Alfred Carl Erich Wilhelm Leu (* 11. Mai 1900 in Schwerin; † 1975) war ein deutscher Psychiater. Zwischen 1940 und 1945 war er in Schwerin im Rahmen der Krankenmorde in der Zeit des Nationalsozialismus an der Tötung von mindestens 100 geistig behinderten Kindern beteiligt. Die Geschichte des Dr. Leu wird in Regina Scheers Roman Machandel im 16. Kapitel Natalja - Budj silnoi erzählt.

Leben Bearbeiten

Alfred Leu war der Sohn eines Eisenbahnangestellten.[1] Aus einfachen Verhältnissen stammend hatte er zunächst eine Schlosserlehre absolviert.[2] Er bestand Ostern 1920 in Wismar das Abiturientenexamen und studierte anschließend in Rostock, Innsbruck, Hamburg und wieder Rostock Medizin.[1] In Rostock wurde er 1925 mit der Dissertation „Über die Häufigkeit der allgemeinen Amyloidose im Sektionsmaterial vor und nach dem Kriege“ zum Dr. med. promoviert, 1926 erhielt Leu die Approbation.[3]

Ab 1929 arbeitete Leu, ab 1936 als Oberarzt in der Heil- und Pflegeanstalt Sachsenberg-Lewenberg bei Schwerin unter dem Chefarzt Johannes Fischer. 1936 wurde er in das Erbgesundheitsgericht Schwerin berufen. Ab August 1941 leitete er die Kinderfachabteilung Sachsenberg, auf der mindestens 70 Kinder mit Veronal, Luminal oder Morphium getötet wurden.

Leu trat am 1. Mai 1933 in die NSDAP ein, wurde NSV-Gauhauptstellenleiter und leitete das Rassenpolitische Amt der NSDAP der Gauleitung Mecklenburg.[4]

Nach oder zum Ende des Zweiten Weltkrieges setzte er sich aus Mecklenburg in Richtung Westen ab und praktizierte als Arzt in Holstein. Vom 26. November 1945 bis zum 28. Mai 1948 befand er sich in britischer Internierung. Nach der Entlassung bestritt er seinen Lebensunterhalt als Hilfsschlosser. Anfang Juli 1949 wurde er als zweiter Gerichtsarzt beim gerichtsärztlichen Institut in Köln zur Probe eingestellt. Nach anonymen Anzeigen wegen Beteiligung an der NS-Euthanasie gestand er 1949, etwa 100 Personen „eingeschläfert“ zu haben. Daraufhin verlor er seine Anstellung. Ein nach staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen eingeleitetes Gerichtsverfahren vor dem Schwurgericht Köln endete am 24. Oktober 1951 mit Freispruch, der am 4. Dezember 1953 nach einem erfolgreichen Widerspruch der Staatsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof in einem zweiten Verfahren vom Schwurgericht bestätigt wurde.[2]

Leu praktizierte weiter als Psychiater und Gerichtsgutachter in Köln, zuletzt mit dem Titel Obermedizinalrat.

Nach neueren Forschungen (Stand 2012) sind mehr als 1000 Menschen im Rahmen der NS-Euthanasie in Sachsenberg getötet worden.[5]

Literatur Bearbeiten

  • August Blanck; Axel Wilhelmi; Gustav Willgeroth: Die Mecklenburgischen Aerzte von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Schwerin 1929
  • Andreas Brooks: Die Geschehnisse auf dem Sachsenberg im Rahmen des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms. Schwerin 2007
  • Kathleen Haack; Ekkehardt Kumbier: Die nationalsozialistische "Euthanasie"-Aktion in Mecklenburg. Ein Überblick. In: Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern, Bd. 19 (2015), Heft 1, S. 40–46
  • Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. 2. (überarbeitete) Auflage. Fischer, Frankfurt am Main 2007, S. 369
  • Ernst Klee: Was sie taten – Was sie wurden. Ärzte, Juristen und andere Beteiligte am Kranken- oder Judenmord. 12. Auflage. Fischer-TB, Frankfurt am Main 2004. ISBN 3-596-24364-5
  • Hanno Loewy; Bettina Winter [Hrsg.]: NS-„Euthanasie“ vor Gericht. Fritz Bauer und die Grenzen juristischer Bewältigung. Frankfurt/Main; New York 1996. ISBN 3-593-35442-X (Digitalisat)
  • LG Köln, 4. Dezember 1953. In: Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen 1945–1966, Bd. XII, bearbeitet von Adelheid L Rüter-Ehlermann, H. H. Fuchs und C. F. Rüter. Amsterdam : University Press, 1974, Nr. 383, S. 1–60
  • Marc Zirlewanger: Biographisches Lexikon der Vereinigung Deutscher Studenten, BoD, Norderstedt 2015, S. 506f

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b Eintrag im Rostocker Matrikelportal
  2. a b Ernst Klee: Was sie taten – Was sie wurden. Ärzte, Juristen und andere Beteiligte am Kranken- oder Judenmord, Frankfurt am Main 2004, S. 209
  3. Blanck/Wilhelmi/Willgeroth: Die Mecklenburgischen Aerzte, Schwerin 1929, S. 344
  4. Michael Buddrus [Hrsg.]: Mecklenburg im Zweiten Weltkrieg. Die Tagungen des Gauleiters Friedrich Hildebrandt mit den NS-Führungsgremien des Gaues Mecklenburg 1939-1945. Eine Edition der Sitzungsprotokolle. Edition Temmen, Bremen 2009. ISBN 978-3-8378-4000-1, S. 145
  5. Kathleen Haack, Ekkehardt Kumbier: Verbrechen an psychisch Kranken und Behinderten in der Zeit des Nationalsozialismus. Eine Bestandsaufnahme unter besonderer Berücksichtigung von Mecklenburg und spezifisch Rostock. In: Gisela Boeck und Hans-Uwe Lammel (Hgg.): Die Universität Rostock in den Jahren 1933-1945. Referate der interdisziplinären Ringvorlesung des Arbeitskreises „Rostocker Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte“ im Sommersemester 2011. Rostock 2012, S. 227–242