorgeschichte Bearbeiten

Die gelbe Kuh wird Marcs zweiter Schaffensphase zugerechnet, die sich vom Frühjahr 1911 bis zum Sommer 1912 erstreckte, [2] und als die Reifezeit Marcs gilt.[3] Sie fällt in die Jahre von 1909 bis 1914, in denen sich die gravierendsten Veränderungen im Stil Marcs vollzogen. Schon ab etwa 1907 wandelte sich Marcs Stil in Richtung Expressionismus, was sich in der Abkehr von einer naturalistischen Farbwiedergabe hin zu einer symbolischen Durchdringung seiner Werke mit dem Mittel der Farbe äußerte. Diese Entwicklung erlebte ihren Höhepunkt in der Zusammenarbeit mit Kandinsky ab 1911.

Im Laufe der Stilveränderung kehrte Marc der sogenannten Lokalfarbe, der natürlichen Farbe, den Rücken und wendet sich der Wesensfarbe zu. Die Wesensfarbe symbolisiert das Seelenleben, das Empfinden der abgebildeten Motive. Es findet also eine Verschiebung der Betrachtungs- und Darstellungsperspektive statt. Dabei kommt den Farben eine suggestive Wirkung zu, die dem Betrachter ein tieferes Empfinden ermöglichen und dem wahren Gehalt eines Bildes zugänglich machen soll. Bei seinen Tierdarstellungen verlässt Marc den objektiven Standpunkt eines Betrachters und versuchte sich in die Tiere hineinzuversetzen. In dem Versuch, aus ihnen hinaus zu sehen, ,acht er sie zugleich als Botschafter seiner selbst, Paul Klee meinte, er „erhöhe sie zu sich selbst.“[4]

Marc versuchte auf diese Weise seine Weltsicht zu transportieren, in der Tiere die Verkörperung einer ursprünglicher Reinheit der Schöpfung sind, die im Einklang mit der Natur existiert. Seine Bilder sah er als paradisische Utopie einer besseren Welt, eine romantisch verklärte Abkehr vom Dogma der Überlegenheit der menschlichen Naturbeherrschung und Selbstentfremdung. Dabei käme dem Künstler die Rolle des Kämpfers gegen die etablierte Ordnung zu:

„In unserer Epoche des großen Kampfes um die neue Kunst streiten wir als ‚Wilde‘, nicht Organisierte gegen eine alte, organisierte Macht. Der Kampf scheint ungleich; aber in geistigen Dingen siegt nie die Zahl, sondern die Stärke der Ideen. Die gefürchteten Waffen der ‚Wilden‘ sind ihre neuen Gedanken; sie töten besser als Stahl und brechen, was für unzerbrechlich galt.“

Franz Marc 1911.[5]

Bei aller avantgardistisch-modernen Darstellung wollte Marc auf eine jenseits oder vor gesellschaftlichen Konventionen und der Zivilisation liegende Ursprünglichkeit zurückweisen. So lässt sich auch seine Begeisterung für Volkskunst und außereuropäische indigene Kunst Kunst erklären, die ihn zu dieser Zeit erfasste. 1911 studierte er intensiv die Ausstellungen des Völkerkundemuseums Berlin.[6] Jedoch weitete Marc in der Folge seine Beschäftigung mit dem Primitivismus nicht aus, wie beispielsweise viele Kubisten es taten.[7]

In dieser zweiten Schaffensphase vollzog Marc zudem eine Umkehr seiner Herangehensweise. War sein bisheriges expressionistisches Werk geprägt durch die Reduktion, das Abstrahieren zufälliger individueller Züge seiner Vorlagen, so verlagerte er sein Augenmerk auf die Analyse und Wiedergabe geometrischer Formen, der Konstruktion.[8] Seit 1910 setzte sich Marc zudem mit dem Formaufbau und der strengen Bildeinteilung von Paul Cézanne und Hans von Marées auseinander und kombinierte diese mit dynamischen Versatzstücken zu seinem eigenen Stil, der sich in der gelben Kug äußert.

