Prozession im Gouvernement Kursk

Gemälde von Ilja Repin

Prozession im Gouvernement Kursk[1] ist der Titel eines Gemäldes des russischen Malers Ilja Repin (1844–1930).

Prozession im Gouvernement Kursk Крестный ход в Курской губернии (Ilja Repin)
Prozession im Gouvernement Kursk
Крестный ход в Курской губернии
Ilja Repin, 1880–1883
Öl auf Leinwand
178 × 285,4 cm
Staatliche Tretjakow-Galerie

Das 178 × 285,4 cm große Bild wurde 1880 begonnen und 1883 fertiggestellt. Es zählt zu Repins bekanntesten Werken und gehört zum Bestand der Tretjakow-Galerie in Moskau, der reichsten Sammlung von Werken des Meisters.

Inhalt Bearbeiten

Das Gemälde zeigt eine kirchliche Prozession, die die wundertätige Ikone der Gottesmutter von Kursk begleitet, die alljährlich am 9. Freitag nach Ostern von der Snamenski-Kathedrale[2] in Kursk zur Korennaja Pustyn (Wurzel-Einsiedelei)[3] getragen wird, wo die Ikone bis zum 12. September (24. September) bleibt und dann nach Kursk zurückkehrt.[4]

 
Detail (Buckliger mit Krücke, dem ein Bauer mit einem Stock den Weg abschneidet)

Ilja Repin, ein prominenter Vertreter des russischen künstlerischen Realismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der von seinen Zeitgenossen als nicht religiös bezeichnet[5] wurde, konzentrierte sich in seinen Werken mehr als einmal auf die Darstellung des sozialen Status der einfachen Landbevölkerung. Sein Realismus zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass auch das technisch perfekteste Gemälde in künstlerischer Hinsicht gleichzeitig ein Werk von großer geistiger Tiefe war. Nach seinem ersten großartigen Gemälde Die Wolgatreidler griff er das Thema der starken sozialen Gegensätze in diesem monumentalen Gemälde auf.

Während einer großen Dürre wandert eine endlose Menschenmenge über den staubigen, durch die lange Hitze versengten Boden. Sie tragen die wundertätige Ikone in die Kirche zurück und bemühen sich, alle feierlichen Bräuche einer solchen Prozession zu bewahren. Das gesamte Bild ist in Sonnenlicht getaucht, das zusammen mit dem azurblauen Himmel die heiße Atmosphäre eines Sommertages verdeutlicht. In diesem Gemälde hat Repin sein gesamtes bisheriges menschliches und künstlerisches Wissen zusammengefasst, und die Prozession ist zu Recht eines seiner besten Werke. Repin gelang es auf dem Gemälde wie nirgendwo sonst, Komposition und Inhalt zu verbinden. Der Betrachter hat das Gefühl, sich in dieser riesigen lebendigen Menschenmenge zu befinden.

 
Ikone (zwischenzeitlich in New York, USA, befindlich)

Der Autor Hugo Ganz versucht in seinem 1904 erschienenen Russland-Buch Vor der Katastrophe: Ein Blick ins Zarenreich die Menschenmenge aus verschiedenen Gesellschaftsschichten in der Prozession von der Einsiedelei (russ. pustyn) Korennaja Pustyn bei Kursk folgendermaßen zu schildern (wenn auch mit einigen sachlichen Irrtümern):

„Zerlumpte Muschiks in Pelzen schleppen auf Stangen einen schweren Heiligenschrein, und hinter ihnen drängt die Dorfbevölkerung mit Fahnen und Kruzifixen. Ich erspare es mir, abermals zu wiederholen, wie malerisch das alles gesehen ist, von den Goldleisten des Heiligenschreins bis zum letzten Sonnenstäubchen der Dorfstraße. Die technische Meisterschaft ist bei Rjepin selbstverständlich. Uns fesselt bei dem Bilde wieder die ungeheure Konzentration der Stimmung. Wie gehört das alles zusammen, der berittene Gensdarm, der mit der Knute erbarmungslos hineinprügelt in das Bauernpack, damit es der Geistlichkeit und einer löblichen Ortsobrigkeit Raum mache, der halbblöde, schmierige Küster, der wohlgenährte, bärtige Pope, die Masse der Verwahrlosten, der Krüppel und Bresthaften, der vertierten Bauern, die alten Weiber. Ein langer Zug von Dummheit, Brutalität, Autoritätsdünkel, Ignoranz, ein Kapitel aus der Macht der Finsternis, das Kruzifix mißbraucht zum Hilfsrequisit der Knute, ein Symbol des russischen Regimes, wie es kein Volksredner leidenschaftlicher brandmarken konnte, und doch nur ein Bild von der Straße, das dem Moskauer Kaufmann, der es bei seinem Sonntagsgang in das Museum betrachten mag, kaum auffallen wird, so frei ist es von Tendenz.“[6]

Der Maler Iwan Kramskoi schrieb an den Kritiker Wladimir Stassow über die Porträtkunst Repins: „Repin vermag den russischen Mushik so zu machen, wie er ist. Ich kenne viele Maler, die unsere lieben Mushiks darstellen und sogar recht gut, aber keiner von ihnen hat es jemals nur annähernd so gemacht wie Repin.“[7] Der junge Repin selbst hatte 1872, im Banne der für ihn neuen Ideen, an Stassow geschrieben: „Der Richter ist jetzt der Mushik, und deshalb muss in unserer Kunst ein Anliegen zum Ausdruck gebracht werden. Das kommt mir zupass, denn wie Sie wissen, bin ja auch ich ein Mushik, der Sohn eines im Ruhestand befindlichen Gemeinen.“[8]

Nach der Fertigstellung des Gemäldes stellte Repin es 1883 auf der XI. Wanderausstellung der Vereinigung der Peredwischniki aus. Zu diesem Zeitpunkt befand es sich bereits im Besitz von Pawel Michailowitsch Tretjakow, der es nach der Ausstellung in seiner Galerie ausstellte. Mit diesem Werk begann Repins Weg zum endgültigen Ruhm.

