Kölnische Gummifäden-Fabrik
Die Kölnische Gummifäden-Fabrik vorm. Kohlstadt & Comp. (KGF) war ein Unternehmen in Deutz (von 1914 bis 1954 Köln-Deutz, ab 1955 Köln-Mülheim), das von 1843 bis 1972 Produkte aus Kautschuk und Gummi herstellte.
Geschichte
BearbeitenAls Ferdinand Kohlstadt und Marcus Breuer 1843 die Gummiwarenfabrik Ferd. Kohlstadt & Comp. in Köln gründeten, war diese Branche ein noch junger Industriezweig: Erst Anfang des 19. Jahrhunderts war eine erste Fabrik zur Herstellung elastischer Bänder in Paris eröffnet worden; in England wurde mit der Herstellung von Gummifäden ab etwa 1820 begonnen. Die erste deutsche Gummiwarenfabrik entstand 1829 in Finsterwalde. Zentren der neuen Branche waren Hamburg, Hannover, Thüringen und das Rheinland. In Köln dominierte später die 1862 gegründete Rheinische Gummiwarenfabrik von Franz Clouth in Nippes. Insgesamt gab es um die Mitte des 19. Jahrhunderts herum in Deutschland 36 Gummifabriken mit rund 1800 Beschäftigten.[1]
Der erste Standort der neu gegründeten Gummiwarenfabrik befand sich auf dem Eigelstein, Nr. 37 (neben dem damaligen Standort der Privatbrauerei Gaffel). Dort wurden anfangs Kautschukplatten in Fäden geschnitten, die zu gewebten Gummibändern und Hosenträgern verarbeitet wurden, ab 1848 vulkanisierte Gummifäden aus England. In der Londoner Industrieausstellung von 1851 wurden im Crystal Palace auch Hosenträger aus Köln gezeigt. 1857 entstand für die Eigenproduktion vulkanisierter Gummifäden in der Niehler Straße in Köln-Nippes eine neue Fabrikanlage. Hier wurden Gummiplatten in Vierkantfäden zerschnitten. 1858 waren dort 300 Arbeiterinnen beschäftigt.[1]
1864 zog das Unternehmen auf die rechte Rheinseite an die Deutz-Mülheimer Straße in Deutz um, neben die 1845 dort gegründete Waggonfabrik von Van der Zypen und Charlier. Man stellte die Herstellung elastischer Webwaren ein und konzentrierte sich stattdessen auf die Produktion von Gummifäden.[1] 1872 wurde das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und in Kölnische Gummifäden-Fabrik vorm. Kohlstadt & Comp. umbenannt. In den 1880er Jahren erlebte die Firma einen wirtschaftlichen Aufschwung.[1] 1888 wurde Deutz zu Köln eingemeindet.[2]
1908 wurde die Tochterfirma Paragummiwerk gegründet und in der Folge das Werk mit einer mehrgeschossigen Randbebauung von Otto Grah ergänzt. Das neue Werk produzierte Gummiwaren wie Operationshandschuhe, Badekappen, Schürzen, Lockenwickler, Babyflaschensauger Marke „Mutterglück“, gummierte Stoffe, aber auch Scherzartikel. In beiden Unternehmen arbeiteten rund 400 Beschäftigte.[1][3]
Wilhelm von Recklinghausen, von 1878 bis 1912 in leitender Funktion bei der Kölnischen Gummifäden-Fabrik tätig, engagierte sich in der Deutschen Kolonialgesellschaft, Abteilung Köln, als Schatzmeister.[4] Der Rohstoff Kautschuk stammte zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs vorrangig aus den deutschen Kolonien Kamerun, Togo und Deutsch-Ostafrika. Die dortige Produktion war von unfairen Handelspraktiken und Zwangsarbeit geprägt.[5]
In den 1920er Jahren stieg die Zahl der im Unternehmen Beschäftigten auf 700, hinzu kam ein großer Stab von Vertretern. Der Mitarbeiter und Ingenieur Max Draemannn († 1945) entwickelte rund 20 Patente[6][7][8], darunter ein Verfahren zur Herstellung gepresster Gummifäden in Massenproduktion: Statt der Schneidearbeit an festen Gummiplatten wurde flüssiges Gummi durch Düsen gedrückt. 1940 beteiligte sich die Kölnische Gummifäden-Fabrik gemeinsam mit anderen Unternehmen an der Gründung der Optimit-Gummiwerke in Odrau im Sudetenland, vormals Schne(c)k & Kohnberger.[9][10] Laut der Datenbank des Kölner NS-Dokumentationszentrums betrieb das Unternehmen im Jahr 1943 ein Lager mit 17 Zwangsarbeitern „russischer“ Nationalität.[11] Wegen schwerer Kriegsschäden wurde die Produktion 1943/44 weitgehend dorthin verlagert.[1]
Im Mai 1947 wurde die Produktion in Deutz wieder aufgenommen. An den Backsteinflügel von 1908 wurde ein bis zur Deutz-Mülheimer-Straße reichender Stahlbetonbau angefügt. In den 1950er Jahren erfolgte die vollständige Umstellung der Produktion auf Verfahren des inzwischen verstorbenen Ingenieurs Draemann („System Draemann“)[12], und die „Standard Gummiwerke Baumgarten“ in Köln-Ossendorf wurden übernommen. 1957 feierte das Unternehmen seinen 100. Geburtstag: Aus diesem Anlass verfasste das damalige Vorstandsmitglied Reinhold Rompf eine Festschrift. Gerühmt wurde Engagement und Zusammenhalt der „Betriebsgemeinschaft“,[13] die in Kriegszeiten als „Gefolgschaft“ bezeichnet worden war.[14] 1955 wurde das Gelände in Deutz-Nord, auf dem sich das Unternehmen befand, im Rahmen einer innerstädtischen Umstrukturierung dem Kölner Ortsteil Mülheim zugeschlagen.[15]
1962 hatte das Unternehmen 1300 Beschäftigte, aber zehn Jahre später ging die Kölnische Gummifäden-Fabrik in Köln-Deutz in Konkurs.[1] Die Gesellschaft sei offensichtlich „der Schere zwischen den hohen Arbeitskosten und den Importen erlegen“, schrieb das Branchenblatt Kautschuk und Gummi, Kunststoffe.[16] Rund 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verloren ihren Arbeitsplatz.
