Grabstein des Lucius Aelius Urbicus

Römischer Grabstein aus Zürich

Der Grabstein des Lucius Aelius Urbicus ist ein antiker, römischer Grabstein aus dem späten 2. oder frühen 3. Jahrhundert. Darauf findet sich die erste namentliche Erwähnung von Turicum, dem heutigen Zürich.

Der Original-Grabstein im Landesmuseum Zürich

Es handelt sich um den Grabstein eines anderthalbjährigen Knaben.

Beschreibung und Inschrift Bearbeiten

Der Grabstein ist 130 Zentimeter hoch, 62 Zentimeter breit und 37 Zentimeter tief.[1]:108 Der Grabstein aus Kalkstein ist in zwei Teile zerbrochen,[2] etliche Ecken sind abgeschlagen.

Die lateinische Inschrift – ganz typisch vor allem aus Abkürzungen bestehend – lautet folgendermassen:[1]:108[3][4]

“D(IS) M(ANIBUS)
HIC SITUS EST
L(UCIUS) AEL(IUS) URBICUS
QUI VIXIT AN(NO)
UNO M(ENSIBUS) V D(IEBUS) V.
UNIO AUG(USTI) LIB(ERTUS)
P(RAE)P(OSITUS) STA(TIONIS) TURICEN(SIS)
XL [QUADRAGESIMAE] G(ALLIARUM) ET AE(LIA) SECUNDIN(A)
P(ARENTES) DULCISSIM(O) F(ILIO)”

«Den Manen.
Hier liegt begraben
Lucius Aelius Urbicus,
der gelebt hat ein Jahr,
fünf Monate und fünf Tage.
Unio, Freigelassener des Kaisers,
Vorsteher des Zürcher Postens
des gallischen Zollbezirks,[5] und Aelia Secundina,
die Eltern ihrem vielgeliebten Sohn.»

Die Buchstaben sind fünf bis acht Zentimeter hoch und vollständig erhalten.[1]:108

Geschichte Bearbeiten

 
Die Kopie auf dem Lindenhof

Der Stein wurde 1747 unter Anwesenheit des Altertumsforschers Johann Kaspar Hagenbuch auf dem Lindenhof gefunden, als dort der Boden eingeebnet wurde.[4] Der genaue Fundort ist unbekannt.[6]

Auch der ursprüngliche Standort des Grabsteins ist unbestätigt – aber wohl nicht auf dem Lindenhof gewesen. Dorthin wurde er als Baumaterial (Spolie) verbracht, während in spätrömischer Zeit das Kastell ausgebaut wurde.[7] Es ist wahrscheinlich, dass er früher zum Gräberfeld südlich des St.-Peter-Hügels gehört hatte.[1]:60 Trotz der Verarbeitung blieb der Text erhalten.[1]:108

Aufgrund des Namens des Sohnes (gens aelia) ist davon auszugehen, dass er von einem Kaiser der Aelier aus der Sklaverei freigelassen worden war. Somit wird der Grabstein auf die Zeit um das Jahr 200 datiert.[8]

1937 wurde auf dem Lindenhof noch ein zweiter verbauter Grabstein gefunden, der Flavia Sacrilla, Mutter einer verheirateten Tochter, gedachte.[9]:108 f

Der Grabstein gehört heute zur Dauerausstellung «Archäologie Schweiz» des Landesmuseums. Zuvor war er in der Stadtbibliothek in der Wasserkirche ausgestellt.[10]

1986, zum 2000-jährigen Jubiläum der Stadt Zürich, liess der Quartierverein Rennweg eine Kopie des Grabsteins erstellen, der im Zugang von der Pfalzgasse zum Lindenhof platziert wurde.[11]

Deutung Bearbeiten

Die kurze Inschrift lässt zwei bedeutende Rückschlüsse zu nebst dem Hinweis zur Entstehungszeit.

Einerseits handelt es sich um die früheste bekannte Erwähnung des Namens Zürich in der Form TURICUM. Zuvor war man sich im Unklaren gewesen, ob Turicum oder Tigurinum der lateinische Name der Stadt war.[1]:15

Andererseits wird aus der Inschrift ersichtlich, dass Zürich damals römische Zollstation war, wo zweieinhalb Prozent Zoll auf Waren erhoben wurden, die in die gallische Provinzen eingeführt oder aus ihnen ausgeführt wurden.[1]:11, Sp. 2 Zürich lag an der Grenze zur Provinz Raetia mit ihrem Zentrum jenseits des Bodensees. Aber auch alpenquerender Handel mit Gallia cisalpina dürfte wesentlich gewesen sein.[6]

