Katatonie

Psychosomatische Charakteristik, die sich in unnatürlichen und stark verkrampften Haltungen äußert
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Katatonie (altgriechisch κατά ,von oben nach unten‘ und τόνος ,(An-)Spannung‘, zusammen also ,Anspannung von Kopf bis Fuß‘)[1] ist ein neuropsychiatrisches und psychomotorisches Syndrom, das sich durch gestörte Motorik, Immobilität, Verhaltensstörungen und sozialen Rückzug kennzeichnet.[2][3] Auftreten kann sie als Begleiterscheinung, aber auch als Ursache oder Folge von psychischen Erkrankungen wie schweren Depressionen, Manien, bipolaren affektiven Störungen und vor allem katatoner Schizophrenie, von Stoffwechselstörungen, nach dem Konsum von Alkohol und anderen Drogen, aber auch bei anderen neurologischen Erkrankungen bzw. Erkrankungen des Immunsystems, zum Beispiel als neurologische Störung infolge einer AIDS-Erkrankung, im Rahmen einer Autoimmunenzephalitis oder eines malignen Neuroleptika-Syndroms.[4][5][6][7][8]

Ein Patient in katatonem Stupor

Der Erstbeschreiber des Krankheitsbildes war Karl Ludwig Kahlbaum (1828–1899), Psychiater und Inhaber einer Privatheilanstalt für Nerven- und Gemütskranke in Görlitz.[9] Über lange Zeit wurde – und wird – die Katatonie hauptsächlich als Form der Schizophrenie diagnostiziert.[9] Die katatone Schizophrenie als eine Unterform der „Gruppe der Schizophrenien“ (Eugen Bleuler, 1911), geht mit Störungen der Motorik einher, die zwischen extremer Erregung und Passivität hin- und herwechseln können.[10]

Die Vielfalt der tatsächlich möglichen Zusammenhänge verdeutlicht die Schwierigkeiten bei der Diagnosestellung und bezüglich der Wahl der richtigen Therapie. In der neuen ICD-11 ist erstmals eine eigene Diagnosekategorie – getrennt von der Gruppe der Schizophrenien – vorgesehen.[11][12][13]

Symptombild

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Katatonie äußert sich in unnatürlichen und stark verkrampften Haltungen bzw. Verhaltensweisen des ganzen Körpers bzw. der Person. Es wird dabei zwischen hypokinetischen [„hypo...“ = ein Weniger, ein Zuwenig an ...] und hyperkinetischen [„hyper...“ = ein Mehr, ein Zuviel an ...] Phänomenen unterschieden.[8] Folgende Begriffe sind relevant:[14][8]

  • Stupor (Starre des ganzen Körpers)
  • Mutismus (beharrliches Schweigen)
  • bizarre Haltungsstereotypien (längeres Verharren in einer Körperhaltung auch bei äußeren Versuchen der Veränderung)
  • Flexibilitas cerea (wachsartiger Widerstand der Muskulatur bei passiver Bewegung)
  • Negativismus (Widerstand gegenüber allen Aufforderungen oder Versuchen, sich zu bewegen – oder stattdessen Bewegungen, die das Gegenteil der Aufforderung ausführen)
  • Katalepsie (Beibehaltung der Körperstellung nach passiver Bewegung)
  • sehr erhöhte psychomotorische Erregung
  • Bewegungs- und Sprachstereotypen (dauerndes und scheinbar sinnfreies Wiederholen von Bewegungen oder von Sprachanteilen ohne äußeres „Vorbild“)
  • Echopraxie/Echolalie (dauerndes und scheinbar sinnfreies Nachahmen von Bewegungen oder von Sprachanteilen)
  • Manierismen (sonderbare, „karikaturhafte“ Darstellung alltäglicher Gestik, Mimik).

Die Krankheitsvariante kann unter anderem aufgrund einer fehlenden Wasser- und Nahrungsaufnahme lebensbedrohlich sein.

