Die Ramanujansche tau-Funktion oder Ramanujansche -Funktion ist die Bezeichnung für eine bestimmte mathematische Folge ganzer Zahlen. Das -te Folgeglied wird allgemein als bezeichnet. Die Folge beginnt mit

Srinivasa Ramanujan

und setzt sich bis ins Unendliche fort. Benannt ist sie nach dem indischen Mathematiker Srinivasa Ramanujan, der bei seinen Überlegungen zur Zahlentheorie auf sie stieß und einige bedeutende Vermutungen über ihr Verhalten formulierte. Sie gehört zu den bedeutendsten und am intensivsten untersuchten Zahlenfolgen der Neuzeit.

Definition Bearbeiten

Definiert werden kann die tau-Funktion als Koeffizienten des folgenden unendlichen Produktes:

 

Um dieses Bildungsgesetz, also die Art und Weise, wie zum Beispiel aus der Eingabe   der Wert   entsteht, zu erfassen, sind also lediglich Kenntnisse der vier Grundrechenarten und des Distributivgesetzes („Ausmultiplizieren von Klammern“) erforderlich. Dennoch gilt die tau-Funktion trotz eines stark entwickelten mathematischen Untersuchungsapparates bis heute in einigen Bereichen als noch nicht verstanden, da ihr Berechnungsschema nur sehr wenig Auskunft über die allgemeine Natur ihrer Werte preisgibt, besonders dann, wenn die Eingabewerte   sehr groß gewählt werden. In etwa ist unbekannt, ob es eine natürliche Zahl   gibt, sodass   gilt.

Bereits Ramanujan vermutete, dass die tau-Funktion eine multiplikative Funktion ist, also für teilerfremde   und   das Gesetz   erfüllt. Zum Beispiel gilt

 

Diese, besonders für die Zahlentheorie, bedeutende Eigenschaft, liegt bezüglich der Definition als Koeffizienten von   keinesfalls auf der Hand. Dass sich die allgemeine Multiplikativität tatsächlich aus einer strengen „Hintergrundstruktur“ ergibt, konnte bereits 1917 durch Louis Mordell bewiesen werden. Eine weitere Vermutung Ramanujans bezog sich auf das Wachstumsverhalten von  . Ramanujan behauptete, dass stets die Ungleichung   erfüllt sei, wobei   die Anzahl der Teiler von   bezeichnet. Diese Ramanujan-Vermutung widersetzte sich über lange Zeit hartnäckig allen Beweisversuchen und konnte erst 1974 von Pierre Deligne im Rahmen seines Beweises der Weil-Vermutungen erbracht werden. Delignes extrem anspruchsvoller Beweis nutzte dabei jüngst entwickelte Techniken aus der Grothendieck-Schule der algebraischen Geometrie und zählt zu den großen mathematischen Fortschritten des 20. Jahrhunderts.

Grundlagen Bearbeiten

Definition und Berechnungsformel Bearbeiten

Definiert wird die Ramanujansche tau-Funktion als Koeffizienten der Produkt-Entwicklung[1]

 

Daraus ergibt sich direkt eine Möglichkeit zur Berechnung expliziter Werte. Es sind hierfür lediglich Kenntnisse über die vier Grundrechenarten und das Ausmultiplizieren von Termen in Klammern erforderlich. Betrachtet wird also das formale, nicht endende, Produkt

 

so ergibt sich der Wert   als Zahl vor der Potenz  , wenn man den ganzen Ausdruck ausmultipliziert. Man spricht dann auch davon, dass die Werte   die Koeffizienten des oberen formalen Produktes bilden. Es ist für die Berechnung etwa des Wertes   zweckmäßig, das Produkt ab dem Faktor   abzubrechen, da der allgemeine Faktor   nur noch Potenzen mit Exponenten mindestens   verändern kann. Ähnliches gilt auch für die Zwischenterme, so sind in

 
 

nur die Terme bis   wichtig, da ab   nur noch höhere Exponenten als   betroffen sind. Eine direkte Berechnungsmöglichkeit dieser Potenz ergibt sich aus dem Binomischen Lehrsatz, wobei die Koeffizienten im Wesentlichen den Binomialkoeffizienten   entsprechen. Multipliziert man nach diesem Schema nun

