Die Koronalisierung bezeichnet einen Lautwandel im Deutschen, bei dem der stimmlose palatale Frikativ [ç] ("Ich-Laut") mit dem stimmlosen postalveolaren Frikativ [ʃ] ("sch") verschmilzt. Dadurch kann es zu Homophonen kommen z.B. werden die Wörter "Kirche" und "Kirsche" gleich ausgesprochen. Die Koronalisierung betrifft jedoch nicht das Allophon [x] ("Ach-Laut"), so dass die Unterscheidung zwischen den beiden Phonemen /ç/ und /ʃ/ nach a, o, u und au bestehen bleibt. Das Phänomen findet sich besonders im Westmitteldeutschen Raum und Sachsen, aber auch bestimmten Soziolekten.

Phonologie und Phonetik Bearbeiten

Das deutsche Phonem /ç/ hat zwei Allophone in komplementärer Verteilung:

Bei der Koronalisierung verschmelzen das Allophon [ç] und das phonetisch sehr ähnliche Phonem [ʃ]. Das betrifft jedoch nicht das Allophon [x], so dass nach Hinterzungenvokalen die Unterscheidung der Phoneme /ç/ und /ʃ/ bestehen bleibt. Der resultierende Laut wird meistens als [ʃ] realisiert, manche Sprecher verwenden jedoch auch den stimmlosen alveolopalatalen Frikatik [ɕ], welcher lautlich zwischen [ʃ] und [ç] steht.

Hyperkorrektur Bearbeiten

Sprecher, die muttersprachlich nicht zwischen [ç] und [ʃ] unterscheiden, aber akzentfreies Standarddeutsch sprechen wollen, können intuitiv nicht entscheiden, welches Phonem in konkreten Wörtern vorliegt, da ihr Konsonantensystem nicht zwischen den beiden Lauten unterscheidet. Aufgrund der Erfahrung, dass die Verwendung von /ʃ/ häufig als falsch beurteilt wird (z.B. Lischt statt Licht), kann es zur Übergeneralisierung kommen: Der Laut [ç] wird dann überall verwendet, wo muttersprachlich [ʃ] verwendet wird, also auch in Positionen, wo normgemäß [ʃ] verwendet wird - obwohl sie diesen Laut weder im Regiolekt noch im Standard enthalten z.B. Fich, Tich, komich oder Tchechich. Dieses verbreitete Phänomen gilt als Paradebeispiel für Hyperkorrektur.

Herkunft und Verbreitung Bearbeiten

Mitteldeutsch Bearbeiten

Die Koronalisierung von [ç] war in den ursprünglichen Basis-Dialekten praktisch nicht vorhanden, ist also eines der wenigen Phänomene der deutschen Regionalsprachen bzw. Regiolekte, welche nicht auf alte dialektale Formen zurückgehen. Die genaue Entstehung ist ungeklärt, die erste schriftliche Erwähnung findet man Ende des 19. Jahrhunderts für die Gegend um Darmstadt und Mainz. Im 20. Jahrhundert schien sich das Phänomen vor Allem aus Großstädten wie Köln, Frankfurt am Main, Mannheim und Mainz auszubreiten[1][2]. Das heutige Verbreitungsgebiet des Phänomens umfasst vor Allem das westmitteldeutsche Gebiet:

Ein weiteres geographisch separates Gebiet liegt im westlichen und mittleren Sachsen (jedoch nicht der Oberlausitz). Während die Koronalisierung sich vor Allem durch den Regiolekt verbreitete (und beispielsweise als Markenzeichen des Neuhessischen gesehen wird), findet man sie mittlerweile auch im Dialekt und im Standarddeutschen.

Soziolekte Bearbeiten

Unabhängig von diesen regionalsprachlichen Phänomenen findet man die Koronalisierung auch im von jugendlichen Migranten gesprochenen Soziolekt, in der Literatur Kanak Sprak oder Kiezdeutsch genannt. Die Entstehung lässt sich damit erklären, dass das Phonem [ç] im Türkischen und anderen eingewanderten Sprachen nicht vorkommt und durch das ähnlich klingende [ʃ] ersetzt wird.

Kategorie:Phonologie Kategorie:Sprachwandel Kategorie:Dialektologie des Deutschen

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Joachim Herrgen: Koronalisierung und Hyperkorrektion, F. Steiner Verlag, Wiesbaden, 1986, ISBN 978-3515048217
  2. http://www.sprachlog.de/2009/03/04/ach-ich-und-die-kirschen-teil-2/