Als gesetzliche Lizenz bezeichnet man im Urheberrecht eine Befugnis zur Nutzung eines geschützten Werkes, die von Gesetzes wegen gewährt wird, für die der Urheber bzw. Rechteinhaber aber vergütet werden muss.[1] Die gesetzliche Lizenz wird im deutschsprachigen Schrifttum üblicherweise von der urheberrechtlichen Zwangslizenz abgegrenzt, bei welcher vor der Nutzung die Einwilligung des Urhebers bzw. Rechteinhabers eingeholt werden muss. Die Terminologie ist international allerdings uneinheitlich.[2]

Einordnung und Rechtfertigung

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Das Urheberrecht als ausschließliches, gegen jedermann wirkendes absolutes Recht verleiht dem Urheber genuin die Befugnis, frei darüber zu bestimmen, ob, wie und unter welchen Bedingungen ein anderer sein Werk nutzen darf.[3] Ungeachtet dessen, ob man die moralische Rechtfertigung des Urheberrechtsschutzes eher in personalistischen oder utilitaristischen Erwägungen sehen will,[4] ist jedoch in allen Urheberrechtsordnungen der Welt anerkannt, dass dieser Rechtsposition auch Grenzen gesetzt werden müssen, um sie mit verschiedensten kulturellen, sozialen, technologischen, ökonomischen und politischen Bedürfnissen in Einklang zu bringen.[5] Ein solcher Ausgleich erfolgt neben Beschränkungen des urheberrechtlichen Schutzgegenstandes insbesondere durch Schrankenregelungen, wie beispielsweise der Freiheit der Privatkopie. Der Gesetzgeber nimmt hierbei bestimmte Nutzungshandlungen von der Verfügungsmacht des Urheber aus. Diese Nutzungsbefugnis wird wiederum in einigen Fällen vergütungsfrei erteilt, in anderen Fällen hält der Gesetzgeber mit Blick auf den erforderlichen Interessenausgleich eine Vergütung des Urheber für erforderlich.[6] Solcherlei vergütungspflichtige Nutzungsfreistellungen bezeichnet man als gesetzliche Lizenzen.

Situation in Deutschland

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Stellung und Rechtsfolgen

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Im Katalog der im deutschen Urheberrechtsgesetz (UrhG) gewährten Schrankenbestimmungen ist die gesetzliche Lizenz neben der vollständigen Ausnahme vom Urheberrechtsschutz die vorherrschende Form der Nutzungsfreistellung.[7] Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass der Gesetzgeber an eine tatsächliche, objektive Nutzungshandlung die Rechtsfolge eines gesetzlichen Schuldverhältnisses knüpft; die Nutzungshandlung stellt dabei also einen so genannten Realakt dar, das heißt das Schuldverhältnis entsteht unabhängig davon, ob diese Rechtsfolge vom Nutzer gewollt ist oder nicht.[7] (Ausnahmsweise entsteht das Schuldverhältnis bei der Vervielfältigung zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch nach § 53 UrhG wohl bereits vorgelagert mit dem Inverkehrbringen der zur Vervielfältigung geeigneten Geräte bzw. Leermedien.[8])

Der Hauptinhalt dieses Schuldverhältnisses ist der Vergütungsanspruch zwischen dem Nutzer (bzw., im Fall von § 53, dem Geräter- bzw. Leermedienhersteller) und dem Urheber bzw. Rechteinhaber; daneben bestehen als Nebenpflichten zum Teil auch Auskunfts- und Benachrichtigungansprüche gegen den Nutzer. So kann beispielsweise der Urheber von Geräte- und Leermedienherstellern Auskunft über Art und Stückzahl der von ihnen veräußerten oder anderweitig in Verkehr gebrachten Geräte und Speichermedien verlangen (§ 54f Abs. 1 UrhG); dadurch wird es dem Urheber- bzw. Rechteinhaber erst ermöglicht, seine Vergütungsforderungen zu stellen. Bei der ebenfalls einer gesetzlichen Lizenz unterliegenden Werkvervielfältigung im Rahmen von Sammlungen für den religiösen Gebrauch (§ 46) muss der Nutzer sogar vor Vornahme der Nutzungshandlung dem Urheber bzw. hilfsweise dem Rechteinhaber seine Absicht zur Nutzung „durch eingeschriebenen Brief“ mitteilen und darf erst zwei Wochen nach dessen Absendung mit der Nutzung beginnen (§ 46 Abs. 3 Satz 1 UrhG). Mit dieser Mitteilungspflicht wird insbesondere bezweckt, den Urheber in die Lage zu versetzen, gegebenenfalls von seinem Verbotsrecht wegen gewandelter Überzeugung aus § 46 Abs. 5 UrhG Gebrauch machen zu können.[9]

