Makrofamilie
Als Makrofamilie, Makrophylum oder Superfamilie bezeichnet man in der Sprachwissenschaft die Zusammenfassung mehrerer allgemein in der Fachwelt anerkannter Sprachfamilien zu einer größeren genetischen Einheit. Die historische Phase dieser Einheiten liegt in der Regel sehr weit zurück (10.000 Jahre oder mehr), so dass ihr Nachweis und ihre Widerlegung unmöglich ist. Dies ist der Grund dafür, dass Makrofamilien von vielen Linguisten nicht anerkannt werden.[1]
Es gehört somit zum Wesen der Makrofamilien, dass sie hypothetisch sind und ihnen in der Regel bisher die breite fachwissenschaftliche Anerkennung versagt wurde. Manche hypothetische Makrofamilien haben allerdings den Qualitätswechsel zur „großen Sprachfamilie“ und zur allgemeinen Anerkennung durch die Fachwelt vollziehen können; dazu gehören das Afroasiatische, die Niger-Kongo-Sprachen und ansatzweise auch das Nilosaharanische. Diese drei inzwischen anerkannten Großfamilien wurden von Joseph Greenberg geprägt (vgl. Afrikanische Sprachen), der ebenfalls der Begründer des Eurasiatischen, Amerindischen und Indopazifischen ist.[2]
Vorgeschlagene Makrofamilien
BearbeitenDie wichtigsten zurzeit vorgeschlagenen Makrofamilien sind (Begründer in Klammern):
- Nostratisch (Pedersen, Illich-Svitych, Dolgopolsky)
- Eurasiatisch (Greenberg)
- Dene-Kaukasisch (Starostin, Sergei L. Nikolajew)
- Austrisch (W. Schmidt, Benedict)
- Indopazifisch (Greenberg)
- Australisch (Dixon, Wurm)
- Kongo-Saharanisch (Greenberg, Gregersen)
- Amerindisch (Greenberg)
Die australische Makrofamilie ist ein Sonderfall, da ihre genetische Einheit von vielen Forschern akzeptiert wird. Nun hat aber gerade der frühere Hauptvertreter dieser Einheit – R.M.W. Dixon – in seinem neuen umfassenden Werk Australian Languages (2002) diese Einheit wieder in Frage gestellt, so dass man die australischen Sprachen heute eher als eine Makrofamilie ansehen sollte. Ein möglicher Kandidat für eine Makrofamilie ist auch das Khoisan, dessen genetische Einheit inzwischen von den meisten einschlägigen Fachleuten abgelehnt wird.
Makrogliederung der Sprachen der Erde
BearbeitenMit den vorgeschlagenen Makrofamilien lassen sich die etwa 6.500 Sprachen der Erde in relativ wenigen genetischen Einheiten übersichtlich zusammenfassen, wie Merritt Ruhlen 1991 und 1994 zeigte. Die folgende Darstellung beruht auf dem unten angegebene Weblink. Dabei wurde das Eurasiatische Greenbergs nach einem Vorschlag von A. Bomhard in das Nostratische eingegliedert.
Gliederung der Sprachen der Erde in Makrofamilien nach Ruhlen 1991 und 1994
- Nostratisch
- Eurasiatisch (nach Greenberg)
- Kartwelisch
- Elamo-Dravidisch (nach McAlpin)
- Elamisch †
- Harappanisch † (Sprache der Induskultur)
- Dravidisch
- Afroasiatisch (nach Greenberg) mit Ägyptisch †, Semitisch, Berberisch, Tschadisch, Kuschitisch, Omotisch
- Dene-Kaukasisch (nach Starostin, Nikolajev)
- Austrisch (nach W. Schmidt, Benedict)
- Indopazifisch (nach Greenberg)
- Papua-Sprachen (gliedern sich in 12 genetische Einheiten und einige isolierte Sprachen)
- Andamanisch
- Tasmanisch †
- Australisch (nach Wurm, Hattori, Dixon) (genetische Einheit wird heute bezweifelt)
- Kongo-Saharanisch (nach Gregersen)
- Niger-Kongo (nach Greenberg)
- Nilosaharanisch (nach Greenberg)
- Khoisan (nach Greenberg) (heute i. A. nicht mehr als genetische Einheit aufgefasst)
- Amerindisch (nach Greenberg)
Damit ließen sich die Sprachen der Welt in acht Makrofamilien zusammenfassen. Die „Schöpfer“ der Makrofamilien sind jeweils angegeben; der übergroße Anteil Joseph Greenbergs an dieser Klassifikationsarbeit ist unverkennbar. Die Zukunft wird zeigen, wie viel von diesem Programm umsetzbar ist. Bis dahin muss sich die Sprachwissenschaft mit einer Fülle von mehreren hundert nachweisbaren genetischen Einheiten begnügen.
