Religiöse Ansätze

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Die Jaina-Tradition, als eine Variante des Buddhismus, scheint unter den „alten Religionen“ die engsten Verbindungen zum modernen Veganismus zu haben. Paul Dundas subsumiert etwa: „Ein strikter und präzise definierter Vegetarismus ist die sichtbarste soziale Ausdrucksform des Gelübdes der Gewaltfreiheit und der wichtigste Marker von Jaina-Identität.“ Er führt weiter aus, dass „alle Jains davon betroffen sind – nicht nur die AsketInnen. Die Ernährungsmuster von Jains gehen weit über einen bloßen Vegetarismus hinaus (…).”[1] Jains systematisieren dafür Wesen auf eine relativ komplexe Art und Weise, indem sie unterscheiden, welche Ausdrucksmöglichkeiten des jiva (oft mit „Seele“ übersetzt) ein jeweiliges Wesen ihrer Ansicht nach hat. In Abhängigkeit vom Charakter des jiva wird der Gewalt (himsa) gegen die jeweiligen Wesen ein entsprechend großer oder kleiner Stellenwert zugeschrieben. Innerhalb dieser Hierarchisierung fallen mobile Organismen mit fünf Sinnen (panchendriya jiva) – also insbesondere Menschen und Säugetiere – in ein und dieselbe Kategorie und diese werden in ihrer Fähigkeit von Gewalt betroffen zu sein, nicht weiter unterschieden.[2] Acharya Hemachandra fasst darunter etwa auch Bienen zusammen und schließt daraus, dass der Verzehr von Honig mit einer Schlachtung vergleichbar sei.[3]

Die Verständnis und die Praxis von ahimsa über die Gruppe der panchendriya jiva hinaus variiert unter den Gläubigen, ist dabei aber nicht beliebig: Praktisch alle Jains leben fleischlos und vermeiden Lederprodukte. Viele Jains leben völlig ohne Tierprodukte. Die Nutzung tierlicher Produkte war historisch unter Jains stets stark reguliert, wobei diese Vorschriften auf das Prinzip der ahimsa zurückgeführt wurden.[4] Ein kategorischer Ausschluss von Tierprodukten findet sich vereinzelt in historischen Jaina-Communities und hat innerhalb der letzten 50 Jahre, zeitgleich mit der globalen Intensivierung von Landwirtschaft – und insbesondere tierlicher Landwirtschaft – an Popularität in den modernen Jaina-Communities gewonnen. Eine vegane Lebensweise findet sich daher etwas häufiger unter jugendlichen Jains.[5][6] Eine informelle Umfrage einer Gruppe von Jains in Großbritannien ergab im April 2012, dass 87 % der Glaubensgemeinschaft den Konsum von Milchprodukten für inakzeptabel befand, sofern sie zuvor über die Produktionsbedingungen von Milch informiert wurden.[7]

Auch über das Nicht-Benutzen von Tieren hinaus gibt es in der Jaina-Tradition Ansätze zur Vermeidung von himsa gegenüber Tieren: beispielsweise das Tragen eines Mundschutzes (Sthanakavasi)[8] und das Benutzen eines weichen Besens beim Laufen, um Insekten vor versehentlich beigefügten Verletzungen zu schützen. Diese Gelübde werden aber fast ausschließlich von Nonnen, Mönchen und AsketInnen praktiziert und von gemeinen Gläubigen nicht erwartet. Dieses Verhalten genießt nichtsdestotrotz den Respekt der Gläubigen und wird bis zu einem gewissen Grad von Jains in den spirituellen Institutionen erwartet. Auch eine Ernährung ohne Bodenfrüchte (Kartoffeln, Zwiebeln…) war historisch weit verbreitet, findet sich heute aber nur noch unter orthodoxen Jains. Die Idee dahinter ist, dass Manche vermeiden möchten, dass Würmer oder Mäuse im Zuge der landwirtschaftlichen Arbeit verletzt werden. In einigen Klöstern und Tempeln bauen Nonnen und Mönche daher eigenes Gemüse an und treffen dabei entsprechende Vorkehrungen.[4] Die Jaina-Tradition gilt – zusammen mit wenigen kleinen Strömungen des Buddhismus und des Hinduismus – als die einzige „alte“ religiöse Praxis, die eine pflanzliche Ernährung aus moralischen Gründen vorschreibt. Die US-Amerikanische Vegan Society (Nicht zu verwechseln mit der Britischen Vegan Society) führt mehrfach eine Begründungen des Veganismus im Kontext einer Umsetzung von ahimsa an und kultiviert in ihren Publikationen einen regen Austausch mit Jains.

Es gibt diverse Neue Religiöse Bewegungen, die eine pflanzliche Ernährung nahe legen:

Zu den größeren Gruppen zählen etwa die die African Hebrew Israelites of Jerusalem als eine Glaubensgemeinschaft mit etwa 2000-5000 Mitgliedern. Viele der Mitglieder interpretieren ihren Glauben als eine Variante der jüdischen Tradition.[9] Das American Jewish Committee veröffentlichte allerdings 1980 die Positionierung, dass „selbst unter den offensten Auffassungen vom Begriff des Judentums die Gemeinde nicht dazu gezählt werden“ könne.[10] Zur Begründung ihrer pflanzlichen Ernährung verweist die Gruppe u.A. auf Genesis 1:29: („Und Gott sprach: Seht da, ich habe euch gegeben allerlei Kraut, das sich besamt, auf der ganzen Erde und allerlei fruchtbare Bäume, die sich besamen, zu eurer Speise.“)[9] Die Gemeinde betreibt eine bio-vegetarische Restaurantkette unter dem Namen Soul Vegetarian.

