Stadt der kurzen Wege

Leitbild der Stadtplanung, räumliche Distanzen zwischen Wohnen, Arbeit und Dienstleistungen gering zu halten

Die „Stadt der kurzen Wege“ bezeichnet ein Leitbild der Stadtplanung, das vor allem seit den 1980er Jahren verfolgt wird. Diesem Leitbild zufolge kann das Verkehrsbedürfnis verringert, die Fußgängerfreundlichkeit erhöht und somit der Verkehr vermieden werden, indem solche Bedingungen geschaffen werden, dass räumliche Distanzen zwischen Wohnen, Arbeit, (Nah-)Versorgung, Dienstleistungen, Freizeit- und Bildungsorten gering sind.

Als angestrebtes Ergebnis sollte es möglich sein, dass anteilig mehr Fußgänger-, Radfahr- oder öffentlicher Personennahverkehr und weniger motorisierter Individualverkehr stattfindet. Landschaftszerschneidung und Zersiedelung werden reduziert.

Ein Element des Konzepts der „Stadt der kurzen Wege“ ist die Wohnraumverdichtung sowie die Multifunktionalität von Stadtquartieren. Empirische Befunde zeigen aber auf, dass eine verdichtete und durchmischte Siedlungsstruktur allein nicht ausreicht, sondern dass auch Maßnahmen im Verkehrsbereich für eine „Stadt der kurzen Wege“ erforderlich sind.[1]

Johannes Klühspies zufolge ist der Titel „Stadt der kurzen Wege“ suggestiv und positiv belegt, da er eine Erleichterung der täglichen Mobilität, mehr verfügbare Zeit für andere Zwecke, das Erlebnis eines Freiheitsgefühls durch zunehmende Zeitautonomie, positive Kommunikationschancen und mehr Zeit in vertrauter, sicherer Umgebung andeute. Die „Stadt der kurzen Wege“ sei eine Idealisierung, die auch langfristig gesehen nur zu einem Teil verwirklicht werden könne. Das Konzept mache aber deutlich, dass es nicht um die Mobilität an sich gehe, sondern vielmehr eine schnelle Erreichbarkeit und gute Zugänglichkeit wesentlich sei.

Als Element einer „Stadt der kurzen Wege“ wird auch eine Verknüpfung und räumliche Bündelung familienbezogener Infrastrukturangebote und Dienstleistungen in Familienbüros, Eltern-Kind-Zentren oder Mehrgenerationenhaus genannt, die den Nutzern Wege ersparen.[2]

Ansätze der Umsetzung Bearbeiten

Viele Städte werden durch die Stadtverwaltung, durch dort ansässige Organisationen, politische Parteien, lokale Medien oder in Städteführern als „Stadt der kurzen Wege“ dargestellt, also als Stadt, in der das Konzept weitgehend verwirklicht sei, in der aufgrund dieser Eigenschaft die Lebensqualität hoch sei und sich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser organisieren lasse.

Dabei werden, auch im Sinne einer Werbung für den eigenen Standort, beispielsweise die fußgängergerechten Einkaufsstraßen oder der gut strukturierte Personennahverkehr hervorgehoben. Auf diese Weise dargestellt werden beispielsweise Brühl,[3] Dülmen,[4] Marburg,[5] Minden,[6] Osnabrück,[7] Potsdam,[8] Verden[9] und, einzelne Bereiche der Stadt betreffend, auch Freiburg im Breisgau;[10] bezüglich anderer Städte wird eine fehlende Umsetzung dieses Konzepts kritisiert, so etwa bezüglich Berlin.[11] Für zahlreiche Städte wird das Konzept als wünschenswertes Leitbild dargestellt, das unter anderem in der Lokalen Agenda 21 zu berücksichtigen sei.

Die Deutsche Liga für das Kind fordert: Die Kommunen sind aufgerufen, sich mit Anstrengungen zu einem familien- und kinderfreundlichen System öffentlichen Nahverkehrs, einer „Stadt der kurzen Wege“ und einer klugen Aufwertung der Wohnviertel durch verkehrsberuhigende Maßnahmen zu beteiligen.[12]

Der Umsetzung des Konzepts stehen die Funktionsentmischung in den Städten, die Sub- bzw. Desurbanisierung in angrenzenden Regionen, Großstrukturen im Freizeit- und Handelssektor mit weiträumigen Einzugsgebieten aber auch der Wunsch vieler nach einem Leben im Grünen entgegen.