All diese Entwicklungen kumulieren um das Jahr 1911. Zu dieser Zeit vollzieht sich Marcs künstlerischer Durchbruch.[9] Er lernt Kandinsky in München kennen, mit dem ihn bald eine tiefe Freundschaft verbindet, die beider Arbeit befruchtet. Insbesondere dessen starke und reine Farbkompositionen beeindruckten Marc:[10]

„Am anderen Morgen wanderte ich zu Kandinsky! Die Stunden bei ihm gehören zu meinen denkwürdigsten Erfahrungen. Er zeigte mir viel [...] im ersten Moment fühle ich die große Wonne seiner starken, reinen, feurigen Farben, und dann beginnt das Gehirn zu arbeiten; man kommt nicht los von diesen Bildern uns wenn man fühlt, dass einem der Kopf zerspringt, wenn man sie ganz auskosten will [...]“

Franz Marc 1911.[11]

Zugleich wird er als Mitglied in die Neue Künstlervereinigung München aufgenommen, die sich in einer Umbruchsphase befand, und zum dritten Vorsitzenden gewählt. Bereits seit 1909 hatte er das Wirken der NKVM intensiv verfolgt. Ab dieser Zeit beschränkte sich Marc auf die Darstellung von Tiermotiven, in denen er seine grundlegenden theoretischen Gedanken verarbeitete. Im Mittelpunkt steht die Idealisierung der Natur. Insbesondere in der von nun an engen Zusammenarbeit mit Kandinsky entwickelten beide gemeinsam ihre Vorstellung von Farben, Farbenlehre und Farbsymbolik.

Entstehungsgeschichte Bearbeiten

Bereits zuvor malte Marc Kühe, jedoch in weniger formalisierter, abstrakter Darstellung. Kämpfende Kühe (1911, Öl auf Leinwand),[12] Kühe unter Bäumen (1910/11, Öl auf Leinwand),[13]

1911 reiste Marc zusammen mit seiner Lebensgefährtin Marie Franck nach England, wo sie im Juni heirateten.[14] Nach dieser Reise entstanden vorbereitende Skizzen für das Gemälde. Zunächst entwickelte Marc Konturenzeichnungen mit Bleistift, die in seinem Skizzenbuch XXIII erhalten blieben. Die springende Kuh erscheint der des späteren Gemäldes bereits serh ähnlich, jedoch stellte Marc ihr hier noch eine anderes Tiermotiv gleichwertig gegenüber. In der folge muss Marc der Gedanke gekommen sein, das Motiv als selbstständiges Bild zu entwickeln.[15]

In der Folge entstand eine vorbereitende Studie des Gemäldes in Öl auf Holz, in der bereits alle wesentlichen Gestaltungsmerkmale enthalten waren.[16] Die Ausarbeit geschah jedoch eher flüchtig und skizzenhaft auf ein vielleicht zufällig bereitliegendes, abgesägtes ungrundiertes Brett, dessen Maserung durch die Ölfarbe hindurch sichtbar blieb. Der Körper der Kuh blieb in dieser Skizze noch deutlich naturalistischer als im späteren Werk. Die Farbgebung und die Bildaufteilung entsprach bereits der des späteren Gemäldes, in der sie allerdings noch pointierter ausgeführt ist.[15] Das Werk befindet sich heute in der Sammlung Erhard Kracht, die das Museum der Stiftung Moritzburg ausstellt.[17]

Die gelbe Kuh entstand im Sommer 1911. Während Marc an der gelben Kuh arbeitete, entstanden zugleich auch die Gemälde Der Stier und Die kleinen blauen Pferde, an denen Marc seit 1908 plante.[18]

Fortentwicklung des Motivs Bearbeiten

Erneut taucht das Motiv der gelben Kuh in Marcs Gemäde Kühe Rot, Gelb, Grün (1912, Öl auf Leinwand) auf, diesmal arrangiert mit weiteren Kuhmotiven.[19] Das Gemälde vollendet Marc Ende 1911, offiziell datiert wird es meist auf das Jahr 1912.[20] Auf Kandinskys Wunsch schickte es Marc bereits im Januar 1912 zu einer Ausstellung nach Moskau. Die Kuh- und Stiermotive durchdringen Marcs weiteres Œuvre. Als Temperamalerei begleiteten die Skizzen Stier (1911)[21], Die grüne Kuh (1912)[22], Ruhende Kühe (kauernder Stier). (1911),[23] Der liegender rote Stier (1912),[24] seine zweite Schaffensperiode. Weitere Darstellungen finden sich als Kleines Bild mit Rindern (1913, Öl auf Pappe),[25] Kuh mit Kalb (1913, Öl auf Leinwand),[26] Die Weltenkuh (1913, Öl auf Leinwand, im gleichen Museum),[27] Kinderbild (zwei Kühe) (1912, Öl auf Leinwand).[28]

