Linguizid

geplante oder bewusst in Kauf genommene Vernichtung einer Sprache

Der Ausdruck Linguizid (von lateinisch lingua (Sprache) und -cidium (-mord)), deutsch Sprachenmord oder Sprachmord, bezeichnet die geplante oder bewusst in Kauf genommene Vernichtung einer Sprache. Erreicht wird ein Linguizid in der Regel durch verfassungsmäßige und institutionelle Maßnahmen, die die Verwendung einer Sprache verbieten.[1] Neben dem offenen Versuch, eine Sprache zu unterdrücken oder zu „töten“, wird in der Literatur auch das bloße Sterbenlassen einer Sprache oder die mangelnde Unterstützung einer Sprache als verdeckter Linguizid gewertet.[2]

Anmerkungen zum Ausdruck Linguizid

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Die Wortschöpfung Linguizid (englisch linguicide) ist analog zu Genozid (englisch genocide) gebildet, der gezielten Vernichtung eines Volkes.[2] Im Gegensatz zu Genozid ist Linguizid kein völkerrechtlich anerkannter Begriff.

Linguizid wird vor allem in Literatur verwendet, die sich mit Minderheiten- und Menschenrechten befasst.[3] Im Gegensatz zum umfassenderen Begriff Sprachtod, der auch das Verschwinden einer Sprache aufgrund nicht-politischer Ursachen wie Naturkatastrophen oder Urbanisierung umfasst, geht es beim Linguizid um gezielte, meist politische Maßnahmen, um eine Sprache aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Meist haben solche Maßnahmen das Ziel, Minderheiten zu unterdrücken, Assimilierung von Minderheiten zu forcieren und eine Einheitlichkeit in einem Nationalstaat zu etablieren.[1]

Einige Linguisten sind der Meinung, der Ausdruck Linguizid im Sinne von Sprachmord sei nicht immer angemessen, um komplexe Situationen zu beschreiben, in denen die Verwendung einer Sprache aufgegeben wird. Deshalb findet man in einiger Literatur eher den Ausdruck Sprachtod.[4] Andere Literatur spricht eher von der Verletzung sprachlicher Menschenrechte oder die Verletzung von Minderheitenrechten.[5]

In seltenen Fällen wird (französisch) linguicide auch im Sinne von „Sprachverderber“, z. B. in der Werbung, verwendet.[6]

Formen und Beispiele

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Folgende Maßnahmen werden in der Literatur als Linguizid benannt:[7]

  • Ausrottung der Sprecher einer Sprache oder eines Dialekts (Genozid):
  • Repressive Maßnahmen, um die Entwicklung einer Sprache oder eines Dialekts zu unterbinden, wie etwa das verfassungsmäßige Verbot der Verwendung bestimmter Sprachen im öffentlichen Leben, der Literatur und im Unterricht:
  • Maßnahmen, die eine bilinguale Gesellschaft gewaltsam in eine monolinguale verwandeln, wie etwa die institutionalisierte Trennung der Kinder bestimmter Gruppen von ihren Eltern oder die Trennung von Sprachgemeinschaften
  • Verbot, eine bestimmte Sprache in öffentlichen Schulen und in den Massenmedien zu verwenden
  • Verweigerung von moralischer und materieller Unterstützung für kulturelle Aufgaben und Sprachpflege, wie durch die alleinige Förderung einer einzigen Sprache als Nationalsprache

Linguizid und sprachliche Menschenrechte

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Sprachliche Minderheiten sind offiziell durch das Völkerrecht und den Minderheitenschutz der UNO und anderer internationaler Gremien geschützt.[14] Insbesondere in Europa sind heute zahlreiche Anstrengungen von offizieller und inoffizieller Seite her bekannt, um ausgestorben geglaubte oder bedrohte Sprachen wieder zu beleben. Gälisch in Irland und Rätoromanisch sind Beispiele, bei denen diese Politik erste Erfolge zeigt. Albert Bock wertet jedoch die bisherige Sprachpolitik in Frankreich als nicht ausreichend, um die seit der Französischen Revolution unterdrückten Minderheitensprachen (Bretonisch, Baskisch, Elsässisch, Lothringisch, Westflämisch, Korsisch, Okzitanisch) wieder zu beleben respektive zu fördern.[15]

