Jonathan Glazer

britischer Film- und Musikvideo-Regisseur

Jonathan Glazer (* 26. März 1965 in London) ist ein britischer Regisseur. International bekannt wurde er insbesondere für seine vielfach preisgekrönten Spielfilme Under the Skin (2013) und The Zone of Interest (2023).

Jonathan Glazer (2023)

Leben und Werk Bearbeiten

Jonathan Glazer wurde am 26. März 1965 in London geboren und ist aschkenasisch-jüdischer Abstammung. Seine Vorfahren waren ukrainische und bessarabische Juden, die vor dem Pogrom von Kischinjow flohen und im 20. Jahrhundert im Vereinigten Königreich ankamen. Er wuchs in Hadley Wood in der Nähe von London Borough of Barnet auf, seine Familie ist reformjüdisch.[1]

Nach dem Studium in Theaterdesign begann er als Theaterregisseur und produzierte Film- und Fernsehtrailer. Mit der Zeit wurde er mit seinen Musikvideos und Werbespots unter anderem für Wrangler, Guinness, Levi’s sowie Barclays, Volkswagen und Stella Artois einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Das Video zu Jamiroquais Virtual Insanity wurde bei den MTV Video Music Awards 1997 mit drei Awards ausgezeichnet: Bestes Video des Jahres, Beste Spezialeffekte sowie Bestes Breakthrough Video.

Glazers Spielfilmdebüt Sexy Beast aus dem Jahre 2000 mit Ray Winstone und Ben Kingsley, der für seine Rolle im Film mit diversen Preisen auszeichnet wurde, erhielt zahlreiche positive Kritiken. Auch sein zweiter Film, Birth (2004), bei dem er auch einer der Drehbuchautoren war, wurde überwiegend positiv aufgenommen. In der Hauptrolle war Nicole Kidman zu sehen. 2013 folgte mit der Literaturverfilmung Under the Skin sein dritter Spielfilm.

Im Jahr 2023 erhielt er für seinen vierten Spielfilm The Zone of Interest seine erste Einladung in den Wettbewerb um die Goldene Palme des Filmfestivals von Cannes. Dem Werk wurde in Cannes der Große Preis der Jury und der FIPRESCI-Preis zuerkannt.[2][3] Ein Jahr später folgten fünf Oscar-Nominierungen, darunter als bester Film sowie für Glazer selbst als Regisseur und Drehbuchautor. The Zone of Interest erhielt die Auszeichnungen in den Kategorien Bester internationaler Film (Einreichungsland: Vereinigtes Königreich) und Bester Ton.

Kontroverse über seine Dankesrede Bearbeiten

In seiner Dankesrede bezog sich Glazer unter anderem auf den israelischen Angriff auf Gaza:

Alle unsere [filmischen] Entscheidungen haben wir getroffen, um uns in der Gegenwart zum Nachdenken anzuregen, und nicht um zu sagen: »Seht, was sie damals getan haben«, sondern: »Seht, was wir heute tun.« Unser Film zeigt, wohin die Entmenschlichung in ihrer schlimmsten Form führt; sie hat unsere gesamte Vergangenheit und Gegenwart geprägt. Gerade jetzt stehen wir hier als Menschen, die es ablehnen, dass ihr Jüdischsein und der Holocaust von einer Besatzungsmacht gekapert wird, die so viele unschuldige Menschen in einen Konflikt gezogen hat. Ob die Opfer des 7. Oktober in Israel oder des andauernden Angriffs auf Gaza, alle Opfer dieser Entmenschlichung, wie können wir Widerstand leisten?[4]

Dazu betitelte das Time Magazin einen Artikel vom 11. März „Jonathan Glazer sagte was niemand sonst zu sagen wagte.“ Neben Anmerkungen über andere im selben Jahr mit einem Oscar prämierte Filme über politische Themen wie Oppenheimer und 20 Days in Mariupol nannte der Artikel Glazers Rede „einen Moment moralischen Mutes, der untrennbar mit der dringenden Botschaft seines Films verbunden ist.“[5] Am 13. März überschrieb die linksliberale israelische Tageszeitung Haaretz einen Beitrag mit dem Titel „Jonathan Glazer hatte Recht: Das Judentum und der Holocaust wurden von der Besatzung vereinnahmt.“[6]

Mehr als 450 jüdische Filmschaffende aus den USA protestierten am 18. März in einen offenen Brief gegen Jonathan Glazers Äußerungen zum Krieg in Israel und Gaza, in dem es heißt: „Wir lehnen es ab, dass unser Jüdischsein missbraucht wird, um eine moralische Gleichsetzung zwischen einem Naziregime, das eine Rasse von Menschen ausrotten wollte, und einer israelischen Nation, die ihre eigene Ausrottung abwenden will, herzustellen.“[7][8]

Die Website Vulture.com der Zeitschrift New York fasste am 21. März zahlreiche zustimmende und ablehnende Kommentare sowie verfälschende Wiedergaben von Glazers Rede zusammen. Dabei zitierte dieser Artikel den Drehbuchautor Tony Kushner wie folgt:

„[Glazer] sagt, dass Jüdischsein, jüdische Identität, jüdische Geschichte, die Geschichte des Holocaust, die Geschichte des jüdischen Leidens in einer Kampagne nicht als Vorwand für ein Projekt zur Entmenschlichung oder Abschlachtung anderer Menschen genutzt werden dürfen. Das ist eine Veruntreuung dessen, was es bedeutet, Jude zu sein, was der Holocaust bedeutete, und das weist er zurück.“[9]

