Heinrich Bernhard Schrader von Schliestedt

Heinrich Bernhard Schrader von Schliestedt (* 3. Oktober 1706 in Braunschweig; † 19. Juli 1773) war Minister des Herzogs Karl I. von Braunschweig-Wolfenbüttel.

Sein Nachfolger als Finanzminister wurde Jean Baptiste Feronce von Rotenkreutz.

Literatur

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Schrader: Heinrich Bernhard S. (v. Schliestedt) wurde am 3. October 1706 in Braunschweig geboren und stammte von väterlicher und mütterlicher Seite aus alten angesehenen und begüterten Bürgerfamilien dieser Stadt. Sein Vater, Paul S., Bürgermeister daselbst († am 20. Novbr. 1729), hatte Katharine Margarethe, eine geb. v. Kalm († am 4. März 1746) geheirathet, und Heinrich Bernhard S. war der älteste Sohn dieser Ehe. Nachdem er die Schulen seiner Vaterstadt besucht hatte, widmete er sich der Rechtswissenschaft. Doch wissen wir nicht, wo dies geschah; in Helmstedt ist er jedenfalls nicht immatriculirt worden. Im J. 1729 unternahm er eine größere Reise durch Holland und England. Als dann für den späteren Herzog Karl I. als muthmaßlichen Thronfolger vor seiner Vermählung mit der preußischen Prinzessin Philippine Charlotte ein Hofstaat in Wolfenbüttel eingerichtet wurde, erhielt S. bei ihm unterm 28. April 1733 die Stellung eines Secretärs; unterm 3. Mai 1735 bekam er den Titel eines Raths. So gewann er schon früh zu dem etwa sieben Jahre jüngeren Fürsten, der, wie er selbst, für alle Erscheinungen der Wissenschaft und Kunst, wie für alle Erfindungen und Unternehmungen auf industriellem und volkswirthschaftlichem Gebiete einen sehr empfänglichen Sinn besaß, sehr nahe und vertraute Beziehungen, die ein langes Leben hindurch ununterbrochen bei ihnen Bestand hatten. Wenige Monate nachdem Herzog Karl zur Regierung gekommen war, ernannte er S. zum Hofrath (31. October 1735) und ließ ihn als Mitglied in die Justizkanzlei zu Wolfenbüttel einführen. Aber neben dieser richterlichen Thätigkeit blieb S. der Berather des Herzogs vorzüglich bei den zahlreichen industriellen Unternehmungen, die er ins Leben zu rufen suchte; auch bei der Gründung des Collegium Carolinum war seine Fürsprache nicht ohne Einfluß. Unterm 11. Februar 1741 erhielt er das Decanat und ein Kanonikat im Stifte St. Cyriaci. Schon vorher war er durch kaiserliches Diplom vom 21. Mai 1786 als v. S. in den Reichsadelstand erhoben worden, eine Standeserhöhung, die in Braunschweig zwar nicht veröffentlicht, aber auch officiell voll anerkannt wurde. Später nahm er nach seinem Rittergute Schliestedt, das er mit lehensherrlicher Zustimmung 1747 von den v. d. Streithorst gekauft hatte, den Namen der 1613 ausgestorbenen [436] Familie v. Schliestedt an, der dann ebenfalls allgemeine Geltung fand. Im März 1749 kaufte S. auch das Gut Küblingen, und ebenso muß er in dieser Zeit auch Haus Neindorf im Fürstenthume Halberstadt von dem Geheimrathe v. Cramm, der damit 1746 belehnt worden war, erworben haben. Denn 1751 erscheint er schon im Besitze desselben; auch führte er seitdem den Titel eines Erbschenken des Herzogthums Braunschweig, da dieses Amt mit den Neindorf’schen Lehen seit alter Zeit verbunden gewesen war. Wohl im J. 1750 wird S. seinen Wohnsitz von Wolfenbüttel nach Braunschweig verlegt haben. Am 16. Februar 1754 wurde er zum Staatsminister und wirklichen Geheimrath ernannt; daneben wurde ihm dann später, am 26. Juli 1770, das Präsidium der Kammer und etwa um dieselbe Zeit das des Kriegscollegiums und des Klosterraths übertragen. Auch