Röhricht-Brennnessel

Art der Gattung Brennnesseln (Urtica)
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Die Röhricht-Brennnessel (Urtica kioviensis) ist eine Pflanzenart aus der Gattung der Brennnesseln (Urtica) in der Familie der Brennnesselgewächse (Urticaceae). Weitere deutsche Trivialnamen sind Ukrainische Brennnessel, Sumpf-Brennnessel, Russische Brennnessel, Kiewer Brennnessel[1] und Ufer-Brennnessel.[2]

Röhricht-Brennnessel

Die Röhricht-Brennnessel Urtica kioviensis Rogow. kommt in Deutschland im Havelgebiet vor. Gut zu erkennen sind die Unterschiede zur Großen Brennnessel Urtica dioica L.: Glänzende Blätter aufgrund fehlender Borstenhaare, stattlicherer Bau, lang gestielte Blätter, keine Verzweigungen.

Systematik
Eurosiden I
Ordnung: Rosenartige (Rosales)
Familie: Brennnesselgewächse (Urticaceae)
Tribus: Urticeae
Gattung: Brennnesseln (Urtica)
Art: Röhricht-Brennnessel
Wissenschaftlicher Name
Urtica kioviensis
Rogow.

Beschreibung Bearbeiten

Vegetative Merkmale Bearbeiten

Die Röhricht-Brennnessel ist eine sommergrüne, ausdauernde krautige Pflanze, die Wuchshöhen von selten 30, meist 60 bis 200 Zentimetern erreicht.[3] Neben den wenigen, an den oberen Teilen der Pflanze allerdings dichter stehenden[3] Brennhaaren sind verstreut Borstenhaare vorhanden. Der am Grund liegende, aufsteigende[4] Stängel bildet an den unteren Knoten (Nodien) reichlich Wurzeln.[3] Er besitzt einen Durchmesser von 5 bis 8 Millimetern und ist kaum kantig.[4] Die unteren Internodien sind hohl.[3]

Die gegenständigen Laubblätter sind in Blattstiel und einfache Blattspreite gegliedert. Der Blattstiel ist mindestens halb so lang wie die Blattspreite. Die über 5 cm lange Blattspreite ist länglich mit zugespitztem oberem Ende und herzförmigem Spreitengrund.[3] Der Blattrand ist grob gesägt.[3] Die hellgrüne Blattoberseite glänzt stark. Die Blattunterseite besitzt auffallend gelblich-weiße Blattadern. Die Nebenblätter sind breit eiförmig und am Grund bis zu 15 Millimeter breit. Die Nebenblätter der oberen Blätter sind paarig bis zur Mitte verwachsen.

Generative Merkmale Bearbeiten

Die Röhricht-Brennnessel ist einhäusig getrenntgeschlechtig (monözisch). Die oberen Rispen sind weiblich, die unteren männlich.[3] Die männlichen Blütenstände sind in der Regel kürzer als der Blütenstiel und die weiblichen länger. Das Perigon der weiblichen Blüten ist bis 2/3 geteilt, ihre Zipfel sind in der Mitte am breitesten. Die Frucht ist schmal elliptisch mit einer Länge von 1,6 bis 2 mm.[3] Die Blütezeit reicht von Juli bis August.[4]

Die Chromosomenzahl beträgt 2n = 26.[4]

Lebensweise und Fortpflanzung Bearbeiten

Es handelt sich um einen sommergrünen, rosettenlosen Hemikryptophyten, der ein Rhizom ausbildet. Die Bestäubung findet durch den Wind statt. Die Samenausbreitung findet über Stoß- und Klettausbreitung statt.[4]

Vorkommen und Gefährdung Bearbeiten

Die Röhricht-Brennnessel ist ein Florenelement des submeridionalen bis südtemperaten, kontinentalen Europas. Vorkommen sind aus folgenden floristischen Territorien[5] bekannt: Deutschland, Dänemark, Österreich, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Kroatien, Rumänien, Bulgarien, Weißrussland, Ukraine, Europäisches Zentral-, Ost- und Süd-Russland sowie Israel.[5] Der östlichste Fundort liegt am Fluss Ural.[6] Beim Vorkommen in der israelischen Hula-Ebene wird Einschleppung durch Zugvögel vermutet.[7]

