Versatzstücke Bearbeiten

"Der Dekalog als Träger unseres Volkstums": (Zitatanfang) "Gegenüber dem völkischen Denken des neuen Staates macht er geltend, dass die Freiheit eine unabdingbare Voraussetzung jeder [!!] völkischen Gemeinschaft sei: "Eine Masse Geknechteter ist kein Volk... Ein Volk ist kein Sklavenhaus [für so eines hält er also den neuen Staat!]. Wir Christen, die die Freiheit empfangen haben und verkünden, sind wahrhaft Völkische." [Es gibt also ein Volkstum in positivem Sinne, aber nur auf der Grundlage christlicher Freiheit, die für Schlatter die Bindung an die 10 Gebote und das Doppelgebot der Liebe einschließt; das wiederum macht jede Verfolgung voon Minderheiten unmöglich]. "Zweck der völkischen Gemeinschaft" sei nicht die Unterdrückung, sondern die "Belebung ihrer Glieder": "Sie wird nicht dadurch stark, dass sie ihre Glieder entrechtet, verarmt und lähmt. SIe ist der Schutz des Einzelnen, und sie verpflichtet ihn gerade dadurch dem Ganzen, daß sie ihm, dem Einzelnen, die Lebensbedingungen gewährt [dabei schließt Schlatter die in Deutschland lebenden Juden, wie aus Diskussionsmitschriften hervorgeht, ausdrücklich ein!]. [...] Der Rassenideologie der neuen Machthaber warf Schlatter vor, dass sie volksfeindlich sei: "Wenn wir das Volkstum einzig auf die Rasse gründeten, zerrissen wir das Volk. [...] Wir Deutschen sind nicht ein Produkt der Rasse, sondern der Geschichte, über der der Name Gottes stand." Mit besonderer Eindringlichkeit griff Schlatter gegen Ende seines Vortrags den nationalsozialistischen Führerkult an: "Nicht von besonderen Leistungen Einzelner hängt das Schicksal unseres Volkes ab, sondern von der Treue [i.e. gegenüber den 10 Geboten], mit der jeder die göttlichen Gaben, die unser Leben tragen, benutzt". Nicht in einem Führer könne "sich das Volk einigen", denn: "Kein Cäsar bleibt". Wenn ein Führer den Dienstcharakter [!!, d.h. den Dienst an seinen "Untertanen", das hat er in seinem "Christlichen Dogma" breit entfaltet] der politischen Herrschaft "bestreitet und seine Herrschaft zum Selbstzweck macht, zerstört er das Fundament der völkischen Gemeinschaft". (Zitatende). In einem anderen Aufsatz namens "Menschengemeinschaft - Gottesgemeinschaft" heißt es laut Neuer S. 734 (Zitatanfang:) "Die Christenheit könne das "deutsche Volkstum" unmöglich als obersten Wert anerkennen, "denn unser Heilgstes und Bestes ist nicht der Mensch, auch nicht der heldische Mensch, auch nicht der germanische Mensch, der nordische Mensch, und nicht die Ernährung, das Wohlsein, die Ehre und Macht der Germanen ist unser höchstes Anliegen". Schlatter beanstandete bei den Nationalsozialisten einen rücksichtslosen Voluntarismus, der in Staat und Kirche zur Bedrohung der Wahrheit und damit auch der Freiheit führe: "Offenkundig ist..., daß die Schule, der Hörsaal, die Predigtstätte heute sie schützende Worte bedürfen: meint der Drang nach Wille und Tat, er könne die Wahrheit entbehren, so wird er selbstherrlicher Eigenwille, falscher Geist. Wer glauben und gehorchen will, muß lernen... Daß uns dies nicht verboten und durch das Radio und den eintönigen und herrischen Lärm der Presse nicht unmöglich gemacht werde, ist eine Lebensfrage sowohl für die völkische als auch für die kirchliche Gemeinschaft". [...] Schlatter [betonte], daß die Kirche auf eine Kritik "der Politiker" nicht verzichten könne. Sie sei vielmehr zur Wachsamkeit "gegen alles menschliche Wollen und Denken" verpflichtet, weil "Gott in Christus unser ganzes Handeln, sei es wirtschaftlich, staatlich oder religiös, unter seine Kritik gestellt" habe. Von daher verbiete sich eine kritiklose Verehrung des Führers: "Auch das originellste Kommando, das ein genialer Reichsbischof [man beachte den Sarkasmus angesichts des ausgemachten Dummkopfs Ludwig Müller!] oder Reichskanzler in momentaner Erfassung der Lage gibt, kann ein Werk des Fleisches [also Sünde!] sein, wenn es Ausbruch eigensüchtigen Machtwillens ist". Der nationalsozialistische "Ruf nach dem totalen Staat" wird nach Schlatter "zum hellen Unsinn, wenn er sagen wollte, es gebe nichts als den Staat, der Staat könne alles, der Staat existiere, ehe es Menschen gibt. Vor dem Staat steht der Mensch mit allem, was ihn zum Menschen macht [jüdische eingeschlossen!]" (Zitatende). Das alles wohlgemerkt 1933, nach der Machtergreifung.

