Albert Baur (Chemiker)

deutscher Apotheker, Chemiker und Erfinder

Albert Baur (* 13. April 1856 in Biberach an der Riß;[1]29. August 1933) war ein deutscher Chemiker und Erfinder, der sich die Herstellung von künstlichen Moschus­düften patentieren ließ. Die von Baur erforschten und produzierten Ersatzstoffe gehören zur ersten, bis zu den 1950er Jahren in der Parfümerie vorherrschende Generation künstlicher Moschusnoten.[2] Viele der von Baur vermarkteten Stoffe sind problematisch und dürfen in Kosmetika nicht mehr verwendet werden, so ist das Moschusxylol seit 2014 in der EU verboten. Baurs Moschus-Keton wird aber nach wie vor benutzt und war auch ein Bestandteil des seit 1921 verkauften Chanel Nº 5.[2]

Leben Bearbeiten

Albert Baurs Eltern waren der Tragant­warenfabrikant Julius Albert Baur (1809–1892) – seine Ausstellungsstücke aus Tragant-Zuckerwaren wurden preisgekrönt – und Barbara, Tochter des Apothekers Kneisle aus Ehingen.[3] Seine Geschwister waren Gustav (1846–1932),[4] der den väterlichen Betrieb übernahm, und Ottilie, die den Essigfabrikanten Ernst Hauth heiratete.[3]

Albert Baur absolvierte eine Lehre zum Apotheker und wurde in Tübingen am 2. Juli 1883 mit der Dissertation „Über zwei in der Harzessenz vorkommende Butyltoluole“ zum Dr. rer. nat. promoviert.[5]

Bereits 1881 war bemerkt worden, dass ein TNT-ähnliches Molekül einen moschusartigen Duft hatte.[6] Baur, der (laut dieser Quelle[7]) an einem Herstellungsverfahren für TNT arbeitete, fand heraus, dass man auf chemischen Wege einen Moschusersatz herstellen kann. Dazu stellte er zunächst Butyltoluol her und nutzte dann die Nitrierung mit Salpetersäure und Schwefelsäure.[8][9] Dieses Herstellungsverfahren ließ er sich nach seinen Angaben „in allen Ländern“ patentieren,[10] wobei er das deutsche[8] und das amerikanische Patent[9] im Jahr 1889 erhielt. Er wohnte damals in Gispersleben[8] bei Erfurt und wurde dort um 1890 Fabrikdirektor[3]. Er forschte weiter und fand weitere Moschusduft-Ersatzstoffe: Moschus-Keton, Moschusxylol und Moschus-Ambrette.[11] Besonders bekannt waren der Moschus Baur (Musc Baur) und das Tonquino (von der Firma Valentimer & Schwarz in Leipzig). Für Frankreich wurde es in der Fabrik von Giromagny und für die übrigen Länder in der Fabrik in Mülhausen produziert.[10] Der künstliche Moschus fand vielfach in der Toiletteseifenfabrikation Verwendung. In Frankreich ließ er Fabrique de produits chimiques de Thann & Mulhouse produzieren. Im gleichen Jahr gelang Emil Schnaufer und Heinrich Hupfeld die Alkylierung von Moschusxylol. Danach wurden in rascher Folge neue Riechstoffe erfunden und patentiert.

Albert Baur wurde ein reicher Mann;[1] in der Stadt Gernrode ließ er sich die Villa Irma errichten.[12] 1893 heiratete er Irma, die Tochter des Apothekers Hugo Münzel aus Bad Suderode.[1] Am 6. Oktober 1894 wurde ihr Sohn Herbert Baur geboren,[13] der nach Genesung zur Abiturvorbereitung die Schradersche Militärvorbereitungsanstalt in Magdeburg besuchte und bei Kriegsausbruch dem Francisceum in Zerbst überwiesen wurde. Sein Studium der Chemie in Halle wurde vom Heeresdienst bis Februar 1919 unterbrochen. Nach Verbandsexamina im Sommer 1920 ging er nach Göttingen, wo er als Organiker präparativ arbeitete und im Herbst 1921 bei Walther Borsche seine Doktorarbeit begann. Die Schwiegertochter Martha hatte zwei Kinder.

Albert Baur gehörte zum Gernroder Gemeindekirchenrat, zum Direktorium der städtischen Sparkasse, war stellvertretender Bürgermeister und Vorstandsmitglied der 1894 eingerichteten Kleinkinderbewahrungsanstalt, außerdem Mitglied im Harzklub-Zweigverein.[1] Für den Sitzungssaal des Rathauses stiftete er ein Relief des anhaltischen Herzogs und besorgte der Stadt nach einem Hausbrand eine neue Feuerwehrspritze.[1] Auch für seine Herkunftsstadt Biberach an der Riß wirkte er als Spender.[3]

Bedeutung und Nachwirkungen von Baurs Entwicklungen Bearbeiten

Die Nutzung künstlicher Substanzen als Duftstoffe gab es schon vor Baurs Entdeckungen: das knapp 50 Jahre zuvor entdeckte bittermandelölartig duftende Nitrobenzol diente unter dem Namen „Mirbanöl“ zum Parfümieren von Seifen. Um 1900, nachdem Baur seine Duftstoffe auf dem Markt gebracht hatte, wurden nur noch billige Toiletteseifen mit Mirbanöl versehen.[14] Baurs Arbeiten erreichten eine neue Qualität: Der Duft des künstlichen Riechstoffes Moschus-Keton kommt dem des natürlichen Moschus am nächsten.[15] Sie sind eng mit dem Beginn eines Industriezweiges verknüpft, der auf der synthetische Aromatenchemie basiert.[15] So wurden in der Zeit etwa bis zur Jahrhundertwende hunderte Varianten der Duftstoffe synthetisiert.[6]

Die von Baur als Moschusduft-Ersatzstoffe entwickelten Nitroaromaten werden in der Umwelt nur schwer abgebaut, sie sind persistent und als Schadstoffe daher weit verbreitet. Einige von ihnen, vor allem das Moschus-Ambrette, sind phototoxisch: es entstehen mit (Sonnen-)Licht Photoallergien.[16] Abgesehen vom Moschus-Keton ist die Verwendung der meisten Nitroaromaten in Kosmetika daher heute in der EU verboten: die von Moschus-Ambrette seit 1995[11], Moschusxylol seit 2014[17].