Nach der Schaffensperiode, in die die gelbe Kuh fällt, erhielt Marc neue Inspiration durch seine Begegnung mit Robert Delaunay während seiner Parisreise 1912 zusammen mit seinem Freund August Macke. In der Folge tendiert Marcs Stil immer weiter zur Abstraktion, vergleichbar mit dem Kubismus; Eine Entwicklung, die mit der Kandinskys vergleichbar erscheint, sich jedoch nicht vollenden konnte, da Marc 1916 verstarb.

Ausstellungsgeschichte und Verbleib Bearbeiten

Die gelbe Kuh war Bestandteil der ersten Ausstellungender Künstlergruppe des Blauen Reiters, die vom 18. Dezember 1911 bis zum 1. Januar 1912 in der Galerie Thannhauser in München stattfand. Marc ließ ließ das Gemälde für den deim Mai 1912 im Piper Verlag erscheinenden Katalog r Ausstellungder reproduzieren.[29] Kandinsky und Marc waren die zentralen Figuren des Blauen Reiters, der aus dem Bruch Kandinskys mit der NKVM im Dezember 1911 entstand.[30] Sie fungierten als Herausgeber des Almanachs, in dem Die gelbe Kuh als Hauptbeitrag Marcs zu diesem Werk gilt.[29] Der Preis für das Gemälde lag bei den ersten Ausstellungen 1912 bei 1000 Mark.[31] Für eine illustrierte Bildausgabe, der Bibel der blauen Reiters war die gelbe Kuh ebenfalls als Beitrag vorgesehen.

Nach dem Tod Marcs 1916 stellte die Galerie Nierendorf in Zusammenarbeit mit Marcs Witwe viermal das Gesamtwerk Marcs in Deutschland als Gedächtnisausstellungen aus. Die letzte Franz Marc-Gedächtnisausstellung fand vom 4. März bis 19. April 1936 in Berlin statt. Die gelbe Kuh stellte Maria Marc zur Verfügung. Die damals bereits berühmten Hauptgemälde Die roten Rehe, Füchse, Reh im Blumengarten und die gelbe Kuh sorgten für einen großen Erfolg der Veranstaltung und verhinderten ein Verbot durch die Machthaber. Dazu trug ebenfalls die zeitliche Nähe zu den olympischen Spielen von Berlin bei, während der sich die Nationalsozialisten bemühten vor ihren internationalen Gästen einen weltoffenen und toleranten Anschein zu geben.[32]

Mit dem Ende der Olympischen Spiele endete zugleich die Phase der Toleranz. Um dem drohenden Ausstellungsverbot und einer Beschlagnahmung zu entgehen, emigrierte Karl Nierendorf mit einem großen Teil seiner Ausstellungstücke, darunter der gelben Kuh, in die Vereinigten Staaten und eröffnete in New York die Nierendorf Gallery. Schon 1937 diffarmierten die Nationalsozialisten Marc als entarteten Künstler und raubten 130 seiner in Deutschland verbliebenen Werke aus Museen und Galerien.[32]

Unter dem Vorwand des noch herrschenden Kriegszustandes zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland beschlagnahmte der Bundesstaat New York nach Karl Nierendorfs Tod 1947 dessen gesamten Nachlass.[32] Die gelbe Kuh ließ Guggenheim kurz vor seinem Tod Ende des Jahres 1949 erwerben und in seine 1937 gegründete Stiftung übergeben.

