Das Wendsche Platt ist ein ausschließlich im Bereich der Gemeinde Wenden im Südsauerland gesprochener niederfränkischer Dialekt, der sich von den unmittelbar benachbarten westfälischen, nordniederfränkischen, ripuarischen und moselfränkischen Dialekten sowie von den sauerländischen Übergangsdialekten des Olper und des Drolshagener Platt deutlich unterscheidet. Es ist eine Reliktmundart, die aufgrund der historischen Randlage der Region eigene Regeln, Wortschatz, Lautsystem und Grammatik erhalten hat.

Die Region des Wendschen Platt

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Das Wendener Land liegt nördlich der Benrather Linie, die den mitteldeutschen vom niederdeutschen Sprachbereich trennt. Diese Linie verläuft über die südliche Gemeindegrenze zum benachbarten Siegerland, in dem ein mitteldeutsches Moselfränkisch gesprochen wird, das die zweite Lautverschiebung vollzogen hat, wenn auch nicht durchgehend.

Zusätzlich trennt die Uerdinger Linie den Wendschen Sprachraum. Diese Linie vereinigt sich nördlich von Gummersbach mit der Benrather Linie bis ins Wendener Land. Hier trennen sich die beiden Isoglossen für eine kurze Strecke, sodass die Orte Ottfingen und Hünsborn zwischen der Uerdinger- und der südlicheren Benrather Linie liegen. Kennzeichen sind u. a., dass man in diesen Orten statt „ick maken“ „ech bzw. eck maken“ sagt. Bei Altenhof trifft sie wieder auf die Benrather Linie.

An der westlichen Grenze des Wendener Landes befindet sich der Kumulationpunkt des Rheinischen Fächers, wo die Mundarten des niederdeutsch-nordfränkischen Ostbergischen, des nord-mittelfränkischen Ripuarischen und des nord-moselfränkischen Siegerländischen unmittelbar zusammentreffen.

Das Wendsche Platt ist kein westfälischer Dialekt, da er keinen Einheitsplural besitzt, wie die sich nördlich anschließenden sauerländischen und die Übergangsdialekte des Olper und Drolshagener Platt. Zudem wird im Unterschied zum Westfälischen das Präfix "ge-" (im Dialekt: „je-“) im Partizip Präteritum gebraucht. Insofern liegt das Wendsche Platt außerhalb der Westfälischen Linie[1].

Eigenheiten des Wendschen Platt

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Ein weiteres wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu den westfälischen und den nordniederfränkischen Dialekten ist der Gebrauch des hochdeutschen Personalpronomens "wir". Obwohl nördlich der Benrather Linie gelegen, lautet dies im Wendschen Platt „mej“ (lautsprachlich: mëį). Dieses Wort als eine Variante des mittel- und oberdeutschen „mir“ gibt es laut Rheinischem Wörterbuch nur südlich der Benrather Linie. „Wir“ erscheint dort als „mīr, -ē-“, nebenbetont mer, unbetont mər.[2] Entstanden ist diese Form des „wir“ aus der enklitischen Stellung etwa von „han wir - hamwər - hamər“. Im Grimmschen Wörterbuch wird dies als Regel formuliert: „wie im anord. wird nach dem verbum stehendes wir an das -n der verbalendung assimiliert zu mir, mer, und dann vielfach zur alleinigen form der mundart erhoben“.[3]

In Dialekten im fränkischen Sprachbereich südlich der Benrather Linie fehlt das Verb „sprechen“ weitgehend. Hierfür wird vielmehr „schwätzen“ gebraucht. Auch im Wendschen Platt heißt es: „Mej schwätzen Platt“, wie es im gesamten Moselfränkischen Bereich lautet, während es im sauerländischen „spriäken“ heißt[4].

Eine weitere Besonderheit des Wendschen Platt ist, der Gebrauch des ach-ch am Anfang eines Wortes, das im Schriftdeutschen mit „g-“ beginnt. Diese Form der Lautbildung g- zu gutturalem ach-ch- ist ein Alleinstellungsmerkmal des Wendschen Platt innerhalb des Sauerlandes. Im benachbarten Olper und Drolshagener Platt heißt „groß“ „grout“, im übrigen Sauerland „gräot“ oder „graut“[5] im Wendschen Platt lautet es „chroat“.

Auch ein Alleinstellungsmerkmal des Wendschen Platt ist der durchgehende Gebrauch des „–st“ als „–scht“ sowohl im An- als auch im Innen- und Auslaut. Erst in oberdeutschen fränkischen und alemannischen Dialekten taucht diese Variante wieder auf. In den niederdeutschen, westfälischen Dialekten ist vielmehr eine Trennung des –sch- in s-ch oder s-t zu verzeichnen.Dies ist im westfälischen Raum jenseits des Wendschen, Olper und Drolshagener Platt besonders ausgeprägt.

