Riedel-Lappen

normalerweise nicht vorkommender, zungenförmiger Fortsatz am Vorderrand des rechten Leberlappens

Als Riedel-Lappen wird ein normalerweise nicht vorkommender, zungenförmiger Fortsatz am Vorderrand des rechten Leberlappens bezeichnet. Es handelt sich nicht um einen eigenen Lappen im anatomischen Sinne, weshalb er in den anatomischen Lehrbüchern wenig Beachtung findet.[1] Diese Anomalie ist nach Bernhard Riedel bezeichnet, der 1888 eine Serie von 7 solchen Fällen beschrieb, die zum überwiegenden Teil im Zusammenhang mit der Diagnose einer Entzündung der Gallenblase standen.[2]

Skizzen aus der Originalpublikation von Bernhard Riedel von 1888

Epidemiologie Bearbeiten

Es wird eine breite Spanne von etwa 3 bis 30 % für die Häufigkeit des Auftretens eines Riedel-Lappens angegeben. Dies kann als Hinweis darauf gewertet werden, dass einerseits nicht klar definiert ist, ab wann man bei einer Formveränderung am rechten Leberlappen von einem Riedel-Lappen sprechen soll, und andererseits, dass für die Diagnostik unterschiedliche Methoden (nur Palpation und Perkussion oder auch bildgebende Verfahren) zur Verfügung stehen oder standen. Ein früher beschriebenes, deutlich häufigeres Auftreten bei Frauen wurde in einer neueren Studie nicht bestätigt, wobei die Definition, was ein Riedel-Lappen ist, in dieser Untersuchung ("Leber reicht nach unten über den Rippenrand hinaus") sehr weit gefasst wurde.[1][3]

Bedeutung Bearbeiten

In den Zeiten vor Einführung der bildgebenden Verfahren konnte die klinische Untersuchung mit Palpation des Bauches für die Diagnosestellung noch nicht mit Sonographie, Computertomographie, Magnetresonanztomographie oder nuklearmedizinischen Untersuchungsmethoden ergänzt werden. Daher ließ sich eine im rechten Oberbauch tastbare Masse nicht ohne weiteres einordnen. Erst wenn eine Operation nötig wurde, konnte man sicher feststellen, welches Organ bzw. welche Struktur der tastbaren Masse entsprach. Daher war es wichtig, die Möglichkeit eines tastbaren Riedel-Lappens zu kennen. Entsprechend ist aber auch heute noch für die richtige Interpretation der Bilder in der Sonographie, Computertomographie und Magnetresonanztomographie die Kenntnis von den möglichen morphologischen Variationen am Vorderrand des rechten Leberlappens im Sinne eines Riedel-Lappens hilfreich bzw. notwendig.[4]

Häufig wird nur eine typische Einkerbung an der Basis eines Riedel-Lappens beschrieben. Es gibt aber auch Fälle, bei denen ein relativ langer Riedel-Lappen mit einer schmalen Basis sich verdreht hat, was naturgemäß zu einer akuten klinischen Symptomatik führt.[5][6]

Die Frage, ob es sich bei einem Riedel-Lappen um eine angeborene anatomische Variante oder eine erworbene Formveränderung der Leber, die im Zusammenhang mit einer Entzündung oder anderen Erkrankung am Leberunterrand steht, wird unterschiedlich diskutiert.[7] Schon Riedel selbst beschrieb, dass der Lappen nach Beendigung der akuten Erkrankung (z. B. der Gallenblase) nicht mehr nachweisbar war.[2] Das würde gegen eine angeborene Variante sprechen.[1]

Weblinks Bearbeiten

Commons: Riedel-Lappen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Quellen und Literatur Bearbeiten

  1. a b c M. Kudo: Riedel's lobe of the liver and its clinical implication. In: Internal medicine. Band 39, Nummer 2, Februar 2000, S. 87–88, doi:10.2169/internalmedicine.39.87, PMID 10732821 PDF (Review).
  2. a b B. Riedel: Ueber den zungenförmigen Fortsatz des rechten Leberlappens und seine pathognostische Bedeutung für die Erkrankung der Gallenblase nebst Bemerkungen über Gallensteinoperationen, Berliner klinische Wochenschrift, 1888; 25:577–602 Original bei Internet Archive
  3. J. H. Gillard, M. C. Patel, P. H. Abrahams, A. K. Dixon: Riedel's lobe of the liver: fact or fiction? In: Clinical anatomy. Band 11, Nummer 1, 1998, S. 47–49, doi:10.1002/(SICI)1098-2353(1998)11:1<47::AID-CA7>3.0.CO;2-P, PMID 9445097.
  4. M. S. Elfeshawy: Bilobed spleen, transposition of the inferior vena cava and Riedel lobe: an extremely rare imaging finding in the same case. In: BJR case reports. Band 5, Nummer 2, Juni 2019, S. 20180091, doi:10.1259/bjrcr.20180091, PMID 31501702, PMC 6726177 (freier Volltext).
  5. C. Lefaucher, E. Dupuis, J. Muller, A. Laham: [Torsion of Riedel's lobe. Two cases (author's transl)]. In: Journal de chirurgie. Band 115, Nummer 1, Januar 1978, S. 25–28, PMID 632329.
  6. J. Champetier, R. Yver, C. Létoublon, B. Vigneau: A general review of anomalies of hepatic morphology and their clinical implications. In: Anatomia clinica. Band 7, Nummer 4, 1985, S. 285–299, doi:10.1007/BF01784645, PMID 3833290.
  7. C. Savopoulos, N. Kakaletsis, G. Kaiafa, F. Iliadis, A. Kalogera-Fountzila, A. I. Hatzitolios: Riedel's lobe of the liver: a case report. In: Medicine. Band 94, Nummer 3, Januar 2015, S. e430, doi:10.1097/MD.0000000000000430, PMID 25621695, PMC 4602636 (freier Volltext).