Basierend auf Vorarbeiten des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr[13] forderte das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 9. Juli 2008 unter anderem die Erarbeitung maßgeschneiderter, nachhaltiger Mobilitätspläne sowie unterstützender Maßnahmen bei Raum- und Stadtplanung (“Stadt der kurzen Wege”) unter frühzeitiger Einbindung aller Betroffenen,[14] insbesondere im Zusammenhang mit der EU-Strategie zur Bekämpfung des Klimawandels und anderer Umweltprobleme.[15]

Das Musterprojekt Nachhaltiger Stadthügel Wien Westbahnhof ist laut Projektleiterin Heidi Dumreicher am Konzept einer „Stadt der kurzen Wege“ ausgerichtet.[16] Die Vision geplanter Städte wird jedoch den Vorteilen gewachsener Städte und der Option einer Adaptierung alter Bausubstanz gegenübergestellt.[17]

Siehe auch Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

  • Klaus J. Beckmann u. a.: Leitkonzept – Stadt und Region der kurzen Wege, Umweltbundesamt, 2011 (PDF, 4 MB)
  • Hermann Knoflacher: Städtebau aus idealisierter Sicht eines Verkehrsplaners (PDF; 237 kB) Institut der Stadtbaukunst, Hochschule Bremen, 2010
  • Jürgen Brunsing, Michael Frehn (Hrsg.): Stadt der kurzen Wege. Zukunftsfähiges Leitbild oder planerische Utopie? Institut für Raumplanung, Universität Dortmund, 1999, ISBN 978-3-88211-116-3 (Zusammenfassung)

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Michael Wegener: Die Stadt der kurzen Wege: Müssen wir unsere Städte umbauen? (= Berichte aus dem Institut für Raumplanung. Nr. 43). Universität Dortmund, Dortmund Januar 1999 (archive.org [PDF; 1,1 MB; abgerufen am 18. November 2022]).
  2. Memorandum Familie leben. Impulse für eine familienbewusste Zeitpolitik. (PDF; 3,3 MB) BMFSFJ, archiviert vom Original am 31. Januar 2012; abgerufen am 18. November 2022.
  3. FamilienStadtBrühl. Stadt Brühl, archiviert vom Original am 6. September 2009; abgerufen am 18. November 2022.
  4. Wirtschaft. Stadt Dülmen, archiviert vom Original am 21. März 2009; abgerufen am 18. November 2022.
  5. Externe Kooperationspartner. Philipps-Universität Marburg, archiviert vom Original am 12. Mai 2009; abgerufen am 18. November 2022.
  6. Leitbild der Stadt Minden. Archiviert vom Original am 3. Juli 2009; abgerufen am 18. November 2022.
  7. Osnabrück. Handeln für die Zukunft. Strategische Stadtentwicklung. Bilanz 2000–2005 und Zukunftsaufgaben. (PDF) Ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 16. Mai 2009.@1@2Vorlage:Toter Link/www.wfo.de (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)
  8. Warum Potsdam Spitzenreiter ist. Berliner Zeitung, 5. Oktober 2007, abgerufen am 16. Mai 2009.
  9. Verden verbindet – willkommen auf den Bürgerseiten! Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 14. Februar 2009; abgerufen am 16. Mai 2009.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.verden.de
  10. Die Freiburger Verkehrskonzeption. www.freiburg.de, 8. März 2012, abgerufen am 22. Juni 2012.
  11. Frank Weichelt: Keine Stadt für Frauen. Archiviert vom Original am 12. Mai 2003; abgerufen am 18. November 2022. (im Internet Archive)
  12. Andreas Lange, Corinna Daeschner: Blitzlichter auf Familie und Mobilität heute. In: Zeitschrift frühe Kindheit 1/06. Archiviert vom Original am 29. September 2015; abgerufen am 18. November 2022.
  13. Entwurf eines Berichts zum Thema „Hin zu einer neuen Kultur der Mobilität in der Stadt“. (PDF; 149 kB) In: 2008/2041(INI). Europäisches Parlament, Ausschuss für Verkehr und Fremdenverkehr, 27. Februar 2009, abgerufen am 19. Mai 2009.
  14. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 9. Juli 2008 zum Thema “Hin zu einer neuen Kultur der Mobilität in der Stadt”. Europäisches Parlament, abgerufen am 16. Mai 2009.
  15. Hin zu einer neuen Kultur der Mobilität in der Stadt. In: Pressebericht zur Abstimmung – Plenarsitzung vom 9. Juli 2008 in Straßburg. 9. Juli 2008, ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 19. Mai 2009.@1@2Vorlage:Toter Link/www.europarl.de (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)
  16. Nachhaltiger Stadthügel Wien Westbahnhof – Wirtschaftliche Aspekte. Ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 16. Mai 2009.@1@2Vorlage:Toter Link/www.oikodrom.org (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)
  17. Zum Stand der Solartechnik in Österreich: Land an der Sonne. (Memento vom 31. Oktober 2005 im Internet Archive) Wiener Zeitung