Behandlung

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  • Am besten erforscht sind die medikamentöse Behandlung mit Benzodiazepinen [z. B. Lorazepam] und der Einsatz der Elektrokonvulsionstherapie.[15] Eine besondere und lebensbedrohliche Schwierigkeit besteht hinsichtlich der Behandlung eines katatonischen Zustands, wenn dieser in Folge eines malignen Neuroleptikasyndroms auftritt. In diesem Fall muss nämlich die neuroleptische Medikation abgesetzt werden.[8]
  • Bei psychopharmakologischer Therapie mit GABA-ergen Substanzen, u. a. mit Lorazepam[16], ist Vorsicht geboten, da eine Benzodiazepin-Abhängigkeit bereits nach ein- bis zweiwöchiger Einnahme entstehen kann, die eine Katatonie auslösen bzw. verschlimmern kann.[17][18][19]
  • Je nach zugrundeliegender psychischen Störung erfolgt eine Behandlung z. B. mit Neuroleptika bei schizophrenen oder Antidepressiva bei depressiven Störungen.
  • Elektrokonvulsionstherapie ist indiziert zur Behandlung der therapieresistenten Katatonie sowie Mittel erster Wahl bei perniziöser Katatonie.[20][21]

Siehe auch

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Literatur

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(Kahlbaum K.L.: Die Katatonie : oder das Spannungsirresein, eine klinische Form psychischer Krankheit. 1874. https://archive.org/details/39002079238854.med.yale.edu)

