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Biologische Station Lunz

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Vorgeschichte

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Das Ende des 19. Jhs war geprägt von einer Aufbruchsstimmung auch in der Biologie. Die Ökologie als Wissenschaft (inauguriert 1866 gerade vom Morphologen und Darwin-Popularisator Ernst Haeckel!) begann Gestalt anzunehmen. Um aber die "Ökologien" von Pflanzen und Tieren zu studieren, erwies es sich bald als nötig, die Lebewesen an ihrem Lebensort, "im Biotop", längere Zeit zu beobachten, also sie nicht nur zu sammeln und dann schleunigst "ins Museum" zu verfrachten. Es war auch bald klar, dass die Lebewesen eines Gebietes stark voneinander "abhängig" sind - dass also die Erforschung dessen, was man dann "Lebensgemeinschaften" (Biozönosen, s. August Thienemann) nennen sollte, sehr aufwendig werden würde. Ebenso erkannte man, dass man vielleicht am besten mit der Biozönotik stehender Gewässer beginnen könnte, weil deren Biotope relativ abgeschlossen, d.h. "überschaubar", erschienen. In Österreich wurde diese Idee erstmals von dem bekannten Pflanzen-Morphologen und -Systematiker Richard Wettstein propagiert. Er hat auch voll zu Recht als sehr gut geeigneten Standort für eine erste solche österr. Untersuchungs-"Station" (Station: Standort mit dem nötigen Gerät) empfohlen das Gebiet um Lunz am See, das seit Carolus Clusius' Besuch der Kartause Gaming (1574) allen Botanikern als "Traumziel" vor Augen schwebte - einerseits noch nahe genug an Wien (als Universitäts- und Museums-Stadt) und in einem Tag mit der damals schon im Bau befindlichen Ybbstalbahn zu erreichen, andererseits noch sehr "unberührt" und vor allem mit den drei einzigen natürlichen Seen Niederösterreichs sowie Bächen, Mooren, Höhlen (Karstgebiet! - in der Nähe die Quellen der 2. Wiener Hochquellenwasserleitung), Almen und sogar noch (kleinen) Urwald-Gebieten in der Umgebung "gesegnet" - obwohl der Wald um 1890 dort weitgehend verschwunden war: als Holzkohle zur Verhüttung für die "Eisenwurzen" und dann bes. in den Heizöfen der Wiener! - und (nach Erschließung der Steinkohle) erst wieder nachwachsen musste.

Die Empfehlung Prof. Wettsteins fand Gehör beim neuen Besitzer des Gutes Seehof-Hirschtal (südlich von Lunz), Karl Kupelwieser (1841-1925 - er selbst schrieb sich stets Carl). Er war ein Sohn des bekannten Kirchenmalers und Schubert-Freundes Leopold Kupelwieser, Jurist (wie seine vier Brüder) und damals schon in einem Aufsichtsrat der böhmischen Eisen-Industrie tätig - er konnte es sich daher leisten, dem Grafen Festetics de Tojna 1896 ein "Lust-Gut" (ca. 30 km², zum Zweck der Hochwildjagd) abzukaufen. Sein Sohn Hans (1879-1939) studierte Zoologie (in Leipzig bei Prof. Carl Chun) - was konnte näher liegen als nach dem Vorbilde der von Plön (Holstein; 1891 - s. Max-Planck-Institut für Limnologie) nun am Lunzer See eine "Station" einzurichten? Das Gut Seehof wies damals außer einer Jagdhütte beim Obersee nur einen ziemlich herabgekommenen Gebäude-Komplex auf (bewohnt von vier Keuschler-Familien), der aber zurückging auf eine "Außenstelle" der Kartause Gaming, von der aus Mönche (mit Knechten) Fischerei im Lunzer See (und mehreren großen Teichen) betrieben hatten (bis Kaiser Joseph II. 1782 die Kartause aufhob). Carl Kupelwieser leitete sogleich einen großzügigen Ausbau zu einem herrschaftlichen Landsitz ("Schloss Seehof") ein - für die Station wurden Räume im Keller adaptiert. 1905 lud Kupelwieser, der von Anfang an auch Projekte im allgemeinem Interesse verfolgte, interessierte Wissenschaftler des In- und Auslandes zu einer weihnachtlichen Präsentation dessen, was ihm hier vorschwebte. Das Wichtigste war wohl die Bestellung eines Leiters, der ständig am Ort wäre, um die Arbeiten der unterschiedlichsten Fachwissenschaftler (wie Botaniker, Zoologen, Erdkundler, Geologen, Meteorologen, Chemiker usw.) zu koordinieren und zusammenzuführen. In Aussicht genommen war da zunächst der junge Plankton-Forscher Richard Woltereck (1877-1944), der jedoch bald eine akadem. Karriere in Leipzig begann. Mit seinem „Stellvertreter“ Franz Ruttner (1882-1961), einem Prager Mikrobiologie-Studenten (Schüler Hans Molischs), aber war die richtige Wahl getroffen: er zog (mit seiner Mutter) nach der Promotion 1906 ins ihm als „Dienstwohnung“ angebotene Pförtnerhäuschen des Schlossparks ein.