Im April 2024 erschien ein offener Brief von mehr als 150 jüdischen Künstlern und Managern aus der Filmindustrie (darunter Lenny Abrahamson, Ra’anan Alexandrowicz, Annie Baker, Ariela Barer, Amy Berg, Janicza Bravo, Margaret Brown, Dan Bucatinsky, Joel Coen, Dan Cogan, Dominic Cooke, David Cross, Cyrus Dunham, Deborah Eisenberg, Frances Fisher, Esther Freud, Sarah Gavron, Tavi Gevinson, Ilana Glazer, Natalie Gold, Nan Goldin, Josh Gordon, Elliott Gould, Todd Haynes, Fred Hechinger, Eliza Hittman, Nicole Holofcener, Abbi Jacobson, Miranda July, Lola Kirke, Alison Klayman, Naomi Klein, Pamela Koffler, Rachel Kushner, Nadav Lapid, Mike Leigh, Jonathan Lethem, Mica Levi, Darius Marder, Miriam Margolyes, Daniel Maté, Gabor Maté, Avi Mograbi, Michael Morris, Hari Nef, Nira Park, Zeena Parkins, Joaquin Phoenix, Rain Phoenix, Sarah Ramos, Boots Riley, Jon Ronson, Jacqueline Rose, Ira Sachs, James Schamus, Jane Schoenbrun, Sarah Schulman, Emma Seligman, Wallace Shawn, Amy Sillman, Gillian Slovo, Morgan Spector, Tom Stoppard, Kae Tempest, Madeline Weinstein, Debra Winger und Gary Yershon), die Glazers Rede unterstützten.[10]

Musikvideos (Auswahl) Bearbeiten

Spielfilme Bearbeiten

DVD Bearbeiten

  • 2005: The Work of Director – Jonathan Glazer (Palm Pictures, Directors Label)

Auszeichnungen Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Commons: Jonathan Glazer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Jonathan Glazer on his holocaust film The Zone of Interest: ‘This is not about the past, it’s about now’ (englisch), The Guardian, 10. Dezember 2023. Abgerufen am 20. März 2024.
  2. Tweet von @Festival_Cannes. In: twitter.com, 27. Mai 2023 (abgerufen am 27. Mai 2023).
  3. Meldung von @FIPRESCI bei twitter.com, 27. Mai 2023 (abgerufen am 27. Mai 2023).
  4. “All our choices were made to reflect and confront us in the present — not to say, ‘Look what they did then,’ rather, ‘Look what we do now.’ Our film shows where dehumanization leads, at its worst. It shaped all of our past and present. Right now we stand here as men who refute their Jewishness and the Holocaust being hijacked by an occupation, which has led to conflict for so many innocent people. Whether the victims of October the 7th in Israel or the ongoing attack on Gaza, all the victims of this dehumanization, how do we resist?”
    Andrew Lapin: In Oscars Speech, “Zone of Interest” Director Jonathan Glazer Denounces “Occupation” and “Dehumanization” in Israel and Gaza. In: Haaretz, 11. März 2024; Aja Romano: No, the director of Zone of Interest did not disavow his Jewish identity at the Oscars Vox, 11. März 2024; Rachel Fink: Jonathan Glazer's Oscars Speech About Gaza Sparked Controversy. This Is What He Really Said. In: Haaretz, 11. März 2024; Abid Rahman: Jonathan Glazer’s Oscar Speech Becomes Latest Battleground in Israel-Gaza Conflict The Hollywood Reporter, 11. März 2024; Gaza-Krieg auch bei den Oscars Thema Der Standard
  5. "a moment of moral courage inextricably intertwined with his film’s urgent message." Jonathan Glazer Said What No One Else Dared to Say. 11. März 2024, abgerufen am 24. März 2024 (englisch).
  6. "Jonathan Glazer was right: Jewishness and the Holocaust have been hijacked by the occupation. In: Haaretz. 13. März 2024 (haaretz.com [abgerufen am 24. März 2024]).
  7. spiegel.de: Jüdische Filmschaffende kritisieren Jonathan Glazer für seine Rede. Abgerufen am 19. März 2024.
  8. Anna Starolselski: Die antisemitischen Äußerungen von Jonathan Glazer. 19. März 2024, abgerufen am 24. März 2024.
  9. “He’s saying Jewishness, Jewish identity, Jewish history, the history of the Holocaust, the history of Jewish suffering must not be used in a campaign as an excuse for a project of dehumanizing or slaughtering other people. This is a misappropriation of what it means to be a Jew, what the Holocaust meant, and he rejects that.”Zoe Guy: Jonathan Glazer’s Oscar Speech Inspires Controversy, Misquoting. 20. März 2024, abgerufen am 24. März 2024 (englisch).
  10. Over 150 Jewish Hollywood Professionals Sign Letter in Support of Jonathan Glazer’s Oscars Speech. In: Haaretz, 6. April 2024; Ellise Shafer: Joaquin Phoenix, Elliott Gould, Chloe Fineman and More Jewish Creatives Support Jonathan Glazer’s Oscars Speech in Open Letter Variety, 5. April 2024; Joaquin Phoenix und Joel Coen unterstützen Glazer nach Gaza-Äußerung Der Standard, 8. April 2024.