Guggenheim, der durch den Kupferhandel zu Reichtum kam, begeisterte sich seit der Begegnung mit deutschen Malerin Hilla von Rebay, einer Freundin Kandinskys, 1928 für die abstrakte Kunst. Dieser Enthusiasmus mündete in der Gründung seiner Stiftung und Museum of Non-objective Painting, das 1939 in New York eröffnete wurde.[32] Bereits in den 1940er Jahren verkaufte Nierdendorf zahlreiche Gemälde an Guggenheim und von Rebay.

Die Erwerbung aus dem Nachlass Nierendorfs bilden zusammen mit dem von Justin Thannhauser 1963 gestifteten Vermächtnisses seines Vater Heinrich Thannhauser eine Thannhauser gewidmete Dauerausstellung, für die extra ein ehemaliger Verwaltungstrakt des New Yorker Stammhauses ausgebaut wurde.[32] Als Teil der Ausstellung The Guggenheim Collection in der BonnerKunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland war die gelbe Kuh vom 21.  2006 bis zum 7. Januar 2007 erstmals wieder als Leihgabe in Deutschland zu sehen.

Bildaufbau Bearbeiten

Das Bild gliedert sich in den Vordergrund, der das zentrale Motiv der gelben Kuh enthält, den Mittelgrund und den strukturell untergliederten Hintergrund.

Vordergrund Bearbeiten

Die gelbe Kuh bildet das zentrale Motiv des Gemäldes. Marc ordnete es, leicht nach links versetzt, zentral in der Mitte des Bildes an. Es stellt eine massige, schwerfällige Kuh dar, die durch das Bild zu springen scheint und dabei den Kopf genußvoll neigt.[33] Die Kuh weist eine außergewöhnliche Sichelform auf. Diese lässt sich als Allusion Marcs an den Jugendstil interpretieren.[29] Ihre gelbe, anti-naturalistische Farbgebung steht in deutlichem Kontrast zu den gedeckten Farben des restlichen Bildes.

 
Das zentrale Motiv: Die gelbe Kuh

Mittelgrund Bearbeiten

Im Mittelgrund finden sich rechts und links des Zentralmotivs schwarze Baumstämme. Diagonal zu den Vorder- und Hinterläufen der Kuh positioniert, scheinen sie das Zentralmotiv zu stabilisieren,[29] es „im Raum zu verspannen.“[15] Ihre Verlaufsrichtung kreuzt diametral die gedachte Verlängerung der Kuhbeine und schafft so eine beinahe geometrische Gliederung des Bildes, ein System von Diagonalen.[15] Diese geometrische Konstruktion war Marc besonders wichtig.[34]

 
Mittelgrund

Hintergrund Bearbeiten

Den Hintergrund bildet eine formal und farblich stark differenzierte Landschaft, die sich auf geometrische Grundstrukturen, vor allem Dreiecke und Ovale, gliedert.[29] Die Landschaft im Hintergrund gliedert sich in drei räumliche Zonen: Den Vordergrund bilden stilisierte Steine und Pflanzen. Während in der linken Bildhälfte grün vorherrscht, prägen Rottöne die rechte Bildhälfte. Kontrast erhält dieser Bildausschnitt durch schwarze und weiße Bereiche. Den Mittelgrund bilden flächige Rottöne, die wesentlich vom Zentralmotiv verdeckt werden, jedoch im rechten Bildbereich als Gruppe grasender Kühe Gestalt annehmen. Als Hintergrund fungiert eine stilisierte Bergkette in Blautönen, die ein violett-orangener Himmel umgibt.[35]

Den Bildaufbau prägt der Kontrast zwischen dem ruhig gehaltenen Hintergrund und der Bewegtheit des zentralen Motivs. Die Bewegtheit äußert sich besonders in der Köperhaltung des Tieres. Während die Vorderbeine bereits die Körperlast zu stemmen scheinen, befinden sich die Hinterläufe noch in einer schwungvollen Sprungbewegung.[33] Der Eindruck eine Kontrastes von Zentralmotiv und Hintergrund wird verstärkt durch die in gedeckten Farben vergleichsweise konkret gehaltene Landschaft, in der ruhig grasende Tiere erkennbar sind.[33] Im Gegensatz zum Dynamikkontrast ergibt die Farbkomposition dagegen ein ausgewogenes Gesamtbild, das alle Spektralfarben enthält.[35]

Symbolik und Deutung Bearbeiten

Der entscheidende Ausdrucksfaktor des Bildes liegt in seiner Farbsymbolik. Für die meisten Betrachter liegt hier der Schlüssel für ihren Zugang zum Bild.[15] Die Farben deuten demnach die Gefühlswelt des Hauptmotivs.