Monogenese
BearbeitenDie weitestgehende Hypothese auf dem Gebiet der Makrofamilien ist die Auffassung von der Monogenese aller Sprachen, also die Vorstellung, dass alle Sprachen weltweit von „einer gemeinsamen Ursprache“, der sog. Proto-Welt-Sprache abstammen. Wegen des enormen Alters dieser Ursprache (sehr grobe Größenordnung: 100.000 Jahre) sind Nachweise aber auch Widerlegungen kaum zu führen, so dass die Hypothese an sich keinen wissenschaftlichen Wert beanspruchen kann. Dennoch wurde z. B. von Merritt Ruhlen und anderen Forschern der Versuch unternommen, globale Wortgleichungen oder Etymologien zu entdecken, also Wörter, die in ähnlicher Lautgestalt und verwandter Bedeutung in vielen Sprachfamilien weltweit verbreitet sind. Die bisher angebotenen „globalen Etymologien“ halten einer seriösen Prüfung jedoch kaum stand.
Siehe auch
BearbeitenLiteratur
Bearbeiten- Joseph H. Greenberg: Genetic Linguistics. Essays on Theory and Method. Oxford University Press, Oxford u. a. 2005, ISBN 0-19-925772-8.
- Sydney M. Lamb, E. Douglas Mitchell (Hrsg.): Sprung from Some Common Source. Investigations into the Prehistory of Languages. Stanford University Press, Stanford CA 1991, ISBN 0-8047-1897-0.
- Merritt Ruhlen: On the Origin of Languages. Studies in Linguistic Taxonomy. Stanford University Press, Stanford CA 1994, ISBN 0-8047-2321-4 (Populärfassung: The Origin of Language. Tracing the Evolution of the Mother Tongue. John Wiley, New York NY u. a. 1994, ISBN 0-471-58426-6).
- Merrit Ruhlen: A Guide to the World's Languages. Band 1: Classification. With a Postscript on Recent Developments. 1st paperback edition. Arnold, London 1991, ISBN 0-340-56186-6.
- Vitaly Shevoroshkin (Hrsg.): Reconstructing Languages and Cultures. Abstracts and Materials from the First International Interdisciplinary Symposium on Language and Prehistory (= Bochum Publications in Evolutionary Cultural Semiotics. 20). Brockmeyer, Bochum 1989, ISBN 3-88339-708-3.
Literatur zu den einzelnen Makrofamilien findet man in den jeweiligen Artikeln.
Periodikum
Bearbeiten- Mother Tongue: Journal of the Association for the Study of Language in Prehistory ASLIP. 1995 ff., ISSN 1087-0326.
Weblinks
Bearbeiten- Ernst Kausen: Eurasiatisch, Nostratisch und andere Makrofamilien (DOC; 71 kB)
- Ulf von Rauchhaupt: „Sprechen Sie Nostratisch?“ FAZ.NET vom 15. Juni 2016
- Marcus Kracht: Sprachen der Welt. Universität Bielefeld, Wintersemester 2009/10, Script 27. Januar 2011 ([1] auf researchgate.net)