Franz Ruttner als Leiter

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Ab 1908 war Ruttner praktisch allein für die Entwicklung der Station verantwortlich – bis zu seiner späten Pensionierung 1957. Zugleich begann der Ausbau des Stationsgebäudes, z.B. mit zwei experimentellen Glashäusern (1910). Das Bootshaus wurde zum "Seelabor" (für den Kursbetrieb) erweitert. Zur Station gehört(e) auch die schon 1878 errichtete Hütte beim Obersee.- Beim ersten der bald „traditionellen“ Lunzer Hydrobiologie-Kurse (1908) lernte Ruttner seine künftige Frau (Katharina Bittner) kennen und 1911 konnten die beiden ihr neues Haus neben dem Stations-Gebäude beziehen. Leider machte der Weltkrieg all dem ein Ende - Ruttner wurde wie viele seiner österr. Kollegen zur "Seuchenbekämpfung" eingezogen, die Station geschlossen, und 1918 war auch die Familie des Mäzens Kupelwieser weitgehend verarmt.

1920 wurde die Station wieder in Betrieb genommen, aber unter kümmerlichen Umständen (Gehalt konnte nicht gezahlt, Gerät und Literatur nicht gekauft werden). Dennoch war natürlich die Republik am Weiterbestand der Institution interesiert, die so vielversprechend begonnen hatte. In einer sicherlich dramatischen, 1924 nach Lunz einberufenen Konferenz gelang es dem nunmehr greisen Gründer, die Finanzierung der BSL auf eine neue Grundlage zu stellen - wobei ihm zweifellos seine alten Beziehungen zu Wissenschafts-Größen des Deutschen Reiches (u.a. als Jagdherr) nützlich waren: Die KWG(Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft; jetzige Rechtsnachfolgerin: die Max-Planck-Gesellschaft, MPG) und ihr Pendant, die ÖAW (Österreichische Akademie der Wissenschaften), kamen überein, künftig die Kosten (mittels eines "Vereins BSL") zu tragen. 1926 wurde das Stationsgebäude aufgestockt und ein Gästehaus (auf dem Rattnerfeld) geplant (aber nie verwirklicht).