Anwendung von Marcs Farbsymbolik auf das Gemälde Bearbeiten

Das heitere Motiv der unbeschwert temperamentvoll springenden Kuh unterstreicht Marc durch die dominante Farbe Gelb, die Energie ausstrahlt.[36] Die Farbgebung orientiert sich an einer von Marc und Kandinsky entwickelten Farbsymbolik, die sich aus dem Innenleben, an den Gefühlen der dargestellten Lebewesen in Beziehung zu ihrer Umwelt ergibt. Die Farben werden also nicht so dargestellt, wie der Künstler sie sieht, sondern wie das dargestellte Wesen seine Umwelt empfindet. Franz Marc schrieb dazu:

„Immer träumte ich von unpersönlichen Bildern; ich habe eine Abneigung gegen Signaturen. Ich habe auch gar nie das verlangen, zum Beispiel die Tiere zu malen, wie ich sie sehe, sondern wie sie sind, (wie sie selbst die Welt ansehen und ihr Sein fühlen).“

Franz Marc 1911.[37]

Zur ersten Ausstellung des blauen Reiters veröffentlichte Kandinsky seine Abhandlung Über das geistige in der Kunst, in der er seine Sicht auf das Wesen der Farbe beschreibt, die er zusammen mit Marc entwickelte.[15] Er meint, Gelb, Rot und Orange flößen „Ideen der Freude“ ein,[15] Gelb sei zudem die typische Erdenfarbe,[38] und „töne grell und hoch wie eine Trompete.“ Dabei wirke es exzentrisch und suggeriere das Überspringen von Grenzen, das „Zerstreuen von Kraft in der Umgebung,“ das Austreten von Energiegeladenheit.[39] Der Publizist Walter Mehring sprach ironisch vom „Brüllendes Kuh-Gelb.“ Marcs.[15]

Der Kunstkritiker Theodor Däubler schrieb zu den Kuhbildern von Marc:

{{Es gibt Kühe in allen Farben, aber die Kuh bei Marc ist einmal gelb. Sie trägt einen Tropfen Sonne in der Seele. Die Gemütsart der Kuh ist gut. Wie beschaulich die Kuhseele dahingelbt zwischen Wiesen und Bächen, die jedesmal blau werden, wenn sie, die Kuh, gelb ist. Da Tiere bunt sind, so dürften so dürften sie die Umgebung in verschiedenen Farben, je nachdem wie sie selber sind, unterscheiden. Die gelbe Kuh sieht die Welt blau. [...] Bei Marc sind Tiere ein Vorwand zum buntmalen. Vielleicht erkannte er dabei, daß Tierseelen Farbenbewußtsein sind.|Theodor Däubler 1911.[40]}}

Die Farbwahl für das übrige Bild setzt sich zusammen aus dem Blau, das dem Empfinden der Kuh zugeschrieben wird und dem Zusammenspiel von Rot und Grün, das seinen Widerhall in Marcs blauen Pferden findet.[15]

Deutung im Entstehungskontext Bearbeiten

Einige Kritiker der ersten Ausstellung des blauen Reiters stellten Marcs gelbe Kuh in Bezug zu den frühgriechischen Goldbechern von Vaphio, die sich durch einen Aufsatz von Alois Riegl aus dem Jahr 1900 zu dieser Zeit einer großen Bekanntheit erfreuten. Auf einigen Reliefs dieser Fundstücke fanden sich Stierfangszenen, bei denen Stiere in ähnlicher Körperhaltung wie Marcs gelbe Kuh dargestellt werden: In vollem Lauf, die Hinterläufe werfend, die Vorderbeine abwärts gesetzt. Dies sei demzufolge die Inspirationsquelle Marcs gewesen und die gelbe Kuh eine „mykenische Kuh.“[15] Eine Verbindung des Gelbs der Kuh zum Gold der Becher wird heute jedoch bezweifelt und eine Deutung aus der Farbsymbolik Marcs heraus bevorzugt.[41]

