Theorie der multiplen Intelligenzen

Intelligenztheorie

Die Theorie der multiplen Intelligenzen ist eine empirisch nicht belegte Intelligenztheorie, die Howard Gardner in den 1980er Jahren aufgestellt hat. Nach seiner Überzeugung reichen die klassischen Intelligenztests nicht aus, um Fähigkeiten zu erkennen (und entsprechend zu fördern), die über den Erfolg im Leben in verschiedenen kulturellen Umfeldern (bzw. Berufen) entscheiden. Trotz der Tatsache, dass die Theorie nicht belegt werden konnte, hat Gardner in seinem Buch The Unschooled Mind daraus Vorschläge gemacht, wie Schulen lehren und die Fähigkeiten von Schülern fördern sollten und dafür weltweit über 30 Ehrendoktortitel erhalten.[1] Obwohl die Theorie keiner empirischen Überprüfung standhält und daher von der Intelligenzforschung abgelehnt wird, hat sie sich in der Erziehungswissenschaften teilweise etabliert.[2][3][4]

Die Intelligenzen

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Howard Gardner versteht unter Intelligenz eine Anzahl von Fähigkeiten und Fertigkeiten, die notwendig sind, um echte (genuine) Probleme zu lösen oder Schwierigkeiten in einem bestimmten kulturellen Umfeld zu überwinden. Dazu gehört auch die Fähigkeit, (neue) Probleme zu erkennen und damit den Grundstein für den Erwerb von neuem Wissen zu legen.[5] Aus der Aufarbeitung der Evolutionstheorie, dem Studium so genannter Savants (Menschen mit Inselbegabung) und aus der Untersuchung historisch herausragender Talente wie Einstein, Picasso, Stravinsky oder Gandhi entwickelte Gardner sein Konzept der multiplen Intelligenzen, die er dann um weitere Fähigkeiten erweitert hat. Die ersten acht publizierten Intelligenzen kann man wie folgt beschreiben:[6]

Sprachlich-linguistische Intelligenz
Zur sprachlichen Intelligenz gehören die Sensibilität für die gesprochene und die geschriebene Sprache, die Fähigkeit, Sprachen zu lernen, und die Fähigkeit, Sprache zu bestimmten Zwecken zu gebrauchen. Erfolgreiche Rechtsanwälte, Redner, Schriftsteller und Dichter zählen zum Kreis der Personen mit hoher sprachlicher Intelligenz.
Logisch-mathematische Intelligenz
Zur logisch-mathematischen Intelligenz gehört die Fähigkeit, Probleme logisch zu analysieren, mathematische Operationen durchzuführen und wissenschaftliche Fragen zu untersuchen. Von der logisch-mathematischen Intelligenz machen Mathematiker, Logiker, Programmierer und Naturwissenschaftler Gebrauch.
Musikalisch-rhythmische Intelligenz
Musikalische Intelligenz bedeutet die Begabung zum Musizieren, zum Komponieren und Sinn für die musikalischen Prinzipien.
Bildlich-räumliche Intelligenz
Zur räumlichen Intelligenz gehört der theoretische und praktische Sinn einerseits für die Strukturen großer Räume, die zum Beispiel von Seeleuten und Piloten zu erfassen sind, andererseits aber auch für das Erfassen der enger begrenzten Raumfelder, die für Bildhauer, Chirurgen, Schachspieler, Ingenieure, Graphiker oder Architekten wichtig sind.
Körperlich-kinästhetische Intelligenz
Die körperlich-kinästhetische Intelligenz enthält das Potenzial, den Körper und einzelne Körperteile (wie Hand oder Mund) zur Problemlösung oder zur Gestaltung von Produkten einzusetzen. Vertreter dieser Intelligenz sind Tänzer, Schauspieler und Sportler. Wichtig ist diese Form der Intelligenz aber auch für Handwerker, Chirurgen, Mechaniker und Angehörige vieler anderer technischer Berufe.
Interpersonale Intelligenz (auch Soziale Intelligenz nach David Wechsler)
Als interpersonale Intelligenz wurde die Fähigkeit bezeichnet, auch unausgesprochene Motive, Gefühle und Absichten anderer Menschen nachempfindend zu verstehen (vergleichbar mit Empathie) und deren Stimmungen und Emotionen zu beeinflussen. Diese Fähigkeit ist eine wesentliche Voraussetzung für den erfolgreichen Umgang mit anderen Menschen. Gardner sieht diese Fähigkeiten bei politischen oder religiösen Führern, bei geschickten Eltern und Lehrern sowie bei anderen beratenden oder heilenden Berufen besonders stark ausgeprägt.
Intrapersonelle Intelligenz
Die intrapersonelle Intelligenz ist die Fähigkeit, die eigenen Gefühle, Stimmungen, Schwächen, Antriebe und Motive zu verstehen und zu beeinflussen. Diese Personen haben nach Gardner ein zutreffendes mentales Modell ihrer Persönlichkeit, das ihnen hilft, in verschiedenen Situationen die eigenen Verhaltensweisen zu antizipieren. Diese interne, auf Selbsterkenntnis beruhende, wie Gardner sie nennt, „central intelligence agency“ verhilft Menschen zu richtigen Entscheidungen. Die interpersonale und die intrapersonelle Intelligenz sind die Grundbausteine der Theorie der Emotionalen Intelligenz, wie sie von John D. Mayer und Peter Salovey entwickelt und später von Daniel Goleman popularisiert wurde. Die intrapersonelle Intelligenz ist bei Schriftstellern, Schauspielern und Künstlern besonders ausgeprägt.
Naturalistische Intelligenz
In der Zwischenzeit spricht Gardner von einer weiteren Intelligenz: „Mein kritischer Durchgang lässt klar erkennen, dass die Erweiterung der ursprünglichen Siebenerliste um den Begriff der naturalistischen Intelligenz gerechtfertigt ist.“ Die naturalistische Intelligenz umfasst die Fähigkeit, Naturphänomene zu beobachten, zu unterscheiden, zu erkennen, sowie eine Sensibilität für sie zu entwickeln. Diese Fähigkeit ist für Naturforscher, Umweltspezialisten, Tierärzte und Köche wichtig.