Kirchenkampf zu Beginn des Nationalsozialismus Bearbeiten

 
Adolf Schlatter im Alter

Gegen Ende seines Lebens wurde Schlatter mit dem Nationalsozialismus konfrontiert. Er stand ihm von Beginn an ablehnend gegenüber.[1] Mit illusionsloser Nüchternheit und wachsender rhetorischer Schärfe skizzierte er dessen politische, theologische und kirchliche Zielsetzungen in seinen Briefen sowie in mehreren öffentlichen Vorträgen des Jahres 1933 als gefährlich, widerchristlich und unterdrückend.[2] So insistierte er angesichts des Zwangscharakters des neuen völkischen Denkens auf der Freiheit als Voraussetzung jeder Volksgemeinschaft: „Eine Masse Geknechteter ist kein Volk... Ein Volk ist kein Sklavenhaus. Wir Christen, die die Freiheit empfangen haben und verkünden, sind wahrhaft Völkische.“ Die Volksgemeinschaft „...wird nicht dadurch stark, dass sie ihre Glieder entrechtet, verarmt und lähmt. Sie ist der Schutz des Einzelnen, und sie verpflichtet ihn gerade dadurch dem Ganzen, daß sie ihm, dem Einzelnen, die Lebensbedingungen gewährt“ Die nationalsozialistischen Rassenideologie war ihm, der sich selbst seit seiner Palästinareise als „Judenfreund“ verstand,[3] zutiefst zuwider; er warf ihr vor, letztlich volksfeindlich zu sein: „Wenn wir das Volkstum einzig auf die Rasse gründeten, zerrissen wir das Volk. (...) Wir Deutschen sind nicht ein Produkt der Rasse, sondern der Geschichte, über der der Name Gottes stand.“[4] Das „deutsche Volkstum“ an sich könne christlicherseits keinesfalls als besonderer Wert anerkannt werden, „denn unser Heiligstes und Bestes ist nicht der Mensch, auch nicht der heldische Mensch, auch nicht der germanische Mensch, der nordische Mensch, und nicht die Ernährung, das Wohlsein, die Ehre und Macht der Germanen ist unser höchstes Anliegen“. [5] Mit besonderer Schärfe griff Schlatter den nationalsozialistischen Führerkult an: „Nicht von besonderen Leistungen Einzelner hängt das Schicksal unseres Volkes ab, sondern von der Treue, mit der jeder die göttlichen Gaben, die unser Leben tragen, benutzt“. Sarkastisch bemerkt er: „Kein Cäsar bleibt“. Ein Führer, der den Dienstcharakter der politischen Herrschaft „bestreitet und seine Herrschaft zum Selbstzweck macht, zerstört er das Fundament der völkischen Gemeinschaft“.[6]. Der „Ruf nach dem totalen Staat“ werde „zum hellen Unsinn, wenn er sagen wollte, es gebe nichts als den Staat, der Staat könne alles, der Staat existiere, ehe es Menschen gibt. Vor dem Staat steht der Mensch mit allem, was ihn zum Menschen macht“. Seine Sorge galt der Preisgabe des Glaubenslebens, die die Christen „für den Staat unbrauchbar machen würde“: „Aus inwendig Erstorbenen kann man keine lebendige Gemeinschaft formen. Aus verdorrten Feigenbäumen schafft auch Adolf Hitler kein deutsches Paradies“.[7] Schlatter hatte sein Leben lang die Zugehörigkeit Jesu zum Judentum hervorgehoben und - verglichen mit anderen Theologen seiner Zeit - ausgesprochen freundliche Bewertungen des Judentums gegeben.[8] Obwohl er den sog. „Arierparagraphen“ der Sache nach ablehnte,[9] vollzog er jedoch nicht den Schritt zu einem offenen Widerstand: Einen „Anspruch darauf, in ein Amt erhöht zu werden“ vermochte er nicht zu befürworten.[10] Im Zuge der Entstehung des „Betheler Bekenntnisses“ lehnte er die in deren Entwurf erhobene Forderung, die Heidenchristen hätten „eher sich selbst der Verfolgung auszusetzen (...) als die (...) kirchliche Bruderschaft mit den Judenchristen (...) preiszugeben“ mit der Bemerkung ab, die „Gemeinschaft mit den Volksgenossen“ sei „in dieser Stunde wichtiger als die Gemeinschaft mit den Judenchristen“, obwohl er gleichzeitig die Theologie der „Deutschen Christen“ ablehnte. Ob diese inkonsequente Zögerlichkeit mit einem latenten, auf das zeitgenässische Judentum bezogenen Antijudaismus [11] oder eher mit seinem fortgeschrittenen Alter zu tun hatte, das er seinem Freind Wilhelm Lütgert gegenüber beklagte,[12] ist noch nicht endgültig geklärt. Trotz weitgehender Entsprechung mit der „Bekennenden Kirche“ hinsichtlich ihrer Ablehnung der „Deutschen Christen“ schloss er sich ihr nicht an, da die dort vorherrschende, von Karl Barth beeinflusste Dialektische Theologie ein (für ihn essentielles) Verständnis der Natur als Offenbarung Gottes ablehnte – also aus theologischen Gründen.