auswärts fand er Anerkennung; der König von Dänemark, der ihn schon früher zum wirklichen Conferenzrathe ernannt hatte, verlieh ihm im Juni 1754 den Danebrogsorden. Ein paar Jahrzehnte hindurch war S. nun die eigentliche Seele der Staatsverwaltung, „der einzige Mann in Braunschweig, durch den“, wie Lessing sagt, „Alles und Jedes, was geschehen sollte; geschah“. Er war ohne Zweifel ein Mann von bedeutenden Anlagen, von scharfem Verstande, vielseitiger Bildung, festem Charakter, von einem alles Neue schnell erfassenden Geiste, dabei vom besten Willen beseelt, geschäftsgewandt und unermüdet thätig. Aber die kühl berechnende Ueberlegung konnte bei ihm den lebhaften Drang zu stets neuen Entwürfen nicht zügeln. Nur zu entgegenkommend war er für alle Vorschläge, die ihm volkswirthschaftliche Vortheile in Aussicht stellten; er ist hier auch manchem Betruge nicht entgangen. Da nun sein Herr, der Herzog Karl, diese Neigungen und Schwächen in vollem Maße mit ihm theilte, so konnte es nicht ausbleiben, daß man mit vollen Segeln in das Staatsindustriewesen hineinsteuerte, das damals wohl kaum anderwärts solche Förderung erfuhr wie in Braunschweig. Ein Fehler war, daß man zu vieles auf einmal unternahm, daß ein Project das andere überstürzte, daß man im Eifer des Schaffens oft nicht genug erwog, ob auch die natürlichen Grundlagen und Lebensbedingungen für das neue Unternehmen vorhanden waren, daß man in fieberhafter Hast stets hoffte, mißlungene Anlagen durch einen neuen glücklichen Wurf wett zu machen, daß man durch alles dieses sich aber zu Ausgaben hinreißen ließ, die zu den wirklichen Mitteln des Landes in keinem Verhältnisse standen. Wohl möglich, daß S. in einem großen Staate mit reichen Hülfskräften Großartiges hätte leisten können: wie die Verhältnisse in Braunschweig lagen, haben seine Bestrebungen die arge finanzielle Bedrängniß des Landes nicht unwesentlich befördert. Doch haben sie dieselben keineswegs allein verursacht: die reiche Hofhaltung, die Versorgung mehrerer herzoglicher Wittwen und zahlreicher Prinzen, und vor allem die politischen Verhältnisse der Zeit, der siebenjährige Krieg mit seinen Folgen trugen die Hauptschuld daran. Auch darf man nicht verkennen, daß damals verschiedene segensreiche Einrichtungen und neue Erwerbszweige ins Leben gerufen wurden, die sich als von bleibendem Werthe erwiesen, daß mancher Plan glücklich entworfen war, aber wegen der ungünstigen Zeitverhältnisse nicht zur Durchführung gelangen konnte. So hat sich z. B. die Fürstenberger Porzellanfabrik in jener Zeit einen ehrenvollen Platz in der Geschichte des deutschen Kunstgewerbes errungen. Ueberhaupt erfuhren Kunst und Wissenschaft eine reiche verständnißvolle Pflege; ebenso wurde dem gesammten Schulwesen eine Fürsorge gewidmet, wie es sie sonst kaum anderwärts erfuhr. Einer in Braunschweig besorgten Neuausgabe der Bibel, die 1769 erschien, wandte S. persönlich eine solche Theilnahme zu, daß man sie nach ihm die „Exellenzenbibel“ nannte. Aber als die Noth hereinbrach, der Staatsbankrott drohte, da übersah man die Vorzüge seiner Staatsverwaltung ebenso völlig, wie die tieferen Ursachen der finanziellen Noth und machte für [437] diese ganz allein S. verantwortlich. Daß, wenn irgend ein Staatsbeamter, er auf die Regierungshandlungen den maßgebenden Einfluß ausgeübt hat, ist gewiß. Denn er besaß das Ohr des Fürsten, suchte eifersüchtig fremde Einflüsse von ihm fern zu halten und verstand auch, auf seine Schwächen geschickt einzugehen. Nicht frei von Herrschsucht behielt er die Regierungsgeschäfte, so viel er konnte, stets in seiner Hand und suchte seine Anhänger nach Möglichkeit zu befördern. Es konnte nicht fehlen, daß ihm dadurch viele versteckte Gegner erwuchsen, die den bösen finanziellen Mißerfolg seiner Verwaltung nach Kräften gegen ihn auszubeuten suchten. Das geschah besonders, als am 2. Decbr. 