Auf die wissenschaftlichen Leistungen, die an der BSL erbracht wurden, gehen wir hier nicht ein (immerhin gingen aus ihr mehr als 1250 Publikationen der Gäste und des Personals hervor); erwähnt sei aber die erste limnologische Forschungsfahrt in die Tropen (Indonesien, 1928-29) unter Leitung Ruttners.- Seit 1926 ist "Lunz" auch eine Station der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (Wien) (mit Daten ab 1898). Unter dem Meteorologen Wilhelm Schmidt (1883-1936) wurde auf einer Alm des Hetzkogels (in einer großen Doline) anfangs der Dreißigerjahre der "mitteleuropäische Kältepol" festgestellt (bloß weil es da oben bei klarer Nacht im Spätwinter manchmal unter -50° haben kann - was Lunz schlagartig zu traurigem "Weltruhm" verhalf und die dt. Wehrmacht zehn Jahre später unsinnigerweise dazu veranlasste, dort eine Teststation für "sibirientaugliche" (?) Panzer-Motoren einzurichten!).- Die folgenden Jahre brachten ziemlichen Aufschwung, ein zweiter Laborant (Karl Herrmann) und der Hydrochemiker (Franz Berger [1903-2000]: 1934) konnten angestellt werden. Namhafte Gäste der „Zwischenkriegszeit“ waren (z.B.): Helmut Gams (Moose, Flechten, Algen, Pollen. Moore, Pflanzengesellschaften, Diluvium), Lothar Geitler (Blaualgen, Kieselalgen, Cytologie), Edith Kann (Blaualgen: Ökologie), Wilhelm Kühnelt (1905-1988 - Ökologie: Mollusca, Insecta; Bodenbiologie), Erwin Schimitschek (1898-1983 - Waldbau, Forstinsekten), Vincenz Brehm (1879-1971 - Cladocera; Tiergeographie: Kontinentaldrift), Franz Sauberer (Lichtverhältnisse unter Wasser). - Nach dem "Anschluss" war der Besucherstrom natürlich bald weitgehend auf "Reichsdeutsche" beschränkt; die Kurse fanden bis 1943 statt und die Stationsbetrieb blieb aufrecht, auch dank Ausgebombten und Evakuierten (wie Thienemann, Brehm - dieser fand, aus Eger verjagt, nach dem Krieg sogar seine Bleibe im Stationsgebäude!). Ruttner hätte bald sein Pensions-Alter erreicht und ein junger Nachfolger war anscheinend schon im Gespräch (Heinz von Mitis) - aber der fiel 1942.

So musste Franz Ruttner notgedrungen weitermachen. 1948 schufen die zwei Ruttner-Söhne Friedrich und Hans an der Station eine Arbeitsgruppe „Bienen-Genetik“, die 1957 als „Institut für Bienenkunde“ ausgegliedert ein eigenes Gebäude (ebenfalls in Lunz) erhielt.- 1952 wurde die "Station" großzügig ausgebaut (zweite Aufstockung: Hörsaal, Dachboden als Kursteilnehmer-Lager). Im Kursbetrieb (über das „Klima“ hiebei s. Wilhelm Marinelli 1952: Öst. Zool. Z. !: 1-7) fand Ruttner Unterstützung durch seine Schwiegertochter Agnes Ruttner-Kolisko (ihr Gatte: der Geologe Anton R.) sowie Franz Berger und V. Brehm. Häufige Gastforscher dieser Jahre waren: Felix Mainx (1900-1983; Fliegen-Genetik – damals galt M. , 1946 aus Prag geflüchtet, als Überbleibsel der Ns.-Wissenschaft, während er heute eher als „30 Jahre zu früh dran“ gesehen werden kann) sowie weiterhin L. Geitler, E. Kann und W. Kühnelt; auch aus der BRD kamen wieder Kurse. Zu Ehren F. Ruttners fand 1959 in Wien (und Lunz) der große SIL-Kongress (Societas internationalis limnologorum, International Society of Limnology) statt - Ruttner war da bereits 78!