In der Literatur wurde diskutiert, inwiefern Schlatter als Begründer des „Tübinger wissenschaftlich-theologischen Antisemitismus“ zu gelten habe (sein Schüler Gerhard Kittel (1888–1948) und Walter Grundmann (1906–1976)[13] sind ausgewiesene Vertreter einer rassisch-völkischen Judenfeindschaft).[14] Stein des Anstoßes ist eine Schrift Schlatters von 1935, in der er sagt, Jesus sei der Überwinder und der größte Feind des Judentums: „Die nordische Seele ist deshalb dazu angelegt, etwas von der Größe Jesu zu spüren, weil sie die verabscheut, die sich feig und weichlich nur um ihr eigenes Wohlsein bemühen. Gegen diesen Mißbrauch des Lebens hat keiner so ernst und so sieghaft gestritten, wie Jesus es tat. Einen gewaltigeren Widersacher als ihn hat das Judentum nie gehabt.“[15] Andere verstehen die bewusste Schrift genau im gegenteiligen Sinne als „eine geradezu leidenschaftliche Absage an die Verherrlichung der arisch-nordischen Rasse einerseits und die Geringschätzung der jüdischen Rasse andererseits“. Sie enthalte u. a. eine prophetisch anmutende Warnung vor einem „Schlachtfeld voll von Leichen und Ruinen“ als Konsequenz der nationalsozialistischen Ideologie.[16] Der zitierte Satz sei in seinem Kontext als (allerdings verunglückter) Versuch zu verstehen, den Nationalsozialismus mit Hilfe seiner eigenen Argumentation ad absurdum zu führen, um auf diese Weise von ihm verführte Menschen zur Vernunft zu bringen.[17] Die Schrift wurde denn auch von der Gestapo „wegen ihrer unsachlichen Stellungnahme zu den weltanschaulichen und rassischen Problemen des nationalsozialistischen Staates beschlagnahmt und eingezogen“[18] sowie auf die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ gesetzt.[19]

Die leidenschaftliche Ablehnung des Nationalsozialismus und eines biologischen Rassismus durch Schlatter ist inzwischen durch die wissenschaftliche Schlatter-Biographie von Werner Neuer, die sich auf umfangreiche Studien zu seinem Nachlass stützt, belegt.[20] Die These, Schlatter sei Antisemit gewesen, wird in aktueller theologischer Fachliteratur widerlegt.[21]

