Jórunn skáldmær

altnordische Skaldin

Jórunn skáldmær war eine altnordische Dichterin. Sie verfasste die Drápa Sendibítr.

Leben Bearbeiten

Es ist unbekannt, ob sie aus Norwegen oder Island stammte und wann genau sie lebte.[1] Aufgrund des Inhaltes ihrer Dichtung wird oft angenommen, dass sie zu Beginn des 10. Jahrhunderts in Norwegen lebte.

Ihr Beiname skáldmær bedeutet Skaldenmädchen und weist auf eine junge unverheiratete Frau hin; offenbar wurde sie schon in jungem Alter berühmt.[2] In den Skáldskaparmál ist sie die einzige weibliche unter 67 namentlich genannten Skalden.[3] Die Formulierungen ihres Gedichtes zeugen von einer gewissen Autorität; möglicherweise agierte sie – wie so viele Skalden – als Ratgeber eines Herrschers.[4] Unter den im Skáldatal aufgeführten Skalden aus dem Gefolge von Harald Schönhaar taucht sie jedoch nicht auf.[2]

Werk Bearbeiten

Ihr Gedicht Sendibítr (altnordisch für „beißende Botschaft“) ist das längste heute bekannte Skaldengedicht, das von einer Frau verfasst wurde.[5] Der Titel ist in der Heimskringla überliefert:

“Eptir þessi sǫgu orti Jórunn skáldmær nǫkkur erendi í Sendibít”

„Über diese Geschichte verfasste Jórunn skáldmær einige Verse im Sendibítr

Snorri Sturluson: Heimskringla[6]

Von ihrer Drápa sind drei helmingar (Halbstrophen) und zwei vollständige Strophen erhalten. Die Heimskringla und die meisten Handschriften der Óláfs saga helga und der Óláfs saga Tryggvasonar en mesta zitieren nur die zweite (Halb-)Strophe, während die Strophen 3 bis 5 nur in der fragmentarischen Handschrift AM 75 c fol. überliefert sind, die offenbar mehr von dem Gedicht enthielt. Die erste (Halb-)Strophe wird in der Snorra-Edda zitiert.[7]

“Bragningr réð í blóði
— beið herr konungs reiði —
— hús lutu opt fyr eisum —
óþjóðar slǫg rjóða.

Harald frák, Halfdan, spyrja
herðibrǫgð, en lǫgðis
sýnisk svartleitr reyni
sjá bragr, inn hárfagra.

Þvít ríkr konungr rekka,
reyr undlagar dreyra
morðs þás merkja þorðu
magnendr, bjósk at fagna.

Hvar vitu einka ǫrvir
ǫrveðrs frama gǫrvan
tinglrýrǫndum tungla
tveir jǫfrar veg meira,
an geðharðir gerðu
golls landrekar þollum
— upp angr of hófsk yngva —
óblinds fyr lof Sindra?

Hróðr vann hringa stríðir
Haralds framm kveðinn ramman;
Goðþormr hlaut af gæti
góð laun kveðins óðar.
Raunframra brá rimmu
runnr skjǫldunga gunnar;
áðr bjósk herr til hjǫrva
hreggs dǫglinga tveggja.”

„Der Herrscher rötete Waffen im Blut der schlechten Leute; das Heer erlitt den Ärger des Königs; Häuser stürzten oft durch Feuer ein.
Ich erfuhr, Hálfdan, dass Harald Schönhaar von (deinen) harten Taten hörte, und dieses Gedicht scheint dem Erprober des Schwertes (= Krieger) von dunklem Aussehen.
Weil der mächtige König der Krieger sich darauf vorbereitete, zu jubeln, als die Beschleuniger des Gemetzels (= Krieger) wagten, das Schilf der Wundensee (= Blut; die gesamte Kenning bedeutet Schwert) mit Blut zu beflecken.
Wo wissen zwei besonders mutige Herrscher von größerer Ehre, Ruhm des Pfeilsturms (= Kampf), den Zerstörern von Monden der Bugplanke (= Schilde; die gesamte Kenning bedeutet Krieger) gewährt, als störrische Landherrscher Tannen des Goldes (= Männer) gewährten wegen des Lobes des klarsehenden Sindri? Der Ärger der Gebieter wurde aufgehoben.
Der Feind der Ringe (= großzügiger Mann) trug mächtige Verse für Haraldr vor; Guthormr erhielt eine gute Belohnung für das vorgetragene Gedicht von dem Herrscher. Der Baum des Kampfes (= Krieger) beendete den Kampf zwischen den wahrlich erfolgreichen Herrschern; zuvor hatte sich das Heer von jedem der zwei Herrscher für einen Sturm der Schwerter (= Kampf) vorbereitet.“

Jórunn skáldmær: Sendibítr[8][9]