Eine weitere Gemeinschaft hat sich um die Lehren von „Supreme Master“ Ching Hai versammelt, die neben ihren „spirituellen“ Veröffentlichungen und Inszenierungen auch die Gesellschaft Supreme Master Ching Hai International Association leitet. Unter dieser Gesellschaft läuft unter Anderem die Restaurantkette Loving Hut, wo ausschließlich vegane Speisen angeboten werden, und ein Label für Schmuck und vegane Modeprodukte. Ihre Lehre, die „Quan Yin Method“ enthält Anleihen von der verdischen Traditionen des Yoga, sowie von buddhistischen Traditionen. Beispielsweise gelten die Fünf Silas des Buddhismus, worunter auch eine Variante des ahimsa-Gelübte fällt, als Verbindlich für die Gläubigen.[11]


Für den deutschsprachigen Raum wäre die vergleichsweise kleine neue Religionsgemeinschaft Universelles Leben, die eine vegane Lebensweise aus ethischen und gesundheitlichen Gründen nahe legt und ihre Lehre mit einem Christlichen Narrativ begründet.[12] Insbesondere das Universelle Leben gilt innerhalb der Tierrechtsbewegung nicht zuletzt wegen einer Abmahnaffäre gegen das Szeneinterne Voice Magazin teilweise als isoliert. Colin Goldner, der sich als Tierrechtler versteht und im Beirat der religionskritischen Giordano Bruno Stiftung sitzt, kritisiert auch über den Fall hinaus grundsätzlich die Zweckmäßigkeit religiöser Begründungsansätze für eine Tierbefreiungsposition.[13] Auch der Antitierbenutzungshof möchte die eigene vegane Position explizit weder als religiöse noch als quasireligiöse individuelle Praxis, sondern als ein Politikum verstanden wissen.[14]


Einige ForscherInnen haben die analytische Kategorie der funktionalen Religiosität (siehe Funktionalismus (Gesellschaft)) für das Phänomen der Tierrechtsbewegung und den Veganismus im Westen vorgeschlagen: Einerseits weil die Praxis – ob nun säkular oder Religiös – in jedem Fall moralisch begründet wird und daher diese Klassifikation nahe liege.[15][16] Andererseits haben aber auch einige VeganerInnen selbst an diversen Stellen argumentiert, ihre Nichtkooperation mit Tiernutzung – Beispielsweise in im Fall von Vivisektion in Lehrsituationen – falle als ein moralisches Widersprechen unter die entsprechenden Gesetze, die die Freiheit des Bekenntnisses in den jeweiligen Staaten schützen.[17] Teilweise waren entsprechende Argumentationen auch schon vor Gerichten erfolgreich.[18][19]

  1. Paul Dundas: The Jains. 2. Auflage. Routledge, 2002, ISBN 0-415-26605-X, S. 176 ff.
  2. Jiva Tattiva (Einführender englischsprachiger Text bei jainworld.com; undatiert und ohne AutorInnenangabe)
  3. ...
  4. a b Pushpendra K. Jain: Dietary Code of Practice amongst Jains. In: Internationan Vegetarian Union. 10. Juli 2000;.
  5. Dilip V. Shah: Jainism and Veganism: Ahimsa in the Modern World 15. April 2011.
  6. Gary L. Francione: Ahimsa and Veganism, 2009, S. 9-10 
  7. Survey shows only 13% believe its acceptable for Jains to drink milk (April 2012)
  8. , John R. Hinnells (ed.): A Handbook of Living Religions. Penguin Books, 1991, ISBN 0-14-013599-5, S. 264.
  9. a b Selbstbeschriebung der Gemeinde.
  10. Konighofer, Martina (2008). The New Ship of Zion S. 38.
  11. The Five Guidelines auf den Websites der Supreme-Master-Sekte
  12. Video vom „Sender Neu Jerusalem“ Kapitel 4.3: Ein emsiges Volk: Die Bienen
  13. Colin Goldner: Das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen. Hrsg.: Witt-Stahl, Susann. Alibri Verlag, 2007, ISBN 3-86569-014-9, Tierrechte und Esoterik – eine Kritik.
  14. Selbstbeschreibung der Hofgemeinschaft
  15. Siehe etwa W.V. Jamison, C. Wenk, J.V. Parker: Every sparrow that falls: Understanding animal rights activism as functional religion. In: Society and Animals. 8. Jahrgang, Nr. 3, 2000, S. 305–330..
  16. Anett Keller: Zu Besuch bei strenggläubigen Veganern In: Spiegel Online, 17. November 2011. Abgerufen am 30. September 2012 
  17. Der US-amerikanische Ratgeber G. L Francione, A. E Charlton: Vivisection and dissection in the classroom: A guide to conscientious objection. American Anti-Vivisection Society, 1992. legt Betroffenen diese Argumentation an mehreren Stellen nahe.
  18. Darrell R. VanDeusen: Veganism A Religion? It Depends. In: The Employment Brief Blog. Februar 2003, abgerufen am 30. September 2012. (Diskutiert mehrere arbeitsrechtliche Fälle)
  19. In einem jüngst zurückgewiesenen Verfahren hatte das Tribunal für Menschenrechte in Ontario darüber zu befinden, ob gegen eine vegane Kandidatin für eine Promotion an der Ryerson University (Toronto) eine Diskriminierung gegen ihre vegane Überzeugungen vorliegt. Anlass war die Zurückweisung ihres Forschunsgvorhabens, welches Analogien zwischen den Unterdrückungsstrukturen bei marginalisierten Menschengruppen und in der Tierausbeutung untersuchen sollte, mit der Begründung das Vorhaben sei „unmenschlich und Rassistisch“. Siehe Joseph Brean Ryerson student takes veganism discrimination dispute to Human Rights Tribunal of Ontario 8. November 2011 National Post