Unter Beobachtung Bearbeiten

Martin Luther

Karl Barth Adolf Schlatter Ernst Lange Johann Georg Hamann

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Vgl. zum Folgenden Neuer, Werner: Adolf Schlatter. Ein Leben für Theologie und Kirche, 1996, S. 725–780
  2. Einige der NS-kritischen Vorträge Schlatters sind z. B. gesammelt in der Broschüre Die neue deutsche Art in der Kirche, Sonderdrucke des Monatsblattes BethEl, Heft 14, Bethel 1933
  3. Nach einem Brief an seine Mutter 1892, zit. in: Neuer, Werner: Adolf Schlatter. Ein Leben für Theologie und Kirche, 1996, S. 748
  4. Alle bisherigen Zitate aus dem Vortrag: Die Zehn Gebote als Träger unseres Volkstums, in: Schlatter, Adolf: Die neue deutsche Art in der Kirche, Bethel 1933, S. 23-29, zit. nach: Neuer, Werner: Adolf Schlatter. Ein Leben für Theologie und Kirche, 1996, S. 732f.
  5. Menschengemeinschaft - Gottesgemeinschaft, in: Schlatter, Adolf: Die neue deutsche Art in der Kirche, Bethel 1933, S. 11, zit. nach: Neuer, Werner: Adolf Schlatter. Ein Leben für Theologie und Kirche, 1996, S. 734
  6. Die Zehn Gebote als Träger unseres Volkstums, in: Schlatter, Adolf: Die neue deutsche Art in der Kirche, Bethel 1933, S. 23-29, zit. nach: Neuer, Werner: Adolf Schlatter. Ein Leben für Theologie und Kirche, 1996, S. 732f.
  7. Menschengemeinschaft - Gottesgemeinschaft, in: Schlatter, Adolf: Die neue deutsche Art in der Kirche, Bethel 1933, S. 22f., zit. nach: Neuer, Werner: Adolf Schlatter. Ein Leben für Theologie und Kirche, 1996, S. 734f.
  8. Anders Gardmer: Roots of theological Antisemitism. German Biblical interpretation and the Jews, from Herder and Semler to Kittel and Bultmann, Leiden 2009, S. 253-274, bes. S. 272ff.
  9. sichtbar besonders aus seinen Briefen an Theodor: Neuer, Werner: Adolf Schlatter. Ein Leben für Theologie und Kirche, 1996, S. 747f.
  10. Neuer, Werner: Adolf Schlatter. Ein Leben für Theologie und Kirche, 1996, S. 747f.
  11. Anders Gardmer: Roots of theological Antisemitism. German Biblical interpretation and the Jews, from Herder and Semler to Kittel and Bultmann, Leiden 2009, S. 274ff.
  12. So Schlatter selbst gegenüber seinem Freund Wilhelm Lütgert: Neuer, Werner: Adolf Schlatter. Ein Leben für Theologie und Kirche, 1996, S. 753f.
  13. L. Siegele-Wenschkewitz, Mitverantwortung und Schuld der Christen am Holocaust, in: EvTh 42, 1982, S. 183 charakterisiert Grundmann fälschlich als Schüler Schlatters, mit dem er regelmäßig korrespondiert habe. Diese Behauptung wurde inzwischen von Werner Neuer und Anders Gardmer aus den Nachlässen als falsch herausgestellt, da kein einziger Briefwechsel zwischen den beiden Männern erhalten ist: Neuer, Werner: Adolf Schlatter. Ein Leben für Theologie und Kirche, 1996, S. 729; Anders Gardmer: Roots of theological Antisemitism. German Biblical interpretation and the Jews, from Herder and Semler to Kittel and Bultmann, Leiden 2009, S. 293.
  14. L. Siegele-Wenschkewitz: Adolf Schlatters Sicht des Judentums im politischen Kontext. Die Schrift Wird der Jude über uns siegen? von 1935, in: Dies (Hgin): Christlicher Antijudaismus und Antisemitismus: theologische und kirchliche Programme Deutscher Christen, Frankfurt a.M. 1994, S. 95–110. Ihr folgt, ohne die zwischenzeitlich vorliegenden Erkenntnisse aus Schlatters Nachlass zu verarbeiten, Birgit Gregor: Zum protestantischen Antisemitismus. Evangelische Kirchen und Theologen in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Fritz-Bauer-Institut (Hg.): Beseitigung des jüdischen Einflusses ... Antisemitische Forschung, Eliten und Karrieren im Nationalsozialismus. Jahrbuch 1998/1999, S. 171–200.
  15. Adolf Schlatter: Wird der Jude über uns siegen? Ein Wort für die Weihnachtszeit, Velbert-Essen, 1935, S. 6.
  16. Neuer, Werner: Adolf Schlatter. Ein Leben für Theologie und Kirche, Stuttgart 1996, S. 757–761
  17. Dies befreit Schlatter allerdings nicht von dem Vorwurf, den Zweck des „Reichsbürgergesetzes“ sowie die mörderischen Absichten des NS-Regimes sträflich fehlerhaft eingeschätzt zu haben (vgl. Neuer, Werner: Adolf Schlatter. Ein Leben für Theologie und Kirche, Stuttgart 1996, S. 760f.).
  18. Das Original-Dokument der Gestapo liegt im Schlatter-Archiv unter der Bezeichnung 169/6. Es belegt, dass die regimekritische Absicht dieser Schrift von ihren Gegnern durchaus verstanden wurde und die üblichen Repressalien nach sich zog.
  19. Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums, Stand vom 31. Dezember 1938. Seite 128. Leipzig, 1938. Online-Veröffentlichung der Liste der von den Nationalsozialisten verbotenen Schriften
  20. Neuer, Werner: Adolf Schlatter. Ein Leben für Theologie und Kirche, 1996, S. 725-780.
  21. vgl. zuletzt Anders Gardmer: Roots of theological Antisemitism. German Biblical interpretation and the Jews, from Herder and Semler to Kittel and Bultmann, Leiden 2009, S. 253-320.