1768 der Landtag, dessen Berufung man zur Hebung des öffentlichen Credits für nöthig hielt, zusammentrat. Neben zahlreichen unberechtigten Ausstellungen wurde hier auch manche wohlbegründete Forderung geltend gemacht, keine wohl gerechtfertigter als die, „daß die projectirten Verbesserungen der Landeswohlfart inskünftige nur nach dem wahren Vermögen der fürstlichen Cassen, nicht aber nach ungefähren Vermuthungen angefangen würden“ (Venturini IV, 569). Aber die Gewandtheit Schrader’s verstand auch dieser Verstimmungen Herr zu werden. Als die Landschaft Deputirte gewählt hatte, die dann mit dem Ministerium das Weitere verhandeln sollten und fünf Vierteljahre verhandelten, da wußte S. diese durch Klugheit und Ausdauer zu einer Nachgiebigkeit zu bringen, die Niemand vorher für möglich gehalten hätte. Es wurden neue Steuern verwilligt und der nächste Zweck, eine Hebung des Credits, erreicht. Aber das Uebel war damit keineswegs aus dem Grunde geheilt. Das geschah erst später durch das thatkräftige rücksichtslose Eingreifen des Erbprinzen Karl Wilh. Ferdinand. Das Sparsamkeitssystem, das nach dem Landtage zunächst in der Staatsverwaltung Platz griff, erregte natürlich nicht minder Anstoß als die früher getadelte Verschwendung. Durch das Ausbleiben der vorher gewährten Unterstützungen stockten manche gewerbliche Unternehmungen. Dies und Anderes wirkten lähmend auf Handel und Wandel, die zumeist aber unter der allgemeinen Zeitlage litten. Auch hierfür maß man in weiten Kreisen S. die Schuld bei. Die Beschränkung der Ausgaben wurde von Einzelnen als drückende Härte empfunden, so z. B. auch von Lessing, der in einem Briefe an Eva König vom 17. September 1773 seiner Verstimmung in scharfen Worten über S., den er „den unglaublichsten Verzögrer und Trödler, der je unter der Sonne gelebt“, nennt, kräftigen Ausdruck gab. Aber man muß sich hüten, derartigen Aeußerungen augenblicklichen Mißmuths zu große Bedeutung beizulegen. Werden doch gerade von wohlunterrichteten und unvoreingenommenen Zeugen die Ordnung, Regelmäßigkeit und Schnelligkeit der Geschäftsführung, die er selbst geübt und seiner Beamtenschaft zur Pflicht gemacht habe, rühmend hervorgehoben. Aber man führte damals noch weit schwerere Anklagen gegen S.; so gab man ihm Schuld, er habe sich in seiner Stellung übermäßig bereichert, während es in Wahrheit mit seiner Casse leider ebenso schlecht bestellt war, wie mit der des Landes. Huldigte er doch denselben Bestrebungen, die er im Staatsleben zu fördern suchte, auch selbständig auf eigene Hand. Auf seinem Gute Küblingen ließ er eine Zeugfabrik und in Schliestedt, wo er gern seine Erholung suchte und das von ihm erbaute Gutshaus die bezeichnende Inschrift „Procul negotiis“ trägt, eine Seidenfabrik anlegen; auch gründete er hier 1749 einen Schulfonds, dessen Stiftungsurkunde ihn als eifrigen Anhänger der philanthropischen Bestrebungen der Zeit kennzeichnet. So kam es, daß er bei seinem Tode stark verschuldet war und seine Kinder Mühe hatten, die Erbschaft zu reguliren. Er starb am 19. Juli 1773 an einem vierzehntägigen entzündlichen Fieber und ist am 23. Juli in dem