Sängersklavin

Unterhaltungssklavin für Gesang und Poesie im arabischen Raum, Blütezeit vom 7-10. Jahrhundert
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Die Sängersklavinnen bzw. Qiyān, arabisch قِيان (Sing: arabisch قَينة, DMG qaina), zu dt. auch Singmädchen, waren eine soziale Gruppe von Frauen, die als Unterhaltungskünstlerinnen in vormodernen arabisch-islamischen Gesellschaften lebten.

Der Begriff Qiyān wurde sowohl für Sklavinnen als auch freie Frauen angewendet, wobei letztere deutlich die Minderheit bildeten. Die Qiyan waren nur nicht Sänger- und Tänzerinnen, sondern vielfach auch Konkubinen und Kurtisanen. Viele waren hochgebildet und genossen Zugang zu den höchsten Gesellschaftsschichten, einschließlich der Kalifen; einige übten auf diese starken Einfluss aus und waren selbst Mütter späterer Herrscher.

Die wohl bekannteste Sängersklavin ist Arib al-Mamuniyya. Eine der wichtigsten historischen Quellen über die Qiyan ist der Brief der Sängersklavinnen von al-Dschāhiz (776–869), der über die Wirkung der Qiyān schrieb:

„Besäße der Teufel keine anderen Fallen, um damit zu töten, kein anderes Banner, zu dem er rufen könnte, und keine andere Versuchung zum Verführen als die Sängersklavinnen (Qiyān), so würde ihm das vollauf genügen.“[1][2]

Die Sängersklavinnen finden in zahlreichen der Geschichten aus Tausendundeiner Nacht Erwähnung und sind dort häufig wichtige Haupt- und Nebenfiguren.

Geschichte Bearbeiten

Ausbildung Bearbeiten

Ihre Blütezeit erlebten die Qiyān in der Zeit der Kalifate der Umayyaden und Abbasiden sowie im muslimischen Spanien.[3] Die Qiyān waren oft hochgebildete Frauen, die am ehesten als Unterhaltungssklavinnen, teils auch als Edelkurtisanen bezeichnet werden können. Sie waren in unterschiedlichsten Künsten und Disziplinen ausgebildet, vor allem in Gesang, Tanz und Musik, gesellschaftlicher Etikette und erotischer Verführungskunst. Viele beherrschten zudem Philologie, Dichtung, Rhetorik, manchmal auch Geschichte und Theologie sowie die Disziplinen der Rezitation und Interpretation des Koran; die Ausbildung dauerte viele Jahre.[4]

Eine bekannte Geschichte über den Bildungsgrad der Sängersklavinnen ist die Erzählung Die Sklavin Tawaddud, in der die gleichnamige Sängersklavin von den besten Gelehrten des Kalifen Harun al-Raschid geprüft wird und diese alle besiegt.[5]

Klassen und Einsatz der Sängersklavinnen Bearbeiten

Ein Teil der Qiyan bewegte sich in der höfischen Kultur der obersten gesellschaftlichen Schichten – nicht selten in der Umgebung der Kalifen – und genoss höchstes Ansehen; die wohl bekannteste ist Arib al-Mamuniyya.

Eine zweite Gruppe von Qiyan stand im Dienste von Etablissements, in denen sie als professionelle Verführerinnen arbeiteten und die Gäste mit Gesang, Tanz und Dichtung unterhielten. Ziel war es, die männlichen Kunden möglichst lange an das Etablissement zu binden, bei denen es sich nicht um Bordelle handelte. Zwar kam es zu körperlichen Berührungen und Küssen, Sex war jedoch die Ausnahme, da das Ziel der Betreiber nicht war, die sexuelle Lust der Kunden zu befriedigen, sondern sie langfristig an das Haus zu binden. Im Idealfall verliebte sich ein Kunde in eine der Sklavinnen und war dann bereit, sie für eine hohe Summe für sich selbst zu erwerben. Wenn die Beziehung zwischen dem Kunden und der Qaina eng wurde, besuchten diese ihre Liebhaber teils auch in ihren Privathäusern, wo es mitunter zum sexuellen Kontakt kam.[6]

Die Etablissements waren gemeinhin jedoch nur Männern der oberen Gesellschaftsschichten zugänglich, für das einfache Volk gab es eine dritte Gruppe von Qiyan, die als Kellnerinnen und Sängerinnen in Tavernen und Wirtshäusern arbeiteten. Wie ihre höheren Schicksalsgefährtinnen trugen sie oft verführerische Kleidung und üppigen Schmuck; die Lokale ihrerseits zogen viele Gäste an und in zeitgenössischen Quellen wird berichtet, dass ihre Anzahl zahlreich war.[7]

Bewertungen Bearbeiten

Der in Bagdad lebende Autor al-Dschāhiz (776–869) schrieb das als historische Quelle bedeutsame Traktat Brief der Sängersklavinnen. Darin beschreibt er diese als größte Versuchung.

„Besäße der Teufel keine anderen Fallen, um damit zu töten, kein anderes Banner, zu dem er rufen könnte, und keine andere Versuchung zum Verführen als die Sängersklavinnen (Qiyān), so würde ihm das vollauf genügen.“[1][2]

„Die Sängersklavin meint es fast nie aufrichtig mit ihrer Zuneigung und kennt keine Treue in ihrer Liebe, weil sie dazu erzogen wurde und von Natur aus dazu geschaffen ist, den Männern Netze zu legen und Fallen zu stellen, damit sie in ihre Schlingen geraten. Wenn sie ein Bewunderer ansieht, wirft sie ihm verstohlene Blicke zu, betört ihn mit ihrem Kächeln, sagt ihm durch Gedichte, die sie vorsingt, Liebesworte, ist erpicht darauf, seinen Anträgen zu entsprechen. [...] Und merkt sie dann, dass ihr Zauber ihn verwandelt hat und er in das Netz getreten ist, so geht sie über das, womit sie begonnen hat, noch weit hinaus und macht ihm glauben, dass ihre Zuneigung zu ihm noch größer sei als die, die er für sie empfindet. Sie schreibt ihm Briefe, in denen sie ihm ihr Liebesleid klagt und ihm schwört, dass sie das Tintenfaß mit ihren Tränen angefüllt […] habe.“[8]

Bekannte Qiyan Bearbeiten

Auftritte von Sängersklavinnen in Tausendundeine Nacht Bearbeiten

In den Märchen aus Tausendundeiner Nacht tauchen Sängersklavinnen häufig auf; viele Geschichten behandeln die Liebe zwischen den Frauen und ihren Besitzern oder Verehrern. Geschichten, in denen Sängersklavinnen auftreten sind unter anderem:

  • Die Sklavin Anis al-Dschalis und Nur al-Din Ibn Chakan – Der Sultan von Basra befiehlt seinem Wesir eine Sklavin für ihn zu kaufen, woraufhin dieser die Sängersklavin Anis al-Dschalis erwirbt. Bevor er sie zum Sultan bringen will, soll sie in seinem Haus sich ausruhen, wo sie jedoch dessen Sohn Nur al-Din Ibn Chakan trifft und beide sich sofort ineinander verlieben. Die schweren Umstände des Schicksals stürzen die Liebe von Anis al-Dschalis und Nur al-Din jedoch bald in eine Vielzahl von Krisen, die sie letztlich bis nach Bagdad führen, wo sie dem Kalifen Harun al-Rashid begegnen.[9][10]
  • Die Sklavin Tawaddud – Der Sohn eines reichen Kaufmanns gerät selbstverschuldet in Armut, woraufhin ihm seine wohlgelehrte Sängersklavin durch eine List mit Wissen und Scharfsinn aus der Patsche hilft und sogar dem Abbasiden-Kalifen Harun al-Raschid und dem Gelehrten Abū Ishāq Ibrāhīm ibn Saiyār al-Nazzām ein Schnippchen schlägt.[5]
  • Al-Mutawakkil und Mahbuba – Kurzgeschichte über die Liebe zwischen dem Abbasiden-Kalifen al-Mutawakkil (822–861) und der Sängersklavin Mahbuba.[11][12]
  • Die Liebe von Abu ʿIsa zu Qurrat al-ʿAinAbu ʿIsa Muhammad liebt die in fremden Besitz befindliche Sängersklavin Qurrat al-ʿAin und versucht mit Hilfe seines Bruders, des Kalifen al-Ma'mun, sie in seinen Besitz zu bringen.[13]
  • Ein Bagdadenser und seine Sklavin – Der Sohn eines wohlhabenden Mannes aus Bagdad kauft eine Sängersklavin, die er über alles liebt und von ihr von seinem Vermögen ausgibt, bis er schließlich arm ist. Seine Geliebte, die Sklavin, fordert ihn auf, sie auf dem Sklavenmarkt zu verkaufen, damit er seine Schulden begleichen kann, worauf der Mann schweren Herzens eingeht, seine Entscheidung jedoch sogleich bereut. Sein Versuch seine Geliebte wiederzuerlangen, führt ihn schließlich bis nach Basra.[14][15]

