Arbitragegericht

im russischen Rechtsraum ein Gericht zur Entscheidung von Wirtschaftsstreitigkeiten

Ein Arbitragegericht (russisch Арбитражный суд; von franz. arbitrage, von lat. arbitratus „Gutdünken, freie Wahl, freies Ermessen“) ist im russischen Rechtsraum ein Gericht zur Entscheidung von Wirtschaftsstreitigkeiten und lässt sich am ehesten als Wirtschaftsgericht übersetzen.

Föderales Wirtschaftsgericht des Moskauer Bezirks

Russland Bearbeiten

Das höchste Gerichtsorgan Russlands zur Entscheidung von Wirtschaftsstreitigkeiten war laut Verfassung der Russischen Föderation, Kapitel 7, Artikel 127 das Oberste Arbitragegericht, welches die Aufsicht über die untergeordneten Arbitragegerichte führte. Die Richter des Obersten Arbitragegerichts wurden vom Föderationsrat auf Vorschlag des Präsidenten ernannt.[1] 2014 wurde das Oberste Arbitragegericht aufgelöst; seine Zuständigkeit ging auf das Oberste Gericht über.[2]

Darunter bestehen die Arbitragegerichte der 10 Föderationskreise, 21 Arbitrage-Appellationsgerichte, die erstinstanzlichen Arbitragegerichte der Föderationssubjekte sowie seit 2013 ein spezielles Arbitragegericht für Immaterialgüterrechte.

Rechtsgrundlage bilden das Arbitragegerichtsgesetz von 1995[3] und die Arbitragegerichtsprozessordnung von 2002.[4]

Geschichte Bearbeiten

Die staatliche Wirtschaftsarbitrage (Staatsarbitrage) stammt aus Zeiten des realexistierenden Sozialismus, als die überwiegende Zahl der Wirtschaftsbetriebe in Gemeineigentum stand. Aus Praktikabilitätsgründen wurden Streitigkeiten, die zwischen Staatsbetrieben entstanden, nicht vor der Zivilgerichtsbarkeit, sondern vor einer Schiedsgerichtsbarkeit ausgetragen. Diese anfänglich noch im rechtsfreien Raum agierende Schiedsgerichtsbarkeit wurde mit der Zeit rechtsförmiger[5] und erhielt 1977 in der Sowjetunion Verfassungsrang (Artikel 163). Erst gegen Ende der Sowjetunion wurde der Begriff Arbitragegericht gebraucht;[6] nur Jugoslawien kannte bereits 1954 Wirtschaftsgerichte (Privredni sudovi).

Das Institut der staatlichen Wirtschaftsarbitrage gab es in nahezu allen ehemals kommunistischen Staaten[7] (Sowjetunion: Государственный арбитраж; Polen: Państwowy arbitraż gospodarczy; Tschechoslowakei: Hospodářská arbitráž; Ungarn: Gazdasági döntőbizottság; Rumänien: Arbitrajul de stat; Bulgarien: Държавен арбитраж; Kuba: Arbitraje estatal; Mongolei: Улсын арбитрын газар; Nordkorea: 국가중재제도; Vietnam: Trọng tài kinh tế Nhà nước; China: 经济合同仲裁机关). In der DDR bestand das Staatliche Vertragsgericht.

Bezeichnungen in den einzelnen Unionsrepubliken der UdSSR:[8]