Historische Rückschlüsse

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Otto Lucas verweist in seinem Werk zum Kreis Olpe darauf, dass das Wendener Land „seine stärksten Impulse in der kulturlandschaftlichen Entwicklung vom Siegerland erhalten“[6] hat. Der Fokus auf eine rigide Abgrenzung ist erst in der frühen Neuzeit entstanden, nachdem das Kölsche Heck, eine politisch-ökonomisch-militärische Befestigung zwischen Hessen-Nassau und Kurköln, errichtet wurde, die neben der politischen auch eine bis in das 20. Jahrhundert hinein wirksame konfessionelle und von hier auch kulturelle Grenze war. Die von Norden kommende Besiedlung des Sauerlandes durch die Sachsen im frühen Mittelalter erreichte das heutige Wendener Land nicht[7]. Dies blieb wie das benachbarte Siegerland fränkisch wie auch die Sprachen in den beiden Bereichen[8].

Einheit des Nordsiegerländischen und des Wendschen Platt

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Von daher sind auch die hohe Affinität und die durchgehenden Ähnlichkeiten der beiden Dialekte, die deutlich über ein Dialektkontinuum hinausgehen, zu erklären, sieht man von der vollzogenen bzw. ausgebliebenen Lautverschiebung ab. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass beide Dialekte eine gemeinsame Wurzel in einer Variante des Fränkischen haben. Durch die historische Grenzlage des Wendener Landes zwischen Rheinfranken, Moselfranken und Sachsen wurden alte Sprach- und Wortformen weiter tradiert und zum alltäglichen Gebrauch bestimmt, die sich aber deutlich vom ebenfalls niederdeutschen Westfälischen und Ostbergischen unterscheiden. Damit wurde es zu einer Reliktmundart, die bis heute aktiv geblieben ist.

Sprachhistorisch ist zu schließen, dass der Streifen des Oberbergischen, des Olper und Drolshagener Bereichs, das Wendsche Land und das Siegerland vor der hochdeutschen Lautverschiebung eine niederfränkisch sprechende Einheit gebildet haben. Durch den Vorstoß der Sachsen im 7. Jahrhundert auf Olper und Drolshagener Gebiet wurden das Wendsche vom übrigen niederfränkisch sprechenden Bereich getrennt.[9]

Das Wendsche Platt – eine Zusammenfassung

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Das Wendsche Platt ist ein fränkischer, niederdeutscher Dialekt, der anders als die Sprachen der Vorsiedler im übrigen Sauerland keinem niedersächsischen Einfluss ausgesetzt war. Kulturell bildete das Wendener Land mit dem nördlichen Siegerland eine Einheit, wie die Dorfbildung (statt Weiler oder Streusiedlungen) sowie der fränkischen Real(erb)teilung statt Anerbenrecht zeigen. Es ist auch anzunehmen, dass die Sprache des nordwestlichen Siegerlands und des Wendener Lands bis zur Lautverschiebung weitgehend einheitlich war. Bei allen Gemeinsamkeiten ist spätestens mit der unterschiedlichen kirchenpolitischen Zugehörigkeit des Siegerlandes zum Bistum Mainz und des Wendener Landes zum Erzbistum Kurköln, später auch dem Bau der Landwehr des Kölschen Hecks für das Wendener Land ein überwiegender Kontakt zu den niederdeutsch sprechenden nördlich anschließenden Räumen des Olper und Drolshagener Bereichs anzunehmen.

Eine fundierte sprachwissenschaftliche Aufarbeitung dieser eigenen und eigenwilligen Sprache ist bislang nicht erfolgt. Noch sind viele Muttersprachler im Wendschen zu erreichen, die auch örtlich gefärbte Varianten des Wendschen Platt als – manchmal auch nur mögliche – Alltagssprache beherrschen.

Einzelnachweise

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  1. Werner Beckmann: Die Mundart von Wenden – Ist die Mundart von Wenden westfälisch oder fränkisch? In: Kreisheimatbund Olpe (Hrsg.): In: Heimatstimmen aus dem Kreis Olpe 3 / 1997 – Folge 188. Olpe 1997, S. 263 - 273.
  2. Rheinisches Wörterbuch, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, Bd 9, 2021 Sp. 569
  3. Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21,„wir, pron.“, 2008 Sp. 523
  4. „sprechen“, Rheinisches Wörterbuch, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, <https://www.woerterbuchnetz.de/RhWB?lemid=S21788>,
  5. Reinhard Pilkmann-Pohl: Plattdeutsches Wörterbuch des Kurkölschen Sauerlandes Arnsberg Sauerländer Heimatbund 1988, S. 115
  6. Otto Lucas, Das Olper Land – Universitätsbuchhandlung Coppenrath Münster 1941 S. 118'
  7. Raimund Quiter: Wenden in Mittelalter und Früher Neuzeit  in Böhler, Karljosef u.a.: „Wenden – Einblicke in die Geschichte“ Wenden 2012 
  8. Werner Beckmann, a.a.O.
  9. https://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal