Thérèse Levasseur

Lebensgefährtin von Jean-Jacques Rousseau
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Marie-Thérèse Levasseur, auch Le Vasseur, (getauft 22. September 1721 in der Pfarrkirche Saint-Michel in Orléans; gestorben 17. Juli 1801 in Le Plessis-Belleville, Département Oise) war die Lebensgefährtin von Jean-Jacques Rousseau: „seine Frau, seine Mätresse, seine Dienerin, seine Tochter“ (J.-J. R.).[1]

Johann Michael Baader: Marie Thérèse Levasseur Veuve de Jean Jacques Rousseau, Aquarell, 1791
Zeitgenössisches Bild der Thérèse Levasseur. Im Hintergrund das Grabmal Rousseaus auf der l’île des Peupliers im Park von Ermenonville. Nach einer Sepia von Caroline Naudet (1775–1839)
Letzte Pariser Adresse: Mansardenwohnung in der rue Plâtrière

Leben Bearbeiten

Thérèse war viertes Kind des François Levasseur und der Marie Renou, mit denen sie Anfang der 1740er Jahre in einfachen Verhältnissen in Paris lebte.

Jean-Jacques Rousseau war 1728 mit 15 Jahren in den Dienst der Françoise-Louise de Warens getreten und hatte zwischen 1732 und 1738 ein Verhältnis mit ihr gehabt. Er traf Thérèse Levasseur im März 1745 in Paris, wo sie als Haushaltshilfe arbeitete. Levasseur und Rousseau lebten fortan in freier Ehe zusammen, zunächst wohnte Thérèse Levasseur noch zu Hause. Ab 1747, als sich Rousseaus finanzielle Lage etwas aufbesserte, wohnten sie in Paris zusammen, und Thérèse Levasseur begleitete Rousseau danach auf den vielen Stationen seines unsteten Lebens: nach Genf, ins Val de Travers in der preußischen Exklave Fürstentum Neuenburg, nach England, dessen Sprache sie nicht beherrschte, und wieder zurück in die Rue de la Glacière in Paris. Im Jahr 1754 waren sie im calvinistischen Genf über die Natur ihrer Beziehung befragt worden, was sie mit Ausflüchten beantworteten (beantworten mussten).

Die Trauungszeremonie der Katholikin Levasseur und des Protestanten Rousseau, die sie am 30. August 1768 vor dem Bürgermeister von Bourgoin vornehmen ließen, war keine kirchliche Trauung, sondern ein Versprechen, einander bis zum Tod nicht im Stich zu lassen. Thérèse verbrachte insgesamt 34 Jahre mit Rousseau. Für Rousseaus Freunde war die Verbindung zu einer Frau, die kaum lesen konnte, eine Mesalliance, ein Urteil, das fast ausnahmslos alle Biographen und Historiker übernommen haben. Nicht nur sein Verhältnis zu Frau de Warens fand deren Gnade, sondern auch seine Beziehung zu Madame d’Houdetot, da diese einen literarischen Niederschlag im Briefroman Julie oder Die neue Heloise hatte.[2] Angeblich hatte Levasseur verschiedene Verhältnisse zu anderen Männern, auch zu gemeinsamen Bekannten, u. a. 1766[3] zu James Boswell.

Rousseau beschrieb Thérèse und seine Beziehung zu ihr in seinem autobiografischen Werk Les Confessions. Dabei entschuldigte er ihre menschlichen Fehler und Schwächen, um sie gleichzeitig, ebenso wie seine erste Geliebte, zu idealisieren.

Bei Rousseaus Tod 1778 wurde sie seine Universalerbin. Der Marquis de Girandin zahlte ihr als Entgelt für den von ihm sichergestellten Besitz Rousseaus eine Leibrente. Girandin und ein paar Freunde Rousseaus kümmerten sich fortan um den literarischen Nachlass.

Die Todesumstände Rousseaus wurden in der Öffentlichkeit diskutiert und Levasseur eine Mitschuld angedichtet. Madame de Staël kolportierte Jahre später den Selbstmord eines Hahnreis, und Lion Feuchtwanger lässt in seinem Roman Narrenweisheit oder Tod und Verklärung des Jean-Jacques Rousseau Königin Marie-Antoinette auftreten, die mit dem demonstrativen Besuch des Grabmals Rousseaus in Ermenonville alle Gerüchte zu zerstreuen sucht. Da die zeitgenössischen Äußerungen und die Überlieferungen auf parteiischen Vermutungen gegen die „Ungebildete“, „Habsüchtige“ und „Rabenmutter“ beruhten, ist auch nicht als Faktum gesichert, ob Levasseur im November 1779 noch den Kammerdiener Montretont geheiratet hat und er mit ihr in Plessis-Belleville wohnte, wo sie die nächsten 23 Jahre lebte.

Die Französische Nationalversammlung gewährte ihr auf Betreiben Mirabeaus 1791 eine Rente von 1200 Franc im Jahr.

Der Mount Levasseur in Alaska ist aufgrund seiner Nähe zum Rousseau Peak nach ihr benannt.

Kinder Bearbeiten

Levasseur und Rousseau hatten zwischen 1746 und 1753 fünf Kinder. Jedes der Kinder wurde – „aus ökonomischen Gründen“ – als Säugling an das Findelhaus abgegeben. Rousseau wurde dafür in der Öffentlichkeit kritisiert, und Levasseur wurde entweder die Hauptschuld oder zumindest eine Mitschuld an der als brutal dargestellten Trennung der Kinder von den Eltern gegeben, zumal die damalige Lebenserwartung in den Waisenhäusern gering war.[4] Andererseits wird darauf hingewiesen, dass im 18. Jahrhundert ein Viertel aller getauften Kinder in Paris auf diese Weise ausgesetzt wurden.[5] Zur Erklärung von Rousseaus Verhalten ist auch die Mutmaßung geäußert worden, es habe sich gar nicht um seine leiblichen Kinder gehandelt.[6] Insgesamt musste er sich aber immer wieder die Diskrepanz vorwerfen lassen, die zwischen dem von ihm formulierten Erziehungsideal des Émile und seinem eigenen Versagen, Kinder aufzuziehen, besteht.

Literatur Bearbeiten

  • Jean-Daniel Candaux, Thérèse Levasseur ou les avatars d'une image (1762-1789). In: Cahiers Isabelle de Charrière/Belle de Zuylen Papers 7, 2012 p. 99-108.
  • Klaus Lelek: 300 Jahre Rousseau – Psychopath, Philosoph und Primadonna. Epubli, Berlin 2012, ISBN 978-3-8442-2107-7, Textauszüge (auch über Levasseur)
  • Bruno Preisendörfer: Ich bin Rousseaus Kriminalleutnant. Erzählung. In: Süddeutsche Zeitung. 9. Juni 2012.
  • Giovanni Incorvati: Translations dissymétriques: crimes et droits d’un couple dans la Correspondance de Rousseau. In: Jacques Berchtold und Yannick Séité (Hrsg.): Lire la correspondance de Rousseau. Droz, Genève 2007 (Annales de la Société Jean-Jacques Rousseau, XLVII), S. 75–123.
  • Dieter Sturma: Jean-Jacques Rousseau. C. H. Beck, München 2001.
  • Laurent Müller: Marie-Thérèse Levasseur. In: Raymond Trousson (Hrsg.): Dictionnaire de Jean-Jacques Rousseau, Champion, Paris 1996, ISBN 2-85203-604-5.
  • Rudolf Egger: Thérèse Levasseur, Witwe Rousseau – ein Leben lang. Monolog, 2001.
  • Charly Guyot: Plaidoyer pour Thérèse Levasseur. Ides et Calendes, Neuchâtel 1962.
  • Hanns Julius Wille: Die Gefährtin. Henschelverlag, Berlin 1952.
    • Hanns Julius Wille: Träume und Tränen: Das Leben der Therese Levasseur mit Jean Jacques Rousseau. Günther, Leipzig/Wien 1937.
  • Henriette Roland Holst: Jean Jacques Rousseau: ein Bild seines Lebens und seiner Werke. Wolff, München 1921, S. 62–69.
  • Karl Gotthold Lenz: Über Rousseaus Verbindung mit Weibern. Zwei Teile in einem Band. H. Barsdorf, 1906
  • Richard Mahrenholtz: Thérèse Levasseur. In: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur. Band 11, 1889, S. 177–187 (Textarchiv – Internet Archive).
  • Claude Genoux; Alfred de Lacaze: Les enfants de J.J. Rousseau. Serrière, Paris 1857.
  • Loi qui décrète une statue pour Jean-Jacques Rousseau, et une pension de 1,200 livres pour sa veuve. Donnée à Paris, le 29 décembre 1790. Impr. d’A. Delcros, Clermont-Ferrand 1791.
  • Isabelle de Charrière, Plainte et défense de Thérèse Le Vasseur. Louis Fauche-Borel, Neuchâtel 1789

Aquarell Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Rousseau gegenüber Graf Conti in Montmorency. Zitat und biographische Daten nach: Laurent Müller: Marie-Thérèse Levasseur. In: Raymond Trousson (Hrsg.): Dictionnaire de Jean-Jacques Rousseau. 1996, S. 539–544.
  2. Henriette Roland-Holst: Jean Jacques Rousseau: ein Bild seines Lebens und seiner Werke. 1921, S. 64.
  3. William B. Ober: Boswell’s Clap. In: William B. Ober: Boswell’s Clap and Other Essays. Medical Analyses of Literary Men’s Afflications. Southern Illinois University Press, 1979; Taschenbuchausgabe: Allison & Busby, London 1988, Neuauflage ebenda 1990, ISBN 0-7490-0011-2, S. 1–42, hier: S. 13.
  4. Richard Mahrenholtz: Thérèse Levasseur. 1889.
  5. Henriette Roland-Holst: Jean Jacques Rousseau: ein Bild seines Lebens und seiner Werke. 1921, S. 68.
  6. Z. B. Dieter Thomä: Sein Handwerk war die Freiheit. In: FAZ. 23. Juni 2012, S. Z2.
  7. Jürgen Tiede: Baader, Johann Michael. In: Allgemeines Künstlerlexikon. Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker (AKL). Band 6, Saur, München u. a. 1992, ISBN 3-598-22746-9, S. 85.