  • Roland Depner: Alles Nervensache? Wie unser Nervensystem funktioniert – oder auch nicht. Schattauer, Stuttgart 2012, ISBN 978-3-7945-2887-5.
  • Michael Franz: Katatonie. Ein neues psychopathologisches Inventar zur Evaluation des Schweregrades und sein Einsatz bei einer alternativen Therapieform. Dissertation an der Universität Gießen 1994.
  • Winfried Krill: Systematische Untersuchung zum Erleben katatoner Patientinnen und Patienten. Interpretationen der Katatonie im Spiegel des subjektiven Erlebens. Dissertation an der Universität Frankfurt am Main 1997.
  • Daniel Nagel: Frontoparietale Dysfunktionen bei der Katatonie. Eine neuropsychologische Untersuchung. Dissertation an der Universität Magdeburg 1999.
  • Georg Northoff: Katatonie. Einführung in die Phänomenologie, Klinik und Pathophysiologie eines psychomotorischen Syndroms. Enke, Stuttgart 1997, ISBN 3-432-29811-0.
  • Georg Northoff: Neuropsychiatrische Phänomene und das Leib-Seele-Problem. Katatonie im Knotenpunkt zwischen Medizin und Philosophie. Dissertation an der Universität Bochum 1992.
  • Hosseini P, Whincup R, Devan K, Ghanem DA, Fanshawe JB, Saini A, Cross B, Vijay A, Mastellari T, Vivekananda U, White S, Brunnhuber F, Zandi MS, David AS, Carter B, Oliver D, Lewis G, Fry C, Mehta PR, Stanton B, Rogers JP: The role of the electroencephalogram (EEG) in determining the aetiology of catatonia: a systematic review and meta-analysis of diagnostic test accuracy. EClinicalMedicine. 2023 Jan 5;56:101808. doi:10.1016/j.eclinm.2022.101808.
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Wiktionary: Katatonie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. William Haubrich, Medical meanings, American College of Physians 2003
  2. James Wilcox, Pam Reid Duffy: The Syndrome of Catatonia. In: Behavioral Sciences. Band 5, Nr. 4, 9. Dezember 2015, ISSN 2076-328X, S. 576–588, doi:10.3390/bs5040576, PMID 26690229, PMC 4695780 (freier Volltext) – (mdpi.com [abgerufen am 7. Mai 2019]).
  3. Jeffrey P. Burrow, Benjamin C. Spurling, Raman Marwaha: Catatonia. In: StatPearls. StatPearls Publishing, Treasure Island (FL) 2024, PMID 28613592 (nih.gov [abgerufen am 3. April 2024]).
  4. J. C. Huffman, G. L. Fricchione: Catatonia and psychosis in a patient with AIDS: treatment with lorazepam and aripiprazole. In: J Clin Psychopharmacol. [Case Reports Letter]. 2005 Oct;25(5), S. 508–510.
  5. B. T. Carroll, T. J. Anfinson, J. C. Kennedy, R. Yendrek, M. Boutros, A. Bilon: Catatonic disorder due to general medical conditions. In: J Neuropsychiatry Clin Neurosci. [Case Reports Review]. 1994 Spring;6(2), S. 122–133.
  6. Léon Wurmser: Die Maske der Scham – Die Psychoanalyse von Schamaffekten und Schamkonflikten. 5. unveränderte Auflage. Klotz Verlag, Magdeburg 2013, ISBN 978-3-88074-024-2, S. 208, 220, 324 und weitere Stellen.
  7. Walter Jaimes-Albornoz, Jordi Serra-Mestres: Recognizing Catatonia in Medically Hospitalized Older Adults: Why It Matters. In: Geriatrics. Band 3, Nr. 3, 2018, S. 3, doi:10.3390/geriatrics3030037, PMID 31011075, PMC 6319219 (freier Volltext) – (mdpi.com [abgerufen am 10. Mai 2019]).
  8. a b c d Lieb, Klaus, Frauenknecht, Sabine, Brunnhuber, Stefan, Wewetzer, Christoph: Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. 8. Auflage. Urban & Fischer in Elsevier, München 2016, ISBN 3-437-42528-5, S. 23 f.; 188.
  9. a b M. Fink, E. Shorter, M. A. Taylor: Catatonia Is not Schizophrenia: Kraepelin's Error and the Need to Recognize Catatonia as an Independent Syndrome in Medical Nomenclature. In: Schizophrenia Bulletin. Band 36, Nr. 2, 1. März 2010, ISSN 0586-7614, S. 314–320, doi:10.1093/schbul/sbp059, PMID 19586994, PMC 2833121 (freier Volltext) – (oup.com [abgerufen am 7. Mai 2019]).
  10. Dilling, Horst, 1933-, Weltgesundheitsorganisation.: Internationale Klassifikation psychischer Störungen : ICD-10 Kapitel V (F) klinisch-diagnostische Leitlinien. 10. Aufl., unter Berücksichtigung der Änderungen entsprechend ICD-10-GM 2015. Hogrefe, Bern 2015, ISBN 978-3-456-85560-8, S. 133.
  11. ICD-11. Abgerufen am 10. Mai 2019.
  12. ICD-11 – Mortality and Morbidity Statistics. Abgerufen am 10. Mai 2019.
  13. ICD-11 - Mortality and Morbidity Statistics. Abgerufen am 29. September 2020.
  14. Elisabeth Doran, John D. Sheehan: Acute catatonia on medical wards: a case series. In: Journal of Medical Case Reports. Band 12, Nr. 1, 6. Juli 2018, ISSN 1752-1947, S. 1, PMID 29976243, PMC 6034265 (freier Volltext) – (biomedcentral.com [PDF; abgerufen am 10. Mai 2019]).
  15. Erik den Boer, Frank MMA van der Heijden, Anne CM Pelzer: Systematic review of catatonia treatment. 17. Januar 2018, abgerufen am 7. Mai 2019 (englisch).
  16. P. I. Rosebush, M. F. Mazurek: Catatonia and its treatment. In: Schizophr Bull. [CommentReview]. 2010 Mar;36(2), S. 239–242.
  17. J. J. Arnos: Lorazepam withdrawal-induced catatonia. In: Ann Clin Psychiatry. 2012 May;24(2), S. 170–171.
  18. T. Sivakumar, A. Yadav, M. Sood, S. K. Khandelwal: Lorazepam withdrawal catatonia: a case report. In: Asian Journal of Psychiatry. 2013 Dec;6(6), S. 620–621. doi:10.1016/j.ajp.2013.05.008
  19. S. G. Glover, R. Escalona, J. Bishop, A. Saldivia: Catatonia associated with lorazepam withdrawal. In: Psychosomatics. 1997 Mar-Apr;38(2), S. 148–150.
  20. bundesaerztekammer.de (Memento vom 1. Juli 2007 im Internet Archive)
  21. S3-Leitlinie Schizophrenie. Kurzfassung, 2019. Version 1.0. In: www.awmf.org. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) e. V. für die Leitlniengruppe, 15. März 2019, abgerufen am 6. Mai 2019.