Der Appel au peuple (Aufruf an das Volk) war eine bonapartistische Fraktion zu Beginn der Dritten Republik in Frankreich. Sie wurde 1872 in der konstituierenden Nationalversammlung gegründet und war bis zum Ende der vierten Legislaturperiode aktiv. Von 1872 bis 1881 agierte sie als eigenständige Fraktion, von 1881 bis 1889 als Teil der Union des droites.

Eugène Rouher
Louis-Napoléon, 1878, BNF Gallica

Geschichte

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Die Bonapartisten wurden durch den Zusammenbruch des Zweiten Kaiserreichs erschüttert und zählten nach den Wahlen vom Februar 1871 nur noch etwa zwanzig Vertreter in der Nationalversammlung (bei gleichzeitig 396 Sitzen für die anderen monarchistischen Gruppen der Legitimisten und der Orléanisten). Eine Versammlung bonapartistischer Parlamentarier bildete sich jedoch ab Februar 1872, nachdem Eugène Rouher in einer Nachwahl gewählt worden war.

Der Name dieser Fraktion geht auf den Aufruf an das Volk zurück, den Louis-Napoléon Bonaparte während des Staatsstreichs vom 2. Dezember 1851 an die Franzosen richtete, um diesen seine Pläne für die Rückkehr zu einer konsularischen Regierungsform ähnlich der von 1799 vorzustellen. Die bonapartistischen Abgeordneten befürworteten ein plebiszitäres Regime, in dem ein starkes Staatsoberhaupt seine höhere Autorität und Legitimität aus dem allgemeinen direkten Wahlrecht ableiten sollte.

Der von Rouher, dem Führer des konservativen Flügels der bonapartistischen Bewegung, organisierte Appel au peuple zählte 1873, als nach dem Tod Napoleons III. die Hoffnungen auf eine kaiserliche Restauration auf den jungen Louis-Napoléon übergingen, schätzungsweise 25 Mitglieder.[1] Die Fraktion, die sich auf parteiähnliche Struktur stützte, vergrößerte sich im Laufe der Legislaturperiode durch Nachwahlen, die die Rückkehr der Bonapartisten bezeugten: Baron de Bourgoing[2], ein ehemaliger Knappe Napoleons III, wurde im Mai 1874 im Département Nièvre gewählt. Dieser Aufschwung bestätigte sich bei den Wahlen von 1876 und 1877, die für die Royalisten (Legitimisten und Orléanisten) katastrophal, für die Bonapartisten jedoch günstig ausfielen: Die Bonapartisten erhielten 88 bzw. 111 Abgeordnete gegen 86 bzw. 97 für die Royalisten.

Neben zahlreichen lokalen Blättern verfügte der Appel au peuple auch über nationale Presseorgane wie L’Ordre von Jules Amigues[3], Le Pays von Paul de Cassagnac[4] und vor allem Le Gaulois von Edmond Tarbé[5].

Das Jahr 1879 stellte die Bonapartisten auf eine harte Probe, da ihnen mit dem Tod des kaiserlichen Prinzen ein unumstrittener Kandidat fehlte (sein Nachfolger Victor Napoleon[A 1] war nicht allgemein anerkannt), während der Rücktritt des Staatspräsidenten Mac Mahon den Weg für die Etablierung der opportunistischen Republik ebnete.

Ab 1881 verlor die Gruppe des Appel au peuple an Profil, als sie sich an der Union des droites beteiligte, einer Koalition aller Monarchisten unter der Führung des vom Bonapartismus enttäuschten Baron de Mackau[6].[7] In den 1880er Jahren schwächten und marginalisierten der Übertritt Raoul-Duvals[8], der eine republikanische Rechte zu gründen versuchte, die orléanistische Wiederbelebung plebiszitärer Ideen im Pacte national[A 2] (Nationalpakt) des Grafen von Paris sowie die von Cassagnac vertretene Errichtung eines plebiszitären Regimes, das Vorrang vor der dynastischen Frage hatte[A 3], der letztlich dem Boulangismus zugutekam, die parlamentarische Ausprägung des Bonapartismus.[9] Diese Tendenz setzte sich in den 1890er Jahren trotz der anhaltenden Bemühungen von Gustave Cuneo d’Ornano[10] fort.

Nachwirken

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Zwei politische Parteien beanspruchen das Erbe der Parlamentsfraktion für sich.