 

aus, lassen sich die ersten vier Werte von   ablesen. Allgemein erhält man damit

 

Wertetabelle Bearbeiten

Die ersten Werte sind:[2]

  1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22
  1 −24 252 −1472 4830 −6048 −16744 84480 −113643 −115920 534612 −370944 −577738 401856 1217160 987136 -6905934 2727432 10661420 -7109760 -4219488 -12830688

Eigenschaften Bearbeiten

Multiplikativität Bearbeiten

Die Ramanujansche tau-Funktion ist multiplikativ. Das bedeutet, dass für teilerfremde   und   stets

 

gilt. Dies wurde 1916 von Srinivasa Ramanujan vermutet und 1917 von Louis Mordell bewiesen. Ebenfalls von Ramanujan vermutet – und von Mordell bewiesen – wurde die für alle Primzahlen   und natürlichen   gültige Formel[3]

 

In seinem Beweis machte Mordell von der Theorie der Modulfunktionen Gebrauch.

Es liegt allgemein durch das Bildungsgesetz der Funktion in keiner Weise auf der Hand, dass die tau-Funktion diese Eigenschaft haben sollte. So führt etwa die Abänderung der Exponenten   in den Faktoren   zu etwa   oder   nicht zu dem gleichen Effekt.

Wachstum Bearbeiten

Bereits Ramanujan beschäftigte sich mit dem Wachstum der tau-Funktion. Er konnte

 

beweisen.[4]

Werte Bearbeiten

Im Jahr 1987 konnten die Brüder V. Kumar Murty und M. Ram Murty zusammen mit T. N. Shorey zeigen, dass es für eine effektive und berechenbare Konstante   gibt, so dass für alle  , so dass   ungerade ist, die Ungleichung

 

erfüllt ist.[5]

Bedeutung Bearbeiten

Ihre große Bedeutung erhält die Ramanujansche tau-Funktion dadurch, dass sie zu einem aus Sicht der Mathematik „einzigartigen Objekt“ korrespondiert. Es handelt sich dabei wieder um eine Funktion, die jedoch diesmal keine Zahlenfolge ist, sondern für alle komplexen Zahlen   mit reellen   und   definiert ist. Diese Funktion trägt den Namen Diskriminante und wird verkürzend mit   bezeichnet. In ihrem Definitionsbereich, der oberen Halbebene, ist die Diskriminante 1-periodisch, genügt also dem Gesetz  , und ist komplex differenzierbar, also holomorph. Als solche kann sie in eine Fourier-Reihe entwickelt werden, ist also gewissermaßen bloß aus Werten von Sinus und Kosinus bzw. der komplexen Exponentialfunktion zusammengesetzt. Die tau-Funktion definiert die Diskriminante als deren Fourier-Koeffizienten:

 

In ihrem Definitionsbereich, der oberen Halbebene, ist die Diskriminante 1-periodisch, genügt also dem Gesetz  , und komplex differenzierbar, also holomorph. Neben ihrer Periodizität erfüllt die Diskriminante die Transformationsformel

 

Zusammen mit der Eigenschaft   ist die Diskriminante damit im Wesentlichen eindeutig bestimmt und jede weitere Funktion   auf der oberen Halbebene, die sie mit ihr teilt, erfüllt   mit einer Konstanten  .

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. M. Ram Murty, V. Kumar Murty: The Mathematical Legacy of Srinivasa Ramanujan, Springer, S. 11.
  2. M. Ram Murty, V. Kumar Murty: The Mathematical Legacy of Srinivasa Ramanujan, Springer, S. 15.
  3. M. Ram Murty, V. Kumar Murty: The Mathematical Legacy of Srinivasa Ramanujan, Springer, S. 15.
  4. M. Ram Murty, V. Kumar Murty: The Mathematical Legacy of Srinivasa Ramanujan, Springer, S. 15.
  5. V. K. Murty, R. Murty, T. N. Shorey: Odd values of the Ramanujan tau function, Bull. Soc. Math. France 115 (1987), S. 391–395.