„Nur keck!“

Posse
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„Nur keck!“ ist eine Posse mit Gesang in Drey Acten von Johann Nestroy. Das Stück wurde 1855 verfasst und kam zu Nestroys Lebzeiten nicht zur Aufführung. Es war das erste Werk, das er nach der wegen des Todes von Direktor Carl Carl durch ihn erfolgten Übernahme des Carltheaters schrieb.

Daten
Titel: „Nur keck!“
Gattung: Posse mit Gesang in Drey Acten
Originalsprache: Deutsch
Autor: Johann Nestroy
Literarische Vorlage: London Assurance von Dion Boucicault
Musik: Hans Lang (1943)
Erscheinungsjahr: 1855
Uraufführung: 2. Juli 1943
Ort der Uraufführung: Bürgertheater Wien
Ort und Zeit der Handlung: Die Handlung spielt anfangs in Graufalters Wohnung in einer großen Stadt, dann auf einem, ein Paar Eisenbahnstunden davon entfernten, vom Oberforstmeister Holzstamm bewohnten Jagdschloß und währt Zwey Tage
Personen
  • Herr von Graufalter, Kapitalist[1]
  • Heinrich Still, sein Neffe
  • Oberforstmeister von Holzstamm
  • Anna, dessen Tochter
  • Herr von Wollberger, Fabricks- und Gutsbesitzer, Millionär
  • Amalie, seine Frau
  • Fräulein von Jahrzahl
  • Ida, ihre Ziehtochter
  • Federkleks, Rentschreiber[2] in Wollberger's Diensten
  • Philippine, seine Frau
  • Stegreif
  • Gutmann, Chirurg[3]
  • Hantig[4], Wechselagent[5]
  • Anton, Graufalter's Diener
  • Frau Sorgner, Graufalter's Wirthschafterin
  • Margreth, Magd bei Federkleks

Die Uraufführung erfolgte erst am 2. Juli 1943 im Wiener Bürgertheater.

Wegen einer Testamentsbestimmung über eine Million[6] sollen Herr von Graufalter Anna, die junge Tochter Holzstamms, und sein Neffe Heinrich das ältliche Fräulein von Jahrzahl ehelichen, um die Erbschaft antreten zu dürfen. Der davon wenig begeisterte Holzstamm versucht einerseits, Anna und Graufalter zu überzeugen, dass diese Verbindung nur schlecht ausgehen könne, andrerseits bittet er Federkleks und dessen Gattin Philippine – beide ebenfalls mit großem Altersunterschied –, ein deshalb unglückliches Paar zu mimen. Tatsächlich wird das Spiel der beiden Eheleute immer echter, wie Federkleks feststellt:

„Das fangt mir an, in d’Nasen z’geh’n, bey mir schwankt’s schon curios zwischen Comödi und Natur.“ (I. Act, 12te Scene)[7]

Kompliziert wird es, als sich Graufalter in Wollbergers Gattin Amalie verschaut und Heinrich in Anna. Der stets schlagfertige Stegreif – er gibt sich selbst die Profession „eines gesellschaftlichen Aufmischers, eines gewaltsamen Fröhlichkeitsverbreiters“ – bemüht sich geschickt, die Fäden zu entwirren. Es gelingt ihm, Federkleks und Philippine durch ein vorgetäuschtes Gespensterspiel wieder zu versöhnen, Fräulein von Jahrzahl zu überzeugen, dass Heinrich nicht der Richtige für sie wäre, und diesen mit Anna zusammenzubringen. Selbst überrumpelt er mit seiner Frechheit die verdutzte Ida und erobert sie dadurch. Holzstamm bringt es auf den Punkt, als er zu Stegreif sagt:

„Sie sind ein keker Patron!“ (III. Act, 22ste Scene)[8]