Eine neuere Interpretation des Bildes setzt an seinem Entstehungskontext an. Der New Yorker Kunsthistoriker Mark Rosenthal sieht einen Zusammenhang zwischen Marcs zuvorigen Hochzeit und der Entstehung des Bildes. Für ihn stellt die frohlockende gelbe Kuh, als Symbol der weiblichen Prinzipien, für Marcs Ehefrau Maria Franck. Diesem Gedanken folgend interpretiert Rosenthal den vorderen der dreieckigen bläulich-schwarzen Berge des Hintergrundes als abstraktes Selbstporträt Marcs, liegend, die Augen träumerisch sinnend geschlossen. Das Gemälde sei folglich ein persönliches Hochzeitsbild Marcs, die versinnbildlichte Liebe Marcs zu seiner Frau.[42]

Rezeption Bearbeiten

Ähnlich wie das Blau seiner Pferdebilder erregte Marc mit dem Gelb der Kuh bei vielen Zeitgenossen Kopfschütteln, Empörung und Ablehnung.[15] In einer Debatte über moderne Kunst im Preußischen Abgeordnetenhaus am 12. April 1913 echauffierte sich der Abgeordnete Julius Vorster über die seiner Mainung nach widernatürliche Kuh-Darstellung bei Marc.[15]


Nach 1945 brach über dem Werk Marcs eine große Popularität ein. Dies hing zusammen mit dem Nachholbedarf für unter den Nationalsozialisten verfemte Kunst, aber auch mit dem Wunsch nach Reinheit, Frieden und Vergessen des Schreckens. Insbesondere Reproduktionen von Marcs Tierbilder überschwemmten als Wandbilder und Farbpostkarten die Bevölkerung.[43] Dabei setzte eine weitgehende Verniedlichung des Werkes ein, Marcs Anspruch wurde einer oberflächlichen Betrachtung geopfert, die Tierdarstellungen als harmlos und apolitisch aufgefasst.[43]