Erbbegräbniß zu Küblingen beigesetzt worden. – S. war zweimal verheirathet. Die erste Ehe, die er am 12. April 1736 mit Johanne Katharine Friederike Köhler, einer Tochter [438] des Drosten Christoph Daniel Köhler zu Schöningen, einging, soll Herzog Karl selbst bei Letzterem vermittelt haben. Die Frau, die von ihrem Vater († am 27. April 1739) und Bruder bedeutende Vermögen erbte, ist am 8. August 1752 gestorben. Aufs neue verheirathete sich dann S. 1754 mit Magdalene Ehrengard Louise von Campe, der zweiten Tochter des Celler Hofrichters Werner Heinrich v. Campe, Erbherrn auf Isenbüttel und Wettmershagen, die im J. 1763 gestorben ist. Die Kinder nannten sich sämmtlich nur von Schliestedt. Da zwei Söhne schon in der Jugend starben, Karl Ferdinand (getauft am 29. Mai 1743) am 5. Januar 1752 und Friedrich Wilhelm (getauft am 19. Mai 1745), der 1757 das Collegium Carolinum in Braunschweig bezog, am 28. Januar 1764, so überlebten den Vater nur drei Töchter der ersten Ehe. Von diesen war Sophie Regine Wilhelmine (geboren am 26. Februar 1751, † am 10. Januar 1801) seit 1771 mit dem aus Mecklenburg gebürtigen braunschweigischen Oberhauptmann Karl Christian Friedrich v. Bülow († am 1. Juni 1804) verheirathet; sie übernahm die Güter Schliestedt und Küblingen, die dicht vor dem Tode Schrader’s noch in ein Kunkellehn umgestaltet waren. Eine ältere Tochter Charlotte Antoinette vermählte sich am 28. December 1763 mit dem hessen-kasselschen Kriegs- und Domänenrathe Joh. Friedr. v. Waitz und nach dessen Tode in zweiter Ehe mit dem 1777 geadelten Oberappellationsrath Heinr. Ludw. Werkmeister in Celle († am 11./12. Januar 1791); sie starb ohne Nachkommenschaft um den Anfang des Jahres 1799. Die dritte Tochter Louise Elisabeth (getauft am 9. December 1740) verschied am 10. Juli 1797 als Domina des Klosters zur Ehre Gottes in Wolfenbüttel.

Unter den Brüdern Schrader’s nahm der Klosterrath Christoph Friedrich S. (geb. Juli 1712, † am 3. October 1767), der allein den in der folgenden Generation ganz erlöschenden Mannsstamm des Geschlechts fortführte, das Adelsprädicat unter officieller Anerkennung an, während der jüngste Bruder Paul August S., der unverheirathet blieb, von demselben niemals Gebrauch machte. Er wurde wohl im J. 1726 geboren und bezog 1745 das Collegium Carolinum zu Braunschweig und am 21. November 1750 die Universität Helmstedt, wo er sich der Rechtswissenschaft widmete. Daneben betheiligte er sich hier auch an der 1749 gegründeten deutschen Gesellschaft, der er auch später seine thätige Unterstützung zuwandte. Unterm 25. März 1755 ward er als Secretär bei der Geheimen Kanzlei in Braunschweig angestellt. Neben dieser Wirksamkeit versah er die Geschäfte eines Justitiars seit dem 11. December 1756 bei dem Amte Neubrück, seit etwa Anfang 1758 bei dem Amte Riddagshausen. Unterm 17. Mai 1762 erhielt er den Titel eines Raths, 1768 den eines Hofraths. Er starb am 13. April 1780, im 54. Jahre seines Alters. Er wird als ein Mann von behendem Witze und scharfer Satire geschildert. So zeigt er sich auch in seinen Dichtungen, die zumeist komisch-satirischer Art sind. Sie finden sich aufgeführt bei Meusel, Lexikon der 1750–1800 verstorbenen teutschen Schriftsteller Bd. XII, S. 425 ff. und Goedeke Bd. IV, 2. Aufl. S. 49. Am bekanntesten ist wohl sein Gedicht: „Die Ritter und Riesen, ein Rittergesang“ (Braunschweig und Leipzig 1756), in dem er nach dem Vorbilde von Zachariae’s Renommisten die Zustände der Helmstedter Universität behandelte.