Herrschereinladung

Herbeiholung oder das Herbeirufen eines Usurpators bzw.eines neuen Machthabers bei einer Thronvakanz

Als Herrschereinladung (invitatio) bezeichnet man die Herbeiholung oder das Herbeirufen eines Usurpators bzw. eines neuen Machthabers bei einer Thronvakanz.[1] Dieses Mittel zur Königserhebung wurde in Dynastien oder Gebieten genutzt, in welchen sich zum einem noch keine konkrete Nachfolgeregelung eines Machthabers gefestigt hatte. Zum anderem nutzten Adlige die Einladung an einen alternativen Herrscher, um damit ihre Kriktik am eigenen Machthaber zu verdeutlichen.

Dieses Instrument der Herrschaftseinsetzung scheint seinen Ursprung bei den germanisch geprägten Stämmen in der Spätantike zu haben. So berichtet beispielsweise Prokopios von Caesarea von einer Einladung der Heruler an einen im Norden lebenden Stammesgenossen, um diesen zum Machthaber zu ernennen und somit das Aussterben ihrer stirps regia zu verhindern.[2] Verbreitung fand es dann hauptsächlich in den germanisch geprägten Königreichen des Mittelalters. In Zentral- und Westeuropa lässt es sich vor allem im Frühmittelalter (Fränkisches Reich) fassen; in einigen skandinavischen Monarchien hielt es sich dagegen bis in das 15. Jahrhundert. Im Laufe des Mittelalters verlor die Herrschereinladung jedoch zunehmend an Bedeutung aufgrund von festgelegten Nachfolgeregelungen der Dynastien sowie einem Wandel des adligen Bewusstseins. Anstelle der invitatio trat nun die Königswahl vermehrt in den Vordergrund.[3]

In den zeitgenössischen Quellen wird oftmals das Nomen invitatio verwendet. Einige Historiographen nutzen jedoch auch andere Wörter wie vocare, conventus oder venire. In manchen Quellen lässt sich eine Herrschereinladung zusätzlich durch bestimmte Kriterien erkennen. Dazu zählt die Unzufriedenheit mit dem aktuellen Machthaber und ein Zusammenschluss zwischen weltlichen und geistlichen Großen, um einen potentiellen neuen Herrscher zur Übernahme des Reiches einzuladen.

Ablauf einer Herrschereinladung

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Herrschereinladungen lassen sich in Briefen, historiographischen und hagiographischen Quellen finden. Auslöser für eine solche invitatio war zumeist Unzufriedenheit mit dem amtieren Machthaber. Laut den Quellen resultierte die Unzufriedenheit aus der Regierungsunfähigkeit oder der Tyrannei des Herrschers.[4] Die invitatio erfolgte im Geheimen, um den vom Umsturz bedrohten Machthaber nicht zu warnen. Eine Gruppe, in der Regel bestehend aus geistlicher sowie weltlicher Oberschicht, schloss sich zusammen und ließ durch Boten einen alternativen Herrscher zur Machtübernahme einladen. Man versicherte diesem zahlreiche Unterstützer. Der eingeladene Herrscher musste häufig im Gegenzug Versprechungen abgeben, welche zum Vorteil der Einlader diente. Andererseits konnte sich ebenfalls der eigentliche Machthaber mit Versprechungen darum bemühen, die illoyalen Gefolgsleute wieder auf seine Seite zu ziehen.[5]

Beispiele aus dem Frühmittelalter

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Für das frühe Mittelalter lassen sich vor allem zur Zeit der Merowinger, Karolinger und noch vereinzelt bei den ottonischen Herrschern invitationes finden. Der langsame Wandel, fort von der invitatio und hin zur Königswahl, lässt sich mit einem gesteigerten Selbstbewusstsein des Adels sowie der verstärkten konsensualen Herrschaftsausübung erklären.[6]

Innerhalb der merowingischen Quellen finden sich zahlreiche Beispiele für die Herrschaftseinladung. Gregor von Tours berichtet beispielsweise von dem Usurpator Gundowald, der von einigen Großen eingeladen wurde, gewisse Gebiete von Guntram I. einzunehmen. Chlodwig I. dagegen überlistete bisher loyale Gefolgsleute Ragnachars und ermutigte sie, ihn als neuen Herrscher einzuladen, um somit ihren aktuellen Machthaber zu stürzen. Nach Konrad Bund handelte es sich bei diesen Einladungsakten um ein Gewohnheitsrecht, was allerdings mit dem Gehorsams- und Treueanspruch in Konflikt geriet.[7] Eine invitatio erhielten zur merowingischen Zeit nur Personen, die mit der Herrscherfamilie verwandt waren oder dies behaupteten. Zudem spielte es eine Rolle, inwieweit sie über Vermögen verfügten. Ab dem Jahr 613 bis 830 lassen sich im fränkischen Raum keine invitationes mehr finden. Ein Grund dafür könnte die gesteigerte Macht der Großen, allen voran der Hausmeier, sein.

