Das Reichsnotopfer war in der Weimarer Republik eine außerordentliche Abgabe auf Vermögen, welches infolge der staatlichen Finanznot nach dem Ersten Weltkrieg in den Jahren 1919 bis 1922 erhoben wurde. Rechtliche Grundlage bildete das Reichsnotopfergesetz (RNOG) vom 31. Dezember 1919 (RGBl. 1919, S. 2189). Es war das umstrittenste Gesetz der Finanzreform von Matthias Erzberger.[1]

Inhalt und Wirkung

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Das Reichsnotopfer war eine reelle Vermögensteuer.[2] Abgabepflichtig waren natürliche und juristische Personen. Der Freibetrag betrug 5.000 Mark (für Verheiratete 10.000 Mark). Progressiv besteuert wurden Sach- und Realvermögen wie Bargeld, Bankguthaben, Forderungen, Wertpapiere, Aktien, Anleihen, Immobilien und Maschinen.[3] Die Steuersätze starteten bei 10 % und stiegen bis 65 % für Vermögen über 2 Millionen Mark an.[4]

Aufgrund der zunehmenden Geldentwertung wurde das Gesetz, einschließlich der Höchstsätze, bis 1922 mehrmals novelliert.[5] Ursprünglich konnte die komplette Abgabe verzinst in Teilzahlungen über 30 Jahre und/oder im Falle von Abgabenbelastungen auf Grundbesitz auf 50 Jahre gestreckt werden. Mit dem Gesetz zur beschleunigten Veranlagung und Erhebung des Reichsnotopfers vom 22. Dezember 1920 (RGBl. 1920, S. 2114) traten gewisse Erleichterungen ein.[6] Einerseits wurde klargestellt, dass es sich um eine einmalige Vermögensabgabe handelt, andererseits sollten nun Teilbeträge sofort in drei Etappen zum 1. März und 1. November 1921 und 1. Mai 1922 gezahlt werden.[7]

Die Durchführung der Besteuerung hatte nicht vorausgesehene, sozial unerwünschte Folgen. Die kleinen Vermögensbesitzer, die die ihnen auferlegten Belastungen ohne Ratenzahlungen beglichen, wurden entgegen der Intentionen des Gesetzgebers stark betroffen, während größere Vermögensbesitzer sich durch Kapitalflucht und Ratenzahlungen bei ansteigender Inflation eines großen Teils der Abgabe entziehen konnten.[8] Im Zuge der Inflation sorgte die Erhebung des Reichsnotopfers in den Finanzämtern für reichlich Mehrarbeit: Sobald die Höhe der Abgabe im Steuerbescheid feststand, war sie bereits veraltet.[9]

Die Umsetzung des Gesetzes scheiterte weitgehend. Zum einen war es für die damalige Finanzverwaltung schwierig, die Vermögen umfassend zu ermitteln. Zudem lösten die hohen Abgaben Empörung, Widerstand, Steuer- und Kapitalflucht aus. In der Folge wurde die Erhebung des Reichsnotopfers 1922 eingestellt, offiziell begründet „wegen technischer Schwierigkeiten“,[10] jedoch ab 1923 durch die Vermögensteuer ersetzt, die fortan in Deutschland bis 1996 erhoben wurde.[11]

Im gleichen Zeitraum und unter gleicher Bezeichnung wurde auch in Österreich zur Sanierung des Haushalts ein Reichsnotopfer erhoben. Die Abgabe erwies sich hier ebenfalls als Misserfolg.[12]

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Siehe auch

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Literatur

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  • Heinrich Höpker: Das Reichsnotopfer. C. Heymanns 1920.
  • F. K. Mann: Reichsnotopfer. in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 6. Jena 1925.
  • Heinrich August Winkler: Weimar 1918–1933: die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. C.H.Beck 1998.
  • Heinrich Becker: Handlungsspielräume der Agrarpolitik in der Weimarer Republik zwischen 1923 und 1929. Franz Steiner Verlag 1990.
  • Reiner Sahm: Von der Aufruhrsteuer bis zum Zehnten. Springer-Verlag 2014.
  • Joe Weingarten: Einkommensteuer und Einkommensteuerverwaltung in Deutschland: Ein historischer und verwaltungswissenschaftlicher Überblick. Springer-Verlag 2013.

Einzelnachweise

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  1. Heinrich August Winkler, Weimar, 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, München 1993.
  2. Manfred O. E. Hennies, Allgemeine Volkswirtschaftslehre für Betriebswirte: Grundlagen, Wirtschaftsordnungen, Wirtschaftskreislauf, Agrarwissenschaft. Bd. 1. BWV Verlag, 2003; S. 160
  3. vgl. § 6 RNOG
  4. § 24 RNOG in der Fassung vom 31. Dezember 1919.
  5. Gerold Ambrosius: Die Anpassung an die Inflation. Walter de Gruyter, 1986; S. 52.
  6. Das Kabinett Fehrenbach (Edition "Akten der Reichskanzlei, Weimarer Republik"). Abgerufen am 20. Juli 2022.
  7. § 1 Gesetz zur beschleunigten Veranlagung und Erhebung des Reichsnotopfers.
  8. Heinrich Becker: Handlungsspielräume der Agrarpolitik in der Weimarer Republik zwischen 1923 und 1929. Franz Steiner Verlag 1990; S. 120
  9. Reichsnotopfer in Deutschland. Focus, 6. November 2013.
  10. Reinhold Sellien, Helmut Sellien, Gablers Wirtschafts Lexikon. Springer-Verlag 2013; siehe dort Vermögenssubstanzsteuer S. 1891.
  11. Vermögensabgaben – ein Beitrag zur Sanierung der Staatsfinanzen in Europa. Bericht von Stefan Bach in Eurokrise, Staatsverschuldung und privater Reichtum (PDF; 818 kB), DIW Wochenbericht 28.2012, S. 6.
  12. Walter Euchner, Helga Grebing, F.-J. Stegmann, Peter Langhorst, Traugott Jähnichen, Norbert Friedrich: Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland: Sozialismus, Katholische Soziallehre, Protestantische Sozialethik. Ein Handbuch. Springer-Verlag.2015; S. 284.