Unter dem Begriff Stoffrecht wird eine Vielfalt unterschiedlicher Rechtsvorschriften zusammengefasst. In erster Näherung lassen sich vier unterschiedliche Bereiche erkennen, die einander vielfach überlappen:[1]

Rechtsvorschriften, die Ge- oder Verbote für einzelne Stoffe oder ganze Stoffgruppen anordnen
Prominente Beispiele aus den frühen 1970er Jahren waren das DDT-Gesetz und das Benzinbleigesetz. Mit der zwischenzeitlich außer Kraft getretenen Beschränkungs-Richtlinie erließ der europäische Gesetzgeber gleich ein ganzes Bündel von Ge-/Verboten für zahlreiche unterschiedliche Stoffe.[2] Ein aktuelles Beispiel sind die sowohl in den USA wie in Europa diskutierten Regulierungen für die problematische Stoffgruppe der Per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS).[3] Weitere Beispiele sind die Vorschriften des Betäubungsmittel- und des Doping-Rechts.[4]
Umfassende Regulierungsregime für spezifische Produktgruppen, die selbst als Stoff legaldefiniert sind
Viele Stoffe sind nicht nur durch einzelne Ver-/Gebote reguliert, sondern Gegenstand komplexer Regulierungsregime. Diese können z. B. vorschreiben, dass ein Stoff nur dann vermarktet werden darf, wenn er zuvor bestimmte Tests durchlaufen hat. Ein bekanntes Regulierungsregime ist etwa die europäische Chemikalien-Verordnung REACH. Sie gilt vor allem für Industriechemikalien. Diese werden regelmäßig als Stoffe im Sinne des Stoffrechts angesehen.
Darüber hinaus werden aber auch viele andere Produktgruppen als Stoffe in diesem juristischen Sinne angesehen, u. a. im Bereich der Arznei- und Betäubungsmittel, kosmetische Mittel, Biozide, etc. und teilweise auch Lebensmittel. Dieser Umstand spiegelt sich in den jeweiligen Legaldefinitionen wider.[5] In der Europäischen Union ist z. B. der Begriff des Lebensmittels definiert als "alle Stoffe (…) die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie (…) von Menschen aufgenommen werden (…)".[6] Als Folge zählen neben dem Recht der Industriechemikalien nicht nur das Arznei-und Betäubungsmittelrecht, das Kosmetik- und das Biozidrecht zum Stoffrecht, sondern auch weite Teile des Lebensmittelrechts.[7]
Rechtsvorschriften zur "stoffbezogenen Informationsgewinnung"

BVerwG, Urteil vom 12.06.1992 - 7 C 31/90 (Münster), NVwZ 1992, 984 "Charakter eines stoffbezogenen Informationsgewinnungsgesetzes"


Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP)

Verordnung (EG) Nr. 440/2008 vom 30. Mai 2008 zur Festlegung von Prüfmethoden gemäß der REACH-Verordnung, EG ABl. L 142 vom 31. Mai 2008, S. 1–739[8]




Rechtsvorschriften, die die Freihaltung einzelner Produktgruppen/Umweltmedien von bestimmten Stoffen bezwecken
Jenseits des Vorstehenden existieren zahlreiche Rechtsvorschriften, die darauf abzielen, bestimmte Sachgesamtheiten (z. B. Spielzeug) oder einzelne Umweltmedien (Gewässer, Luft und Böden) von bestimmten Stoffen freizuhalten. Zu diesem Zweck definieren sie für einzelne Stoffe oder Stoffgruppen bestimmte Grenzwerte. Beispiele für diesen Regulierungstyp finden sich u. a. im stoffspezifischen Immissionsschutzrecht. Ein konkretes Beispiel ist daher die TA Luft. Im Unterschied zu den Regulierungen der beiden vorstehenden Kategorien fokussieren die Gesetzgeber hier weniger auf einzelne Stoffe als vielmehr darauf, dass ein bestimmter Gegenstand (wie etwa Spielzeug) oder ein Umweltmedium in seiner Gesamtheit erhalten bleibt.

