Mongolensturm

Einfall der Mongolen in zahlreiche Staaten Asiens und Europas

Als Mongolensturm oder Tatarensturm wird sowohl in der abendländischen als auch in der arabischen und persischen Geschichtsschreibung der Einfall der Mongolen (fälschlicherweise auch als Tataren, später auch als „Tataro-Mongolen“ bezeichnet) in zahlreiche Staaten Asiens und Europas und die damit verbundenen Zerstörungen bezeichnet.

Nach der Schlacht bei Muhi (1241) schleppen Mongolen versklavte Ungarn fort. (In der Darstellung von 1488 sind die Mongolen als Muslime dargestellt.[Anm. 1])

Mittelalter Bearbeiten

 
Mongolensturm 1237–1242

Nach der Ausrufung eines obersten Herrschers mit dem Titel Dschingis Khan im Jahr 1206 unterwarfen die Mongolen (von den Rus zum Teil auch als „Tataren“ bezeichnet)[1] weite Gebiete in Nord- und Mittelasien.

Nach ersten feindseligen Kontakten zwischen Mongolen, Russen und Kiptschaken (Kumanen), die 1223 in der Schlacht an der Kalka ihren Höhepunkt fanden, führte ein weiterer Feldzug, diesmal angeführt von Batu Khan, Sohn des Dschötschi, eines Sohnes Dschingis Khans, anderthalb Jahrzehnte später wieder ein mongolisches Heer nach Europa. Die Mongolen eroberten 1237 zunächst das Reich der Wolgabulgaren; ab dem Jahr 1238 griffen sie die Fürstentümer der Kiewer Rus an und zerstörten am 20. Januar 1238 Moskau, 1240 unter anderem Kiew.

Anschließend war die Eroberung Europas innerhalb der nächsten 18 Jahre[2] geplant; als erster Schritt wurde Ungarn erobert, wozu zwei Armeeabteilungen eingesetzt wurden. Der Einfall der ersten Abteilung in Kleinpolen, Schlesien und Teilen Brandenburgs im Sommers 1241 rief wie geplant ein deutsch-polnisches Heer auf den Plan, das in der (ersten) Schlacht bei Liegnitz vernichtend geschlagen wurde. Damit wurde eine mögliche Flankenbedrohung aus Ländern ausgeschaltet, deren Herrscher mit dem ungarischen König verwandt waren. Diese Abteilung zog dann über Mähren und Niederösterreich nach Ungarn, wo bereits einen Tag nach der Schlacht bei Liegnitz das Aufgebot des ungarischen Königs Béla IV. in der Schlacht bei Muhi durch das mongolische Hauptheer besiegt worden war. Ganz Ungarn wurde besetzt, mongolische Vorausabteilungen erreichten die kroatische Adria und Thrakien.

Dies verbreitete in ganz Europa Angst und Schrecken, niemand kam Ungarn zu Hilfe, es gab erste Angebote anderer Länder, sich den Mongolen zu unterwerfen. Aber als der Großkhan Ögedei im Dezember 1241 starb und Batu zur Wahl des neuen Großkhans in die Mongolei zurückkehren musste, zogen sich die Mongolen – für Europa völlig überraschend – aus Ungarn zurück. Da Batu die Wahl aus taktischen Gründen verzögerte, blieb sein Teilreich („goldene Horde“) zunächst militärisch untätig.

Vor allem Ungarn mit Siebenbürgen und Bulgarien erholten sich lange nicht von den Zerstörungen und Bevölkerungsverlusten durch die Überfälle. Die Reisen von Johannes de Plano Carpini und Wilhelm von Rubruk zu den Mongolen waren direkte Folgen des für die Europäer überraschenden Auftretens der Mongolen.

In Asien zerstörten die Mongolen um 1220 das Reich der Choresm-Schahs. Die Versuche des Thronfolgers Dschalal ad-Din, ein neues Reich aufzubauen, blieben nach Kämpfen gegen die Mongolen und Kai Kobad I., den Herrscher der Rum-Seldschuken, erfolglos, sodass nach Dschalal ad-Dins Tode 1231 die mongolische Herrschaft über Isfahan und Persien gesichert war. Die Rum-Seldschuken in Kleinasien wurden nach der Schlacht vom Köse Dağ 1243 zu Vasallen degradiert, und das Abbasiden-Kalifat mit Sitz in Bagdad ging nach der Eroberung der Stadt 1258 unter. Wenige Jahre später und bis zum Ende des 13. Jahrhunderts fielen mongolische Heere auch in den Norden Indiens ein, wo sie jedoch von Ala ud-Din Khalji, dem damaligen Sultan von Delhi, ab 1297 mehrfach besiegt wurden.

Die Mongolen berücksichtigten bereits Aspekte der „psychologischen Kriegführung“:[3] Auf Widerstand und Verrat reagierten sie selbst für die damalige Zeit ungewöhnlich brutal, mit Erdöl übergossene und verbrannte Pyramiden aus tausenden abgeschlagenen Schädeln (Schädeltürme) sind auch während späterer mongolischer Invasionen aus dem frühen 15. Jahrhundert unter Timur überliefert.