Auf dem Gelände wurde das Berufsbildungszentrum der Stadt Köln eingerichtet, 1984 übernahm die Klöckner-Humboldt-Deutz den Komplex, und nach 1995 etablierte sich in den Gebäuden das selbstverwaltete Künstler- und Gewerbeprojekt „Kunstwerk“.[1]
Baudenkmal
BearbeitenDer südliche Flügelbau des Fabrikgebäudes wurde am 4. März 2004 unter Denkmalschutz gestellt (Nr. 8652). Dieser Teil des Gebäudes wurde bis 1918 fertiggestellt. Als denkmalwert eingestuft wird nur der von Kriegsschäden weitgehend verschonte Ursprungsflügel der später erstellten Erweiterungsbauten.[1]
Literatur
Bearbeiten- Max Draemann: Der Gummifaden. In: Ernst A. Hauser (Hrsg.): Handbuch der gesamten Kautschuktechnologie. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Berlin 1935, S. 1209–1249.
- Reinhold Rompf: 1857–1957. Kölnische Gummifäden. Festschrift zur 100. Wiederkehr des 1. Juni 1857. Köln 1957.
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ a b c d e f g h i Walter Buschmann: Köln_Gummifädenfabrik Kohlstadt. In: rheinische-industriekultur.de. Abgerufen am 21. September 2024.
- ↑ Stadtteil Köln-Deutz | Objektansicht. In: Kuladig. Abgerufen am 6. November 2024.
- ↑ Kölnische Gummifäden-Fabrik vormals Ferd. Kohlstadt & Co. - Branchen - Benecke & Rehse. In: aktiensammler.de. Abgerufen am 9. Oktober 2024.
- ↑ Verzeichniss der Mitglieder am 1. Januar 1901. (PDF) In: Köln Postkolonial. Deutsche Kolonialgesellschaft, Abteilung Köln, 1. Januar 1901, abgerufen am 7. November 2024.
- ↑ Die dunkle Seite der Technik: Koloniale Materialien - Deutsches Museum. In: blog.deutsches-museum.de. 5. November 2020, abgerufen am 29. September 2024.
- ↑ M. Draemann: Process and Apparatus for the Productions of Rubber Filaments or Threads (PDF) auf patentimages.storage.googleapis.com, abgerufen am 30. September 2024 (englisch).
- ↑ US2294894A - Process and apparatus for making sharp-edged thereads, cords, ribbons or bands, profiled stripe, and so forth from plastic masses, artificial and natural dispersions and emulsions. In: patents.google.com. Abgerufen am 30. September 2024 (englisch).
- ↑ Google Patents. In: patents.google.com. Abgerufen am 30. September 2024 (englisch).
- ↑ Rompf, Kölnische Gummifäden, S. 16.
- ↑ Optimit Rubber & Textile Works, joint stock company, Odry - European Jewish Archives Portal. In: yerusha-search.eu. Abgerufen am 27. September 2024 (tschechisch).
- ↑ NS-Dokumentationszentrum Köln - Lager der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Kriegsgefangenen und der KZ-Häftlinge in Köln | Details. In: museenkoeln.de. Abgerufen am 9. Oktober 2024.
- ↑ Rompf, Kölnische Gummifäden, S. 21 ff.
- ↑ Rompf, Kölnische Gummifäden, S. 45 f.
- ↑ Kölnische Gummifäden-Fabrik, vorm. Ferd. Kohlstadt & Co. | ZBW Pressearchive. In: pm20.zbw.eu. Abgerufen am 29. September 2024.
- ↑ Dirk Riße: Stegerwaldsiedlung in Mülheim: Wohin ist Deutz-Nord verschwunden? In: ksta.de. 18. Mai 2015, abgerufen am 6. November 2024.
- ↑ Kautschuk und Gummi, Kunststoffe, Band 25, S. 191.
Koordinaten: 50° 56′ 53,8″ N, 6° 59′ 8,9″ O