Stoffrechtliche Regulierungen stellen damit zumeist Normen des öffentlichen Rechts dar. Teilweise sind sie jedoch auch im Strafrecht (z. B. Betäubungsmittelstrafrecht), im allgemeinen Privatrecht (Nachbarrecht: Zuführung unwägbarer Stoffe) und im Sonderprivatrecht (insbesondere im Handels- und im Arbeitsrecht) zu finden. Zentrale stoffrechtliche Regulierungen finden sich auch im Welthandelsrecht (z. B. im TRIPS).[9] Das alle stoffrechtliche Normen verbindende und sie als solche charakterisierende Kennzeichen ist der in ihrem Zentrum stehende juristische Stoffbegriff.

Der juristische Stoffbegriff Bearbeiten

Viele Normen des Stoffrechts definieren den Begriff Stoff als

„chemische Elemente und ihre Verbindungen in natürlicher Form oder gewonnen durch ein Herstellungsverfahren, einschließlich der zur Wahrung seiner Stabilität notwendigen Zusatzstoffe und der durch das angewandte Verfahren bedingten Verunreinigungen, aber mit Ausnahme von Lösungsmitteln, die von dem Stoff ohne Beeinträchtigung seiner Stabilität und ohne Änderung seiner Zusammensetzung abgetrennt werden können.“

[10]

In der Jurisprudenz geht man davon aus, dass der Gesetzgeber sich mit dieser Begrifflichkeit unmittelbar an den Vorgaben der Naturwissenschaft Chemie, mithin an ihren Vorstellungen von den chemischen Elementen und deren Verbindungen orientiert hat.[11] Somit spiegeln sich im juristischen Stoffbegriff und in den als Stoff legaldefinierten Gegenständen auch viele Vorstellungen wider, wie sie im Periodensystem der chemischen Elemente zum Ausdruck kommen.[12]

Auch wo Legaldefinitionen anderer Vorschriften einen anderen Wortlaut aufweisen, ist die - jedenfalls teilweise - Orientierung des Rechts an der Naturwissenschaft Chemie deutlich erkennbar. So etwa im deutschen Betäubungsmittelrecht, das den Begriff Stoff definiert als

  • a) chemische Elemente und chemische Verbindungen sowie deren natürlich vorkommende Gemische und Lösungen,
  • b) Pflanzen, Algen, Pilze und Flechten sowie deren Teile und Bestandteile in bearbeitetem oder unbearbeitetem Zustand,
  • c) Tierkörper, auch lebender Tiere, sowie Körperteile, -bestandteile und Stoffwechselprodukte von Mensch und Tier in bearbeitetem oder unbearbeitetem Zustand,
  • d) Mikroorganismen einschließlich Viren sowie deren Bestandteile oder Stoffwechselprodukte.[13]

Eine andere Vorgehensweise lässt das europäische Arzneimittelrecht erkennen, das den Begriff anhand verschiedener Herkunftsquellen definiert und dabei u. a. auch eine "chemische Herkunft" beschreibt. Als Stoff im Sinne dieser Vorschrift gelten daher

„alle Stoffe jeglicher Herkunft und zwar

  • menschlicher Herkunft, wie z. B.: menschliches Blut und daraus gewonnene Erzeugnisse;
  • tierischer Herkunft, wie z. B.: Mikroorganismen, ganze Tiere, Teile von Organen, tierische Sekrete, Toxine, durch Extraktion gewonnene Stoffe, aus Blut gewonnene Erzeugnisse;
  • pflanzlicher Herkunft, wie z. B.: Mikroorganismen, Pflanzen, Teile von Pflanzen, Pflanzensekrete, durch Extraktion gewonnene Stoffe;
  • chemischer Herkunft, wie z. B.: chemische Elemente, natürliche chemische Stoffe und durch Verarbeitung oder auf synthetischem Wege gewonnene chemische Verbindungen.“

