Spinnenflug

Methode, mit der Spinnen sich durch Wind über größere Entfernungen fortbewegen

Beim Spinnenflug, auch Ballooning oder Luftschiffen, lassen sich Spinnen durch den Wind in die Luft heben und über größere Entfernungen tragen. Bei günstigen Windverhältnissen legen sie auf diese Weise Entfernungen von mehreren hundert Kilometern zurück. Dies geschieht, indem die Spinne bei Wind etliche Dutzend Seidenfäden produziert, welche dann mitsamt der Spinne davongetragen werden. Neueste Forschungen beschreiben ein ähnliches Verhalten auch bei Windstille, bei der die Spinnen das elektrostatische Feld der Luft nutzen.

Spinnenflug im Santa-Cruz-Gebirge bei San Francisco

Die massenhaft vor allem im Spätsommer in der Luft fliegenden auffallenden Spinnenfäden haben vermutlich zur Bezeichnung „Altweibersommer“ geführt, da die Spinnenfäden an graues Haar erinnern.

Beschreibung Bearbeiten

 
Flug einer Krabbenspinne[1]

Vorwiegend junge, immature und damit sehr leichte Spinnen, aber auch erwachsene Exemplare der Baldachinspinnen, starten ihren Flug von besonders windexponierten Stellen. Sie beginnen wie auf Zehenspitzen zu trippeln und schießen dann aus ihren Spinnwarzen am Hinterleib ein ganzes Bündel von Fäden in die Luft, das sich wie eine Art Fächer aufspreizt. An diesem „Segel“ aus etwa 50 bis 60 extrem leichten und daher sehr flugfähigen Seidenfäden hängend kann die Spinne in Höhen von mehreren Kilometern gehievt und über sehr große Entfernungen davontragen werden.[1] Bei günstigen Winden gelangen die Tiere sogar in den Jetstream, der sie über ganze Ozeane tragen kann. Auf diese Weise waren sie etwa schon 1832 in die Takelage der Beagle von Charles Darwin gelangt – hundert Kilometer vor der Küste Argentiniens.[2] Die Überlebenswahrscheinlichkeit auf einer solchen Reise ist allerdings gering.

Man nimmt an, dass Spinnen mit einem Gewicht von über 1 mg an einem einzelnen Fadenstrang kaum fliegen können, weshalb auch meistens Jungtiere fliegend beobachtet werden. Es gibt jedoch signifikante Ausnahmen. Erwachsene Weibchen aus der Art Stegodyphus dumicola etwa, mit über 100 mg Gewicht und 14 mm Körpergröße, wurden an besonders heißen und windstillen Tagen fliegend beobachtet. Dafür produzierten sie ein dreieckiges Segel von bis zu 1 m Breite, bestehend aus einem Gespinst von mehreren hundert Seidenfäden, welches sie in der entstehenden Thermik davontrug.[3] In den Jahren 2012 und 2015 wurde in Australien ein millionenfacher Spinnenflug beobachtet, der den Boden nach der Landung wie schneebedeckt aussehen ließ.[4] Neuere Erkenntnisse deuten sogar auf Spinnenflug völlig ohne Wind, unter Ausnutzung elektrostatischer atmosphärischer Felder.[5][6][7]

Reichweite und Höhe Bearbeiten

 
Spinnenfäden nach massenhaftem Spinnenflug
Spinnenfäden die sich in den Leinen eines Gleitschirms verfangen haben

Während die meisten Spinnenflüge schon nach einigen Metern enden, werden in seltenen Fällen die Spinnen derart von Aufwinden davongetragen, dass sie sogar Höhen von einigen Kilometern erreichen können. Sie können damit unter Umständen mehrere hundert Kilometer zurücklegen, was unter anderem ihre Sichtungen auf entlegenen Ozeaninseln oder in der Takelage von Schiffen erklärt.[8][9][10] Unter spezifischen Laborbedingungen können einige Spinnen bis zu 25 Tage und länger ohne Nahrung auskommen.[11] Für die Erschließung neuer Lebensräume ist diese Fähigkeit ein bedeutender evolutionärer Vorteil.[12]

Siehe auch Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b Moonsung Cho, Peter Neubauer, Christoph Fahrenson, Ingo Rechenberg: An observational study of ballooning in large spiders: Nanoscale multifibers enable large spiders’ soaring flight. In: PLOS Biology. Band 16, Nr. 6, 14. Juni 2018, ISSN 1545-7885, S. e2004405, doi:10.1371/journal.pbio.2004405 (Online [abgerufen am 22. Juli 2018]).
  2. Charles Darwin: Journal of Researches Into the Geology and Natural History of the Varoius Countries Visited by H.M.S. Beagle. Under the Command of Captain Fitzroy from 1832 to 1836. Henry Colburn, London 1840, Kap. IX, S. 187. eingeschränkte Vorschau bei Google Books
  3. Jutta M. Schneider, Jörg Roos, Yael Lubin, Johannes R. Henschel: Dispersal of Stegodyphus dumicola (Araneae, Eresidae): they do balloon after all! In: Journal of Arachnology. Band 29, Nr. 1, April 2001, ISSN 0161-8202, S. 114–116, doi:10.1636/0161-8202(2001)029[0114:dosdae]2.0.co;2.
  4. Millions of Spiders Rain Down on Australia—Why? 18. Mai 2015 (Online [abgerufen am 16. Juli 2018]).
  5. Erica L. Morley, Daniel Robert: Electric Fields Elicit Ballooning in Spiders. In: Current Biology. Band 28, Nr. 14, Juli 2018, ISSN 0960-9822, doi:10.1016/j.cub.2018.05.057 (Online [abgerufen am 17. Juli 2018]).
  6. Spinnen fliegen „elektrisch“ - wissenschaft.de. In: wissenschaft.de. 5. Juli 2018 (Online [abgerufen am 17. Juli 2018]).
  7. Tina Baier: Spinnen auf Flugreise. In: sueddeutsche.de. 6. Juli 2018, ISSN 0174-4917 (Online [abgerufen am 17. Juli 2018]).
  8. How Spiders 'Fly' Hundreds of Miles. In: Live Science. (Online [abgerufen am 20. Juli 2018]).
  9. G. Hormiga: Orsonwelles, a new genus of giant linyphiid spiders (Araneae) from the Hawaiian Islands. In: Invertebrate Systematics. Band 16, Nr. 3, 2002, ISSN 1447-2600, S. 369–448, doi:10.1071/it01026 (Online [abgerufen am 22. Juli 2018]).
  10. Stefan Heimer: Wunderbare Welt der Spinnen. 1. Aufl., 1.–20. Tsd. Urania-Verl, Leipzig 1988, ISBN 3-332-00210-4.
  11. Carlos E. Valerio: A Unique Case of Mutualism. In: The American Naturalist. Band 109, Nr. 966, April 1975, S. 235–238, JSTOR:2459657.
  12. S. W. Bilsing: Quantitative Studies in the Food of Spiders. Mai 1920, ISSN 0030-0950 (Online [abgerufen am 22. Juli 2018]).

Literatur Bearbeiten

  • Dean, D.A. & Sterling, W.L. (1985): Size of ballooning spiders at two locations in eastern Texas. Journal of Arachnology 13: 111–120. PDF
  • Heimer, S. (1988): Wunderbare Welt der Spinnen. Urania-Verlag Leipzig, ISBN 3-332-00210-4.