Dreht sich der Kreis im Uhrzeigersinn um O, gibt es keinen Punkt, in dem sich L und L zum ersten Mal schneiden.

Avicennas „Argument der Kollimation“ (burhān al-musāmita) bzw. „Argument der Parallelität“ (burhān al-muwāzā), eine überarbeitete Version eines aristotelischen Arguments aus Über den Himmel, lautet wie folgt: Betrachte einen Kreis mit Mittelpunkt (siehe Grafik). An fixiere man nun eine Linie , die sich (aktual) unendlich in die Höhe erstreckt. Man betrachte eine weitere (aktual) unendliche und zu parallele Linie . Avicenna bemüht nun ein kinematisches Argument, um die Annahme aktualer Unendlichkeit ad absurdum zu führen: Nimmt man an, dass sich der Kreis zusammen mit im Uhrzeigersinn dreht, dabei aber unbeweglich und fest bleibt, muss es in dieser Bewegung – so Avicenna – einen Moment geben, in dem die Linien parallel sind, und einen Moment, in dem sie sich in einem Punkt kreuzen. Avicenna bemerkt, dass unabhängig davon, wie winzig die Auslenkung von auch sein mag, immer schon ein Punkt existiert, in dem sie sich schneiden müssen. Da Avicenna aber meint, dass die Kreisbewegung möglich sein müsse (kinematisches Argument), wird aus der unerwünschten Konsequenz die Voraussetzung verworfen, nämlich dass es ein aktual Unendliches gibt. Aus heutiger Sicht irrig ist, aus dem Umstand der Existenz eines „Moments der Parallelität“ und eines „Moments des Schnittes“ zu folgern, dass es auch einen Moment gibt, in dem sich diese Linien zum ersten Mal schneiden. Anders formuliert: Das Intervall besitzt kein kleinstes Element. Ob sich der reale Raum (bzw. das Kontinuum) oder die reale Zeit mit Hilfe reeller Zahlen modellieren lässt – eine Frage, die bereits Zenons Paradoxien aufwerfen – wird in Abschnitt 6.4 angeschnitten.