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b c d e f g Annina Wyss Schildknecht mit Beiträgen von David Brönnimann, Eva Carlevaro, Benjamin Hartmann, Vera Hubert, Stefanos Karampelas, Jacqueline Lauper, Mirja Lehmann, Tiziana Lombardo, Stefanie Martin-Kilcher, Louise Pillet, André Rehazek, Christian Weiss, Marie Wörle: Die mittel- und spätkaiserzeitliche Kleinstadt Zürich/Turicum. Eine Hafenstadt und Zollstation zwischen Alpen und Rheinprovinzen. Hrsg.: Kanton Zürich. Archäologie & Denkmalpflege. FO-Fotorotar, Zürich/Egg 2020, ISBN 978-3-906299-26-6, doi:10.20384/zop-1.
  2. Friederike Harl: 10286 Grabaltar des Lucius Aelius Urbicus. In: Ubi Erat Lupa. Abgerufen am 5. April 2024.
  3. CIL XIII, 5244.
  4. a b Ferdinand Keller: Die römischen Ansiedlungen in der Ostschwiez. In: Antiquarische Gesellschaft in Zürich (Hrsg.): Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich. Band 12, Heft 7. Meyer und Zeller, Zürich 1860, S. 288 (Scan in der Google-Buchsuche).
  5. So die «Übersetzung nach Walser 1980, 170. Abweichend davon wurde hier die quadragesima galliarum als Zollbezirk anstelle von Zoll übersetzt.» Annina Wyss Schildknecht u. a.: Die mittel- und spätkaiserzeitliche Kleinstadt Zürich/Turicum. Eine Hafenstadt und Zollstation zwischen Alpen und Rheinprovinzen. Hrsg.: Kanton Zürich. Archäologie & Denkmalpflege. FO-Fotorotar, Zürich/Egg 2020, ISBN 978-3-906299-26-6, S. 108, Anm. 475, doi:10.20384/zop-1. (Siehe Gerold Walser: Römische Inschriften in der Schweiz. II. Teil: Nordwest- und Nordostschweiz. Haupt, Bern 1980, ISBN 3-258-02903-2.)
    Wiederum davon abweichend übersetzte Ferdinand Keller (1860), S. 289 f. die quadragesima galliarum im Zusammenhang wie folgt: «Den Manen geweiht. Hier liegt Lucius Aelius Urbicus, welcher gelebt hat ein Jahr, fünf Monate und fünf Tage. Unio, des Kaisers Freigelassener, Vorsteher des Turicensischen Amtes (zur Beziehung) des Gallischen Eingangszolls von 2½ [Anm. 1: Wörtlich des Vierzigstels der gallischen Provinzen.] pro Cent, und Aelia Secundina, die Eltern dem innigst geliebten Sohne.» So auch Annina Wyss Schildknecht im Geleitwort zu: Die mittel- und spätkaiserzeitliche Kleinstadt Zürich/Turicum, S. 11, Sp. 2.
  6. a b Christine Barraud Wiener, Peter Jezler: Die Kunstdenkmäler des Kantons Zürich. Hrsg.: Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte (= Die Kunstdenkmäler der Schweiz. Band 94). Neue Ausgabe Band 1: Die Stadt Zürich. I. Stadt vor der Mauer, mittelalterliche Befestigung und Limmatraum. Wiese, Basel 1999, ISBN 3-909164-70-6, S. 16.
  7. Michel Wenzler: Archäologie. Eine neue Publikation zeigt: Zürich war wohl schon zu Römerzeiten eine wohlhabende Hafenstadt. In: Limmattaler Zeitung. 20. Februar 2021, abgerufen am 5. April 2024.
  8. Salomon Vögelin: Zürich in Römischer Zeit. In: Vereinigung Zürcherischer Geschichtsfreunde (Hrsg.): Das alte Zürich. Beiträge zur Geschichte der Stadt Zürich und ihrer Nachbargemeinden. Zweiter Band. Orell Füssli & Co., Zürich 1890, S. 54–59 (Scan in der Google-Buchsuche).
  9. Annina Wyss Schildknecht, David Brönnimann, Eva Carlevaro, Benjamin Hartmann, Vera Hubert, Stefanos Karampelas, Jacqueline Lauper, Mirja Lehmann, Tiziana Lombardo, Stefanie Martin-Kilcher, Louise Pillet, André Rehazek, Christian Weiss, Marie Wörle: Die mittel- und spätkaiserzeitliche Kleinstadt Zürich/Turicum. Hrsg.: Kanton Zürich. Archäologie & Denkmalpflege. FO-Fotorotar, Zürich 2020, ISBN 978-3-906299-26-6, doi:10.20384/zop-1.
  10. Hermann Alexander von Berlepsch: Zürich und seine Umgebungen. Ein Führer für Einheimische und Fremde. Schabelitz'sche Buchhandlung (Cäsar Schmidt), Zürich 1867, S. 85 (Scan in der Google-Buchsuche).
  11. Informationstafel neben der Kopie; siehe auch Grave stone of Lucius Aelius Urbicus. In: Historical Marker Database. Abgerufen am 5. April 2024 (englisch).