Werksgeschichte

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Als erste Anregung zum Thema, wie Nestroys Notizen zu entnehmen, muss das 1653 in Lyon uraufgeführte Lustspiel L’Étourdi ou Les Contretemps („Der Tollpatsch oder die Rückschläge“) von Molière (1622–1673) angesehen werden. Die Hauptvorlage ist allerdings das Lustspiel London Assurance[9] („Londoner Selbstsicherheit“, von Nestroy mit „Londoner Unverschämtheit“ übersetzt) von Dion Boucicault (1820/1822–1890), welches seine Premiere am 4. März 1841 im Londoner Theatre Royal Covent Garden hatte, dem Vorgänger des Royal Opera House.[10]

Eine in der Vorlage vorhandene etwas spöttische Auseinandersetzung mit der Frauenemanzipation hatte Nestroy in den Vorarbeiten noch eingebaut, dann allerdings weggelassen (Amalie wurde vorerst als Em[a)nc[i]p[ierte] im Personenverzeichnis geführt, ihren endgültigen Namen erhielt sie erst im weiteren Arbeitsverlauf). Einige ironische Hinweise auf die Diplomaten in den sich damals dahinschleppenden Friedensverhandlungen (sie begannen 1855 und dauerten bis zum Pariser Frieden im März 1856) des Krimkrieges (1853–1856) im 2. und 3. Akt waren für das seinerzeit informierte Publikum gedacht, sind jedoch heute kaum mehr zu erkennen.

Federkleks: „Es is merkwürdig. was auf einmahl für ein Geist is, seit ich mit einem Diplomaten in Berührung gekommen bin.“ (II. Act, 4te Scene)[11]

Obwohl Nestroy nach Carl Carls Tod als neuer Theaterdirektor des Carltheaters freie Hand für eine Aufführung gehabt hätte, blieb das Werk ungespielt und bis in das 20. Jahrhundert hinein unbekannt. Erst 1908 berichtete Otto Rommel in der Neuen Freien Presse[12], bei der Sichtung von Nestroys Nachlass hätte er „zwei vollständig ausgearbeitete, von Nestroy eigenhändig ins Reine geschriebene Stücke“ entdeckt – Genius, Schuster und Marqueur und „Nur keck!“. Der Abdruck des vollständigen Textes erfolgte in 39 Presse-Morgenblättern vom 28. August bis zum 13. Oktober 1921 (Nr. 20473–20519). Die Uraufführung fand schließlich in einer stark bearbeiteten Version erst am 2. Juli 1943 im Wiener Burgtheater statt, die Musik dazu schrieb Hans Lang.[13] Insgesamt 355-mal wurde „Nur keck!“ in der Spielzeit 1943/1944 gebracht.

Johann Nestroy hatte bei den Vorarbeiten zum Stück für sich die Rolle des Federkleks, für Karl Treumann den Stegreif, für Wenzel Scholz den Herrn von Graufalter und für Alois Grois den Herrn von Wollberger vorgesehen.

Nestroys eigenhändiges Manuskript der Reinschrift[14] ist erhalten, ebenso einige Handschriften für verschiedene Stufen der Vorarbeiten. Das erste davon, eine Entwurfs-Tabelle, trägt den Titel Unverschämtheit[15], die Studiennotizen werden mit Familienpact[16] überschrieben, ein Szenar mit Gewagte Mittel[17], ebenso ein Ausführliches Programm[18]. Durch diese Entwürfe und weitere erhaltene Änderungsnotizen kann der Entstehungsablauf des Werkes sehr genau nachvollzogen werden. Abgeschlossen oder eher abgebrochen wurden diese Bearbeitungen vermutlich im November 1855. Weitere von Nestroy in Erwägung gezogene Titel waren (laut einem Konzept): Amor und Hymen im Testamentskonflikte, Verrückte Folgen des verrückten Testamentes, Verrückte Verrückungen verrückter Pläne, Der kecke Patron, Liebestorheiten in allen Farben, Hetzjagd im Liebesrevier, Verrücktes Volk, Offensive und Defensive, Verliebte und ihre Alliierten, Herzensbelagerungen und Liebesscharmützel.[19]

Die vorgesehenen Couplets und dazugehörigen Monologe wurden nicht ausgeführt, nur die Texte für einige Quodlibets sind vorhanden, deshalb gibt es auch keine zeitgenössische Partitur.