[14]

In wieweit die jeweilige Ausprägung des juristischen Stoffbegriffs mit dem naturwissenschaftlichen Begriff chemischer Stoff identisch ist bzw. sich von diesem unterscheidet, lässt sich, soweit ersichtlich, bisher nicht deutlich erkennen.[15] Es fällt allerdings auf, dass unter den naturwissenschaftlichen Begriff chemischer Stoff auch Gemische fallen, wohingegen die Normen des Stoffrechts den Begriff Gemisch deutlich von dem Begriff Stoff trennen. Dies ergibt sich inbesondere aus dem Umstand, dass der Begriff Gemisch regelmäßig als "Gemenge, Gemische oder Lösungen, die aus zwei oder mehr Stoffen bestehen", definiert wird.[16] Es ergibt sich ferner aus der Tatsache, dass viele Rechtsvorschriften an das Vorhandensein von Stoffen andere Rechtsfolgen knüpfen als an das Vorhandensein von Gemischen. So beziehen sich z. B. die meisten Pflichten der REACH-Verordnung nur auf Stoffe, aber nicht auf Gemische.

Die Entstehung des Stoffrechts Bearbeiten

Die Ziele des Stoffrechts Bearbeiten

Das Stoffrecht als eigenständiges Rechtsgebiet Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • REACH+Stoffrecht: deutsches, europäisches und internationales Chemikalien-, Pflanzenschutz-, Biozid- und sonstiges Stoffrecht. In: Jürgen Fluck et al. (Hrsg.): Kommentar Loseblattsammlung. Lexxion, Berlin 2008, ISBN 978-3-939804-27-7.
  • Michael Kloepfer/Klaus Bosselmann: Zentralbegriffe des Umweltchemikalienrechts: rechtsvergleichende Analysen und Vorschläge zur internationalen Harmonisierung. In: Schriften zum Umweltrecht. Band 4. Duncker & Humblot, Berlin 1985, ISBN 978-3-428-05867-9.
  • Stefanie Merenyi: Der Stoffbegriff im Recht: Eine interdisziplinäre Studie zum Stoffrecht unter Berücksichtigung des auf Stoffe gerichteten Patentwesens. In: Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht. Band 146. Mohr Siebeck, Tübingen 2019, ISBN 978-3-16-156784-1 (ausgezeichnet mit dem Baker McKenzie-Preis 2018).
  • REACH + CLP. Stand: 1. November 2020. Lexxion, Berlin, ISBN 978-3-86965-363-1.
  • Eckard Rehbinder: Das Recht der Umweltchemikalien: Definitionen, Ziele und Massnahmen. In: Umweltforschungsplan des Bundesministers des Innern. Querschnittsfragen (im Auftrag des Umweltbundesamts). Forschungsbericht 77-10104004. E Schmidt, Berlin 1978, ISBN 978-3-503-01596-2.
  • Eckard Rehbinder: Konzeption eines in sich geschlossenen Stoffrechts. In: Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ des Deutschen Bundestages (Hrsg.): Studienprogramm Umweltverträgliches Stoffstrommanagement. II (Instrumente). Bonn 1995.
  • Hans-Werner Rengeling: Europäisches Stoffrecht : zu Inhalten, Abgrenzungen und Zusammenhängen sowie zur Harmonisierung, Systematisierung und Kodifizierung allgemeiner Regelungen. In: Schriften zum deutschen und europäischen Umweltrecht. 1. Auflage. Band 35. Heymann, Köln 2009, ISBN 978-3-452-27200-3.
  • David D. Friedman: Law’s Order. Princeton University Press, Princeton/Oxford, ISBN 978-0-691-09009-2, 15 – Criminal Law.