Gardner zieht neben diesen acht von ihm identifizierten Formen der Intelligenz noch eine weitere neunte in Betracht, die existenzielle Intelligenz oder spirituelle Intelligenz, bei der es um grundlegende Fragen der Existenz geht. Vertreter dieser potentiellen Intelligenz wären v. a. religiöse und geistige Führer oder Philosophen.

Würdigung

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In der Pädagogik werden die multiplen Intelligenzen weit rezipiert und als ein Gegenentwurf zur einseitigen psychologischen Intelligenzforschung gesehen.[4] Über 30 Ehrendoktortitel hat Howard Gardner für seine Arbeit an der Theorie der multiplen Intelligenzen erhalten. In der Erziehungswissenschaft werden sie als moderner Entwurf einer Bildungstheorie gesehen, die nicht dem psychologischen Dogma folgt, dass es nur das gibt, was sich messen lässt. Diese Einseitigkeit führt seit jeher zu Spannungen im Austausch zwischen Erziehungswissenschaft und Psychologie. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass Letztere Kritik an der Theorie der multiplen Intelligenzen übt.[7][2][3][4] Auch wenn diese aus psychologischer Sicht berechtigt ist, verkennt sie doch den Ansatz von Howard Gardner. Denn die psychologische Intelligenzforschung versucht mit ihren Mitteln die Theorie der multiplen Intelligenzen zu widerlegen und verkennt, dass es gerade diese Mittel sind, die Howard Gardner in seiner Theorie der multiplen Intelligenzen als unzureichend zurückweist.

Siehe auch

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Literatur

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  • Howard Gardner: Frames of Mind. The theory of multiple intelligences. Basic Books, New York NY 1983, ISBN 0-465-02508-0 (In deutscher Sprache: Abschied vom IQ. Die Rahmentheorie der vielfachen Intelligenzen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Malte Heim. Klett-Cotta, Stuttgart 1991, ISBN 3-608-93158-9).
  • Howard Gardner: Creating minds. An anatomy of creativity seen through the lives of Freud, Einstein, Picasso, Stravinsky, Eliot, Graham, and Gandhi. Basic Books, New York NY 1993, ISBN 0-465-01455-0.
  • Howard Gardner: A Reply to Perry D. Klein's „Multiplying the Problems of Intelligence by Eight“. In: Canadian Journal of Education. Band 23, Nr. 1, 1998, ISSN 0380-2361, S. 96–102, JSTOR:1585968.
  • Howard Gardner: Intelligence Reframed. Multiple Intelligences for the 21st Century. Basic Books, New York NY 1999, ISBN 0-465-02610-9.
  • Howard Gardner: Changing minds. The art and science of changing our own and other people's minds. Harvard Business School Press, Boston MA 2004, ISBN 1-57851-709-5, S. 196.
  • Howard Gardner, Mindy L. Kornhaber, Warren K. Wake: Intelligence. Multiple perspectives. Harcourt Brace College Publishers, Fort Worth TX u. a. 1996, ISBN 0-03-072629-8.
  • Howard Gardner, Seana Moran: The science of Multiple Intelligences theory: A response to Lynn Waterhouse. In: Educational Psychologist. Band 41, Nr. 4, August 2006, S. 227–232, doi:10.1207/s15326985ep4104_2.
  • Jie-Qi Chen, Seana Moran, Howard Gardner (Hrsg.): Multiple Intelligences Around the World. Jossey-Bass, San Francisco CA 2009, ISBN 978-0-7879-9760-1.
  • Yves Richez: Corporate Talent Detection and Development. Wiley Publishing, 2018, ISBN 978-1-78630-357-8.

Einzelnachweise

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  1. A Tribute to Howard Gardner. Abgerufen am 7. Januar 2023 (englisch).
  2. a b Detlef H. Rost: Intelligenz. Fakten und Mythen. Beltz – PVU, Weinheim u. a. 2009, ISBN 978-3-621-27646-7, S. 112 ff.
  3. a b H. Weber, H. Westmeyer: Die Inflation der Intelligenzen [The inflation of intelligences]. In: E. Stern, J. Guthke (Hrsg.): Perspektiven der Intelligenzforschung. Pabst, Lengerich 2001, S. 251–266.
  4. a b c H.-M. Süß, A. Beauducel: Intelligenztests und ihre Bezüge zu Intelligenztheorien. [Intelligence tests and their relationships to theories of intelligence]. In: L. F. Hornke, M. Amelang, M. Kersting (Hrsg.): Leistungs-, Intelligenz- und Verhaltensdiagnostik. Band 3, Hogrefe, Göttingen 2011, S. 97–234.
  5. Howard Gardner: Frames of Mind, the theory of multiple intelligences. New York 1983, S. 60 f.
  6. Howard Gardner: Frames of mind. The theory of multiple intelligences. New York 1983; Howard Gardner u. a.: Intelligence. Multiple perspectives. New York u. a. 1996; Howard Gardner: Creating minds. New York 1993.
  7. Beth A. Visser, Michael C. Ashton, Philip A. Vernon: Beyond g: Putting multiple intelligences theory to the test. In: Intelligence. Band 34, Nr. 5, 2006, S. 487–502, doi:10.1016/j.intell.2006.02.004.