Die deutschen Vorkommen wurden erst 1936 durch eine Arbeit des ungarischen Botanikers Bálint Zólyomi (1908–1997) bekannt.[8] Die Röhricht-Brennnessel kommt selten im Nordosten Sachsen-Anhalts an der Havel, in Mittel- und West-Brandenburg im Havelgebiet, am Müggelsee und bei Baruth sowie in Mecklenburg-Vorpommern in Teterow und im Faulenroster Holz vor.[4] Sie gilt bundesweit als „ungefährdet“, wird jedoch in den Roten Listen für Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern auf Länderebene als „potenziell gefährdet“ angesehen.[3] In einer Ausgrabungsstätte bei Friesack im Havelland wurde sie anhand ihrer Früchte aus mesolithischen Schichten nachgewiesen und ihr Status als alteingesessene Art bestätigt.[6]

In Österreich ist die Röhricht-Brennnessel auf die niederösterreichischen March- und Thaya-Auen beschränkt und wird als „gefährdet“ eingestuft.[1]

Die Röhricht-Brennnessel wächst in wärmebegünstigten Stromtälern und Niederungen[6] in Staudenfluren, Röhrichten, Auenwiesen und Auengebüschen.[4] Sie kommt vor in Gesellschaften der Verbände Phragmition und Alno-Ulmion.[9]

Taxonomie Bearbeiten

Die Erstbeschreibung von Urtica kioviensis erfolgte 1843 durch Afanassi Semjonowitsch Rogowitsch[10]. Hugh Algernon Weddell ordnete sie 1856 der Urtica dioica als Varietät Urtica dioica var. kioviensis (Rogow.) Wedd. unter.[11] Urtica kioviensis wurde aber in der Folge von Gustav Hegi als selbstständige Art beibehalten.[12] Weitere Synonyme sind Urtica radicans Bolla, Urtica bollae Kanitz und Urtica hulensis Feinbrun.

Verwendung Bearbeiten

Die Röhricht-Brennnessel ist zur Gewinnung hochwertiger Nesselfasern geeignet.[13] Sie kann ähnlich wie die Große Brennnessel zu Nahrungszwecken verwendet werden. So können Suppen, Aufläufe, Salate etc. hergestellt werden.[14] Es gibt neuerdings Wurzelextrakte, die der Prostatavergrößerung entgegenwirken sollen.[15] Die Röhricht-Brennnessel könnte in Zukunft möglicherweise als Futterpflanze für verschiedene Tiere dienen.[16]

Literatur Bearbeiten

  • Eckehart J. Jäger, Klaus Werner (Hrsg.): Exkursionsflora von Deutschland. Begründet von Werner Rothmaler. 10., bearbeitete Auflage. Band 4: Gefäßpflanzen: Kritischer Band. Elsevier, Spektrum Akademischer Verlag, München/Heidelberg 2005, ISBN 3-8274-1496-2, S. 188.