Siehe auch

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Literatur

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  • Albert Bock: Linguizid am Bretonischen. In: Brennos Studia Celtica Austriaca, Nr. 1/1996.
  • David Crystal: Language Death. Cambridge University Press, Cambridge 2000, ISBN 0-521-65321-5.
  • Jaroslav B. Rudnyckyj: Linguizid. Ein Beitrag zur Soziolinguistik. In: La Monda lingvo-problemo 1 (1), Mouton, Den Haag 1969, S. 27–30.
  • Jaroslav B. Rudnyckyj: Linguicide, 3. Auflage. Ukrainian Technological University, Winnipeg/München 1976.
  • Tove Skutnabb-Kangas: Language, Literacy and Minorities. The Minority Rights Group, London 1990.
  • Tove Skutnabb-Kangas: Linguistic genocide in education? or worldwide diversity and human rights? Lawrence Erlbaum Associates, Mahwah, New Jersey/London 2000, ISBN 0-8058-3468-0.
  • Tove Skutnabb-Kangas, Robert Phillipson: Linguicide. In: R.E. Asher, J.M.Y. Simpson (Hrsg.): The Encyclopedia of Language and Linguistics. Band 4. Pergamon Press, Oxford 1994, ISBN 0-08-035943-4, S. 2211–2212.
  • Tove Skutnabb-Kangas, Robert Phillipson (Hrsg.): Linguistic Human Rights. Overcoming Linguistic Discrimination. Contributions to the Sociology of Language 67. Mouton de Gruyter, Berlin/New York 1995, ISBN 3-11-014370-4.
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Wiktionary: Linguizid – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. a b Jaroslav B. Rudnyckyj: Linguicide, 3. Auflage. Ukrainian Technological University, Winnipeg/München 1976, S. 14.
  2. a b Tove Skutnabb-Kangas, Robert Phillipson: Linguicide. In: R.E. Asher, J.M.Y. Simpson (Hrsg.): The Encyclopedia of Language and Linguistics. Band 4. Pergamon Press, Oxford 1994, ISBN 0-08-035943-4, S. 2211.
  3. Tove Skutnabb-Kangas, Robert Phillipson (Hrsg.): Linguistic Human Rights. Overcoming Linguistic Discrimination. Contributions to the Sociology of Language 67. Mouton de Gruyter, Berlin/New York 1995, ISBN 3-11-014370-4.
  4. David Crystal: Language Death. Cambridge University Press, Cambridge 2000, ISBN 0-521-65321-5, S. 86.
  5. Tove Skutnabb-Kangas, Robert Phillipson (Hrsg.): Linguistic Human Rights. Overcoming Linguistic Discrimination. Contributions to the Sociology of Language 67. Mouton de Gruyter, Berlin/New York 1995, ISBN 3-11-014370-4.
  6. Jacques Olivier Grandjouan: Les linguicides, Didier, Paris 1987.
  7. Jaroslav B. Rudnyckyj: Linguicide, 3. Auflage. Ukrainian Technological University, Winnipeg/München 1976, S. 24.
  8. Tove Skutnabb-Kangas, Sertaç Bucak: Killing a mother tongue – how Kurds are deprived of linguistic human rights. In: Tove Skutnabb-Kangas, Robert Phillipson (Hrsg.): Linguistic Human Rights. Overcoming Linguistic Discrimination. Contributions to the Sociology of Language 67. Mouton de Gruyter, Berlin/New York 1995, ISBN 3-11-014370-4, S. 347–348.
  9. Jaroslav B. Rudnyckyj: Linguicide, 3. Auflage. Ukrainian Technological University, Winnipeg/München 1976, S. 14–15.
  10. Franz-Josef Sehr: Professor aus Polen seit Jahrzehnten jährlich in Beselich. In: Jahrbuch für den Kreis Limburg-Weilburg 2020. Der Kreisausschuss des Landkreises Limburg-Weilburg, Limburg 2019, ISBN 3-927006-57-2, S. 223–228.
  11. Eduardo Hernández-Chávez: Language policy in the United States: A history of cultural genocide. In: Tove Skutnabb-Kangas, Robert Phillipson (Hrsg.): Linguistic Human Rights. Overcoming Linguistic Discrimination. Contributions to the Sociology of Language 67. Mouton de Gruyter, Berlin/New York 1995, ISBN 3-11-014370-4, S. 157.
  12. J.J. Smolicz: Australia's language policies and minority rights: a core value perspective. In: Tove Skutnabb-Kangas, Robert Phillipson (Hrsg.): Linguistic Human Rights. Overcoming Linguistic Discrimination. Contributions to the Sociology of Language 67. Mouton de Gruyter, Berlin/New York 1995, ISBN 3-11-014370-4, S. 242.
  13. Albert Bock: Linguizid am Bretonischen. In: Brennos Studia Celtica Austriaca, Nr. 1/1996, S. 18.
  14. Tove Skutnabb-Kangas, Robert Phillipson: Linguistic human rights, past and present. In: Tove Skutnabb-Kangas, Robert Phillipson (Hrsg.): Linguistic Human Rights. Overcoming Linguistic Discrimination. Contributions to the Sociology of Language 67. Mouton de Gruyter, Berlin/New York 1995, ISBN 3-11-014370-4, S. 71–110.
  15. Albert Bock: Linguizid am Bretonischen. In: Brennos Studia Celtica Austriaca, Nr. 1/1996, S. 23.