Erst 1260 konnten die ägyptischen Mamluken in der Schlacht bei ʿAin Dschālūt den mongolischen Verbänden erstmals Einhalt gebieten, 1279 wurden die letzten Gebiete der südlichen Song-Dynastie im heutigen China von den Heeren des Kublai Khan überrannt. Eine zweite Invasion der Mongolen in Ungarn erfolgte 1285 Sie wurde zurückgeschlagen. Als Faktoren für diesen militärischen Erfolg werden der nach der Niederlage von 1246 in Angriff genommene Bau von steinernen Burgen und Stadtbefestigungen genannt, sowie der verstärkte Einsatz von Armbrustschützen und schwer gewappneten Reitern. Die dritte Invasion Polens scheiterte zwei Jahre später. Nach 1287 beschränkten sich in Europa die Angriffe der nunmehr islamisierten Mongolen und Tataren zumeist auf die Nachfolgestaaten der Kiewer Rus, die dem mongolischen Nachfolgereich der Goldenen Horde untertan wurden. In Asien jedoch wurden von den Nachfolgern Kublai Khans Japan, Indonesien und Vietnam sowie von den Ilkhanen und Timur Indien und Syrien angegriffen.

Neuzeit Bearbeiten

Als Nachfolger der Goldenen Horde setzte das islamisierte Khanat der Krimtataren seine Angriffe auf christliche Gebiete fort, so auf Moskau bzw. Russland, das damals durch Polen-Litauen beherrschte Gebiet der heutigen Ukraine oder die Moldau. In Gebieten in der heutigen Südukraine, die den Tataren im 16. Jahrhundert abgenommen worden waren, siedelten die Litauer und Russen freie Wehrbauern an, was die Entstehung des ukrainischen und russischen Kosakentums förderte.

Umgekehrt fielen polnische, ukrainische und russische Kosaken wiederholt in das Gebiet der Krimtataren und das türkisch-osmanische Eyâlet Silistrien ein und unternahmen Streifzüge entlang der Schwarzmeerküste (z. B. in Sosopol). Die tatarischen Einfälle endeten, nachdem die Krim-Residenz Bachtschyssaraj 1736 durch eine russische Strafexpedition zerstört wurde.

Als Tatarensturm wird auch der Einfall von Lipka-Tataren und Krimtataren im Herzogtum Preußen 1656/57 bezeichnet. Er erfolgte, nachdem sich Brandenburg-Preußen unter Kurfürst Friedrich Wilhelm im Zweiten Nordischen Krieg auf die Seite der Feinde Polens gestellt hatte, das ab 1654 mit dem Krim-Khanat verbündet war. Die Tataren sollen bis zu 23.000 Einwohner Preußens getötet und 34.000 in die Sklaverei verschleppt haben; bis zu 80.000 Menschen sollen in den verwüsteten Landstrichen verhungert oder erfroren sein.[4]

Die Erinnerung an diesen Tatarensturm war noch 100 Jahre später lebendig. König Friedrich II. von Preußen warnte 1752 in seinem Politischen Testament davor, dass im Falle eines Krieges mit Russland die (unter russischem Kommando stehenden) Tataren alle Orte in Ostpreußen niederbrennen und das Volk in die Gefangenschaft führen würden, wie sie es während des Großen Nordischen Krieges (1700/21) und des Russisch-Schwedischen Krieges (1741/43) in Finnland getan hätten.[5]

Begriffskritik Bearbeiten

In abendländischen Chroniken wurden Mongolen und Tataren oftmals gleichgesetzt und neuerdings vor allem in russischen Quellen gelegentlich zu Tataro-Mongolen zusammengefasst. Zumindest für die Angriffe in der Mitte des 13. Jahrhunderts sollte jedoch von mongolischer Eroberung gesprochen werden, deren erste Opfer gerade die ethnisch und sprachlich von den Mongolen verschiedenen Tataren geworden waren. Der österreichische Historiker Johannes Gießauf verweist darauf, dass das Volk der Tataren bereits unter Dschingis Khan († 1227) fast vollständig von den Mongolen ausgerottet und die geringfügigen Überreste von den Mongolen assimiliert wurden.[6]

Literatur Bearbeiten

  • Michael Weiers: Geschichte der Mongolen (= Kohlhammer-Urban-Taschenbücher. Band 586). Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2004, ISBN 3-17-017206-9.
  • Paul Srodecki: Fighting the ‘Eastern Plague'. Anti-Mongol Crusade Ventures in the Thirteenth Century. In: Paul Srodecki, Norbert Kersken (Hrsg.): The Expansion of the Faith. Crusading on the Frontiers of Latin Christendom in the High Middle Ages. Turnhout, Brepols 2022 (= Outremer. Studies in the Crusades and the Latin East. Band 14), ISBN 978-2-503-58880-3, S. 303–327.
  • András Székely: Illustrierte Kulturgeschichte Ungarns. Urania-Verlag, Leipzig u. a. 1979, S. 26 ff.

Anmerkungen Bearbeiten

  1. Der Islam verbreitete sich in der Goldenen Horde jedoch erst ab 1252 allmählich.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. J. J. Saunders: Matthew Paris and the Mongols. Toronto 1968, S. 124.
  2. Da die Mongolen ein Nonalsystem (Basis 9 statt 10 im Dezimalsystem) benutzten, waren 18 Jahre als runder (ungefährer) Zeitraum gemeint.
  3. Johannes Gießauf: A Programme of Terror and Cruelty: Aspects of Mongol Strategy in the Light of Western Sources. In: Chronica – Annual of the Institute of History. Vol. 7–8. University of Szeged, Szeged 2008, S. 85–96.
  4. Andreas Kossert: Ostpreußen. Geschichte und Mythos. Ungekürzte Lizenzausgabe der RM Buch und Medien Vertrieb GmbH, Pößneck 2010, S. 87.
  5. Friedrich von Oppeln-Bronikowski: Friedrich der Große – Das politische Testament von 1752. Reclam, Stuttgart 1974, S. 86 f.
  6. Johannes Gießauf: Die Mongolei – Aspekte ihrer Geschichte und Kultur (= Grazer Morgenländische Studien. Band 5), Graz 2001, ISBN 3-901921-12-5, S. 57.