Spätere Interpretationen

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Nach W. Edgar Yates weisen die von Nestroy selbst gesetzten Anführungszeichen im Titel darauf hin, dass „Nur keck!“ (auch „Nur kek!“ geschrieben) ursprünglich von ihm als ein im Stück wiederkehrendes Zitat der Hauptfigur Steigreif (der ursprünglich Keck oder Kek heißen sollte) gedacht war.

Otto Rommel reiht dieses Werk bei den „Schauspielerstücken“ ein, die darauf ausgerichtet waren, den Agierenden die Möglichkeit zu bieten, sich in wechselnder Mimik und Verkleidung zu zeigen. Dazu rechnet er auch die Theaterg’schichten und Umsonst!, wobei Nestroy besonders für sich und Treumann derartige Rollen schrieb, während Scholz eher statische Gestalten verkörperte. Auch weist er darauf hin, dass es in „Nur keck!“ keinerlei Lokalkolorit gebe.[19]

Literatur

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  • Otto Rommel: Nestroys Werke, Auswahl in zwei Teilen, Goldene Klassiker-Bibliothek, Deutsches Verlagshaus Bong & Co., Berlin/Leipzig/Wien/Stuttgart 1908.
  • Fritz Brukner/Otto Rommel: Johann Nestroy, Sämtliche Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, vierzehnter Band, Verlag von Anton Schroll & Co., Wien 1930.
  • Helmut Ahrens: Bis zum Lorbeer versteig ich mich nicht. Johann Nestroy, sein Leben. Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 1982, ISBN 3-7973-0389-0; S. 343.
  • W. Edgar Yates (Hrsg.): Johann Nestroy; Stücke 34. In: Jürgen Hein/Johann Hüttner: Johann Nestroy, Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Jugend und Volk, Wien/München 1989, ISBN 3-224-16907-9.

Einzelnachweise

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  1. zur damaligen Zeit wurde jemand als Kapitalist bezeichnet, der von den Zinsen seines Kapitals lebte und keiner Beschäftigung nachging
  2. Rentschreiber = Buchhalter im Rentamt, der Verwaltung der grundherrschaftlichen Einnahmen
  3. Chirurg = zur damaligen Zeit Bader oder Wundarzt
  4. hantig = bair.-österr. für ‚harsch, herb‘, von Menschen ‚streng, resolut, unfreundlich‘
  5. Wechselagent = Wechsel-Makler, hier so viel wie Schuldeneintreiber
  6. die Währung wird im Stück nicht genannt, gemeint ist wohl der Gulden
  7. W. Edgar Yates: Johann Nestroy; Stücke 34. S. 24.
  8. W. Edgar Yates: Johann Nestroy; Stücke 34. S. 111.
  9. gleichzeitig Name einer der bekanntesten englischen Versicherungsanstalten, gegründet im 18. Jahrhundert
  10. Inhaltsangabe in W. Edgar Yates: Johann Nestroy; Stücke 34. S. 121–124.
  11. W. Edgar Yates: Johann Nestroy; Stücke 34. S. 49.
  12. Neue Freie Presse vom 30. August 1908, Nr. 15813
  13. Kritik im Neuen Wiener Tagblatt am 4. Juli 1943, Nr. 182
  14. Handschriftensammlung der Wienbibliothek im Rathaus, Signatur I.N. 33.737.
  15. Handschriftensammlung der Wienbibliothek im Rathaus, Signatur I.N. 33.456.
  16. Handschriftensammlung der Wienbibliothek im Rathaus, Signatur I.N. 33.434.
  17. Handschriftensammlung der Wienbibliothek im Rathaus, Signatur I.N. 33.433.
  18. Handschriftensammlung der Wienbibliothek im Rathaus, Signatur I.N. 136.994.
  19. a b Otto Rommel: Nestroys Werke, Erster Teil, S. LXXXII–LXXXIII; sowie Fußnote 2.