Weblinks Bearbeiten

Commons: Röhricht-Brennnessel (Urtica kioviensis) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b Manfred A. Fischer, Karl Oswald, Wolfgang Adler: Exkursionsflora für Österreich, Liechtenstein und Südtirol. 3., verbesserte Auflage. Land Oberösterreich, Biologiezentrum der Oberösterreichischen Landesmuseen, Linz 2008, ISBN 978-3-85474-187-9, S. 555.
  2. Eintrag des NABU-Regionalverbandes Templin@1@2Vorlage:Toter Link/www.nabu-templin.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Mai 2019. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis., abgerufen am 15. Februar 2013.
  3. a b c d e f g h i Röhricht-Brennnessel. auf FloraWeb.de, abgerufen am 15. Februar 2013.
  4. a b c d e f g Eckehart J. Jäger, Klaus Werner (Hrsg.): Exkursionsflora von Deutschland. Begründet von Werner Rothmaler. 10., bearbeitete Auflage. Band 4: Gefäßpflanzen: Kritischer Band. Elsevier, Spektrum Akademischer Verlag, München/Heidelberg 2005, ISBN 3-8274-1496-2, S. 188.
  5. a b Pertti Uotila: Urticaceae. Urtica kioviensis In: Euro+Med Plantbase - the information resource for Euro-Mediterranean plant diversity. Berlin 2011, abgerufen am 16. Februar 2013.
  6. a b c Steffen Wolters, Felix Bittmann, Volker Kummer: The first subfossil records of Urtica kioviensis Rogow. and their consequences for palaeoecological interpretations. In: Vegetation History and Archaeobotany. Band 14, Nr. 4, 2005, S. 518–527, DOI:10.1007/s00334-005-0084-9.
  7. Michael Zohary, Naomi Feinbrun (Begr.), A. Danin, D. Heller, O. Fragman-Sapir, M. Kislev, H. Vered-Leschner, U. Plitmann (Hrsg.): Flora Palaestina. Part 1. Ferns, Gymnosperms, Angiosperms: Salicaceae – Caryophyllaceae. 2. Auflage. Israel Academy of Sciences and Humanities, Jerusalem 2012, Internet-Veröffentlichung, Urtica kioviensis online bei Tropicos, abgerufen am 16. Februar 2013.
  8. Bálint Zólyomi: Urtica kioviensis Rogowitsch neu für die deutsche Flora. In: Verhandlungen des Botanischen Vereins der Provinz Brandenburg. Band 76, 1936, S. 152–156.
  9. Erich Oberdorfer: Pflanzensoziologische Exkursionsflora für Deutschland und angrenzende Gebiete. Unter Mitarbeit von Angelika Schwabe und Theo Müller. 8., stark überarbeitete und ergänzte Auflage. Eugen Ulmer, Stuttgart (Hohenheim) 2001, ISBN 3-8001-3131-5, S. 321.
  10. Afanassi Semjonowitsch Rogowitsch: Urtica kioviensis, species nova plantarum. In: Bulletin de la Société impériale des naturalistes de Moscou. Band 16, Nr. 2, 1843, S. 324–326, Vorschau in der Google-Buchsuche
  11. Hugh Algernon Weddell: Monographie de la famille des Urticées. In: Archives du Muséum d'Histoire Naturelle, Paris. Band 9, Nr. 1–2, 1856, S. 1–592 (hier: S. 78), Digitalisathttp://vorlage_digitalisat.test/1%3Dhttp%3A%2F%2Fwww.biodiversitylibrary.org%2Fopenurl%3Fpid%3Dtitle%3A35667%26volume%3D9%26issue%3D1-2%26spage%3D78%26date%3D1856~GB%3D~IA%3D~MDZ%3D%0A~SZ%3D~doppelseitig%3D~LT%3D~PUR%3D
  12. Gustav Hegi: Illustrierte Flora von Mittel-Europa. Mit besonderer Berücksichtigung von Deutschland, Oesterreich und der Schweiz. Band III. Dicotyledones. J. F. Lehmanns, München 1912, S. 141, urn:nbn:de:hbz:061:2-22126-p0169-0
  13. Patent DE112005001792: Verfahren zum Aufschließen von Bastfasern. Angemeldet am 22. Juli 2005, veröffentlicht am 2. Februar 2005, Anmelder: FH Kaiserslautern, Erfinder: Klaus Sommer, Ralf Jakobi, Dietmar Sommer.
  14. Steffen G. Fleischhauer: Enzyklopädie der essbaren Wildpflanzen. 1500 Pflanzen Mitteleuropas. AT Verlag, Aarau 2003, ISBN 3-85502-889-3.
  15. Patent EP0442350B1: Arzneimittelzubereitung, enthaltend Stigmasta-4-en-3-on sowie deren Verwendung. Angemeldet am 5. Februar 1991, veröffentlicht am 8. Juni 1994, Anmelder: Boots Pharma GmbH, Erfinder: August S. Streber.
  16. Siegfried Schlosser, Lutz Reichhoff, Peter Hanelt: Wildpflanzen Mitteleuropas. Nutzung und Schutz. Deutscher Landwirtschaftsverlag, Berlin 1991, ISBN 3-331-00301-8.