Von Baur verwendete Reaktionen Bearbeiten

 
Abfolge von Alkylierung und Nitrierung, hier zur Darstellung des Moschusxylols

Die wichtigsten von Baur genutzten Reaktionen waren die erst seit 1877 bekannte Friedel-Crafts-Alkylierung und für die Herstellung des Moschus-Ketons die Friedel-Crafts-Acylierung. Die Nitrierung mit Salpetersäure oder mittels Salpetersäure-Schwefelsäure-Gemisch ist eine elektrophile aromatische Substitution.

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b c d e Rita Kunze: Parfümeur Albert Baur – Warum ein Schwabe eine Villa im Harz baute. In: Mitteldeutsche Zeitung. Mitteldeutsche Zeitung, Halle/Saale, 21. November 2017, abgerufen am 20. Mai 2019.
  2. a b Sergey Borisov: Natural and Synthetic Musk. In: News from Category > Raw Materials. Fragrantica® Inc, San Diego, 6. März 2014, abgerufen am 7. April 2019.
  3. a b c d Sabine Betzler: Tragant, Devisen und der „Zückerles-Baur“ – Ein bedeutendes Stück Biberacher Gewerbegeschichte. In: BC-Heimatkundliche Blätter für den Kreis Biberach, 17. Jahrgang • Sonderheft 1 • 3. November 1994. Gesellschaft für Heimatpflege in Stadt und Kreis Biberach e. V., 1994, abgerufen am 19. Mai 2019.
  4. Ehrenbürger der Stadt Biberach – Gustav Baur, 1920. In: Bürger, Rat & Verwaltung > Bürger > Bürgerengagement > Ehrenbürger. Stadtverwaltung Biberach, abgerufen am 20. Mai 2019.
  5. Werner Kelbe, Albert Baur: Ueber zwei in der Harzessenz vorkommende Butyltoluole. In: Ferd. Tiemann (Hrsg.): Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. Band 16, Nr. 2. Friedländer & Sohn, Berlin Juli 1883, S. 2559–2566, doi:10.1002/cber.188301602185 (online bei Gallica).
  6. a b Edward Sagarin: The Science And Art Of Perfumery. First Edition Auflage. McGraw-Hill, New York, London 1945, The Genealogy of a Formula, S. 88 (englisch, online im Internet Archive): “In 1881 Werner Kelbe described a chemical of a musky odor”
  7. Musk ketone. In: American Chemical Society > Molecule of the Week > Molecule of the Week Archive > Archive - M > Musk ketone. American Chemical Society, 8. Mai 2017, abgerufen am 19. Mai 2019.
  8. a b c Patent DE47599C: Verfahren zur Herstellung von künstlichem Moschus. Angemeldet am 3. Juni 1888, veröffentlicht am 21. Mai 1889, Erfinder: Albert Baur.
  9. a b Patent US416710A: Process of Making Artificial Musk. Veröffentlicht am 10. Dezember 1889, Erfinder: Albert Baur.
  10. a b Albert Baur: Studien über den künstlichen Moschus. In: Ferd. Tiemann, F. v. Dechend (Hrsg.): Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. Band 24, Nr. 2. Friedländer & Sohn, Berlin Juli 1891, S. 2832–2843, doi:10.1002/cber.189102402106 (Online [abgerufen am 17. Mai 2019]).
  11. a b Wolfgang Legrum: Riechstoffe, zwischen Gestank und Duft : Vorkommen, Eigenschaften und Anwendung von Riechstoffen und deren Gemischen. 2., überarb. und erw. Auflage. Springer Fachmedien Wiesbaden, Wiesbaden 2015, ISBN 978-3-658-07309-1, S. 166–167, doi:10.1007/978-3-658-07310-7 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  12. Rosemarie Kellermann: Geschichte der Villa "Spichalski" in Gernrode. In: Villa Irma. Abgerufen am 21. April 2019.
  13. "Albert+Baur"+münzel&focus=searchwithinvolume&q="Sohn+des+Chemikers+Dr.+Albert+Baur+und+seiner+Ehefrau+Irma%2C+geb.+Münzel" Herbert Baur: Ueber die Synthese einiger neuer Phenolketone; S. 44
  14. Riechstoffe (1). In: Otto Lueger (Hrsg.): Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften. Band 7. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, Leipzig 1909, S. 425–426 (Online [abgerufen am 15. September 2019]): „zum Parfümieren billiger Toiletteseifen“
  15. a b Edward Sagarin: The Science And Art Of Perfumery. First Edition Auflage. McGraw-Hill, New York, London 1945, The Genealogy of a Formula, S. 117 (englisch, online im Internet Archive): “closest to the natural musk in its odor”
  16. R. D. Parker, E. V. Buehler, A. Newmann: Phototoxicity, photoallergy, and contact sensitization of nitro musk perfume raw materials. In: Contact Dermatitis. Band 14, Nr. 2, Februar 1986, S. 103–109, doi:10.1111/j.1600-0536.1986.tb01169.x (Online [abgerufen am 19. Mai 2019]).
  17. Verzeichnis der zulassungspflichtigen Stoffe 5-tert-butyl-2,4,6-trinitro-m-xylene (Musk xylene)