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Die Darstellung in diesem Abschnitt resultiert aus einer Querbetrachtung des zentralen juristischen Kommentars zum Stoffrecht, Jürgen Fluck et al. (Hrsg): REACH+Stoffrecht. Lexxion, Berlin 2008; der Vorschriftensammlung REACH + CLP. Lexxion, Berlin 2020 und Stefanie Merenyi: Der Stoffbegriff im Recht. Mohr Siebeck, Tübingen 2019. Inhaltsverzeichnisse können, wie üblich, aus dem Katalog der Deutschen Nationalbibliothek abgerufen werden.
  2. Richtlinie 76/769/EWG des Rates vom 27. Juli 1976 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe und Zubereitungen, EG Abl. L 262 vom 27. September 1976, S. 201. Allein zwischen 1995 und 2006 wurde die Richtlinie so oft geändert, dass in diesem Zeitraum mehr als 20 konsolidierte Fassungen derselben entstanden.
  3. Zu den US amerikanischen Regulierungsvorschlägen s. https://www.epa.gov/assessing-and-managing-chemicals-under-tsca/risk-management-and-polyfluoroalkyl-substances-pfas. Zu den europäischen Regulierungsvorschlägen s. https://echa.europa.eu/de/hot-topics/perfluoroalkyl-chemicals-pfas. Darüber hinaus hat die OECD ein eigenes Portal zu dieser Problematik eingerichtet https://www.oecd.org/chemicalsafety/portal-perfluorinated-chemicals/.
  4. Umfassend zum Dopingrecht Markus Parzeller/Sabina Prittwitz/Cornelius Prittwitz: Doping und Dopingbekämpfung in der Bundesrepublik Deutschland, Teil I in: StoffR 2013, S. 67–76; Teil II, S. 109–119.
  5. Vgl. dazu Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG, EG Abl. L 311 vom 28. November 2001, S. 67; § 1 Abs. 1 Betäubungsmittelgesetz,BGBl. I S. 681, 1187; Art. 2 Abs. 1 lit. a) der Verordnung (EG) Nr.1223/2009, EG Abl. L 342 vom 22. Dezember 2009, S. 59; Art. 3 Abs. 1 lit. a) der Verordnung (EG) Nr.528/2012, EG Abl. L 167 vom 27. Juni 2012, S. 1
  6. Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002, EG ABl. L 31 vom 1.Februar 2002, S. 1 (sogenannte Lebensmittel-Basis-Verordnung).
  7. Vgl. hierzu schon Hans-Werner Rengeling: Europäisches Stoffrecht, Heymann, Köln 2009
  8. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32008R0440&qid=1628252858046
  9. Eine der zentralen stoffrechtlichen Normen ist Art. 39.
  10. Diese Legaldefinition findet sich mittlerweile in verschiedenen Rechtsvorschriften, so z. B. in Art. 3 Nr. 1 REACH, Art. 3 Abs. 2 der Biozid-Verordnung (VO (EU) Nr. 528/2012), Art. 2 Abs. 1 lit. b) der Kosmetik-Verordnung (VO (EG) Nr. 1223/2009) und Art. 2 Nr. 4 der Detergentien-Verordnung (VO (EG) Nr. 648/2004).
  11. Vgl. Michael Kloepfer/Klaus Bosselmann: Zentralbegriffe des Umweltchemikalienrechts. Duncker & Humblot, Berlin 1985, S. 346; Michael Raupach in Jürgen Fluck et al. (Hrsg): REACH+Stoffrecht. Lexxion, Berlin 2008, Art. 3 Nr. 1 REACH Rn. 11; Stefanie Merenyi: Der Stoffbegriff im Recht. Mohr-Siebeck, Tübingen 2019, S. 5 ff.
  12. Vgl. Stefanie Merenyi: Der Stoffbegriff im Recht. Mohr-Siebeck, Tübingen 2019, S. 484 ff.
  13. § 2 Abs. 1 Nr. 1 BtMG
  14. Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 2001/83/EG
  15. Zu den Schwierigkeiten dieser Abgrenzung Stefanie Merenyi: Der Stoffbegriff im Recht. Mohr-Siebeck, Tübingen 2019, S. 419 ff.
  16. So u. a. in Art. 3 Nr. 2 REACH.

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