Literatur Bearbeiten

  • A.F.L. Beeston: The Epistle on Singing-Girls of Jāḥiẓ, Aris & Philipps Ltd., Warminster (United Kingdom) 1980.
  • Fuad Matthew Caswell: The Slave Girls of Baghdad, I.B. Tauris, London 2011.
  • Yasemin Gökpinar: Höfische Musikkultur im Klassischen Islam – Ibn Faḍlallāh Al-ʻUmarī (gest. 749/1349) über die dichterische und musikalische Kunst der Sängersklavinnen, Brill, Boston 2019.
  • Charles Pellat: Arabische Geisteswelt – ausgewählte und übersetzte Texte von al-Ǧāḥiẓ, Artemis Verlag, Zürich 1967, S. 427.
  • Simone Prince-Eichner: Embodying the Empire – Singing Slave Girls in Medieval Islamicate Historiography, Pomona College, Pomona 2016.
  • Dwight F. Reynolds: The ''Qiyan'' of al-Andalus, in: Matthew S. Gordon (Hrsg.): Concubines and Courtesans: Women and Slavery in Islamic History, Oxford University Press, Oxford 2017.
  • Michael Stiegelbauer: Die Sängerinnen am Abbasidenhof um die Zeit des Kalifen Al-Mutawakkil : nach dem Kitāb al-Aġānī des Abu-l-Farağ al Iṣbahānī und anderen Quellen dargestellt, VWGÖ, Wien 1975.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b Übersetzung nach: Charles Pellat: Arabische Geisteswelt, Artemis Verlag, Zürich 1967, S. 429.
  2. a b "Had the devil no other snare with which to slay, no other banner to rally (men) to, and no other temptation wherewith to seduce, than singings-girls, that would still be ample for him." - Englische Übersetzung nach: Alfred Felix Landon Beeston: The epistle on singing-girls of Jāhiẓ, Aris and Phillips, Warminster 1980, S. 34.
  3. Deborah Joanne Schlein: The Talent and The Intellect: The Qayna's Application of Skill in the Umayyad and 'Abbasid Royal Courts. In: etd.library.emory.edu. (englisch).
  4. Ali Ghandour: Liebe, Sex und Allah – das unterdrückte erotische Erbe der Muslime, C.H. Beck, München 2019, S. 59f.
  5. a b Enno Littmann: Die Erzählungen aus den tausendundein Nächten, Karl Insel Verlag, Frankfurt 1968, Band 3, S. 626–696.
  6. Ali Ghandour: Liebe, Sex und Allah – das unterdrückte erotische Erbe der Muslime, C.H. Beck, München 2019, S. 60 f.
  7. Ali Ghandour: Liebe, Sex und Allah – das unterdrückte erotische Erbe der Muslime. C.H. Beck, München 2019, S. 62 f.
  8. Charles Pellat: Arabische Geisteswelt, Artemis Verlag, Zürich 1967, S. 427.
  9. Gustav Weil: Tausend und eine Nacht - Arabische Erzählungen, Karl Müller Verlag, Erlangen 1984 (dt. Erstausgabe 1839), Band 1, S. 255–289.
  10. Enno Littmann: Die Erzählungen aus den tausendundein Nächten, Karl Insel Verlag, Frankfurt 1968, Band 1, S. 406–460.
  11. Gustav Weil: Tausend und eine Nacht - Arabische Erzählungen, Karl Müller Verlag, Erlangen 1984 (dt. Erstausgabe 1839), Band 4, S. 63f.
  12. Enno Littmann: Die Erzählungen aus den tausendundein Nächten, Karl Insel Verlag, Frankfurt 1968, Band 3, S. 339–341
  13. Enno Littmann: Die Erzählungen aus den tausendundein Nächten, Karl Insel Verlag, Frankfurt 1968, Band 3, S. 568–577.
  14. Gustav Weil: Tausend und eine Nacht - Arabische Erzählungen, Karl Müller Verlag, Erlangen 1984 (dt. Erstausgabe 1839), Band 4, S. 342–346.
  15. Enno Littmann: Die Erzählungen aus den tausendundein Nächten, Karl Insel Verlag, Frankfurt 1968, Band 5, S. 764–775.