Zur zentralen Figur des Buckligen (dem ein Bauer mit einem Stock den Weg abschneidet) und anderen Figuren bzw. Szenen hat Repin verschiedene Studien angefertigt. Die Kunsthistorikerin Ada Raev stellt zu diesem eigentlichen Helden des fertigen Bildes, der auf einer Krücke voraneilt und im Abseits gehalten werden soll, fest:

„Allein für ihn scheint die Religion lebendig, eine Zielsprache mit Gott möglich zu sein. Über sie vermag er sein physisches Leiden und seine dadurch verstärkte soziale Benachteiligung zu kompensieren.[9]

Korennaja Pustyn Bearbeiten

 
Korennaja Pustyn

Die Korennaja Pustyn[10] (Wurzel-Einsiedelei; russisch Коренная пустынь, wiss. Transliteration Korennaja pustyn') ist ein Männerkloster der Eparchie Kursk der Russisch-Orthodoxen Kirche im Rajon Solotuchinski der Oblast Kursk. Es wurde 1597 an der Stelle gegründet, an der die Ikone Korennaja („von der Wurzel“) der Gottesmutter von Kursk gefunden wurde, die auch mit anderen Namen bezeichnet wird.[11]

 
Die jährlich stattfindende Prozession in Kursk (hier am 28. September 2018 – in anderem Gewande)

Jedes Jahr begleitet eine Prozession von Tausenden von Pilgern die Überführung der Ikone vom Kloster der Muttergottes von der Wurzel in Kursk zur Einsiedelei Korennaja, die sich nördlich der Stadt, etwa 20 km entfernt, befindet. Diese Prozession wurde dargestellt.

Thematisch verwandte Gemälde Bearbeiten

Weitere Gemälde, die Prozessionen im nachreformatorischen Russland darstellen, sind beispielsweise Perows Ländliche Prozession (1861) und Prjanischnikows Kreuzprozession (1893).

Diese Werke enthalten wertvolle Informationen über die kirchliche Tradition in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und ihre Entwicklung.

Siehe auch Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Commons: Prozession im Gouvernement Kursk – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise und Fußnoten Bearbeiten

  1. russisch Крестный ход в Курской губернии / Krestny chod w Kurskoi gubernii, wiss. Transliteration Krestnyj chod v Kurskoj gubernii. - Im Deutschen sind verschiedene Übersetzungen für den Titel des Bildes möglich: Prozession im Gouvernement Kursk; vgl. Staatliches Russisches Museum St. Petersburg / Kunst- und Kulturgeschichte Russlands in Werk und Bild / Von Gosudarstvennyĭ russkiĭ muzeĭ (Saint Petersburg, Russia), Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland. 1995, S. 159), Religiöse Prozession im Gouvernement Kursk (Sándor Radó: Führer durch die Sowjetunion. 1925, S. 107), Kirchliche Prozession im Gouvernement Kursk bzw. Religiöse Prozession im Gouvernement Kursk, Kreuzprozession Prozession im Gouvernement Kursk und last not least Kreuzprozession im Distrikt Kirsk (Kindlers Malerei Lexikon, TB, Bd. 10) (wobei zu der letztgenannten Übersetzung anzumerken ist, dass im Zentrum dieser Prozession nicht das Kreuz – d. h. das Hauptsinnzeichen des Christentums – steht, sondern die wundertätige Gottesmutter-Ikone von Kursk «Von der Wurzel» (russisch Курская-Коренная икона Божией Матери).
  2. russisch Знаменский собор / Snamenskij sobor, wiss. Transliteration Znamenskij sobor
  3. Die Ikone der Muttergottes vom Zeichen von Kursk hat dem Beinamen nach dem Fundort: „von der Wurzel“. Korennaja ist das Adjektiv zum russischen Wort koren, das Wurzel bedeutet. Der Legende nach wurde die Ikone in den Wurzeln eines Baumes gefunden.
  4. Репин Илья Ефимович (1844–1930) «Крестный ход в Курской губернии» / Repin Ilya Efimovich (1844–1930) „Kreuzprozession im Gouvernement Kursk“.
  5. A. R. [= Ada Raev], in: A. Wesenberg, S. 98
  6. Hugo Ganz: Vor der Katastrophe: Ein Blick ins Zarenreich. Skizzen und Interviews aus den russischen Hauptstädten. Rütten & Loening, Frankfurt a.M. 1904, S. 144 – mit einigen kleineren sachlichen Irrtümern (vgl. d. engl. Übers.: The Land of Riddles (Russia of To-day) Digitalisat.
  7. zit. nach A. Wesenberg, S. 103
  8. zit. nach A. Wesenberg, S. 103.
  9. A. R. [= Ada Raev], in: A. Wesenberg, S. 102.
  10. Website des Klosters
  11. iz.ru: Корни Курской святыни – Zur Geschichte, vgl. Geschichte der Gottesmutterikone mit dem Beinamen „von der Wurzel“ – Kathedrale der Hll. Neomärtyrer und Bekenner Rußlands und des Hl. Nikolaus.