Die Nach-Ruttner-Ära

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Allerdings hatte man schon 1957 den Kärntner Limnologen Ingo Findenegg mit der Stations-Leitung betraut, einen vormaligen Mittelschullehrer (wie so viele Wissenschaftler der damaligen Zeit – von den schon Genannten auch Brehm und Kann), der sich – kann man sagen – charakterlich Ruttner durchaus als würdiger Nachfolger erwies. Er leitete die Station zehn Jahre lang und führte insbesondere Primärproduktions-Studien mit C-14 durch. Unter ihm wurde der Stab um einen Tischler und einen Laboranten vergrößert. Leider sah er aber das „Potenzial“ von Lunz als „Forschungslandschaft“ (wegen deren Kleinräumigkeit) als ziemlich erschöpft an – was es seinem Nachfolger, Heinz Löffler (1927-2006), erleichterte, die S c h l i e ß u n g ins Auge zu fassen – zugunsten eines neu zu errichtenden limnologischen Instituts am Mondsee - wo die Station sogar ein Grundstück besaß! Denn ein solcher Plan war schon 1926 aufgetaucht, als man den Lunzer See in einen Speicher für ein Kraftwerk an der Ybbs verwandeln wollte (was am Widerstand der Bevölkerung, aber wohl auch am zu geringen Nutzen gescheitert war); damals war schon ein Ersatz-Grundstück angekauft worden. (Schreiber dieses Eintrags war als Mitarbeiter Löfflers dazu ausersehen, mitsamt der Lunzer Bibliothek nach Mondsee verfrachtet zu werden, weigerte sich aber - denn See-Institute gibt es viele, einen Platz wie Lunz aber nur einmal - und wurde seither von "Lö" als "Verräter" bezeichnet.- Dass der freilich relativ kleine Lunzer See [0,68 km²] selbstverständlich noch zahllose Möglichkeiten der Forschung bot, zeigte exemplarisch Otto Siebeck, Dissertant Ruttners über die Uferflucht des Planktons [1958], der der ideale "Nachfolger" gewesen wäre - hätte man im Ministerium nicht plötzlich Einwände gegen einen "Ausländer" [Münchner!] geltend gemacht.)

Gegen diesen Plan opponierte natürlich auch Löfflers Stellvertreterin am Ort, Prof. Agnes Ruttner-Kolisko (1911-1992). Ihr gelang es letztlich sogar (bei der Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg), für die Zeit nach ihrer Pensionierung 1972 einen neuen Stationsleiter zugesichert zu bekommen. Löffler baute sein Institut (1980-81), aber "Lunz" blieb erhalten - mit dem neuen Abteilungsleiter Gernot Bretschko aus Graz (Student Prof. R. Pechlaners in Innsbruck) ab 1977. Ein Zubau zum Stationsgebäude wurde errichtet und die Glashäuser als Folge der ersten Ölkrise (1984) abgerissen. Bretschko richtete den Schwerpunkt der Forschung - durchaus zeitgemäß! - auf Fließgewässer aus, brachte hier methodisch wichtige Neuerungen der Proben-Entnahme ein, vernachlässigte aber leider aus privaten Interessen bald die Beziehungen zu Gastforschern sehr - ohne die die Station an Reputation so stark einbüßte, dass sie schließlich - nach Bretschkos frühem Tod 2002 - von der ÖAW aufgegeben werden konnte (Beschluss dazu schon 1997: Eine bedauerliche Einengung ihrer Sicht auf "Fachbereiche" hat Findenegg, Löffler und Bretschko die gesamt-ökologisch großartige Vielfalt von Lunz aus dem Blick verliereen lassen - und erst recht die Verantwortlichen in der ÖAW - insbesondere nach dem Tode des Ökologen W. Kühnelt 1988.- So bietet denn die BSL wieder ein typisches Beispiel für das Vier-Generationen-Gesetz des Soziologen A. ibn Chaldun [† 1406]: Die erste Generation betreibt den Aufbau einer Institution, die zweite den Ausbau, die dritte baut ab und die vierte zerstört sie.)

Zukunft?

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2003 vollzog also die Akademie die Schließung dieser Station in Lunz. Seither ist das Gebäude ungenützt, wird aber gewartet; die Bibliothek ist (eingeschränkt) benutzbar, ím "Bootshaus" (Seelabor) finden nach wie vor Kurse statt. Die Forschung wird im Rahmen der WasserCluster Lunz GmbH, einer Kooperation der Universität Wien, der Universität für Bodenkultur Wien und der Donau-Universität Krems weitergeführt - wenn auch nicht mehr (oder: 2008 noch nicht wieder?) unter dem großzügig fächerübergreifenden Konzept der Gründer der BSL. Dazu haben das Land Niederüsterreich und die Stadt Wien das vormalige "Gästehaus" (Landes-Jugendheim) am Südufer des Sees adaptiert, das allerdings dank seiner Größe mehr Möglichkeiten bietet als die alte "Kupelwiesersche Stiftung".

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