Eine kleine Partei Appel au peuple, die von der Zeitung La Volonté Nationale unterstützt wurde, organisierte sich in den 1920er Jahren. Sie wurde 1923 während eines bonapartistischen Banketts gegründet und ihre Satzung am 14. Februar 1924 hinterlegt. Im Jahr 1938 hatte sie 530 Mitglieder und verschwand 1940.[11]

Im Jahr 2021 wurde von dem Historiker Thierry Choffat[12] und David Saforcada, dem ehemaligen Vorsitzenden von France Bonapartiste, die Partei L'Appel au peuple gegründet, die sich auf die historische Partei beruft. Bei den Parlamentswahlen 2022 im Departement Haute-Garonne stellte sie mehrere Kandidaten in einer Koalition mit République souveraine[A 4] und Solidarité et progrès[A 5] auf.[13][14]

Wahlergebnisse der Bonapartisten und der Union des droites

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  • Nationalversammlung 1871: 416 von 638 Sitzen (Orl 214, Leg 182, Bon 20)
  • Abgeordnetenkammer 1876: 174 von 533 Sitzen (Bon 88, Leg 45, Orl 41)
  • Abgeordnetenkammer 1877: 208 von 533 Sitzen (Bon 111, Leg 56, Orl 41)
  • Abgeordnetenkammer 1881: 88 von 545 Sitzen (Bon 46, Leg 35, Orl 7)
  • Abgeordnetenkammer 1885: 201 von 584 Sitzen (Leg 73, Bon 65, Orl 53)
  • Abgeordnetenkammer 1889: 147 von 578 Sitzen (Royalisten 98, Bon 49)[A 6]

Bekannte Mitglieder

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Literatur

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  • Thierry Choffat: Le Parti de l’Appel au Peuple (1923–1940). Centre d’études et de recherches sur le bonapartisme.
  • Jean-Marie Mayeur: La vie politique sous la Troisième République, 1870–1940 (= Points. Histoire. Band 73). Éditions du Seuil, 1984, ISBN 978-2-02-006777-5 (persee.fr).
  • Kevin Passmore: The Right in France from the Third Republic to Vichy. Oxford University Press, 2013, ISBN 978-0-19-965820-6 (oup.com).
  • Michel Winock: La Droite (= Racontée en famille). Plon, 2008, ISBN 978-2-259-20849-9, S. 83–86.
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Anmerkungen

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  1. Louis Napoléon hatte seinen Sohn von der Nachfolge ausgeschlossen; diese sollte direkt auf Victor übergehen. Siehe dazu die Ausführungen in fr:Victor Napoléon in der französischsprachigen Wikipédia.
  2. Der Nationalpakt war ein Verfassungsentwurf, der von Philippe d’Orléans, Graf von Paris, ausgearbeitet wurde. Er wurde 1887 verfasst und sollte im Falle einer Restauration die neue Verfassung Frankreichs werden. Er spiegelte die verfassungsrechtlichen Vorstellungen des Grafen von Paris wider und brachte die Entwicklung seines persönlichen Denkens zum Ausdruck. Siehe hierzu weiterführend fr:Pacte national in der französischsprachigen Wikipédia.
  3. Die französische Sprachversion spricht hier von „n'importequisme“, was sich wohl am besten mit „Mir-ist-es-Wurstismus“ übersetzen lässt.
  4. République souveraine ist eine französische Splitterpartei, die am 23. März 2019 nach einer Abspaltung von La France insoumise gegründet wurde. Siehe auch fr:République souveraine in der französischsprachigen Wikipédia.
  5. Solidarité et progrès ist eine französische politische Partei, die die Nachfolge der Fédération pour une nouvelle solidarité (FNS) und der Parti ouvrier européen (POE) angetreten hat. Ihr Vorsitzender ist Jacques Cheminade, der bei den französischen Präsidentschaftswahlen 1995, 2012 und 2017 kandidierte. Weiterführend dazu fr:Solidarité et progrès in der französischsprachigen Wikipédia.
  6. Bitte hierzu die Anmerkungen zu Liste der französischen Parlamentswahlen (3. Republik) beachten.

Einzelnachweise

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  1. Le Gaulois vom 26. Oktober 1873, S. 1 auf Gallica
  2. Philippe la Beaume de Bourgoing. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 9. Januar 2024 (französisch).
  3. Jules, Emile, Michel, Laurent Amigues. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 9. Januar 2024 (französisch).
  4. Paul, Adolphe, Marie, Prosper Granier de Cassagnac. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 9. Januar 2024 (französisch).
  5. TARBÉ des SABLONS Edmond Joseph Louis dit Zanony, Baronne d’Ange, Jacques Lefèvre. In: La France savante. Abgerufen am 9. Januar 2024 (französisch).
  6. Frédéric, Armand de Mackau. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 9. Januar 2024 (französisch).
  7. Mayeur 1984, S. 87
  8. Edgar, Raoul Raoul-Duval. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 9. Januar 2024 (französisch).
  9. Passmore 2013, S. 54
  10. Gustave Cunéo d'Ornano. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 9. Januar 2024 (französisch).
  11. Choffat
  12. Angaben zu Pierre Choffat in der Datenbank der Bibliothèque nationale de France.
  13. Pascal Pallas: Législatives 2022. Ce parti renaît après un siècle d'absence et présente trois candidats à Toulouse. In: Actu. 9. Mai 2022, abgerufen am 9. Januar 2024 (französisch).
  14. Pierre Lann: Les souverainistes, éclatés par les préfectures de la droite à l'extrême gauche, déposent un recours. In: Marianne. 24. Mai 2022, abgerufen am 9. Januar 2024 (französisch).