Unter dem Titel Antisemitismus und Sozialdemokratie hielt August Bebel am 27. Oktober 1893 auf dem Kölner Parteitag der Sozialdemokratischen Partei ein Grundsatzreferat zur Stellung der Partei dem Antisemitismus gegenüber. Der Parteitag nahm bei dieser Gelegenheit eine Resolution zum Thema an, die schon auf dem vorherigen Parteitag 1892 in ähnlicher Form verabschiedet worden war. Auf Wunsch verschiedener Delegierter wurde die Rede August Bebels in überarbeiteter Form als Broschüre herausgebracht. Das Referat stellt die erste offizielle Auseinandersetzung der Sozialdemokraten mit dem seit Mitte der 1870er Jahre wachsenden Antisemitismus dar. Bebel nennt als einen Grund für sein Referat, „daß über die Bedeutung dieser Bewegung in unseren eigenen Kreisen eine gewisse Unklarheit herrscht.“ Er sucht den Antisemitismus aus religiösen, ökonomischen und sozialen sowie rassischen Gründen zu erklären. Auch wenn die Antisemiten reaktionäre Ziele verfolgten, so würden sie zum Sozialismus gedrängt und so wider Willen zu Wegbereitern der Sozialdemokratie. Ab Mitte der 1870er Jahre kam es zu wachsendem Antisemitismus in Deutschland mit Artikeln in der dem katholischen Zentrum nahestehenden Zeitung Germania. Salonfähig wurde dies 1879, als Heinrich von Treitschke seinen Aufsatz „Unsere Aussichten“ in den Preußischen Jahrbüchern veröffentlichte (siehe „Berliner Antisemitismusstreit“) und sich der Hofprediger Adolf Stoecker mit seiner Christlich-sozialen Partei auf die Judenhetze verlegte. Widerstand dagegen leisteten Vertreter der Deutschen Fortschrittspartei sowie des linken Flügels der Nationalliberalen, die sich 1880 als Liberale Vereinigung abspalteten (siehe hierzu: „Schmach für Deutschland“, „Notabeln-Erklärung“, „Interpellation Hänel“). Während des Wahlkampfes für die Reichstagswahl 1881 formierte sich eine Allianz aus Konservativen und Antisemiten als „Berliner Bewegung“, die versuchte, die Fortschrittspartei aus der Hauptstadt hinauszudrängen. Als die „Berliner Bewegung“ bei der Wahl eine vernichtende Niederlage gegen die Fortschrittspartei erlitt, ebbte die antisemitische Bewegung wieder etwas ab. Bei einer Beleidigungsklage, die Adolph Stöcker gegen die Freie Zeitung angestrengt hatte, wurden dem Hofprediger verschiedene unwahre Behauptungen nachgewiesen, was beispielsweise von Eugen Richter in der Schrift Zeuge Stöcker, ein Zeitbild aus dem Jahre 1885 an die Öffentlichkeit gebracht wurde. Unter dem öffentlichen Druck wurde Stöcker dann 1887 als Hofprediger abgesetzt und erhielt die Auflage, sich nicht weiter zu politischen Fragen zu äußern. mehr