Die Verse handeln von der Beilegung eines Konfliktes zwischen König Harald Schönhaar und Hálfdan dem Schwarzen, seinem Sohn, durch die Intervention des Skalden Guthormr Sindri zu Beginn des 10. Jahrhunderts.[1] Hálfdan hatte ein Gehöft namens Sǫlvi am Fjord von Trondheim angegriffen und niedergebrannt; sein Bruder und Rivale Erik Blutaxt, der zuvor seinen Bruder Björn getötet hatte, um dessen Herrschaftsgebiet in Südnorwegen zu übernehmen, hatte in einem abseits gelegenen Gebäude übernachtet, entkam und berichtete seinem Vater, König Haraldr, von dem Angriff. Der erzürnte König zog eine Flotte gegen Hálfdan zusammen, der sich seinerseits auf Kampfhandlungen vorbereitete, doch der mit beiden befreundete Dichter Guthormr Sindri schlichtete den Konflikt. Hálfdan und Erik sagten zu, die ihnen ursprünglich zugestandenen Territorien zu behalten und nicht weiter ausdehnen zu wollen.[7][10]

Das Gedicht zeigt die Macht der Dichtung. Übersetzungen können die verblüffende Wirkung und die gezielte ironische Verwendung typischer Kenningar nicht adäquat wiedergeben.[11] Die letzte Zeile taucht auch in der Glymsdrápa des Þorbjörn hornklofi auf; möglicherweise kannten sich die beiden.[12]

Rezeption Bearbeiten

Jórunn skáldmær ist die Hauptfigur in der 2013 uraufgeführten schwedischen Oper Jorun orm i öga von Marie Samuelsson mit Libretto von Kerstin Ekman.[13][14]

Literatur Bearbeiten

  • Judith Jesch: Jórunn skáldmær. In: Diana Whaley (Hrsg.): Poetry from the Kings’ Sagas 1: From Mythical Times to c. 1035 (= Skaldic Poetry of the Scandinavian Middle Ages. Band 1). Brepols, Turnhout 2012, S. 142 (englisch, Skaldic Project).

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b Judith Jesch: Women in the Viking Age. Woodbridge 1991, S. 164 (englisch).
  2. a b Else Mundal: Jorunn Skaldmøy. In: Norsk biografisk leksikon. 2005, abgerufen am 22. September 2022 (norwegisch).
  3. Anthony Faulkes (Hrsg.): Snorri Sturluson: Edda. Skáldskaparmál. 1. Introduction, Text and Notes. Viking Society for Northern Research, London 1998, ISBN 0-903521-36-9, S. 103–104 (altnordisch, englisch, org.uk [PDF]).
  4. Inés García López: Representations of Women in Old Norse Literature: The Case of Áslaug Sigurðardóttir. In: Svmma. Nr. 17, 2021, S. 189 (englisch, ub.edu [PDF] Fußnote 12: „Jórunn skáldmær is the woman skald who seems to best embody the prototypical figure of a skald working at court as a councillor and poet.“).
  5. Zoe Borovsky: Never in Public: Women and Performance in Old Norse Literature. In: The Journal of American Folklore. Band 112, Nr. 443, 1999, S. 13, JSTOR:541400 (englisch).
  6. Haraldz saga ins hárfagra. In: Finnur Jónsson (Hrsg.): Heimskringla. Nóregs konunga sǫgur. G. E. C. Gads Forlag, Kopenhagen 1911, Kap. 24 (altnordisch, heimskringla.no).
  7. a b Judith Jesch: Jórunn skáldmær: Sendibítr. In: Diana Whaley (Hrsg.): Poetry from the Kings’ Sagas 1: From Mythical Times to c. 1035 (= Skaldic Poetry of the Scandinavian Middle Ages. Band 1). Brepols, Turnhout 2012, S. 143 (englisch, Skaldic Project: Intro).
  8. Judith Jesch: Jórunn skáldmær: Sendibítr. In: Diana Whaley (Hrsg.): Poetry from the Kings’ Sagas 1: From Mythical Times to c. 1035 (= Skaldic Poetry of the Scandinavian Middle Ages. Band 1). Brepols, Turnhout 2012, S. 143 (englisch, Skaldic Project: Text).
  9. Sandra Ballif Straubhaar: Old Norse Women's Poetry: The Voices of Female Skalds. D. S. Brewer, Cambridge 2011, S. 14–15 (englisch, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche – zeigt Übersetzungsalternativen).
  10. Sandra Ballif Straubhaar: Old Norse Women's Poetry: The Voices of Female Skalds. D. S. Brewer, Cambridge 2011, S. 13 (englisch, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  11. Judith Jesch: Women in the Viking Age. Woodbridge 1991, S. 165 (englisch).
  12. Sandra Ballif Straubhaar: Old Norse Women's Poetry: The Voices of Female Skalds. D. S. Brewer, Cambridge 2011, S. 13–14 (englisch, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  13. Ekman skapar opera för Vadstena-Akademien. In: Sveriges Radio. 6. Dezember 2012, abgerufen am 22. September 2022 (schwedisch).
  14. Spektra, TT: Kerstin Ekman tar upp en gammal kärlek. In: Svenska Dagbladet. 18. Juli 2013, abgerufen am 22. September 2022 (schwedisch).