Quellenangaben Bearbeiten

  1. Maße gemäß der Onlinepräsentation der Guggenheim-Collection (www.guggenheim.org)
  2. Förster 2000, S. 109.
  3. Lankheit 1976, S. 80.
  4. Partsch 2005, S. 46.
  5. Franz Marc: Die „Wilden“ in Deutschland. In: Der Blaue Reiter. Hrsg. von Wassily Kandinsky und Franz Marc. Dokumentarische Neuausgabe von Klaus Lankheit. München 1948 (S. 28-32).
  6. Partsch 2005, S. 43.
  7. Partsch 2005, S. 44.
  8. Lankheit 1976, S. 77ff.
  9. Friedel/Hoberg 2006, S. 32.
  10. Friedel/Hoberg 2006, S. 33.
  11. Marc 1911
  12. Lankheit 1970, Nr. 143.
  13. Lankheit 1970, Nr. 142.
  14. Die Heirat in ihrer bayrischen Heimat war nicht möglich, da die Scheidung der Zweckehe Marcs mit seiner ersten Frau Marie Schnür 1908 mit dem intimem Verhältnis Marcs zu Franck begründet wurde. Die damalige Rechtssprechung sah nach §1312 BGB als Hinderungsgrund für die Eheschließung vor, dass wegen Ehebruch geschiedene nicht die Person heiraten durften, mit der der Ehebruch vollzogen wurde. Folglich wichen Marc und Franck nach England aus, um dort ihre Ehe nach englischem Recht schließen zu lassen. Vgl. Jüngling/Rossbeck 2004, S. 80ff und S. 109ff.
  15. a b c d e f g h i j k l Lankheit 1976, S. 78.
  16. 1911, Öl auf Holz, 62,5 x 87,5cm, Verbleib: Im Privatbesitz in Krefeld, Stand 1970, s. Lankheit 1970, Nr. 151.
  17. Sammlung Erhard Kracht auf www.stiftung-moritzburg.de
  18. Lankheit 1970
  19. Lankheit 1970, Nr. 153.
  20. Friedel/Hoberg 2006, S. 141.
  21. Lankheit 1970, Nr. 427.
  22. Lankheit 1970, Nr. 428.
  23. Lankheit 1970, Nr. 425.
  24. Lankheit 1970, Nr. 426.
  25. Lankheit 1970, Nr. 213.
  26. Lankheit 1970, Nr. 211.
  27. Lankheit 1970, Nr. 208.
  28. Lankheit 1970, Nr. 176.
  29. a b c d e Förster 2000, S. 112.
  30. Ursache war die Ablehnung Kandinskys Werks Das jüngste Gericht. Komposition V in einer Jury-Sitzung am 3. Dezember des Jahres für die dritte Ausstellung der Gruppe. Kandinskys seit Oktober entstandenes Werk überschritt mit seinen Maßen, die mehr ein mehr als fünf Quadratmeter großes Bild ergaben, die Vorgaben der Jury deutlich. Kandinsky, der die konservative Ausrichtung der Gruppe ablehnte, provozierte so bewusst einen Eklat, der zu seinem Austritt führte. In kurzer Zeit entwickelte er zusammen mit Marc die Idee einer neuen Künstlergruppe und organisierte hastig die erste Ausstellung des Blauen Reiters. Vgl. Friedel/Hoberg 2006, S. 40.
  31. Jüngling/Rossbeck, S. 128.
  32. a b c d e Walter-Ris, Anja: Die Geschichte der Galerie Nierendorf. Kunstleidenschaft im Dienst der Moderne. Berlin/New York 1920 – 1995. Berlin 2000, S. 205ff.
  33. a b c Partsch 2005, S. 43.
  34. Was einem Brief Marcs an Kandinsky zu entnehmen ist, in der er sich über den Zuschnitt seines Bildes Anlässlich der Abbildung im Katalog zur ersten Ausstellung des blauen Reiters im Dezember 1911 beschwert. So sei sein Bild durch den Zuschnitt „völlig aus den Konstruktionsverhältnissen gearten“. Zitiert nach Lankheit 1976, S. 78.
  35. a b Förster 2000, S. 113.
  36. Förster 2000, S. 113, unter Berufung auf Kandinsky.
  37. Marc 1920.
  38. Friedel/Hoberg 2006, S. 140.
  39. zitiert nach Lankheit 1976, S. 78.
  40. Däubler 1919
  41. Partsch 2005, S. 44.
  42. Spector, Nancy: Yellow Cow Rezension zur Kollektion auf www.guggenheim.org (abgerufen am 24.09.10)
  43. a b Lankheit 1976, S. 167.

Literatur Bearbeiten

  • Däubler, Theodor: Im Kampf um die moderne Kunts. In: Edschmid, Kasimir (Hrsg.): Tribüne der Kunst und Zeit. Berlin 1919-1920, Band 3, 1919
  • Förster, Katja: Auf der Suche nach einem vollkommenen Sein. Franz Marcs Entwicklung von einer romantischen zu einer geistig-metaphysischen Weltinterpretation. Karlsruhe 2000
  • Friedel, Helmut (Hrsg.) / Hoberg, Annegret (Hrsg.): Der blaue Reiter. Baden-Baden 2009 (Publikation der Stiftung Frieder Burda anlässlich der Ausstellung Der blaue Reiter in Baden-Baden 2009)
  • Friedel, Helmut (Hrsg.) / Hoberg, Annegret (Hrsg.): Franz Marc. The Retrospective. München 2006 (Publikation anlässlich der Ausstellung in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München 2006)
  • Jüngling, Kirsten / Rossbeck, Brigitte: Franz und Maria Marc: Die Biographie eines Künstlerpaares. Berlin 2004
  • Lankheit, Klaus: Franz Marc. Katalog der Werke. Köln 1970
  • Lankheit, Klaus: Franz Marc. Sein Leben und seine Kunst. Köln 1976
  • Marc, Franz: Briefe. Aufzeichnungen und Aphorismen. Berlin 1920
  • Partsch, Susanne: Franz Marc. Köln 2005

Weblinks Bearbeiten