Die karolingischen Quellen erwähnen ebenfalls zahlreiche Beispiele für invitationes. So wird beispielsweise der Thronsturz des ostfränkischen Königs Karl III. mit einer vorher erfolgten Einladung an Arnolf von Kärnten begründet.[8] Ludwig der Deutsche wurde mehrere Male in das Reich seines Bruders, Karls des Kahlen, eingeladen, um diesen zu stürzen. Häufiger werden die invitationes nun zusammen mit einer Begründung erwähnt. So wird dem aktuellen Machthaber entweder Regierungsunfähigkeit aufgrund von Krankheit vorgeworfen oder ein tyrannischer Regierungsstil. Anders als bei den Merowingern erhielten ab dem Ende des 9. Jahrhunderts nun auch Personen eine invitatio, die bisher nicht in direkter Linie mit dem Herrschaftshaus verwandt waren, wie zum Beispiel Wido von Spoleto.[9]

Zur Zeit der ottonischen Herrscher lassen sich innerhalb der zeitgenössischen Quellen nur noch wenige invitationes finden. Als Begründung dient oftmals der konsensuale Regierungsstil der Ottonen sowie das Erstarken des Adels. Hauptsächlich sind es Einladungen von italienischen Großen, die um Beistand bitten. Beispielsweise wurde Otto I. zweimal eingeladen, um die Bevölkerung von der tyrannischen Herrschaft Berengars II. und dessen Sohn zu befreien.[10]

Für die frühmittelalterlichen skandinavischen Herrscher lässt sich als Beispiel die Einladung an Håkon I. (Norwegen) nennen. Dieser wurde aus England nach Norwegen eingeladen, um seinem Halbbruder Erik I. (Norwegen) die Macht zu entreißen. Als Begründung diente erneut der tyrannische Regierungsstil Eriks I.[11]

Literatur

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  • Konrad Bund: Thronsturz und Herrscherabsetzung im Frühmittelalter (= Bonner historische Forschungen. Band 44). Röhrscheid, Bonn 1979, ISBN 3-7928-0417-4.
  • Erich Hoffmann: Die Einladung des Königs bei den skandinavischen Völkern im Mittelalter. In: Mediaeval Scandinavia. Band 8 (1975), S. 100–139.
  • Reinhard Schneider: Königswahl und Königserhebung im Frühmittelalter. Untersuchungen zur Herrschaftsnachfolge bei den Langobarden und Merowingern (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters. Band 3). Hiersemann, Stuttgart 1972, ISBN 3-7772-7203-5.
  • Patricia Tesch-Mertens: Invitatio sine electio? Die Einladung zum Herrschen im Frühmittelalter. Dissertation, Ruhr-Universität Bochum 2023, DOI:10.13154/294-11072.

Einzelnachweise

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  1. Erich Hoffmann: Die Einladung des Königs bei den skandinavischen Völkern im Mittelalter. In: Mediaeval Scandinavia. Band 8 (1975), S. 100–139, hier S. 100.
  2. Prokop, Gotenkriege, 2,15.
  3. Erich Hoffmann: Die Einladung des Königs bei den skandinavischen Völkern im Mittelalter. In: Mediaeval Scandinavia. Band 8 (1975), S. 100–139, hier S. 103; Patricia Tesch-Mertens: Invitatio sine electio? Die Einladung zum Herrschen im Frühmittelalter. Dissertation, Ruhr-Universität Bochum 2023, doi:10.13154/294-11072, S. 13–15.
  4. Jürgen Miethke: Gehorsam und Widerstand, Herrschaft und Freiheit in mittelalterlicher Politiktheorie. In: Tobias Frese, Annette Hoffmann (Hrsg.): Habitus: Norm und Transgression in Bild und Text. Festgabe für Lieselotte E. Saurma-Jeltsch. Akademie-Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-05-005094-2, S. 131–150, hier S. 137.
  5. So zum Beispiel bei Karl dem Kahlen, vgl. Peter Classen: Die Verträge von Verdun und von Coulaines 843 als politische Grundlagen des westfränkischen Reiches. In: Derselbe u. a. (Hrsg.): Ausgewählte Aufsätze von Peter Classen (= Vorträge und Forschungen. Band 28). Thorbecke, Sigmaringen 1983, S. 249–277, hier S. 262–264.
  6. Patricia Tesch-Mertens: Invitatio sine electio? Die Einladung zum Herrschen im Frühmittelalter. Dissertation, Ruhr-Universität Bochum 2023, doi:10.13154/294-11072, S. 246–249.
  7. Konrad Bund: Thronsturz und Herrscherabsetzung im Frühmittelalter. Röhrscheid, Bonn 1979, ISBN 3-7928-0417-4, S. 329–331.
  8. Annales Fuldenses sive Annales regni Francorum orientalis, ed. Friedrich Kurze (MGH SS rer. Germ. Band 7). Hahn, Hannover 1891, hier anno 887 S. 115.
  9. Regino von Prüm, Chronik, ed. Friedrich Kurze (MGH SS rer. Germ. Band 50). Hahn, Hannover 1890, S. 1–153, hier anno 888 S. 129f.
  10. Liutprand von Cremona, Historia Ottonis, ed. Georg Heinrich Pertz (MGH SS. Band 3). Hahn, Hannover 1839, S. 340–346, hier c. 8 S. 342 und c. 14 S. 344.
  11. Saga of Hákon the Good. In: Lee M. Hollander [Hg.]: Snorri Sturluson: Heimskringla. History of the Kings of Norway. Translated with Introduction and Notes by Lee M. Hollander. Austin: University of Texas Press, 2007, cap. 4, S. 98f.