  • Russland Sozialistische Foderative Sowjetrepublik  Russische SFSR: государственный арбитраж (Art. 175 der Verfassung von 1978) → арбитражный суд
  • Weißrussland Sozialistische Sowjetrepublik  Belarussische SSR: дзяржаўны арбітраж (Art. 162) → гаспадарчы суд
  • Ukraine Sozialistische Sowjetrepublik  Ukrainische SSR: державний арбітраж (Art. 161) → господарський суд
  • Moldau Sozialistische Sowjetrepublik  Moldauische SSR: арбитражул де стат (Art. 162)
  • Estland Sozialistische Sowjetrepublik  Estnische SSR: riiklik arbitraaž (Art. 162)[9]
  • Lettland Sozialistische Sowjetrepublik  Lettische SSR: valsts arbitrāža (Art. 163)
  • Litauen Sozialistische Sowjetrepublik  Litauische SSR: valstybės arbitražas (Art. 161)
  • Georgien Sozialistische Sowjetrepublik  Georgische SSR: სახელმწიფო არბიტრაჟი (sachelmzipo arbitraschi, Art. 175)
  • Armenien Sozialistische Sowjetrepublik 1952  Armenische SSR: պետական արբիտրաժը (petakan arbitrasche, Art. 161)
  • Aserbaidschan SSR  Aserbaidschanische SSR: дөвләт арбитраж (Art. 175) → inzibati-iqtisadi məhkəməsi
  • Turkmenistan Sozialistische Sowjetrepublik  Turkmenische SSR: дөвлет арбатраж (Art. 163) → arbitraž kazyýeti
  • Usbekistan Sozialistische Sowjetrepublik  Usbekische SSR: давлат арбитражи (Art. 174) → туманлараро иқтисодий суди
  • Kasachstan Sozialistische Sowjetrepublik  Kasachische SSR: мемлекеттік арбитраж (Art. 163) → мамандандырылған ауданаралық экономикалық соты
  • Kirgisien Sozialistische Sowjetrepublik  Kirgisische SSR: мамлекеттик арбитраж (Art. 163) → экономикалык иштер боюнча район аралык соту
  • Tadschikistan Sozialistische Sowjetrepublik  Tadschikische SSR: арбитражи давлатӣ (Art. 164) → суди иқтисодӣ

Die Staatsarbitrage ist abzugrenzen einerseits von der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit bei den Außenhandelskammern[10] und andererseits von der Verwaltungs- oder Ressortarbitrage (russisch ведомственный арбитраж).[11]

Weblinks Bearbeiten

Commons: Arbitragegerichte der Russischen Föderation – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • www.arbitr.ru – Федеральные арбитражные суды Российской Федерации (Homepage)
  • ras.arbitr.ru – Решения арбитражных судов (Entscheidungsdatenbank)
  • (russisch/englisch/französisch/spanisch) (Memento vom 2. Januar 2014 im Internet Archive)

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Verfassung der Russischen Föderation, Kapitel 7, Artikel 127/128. Abgerufen am 16. Juni 2014.
  2. Oleg Mosgo, Anton Shamatonov: Die russische Gerichtsreform 2013–2014. Ursachen, Verlauf, erste Ergebnisse und Kritik (2014)
  3. Федеральный конституционный закон "Об арбитражных судах в Российской Федерации" от 28 апреля 1995 года N 1-ФКЗ (WiRO-Handbuch RUS 910)
  4. Арбитражный процессуальный кодекс Российской Федерации от 24 июля 2002 года N 95-ФЗ (WiRO-Handbuch RUS 912)
  5. Положение о государственном арбитраже (1931); Положение о Государственном арбитраже при Совете Министров СССР (Memento des Originals vom 19. August 2018 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/bestpravo.com (1960); Правила рассмотрения хозяйственных споров государственными арбитражами (1963)
  6. Verfassungsänderung (Memento des Originals vom 18. August 2018 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.rusconstitution.ru vom 26. Dezember 1990; Gesetz und Verfahrensordnung des Obersten Arbitragegerichts vom 17. Mai 1991
  7. Peter Feuerle: State arbitration in communist countries. In: Studies in comparative communism. Band 4, 1971, S. 25–41, doi:10.1016/S0039-3592(71)80002-9. Государственный арбитраж в социалистических странах. Наука, 1982 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  8. Rechtsgrundlagen 1960/61: Сборник инструктивных указаний 15 (1961) (Memento des Originals vom 21. Mai 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/arbitr.ru S. 9–56 und 16 (1961) S. 3–42 (russisch)
  9. ENSV ÜVT 1980, nr. 42
  10. UdSSR: Постановление о Внешне-торговой арбитражной комиссии при Всесоюзной торговой палате (Memento des Originals vom 12. September 2018 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/lawru.info (1932); Положение о Морской арбитражной комиссии при Всесоюзной торговой палате (1930)
  11. Christian Reitemeier: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz durch die Wirtschaftsgerichte in der Russischen Föderation (2013), S. 62