Das Verhältnis zwischen der gesetzlichen Lizenz und der (vertraglichen) Lizenz als solcher ist in der Literatur vereinzelt umstritten. Teilweise wird insbesondere hinsichtlich § 53 UrhG angenommen, durch gesetzliche Lizenzen würden gleich den vertraglichen Lizenzen, aber eben auf gesetzlichem Wege, Nutzungsrechte eingeräumt. Das gesetzliche Schuldverhältnis wäre dann zweiseitig: Auf der einen Seite bestünde ein Nutzungsanspruch des Nutzers, auf der anderen Seite – als Gegenleistung – die besagten Vergütungsansprüche samt Nebenpflichten gegen den Nutzer. Die vorherrschende Meinung sieht in der gesetzlichen Lizenz demgegenüber ein einseitig verpflichtendes gesetzliches Schuldverhältnis; das Ausschließlichkeitsrecht des Urhebers wird durch den Gesetzgeber beschränkt und dem Nutzer bzw. (im Fall von § 53 UrhG) einem Dritten werden einseitig Pflichten auferlegt, ohne dass diese selbst im Gegenzug einen Nutzungsanspruch erwürben.[10]

Einzelfälle

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Als gesetzliche Lizenzen sind im UrhG namentlich folgende Schranken ausgestaltet (Stand: August 2018):[11]

  • Die Freistellung zugunsten behinderter Menschen (§ 45a UrhG), für die nach § 45a Abs. 2 Satz 1 UrhG eine „angemessene Vergütung“ zu zahlen ist. Der Vergütungsanspruch kann nur durch eine Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden (§ 45a Abs. 2 Satz 2 UrhG).
  • Die Freistellung von Sammlungen für den religiösen Gebrauch (§ 46 UrhG), für die nach § 46 Abs. 4 UrhG eine „angemessene Vergütung“ zu zahlen ist.
  • Die Freistellung von Aufnahmen von Schulfunksendungen, die am Ende des Schuljahres nicht gelöscht werden (§ 47 Abs. 2 UrhG), für die nach § 47 Abs. 2 Satz 2 UrhG eine „angemessene Vergütung“ zu zahlen ist.
  • Die Freistellung des Nachdrucks und der öffentlichen Wiedergabe einzelner Rundfunkkommentare und Artikel (§ 49 Abs. 1 UrhG), für die nach § 49 Abs. 1 Satz 2 UrhG eine „angemessene Vergütung“ zu zahlen ist. Der Vergütungsanspruch kann nur durch eine Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden (§ 49 Abs. 1 Satz 3 UrhG).
  • Die Freistellung bestimmter Formen der öffentlichen Wiedergabe veröffentlichter bzw. erschienener Werke (§ 52 UrhG), für die nach §§ 52 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 UrhG grundsätzlich eine „angemessene Vergütung“ zu zahlen ist.
  • Die Freistellung der Vervielfältigung zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch (§ 53 UrhG), für die nach §§ 54 ff. UrhG die Hersteller, Importeure und Großbetreiber von Geräten und von Speichermedien, deren Typ allein oder in Verbindung mit anderen Geräten, Speichermedien oder Zubehör zur Vornahme solcher Vervielfältigungen benutzt wird, grundsätzlich eine „angemessene Vergütung“ zu zahlen haben. Der Vergütungsanspruch kann nur durch eine Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden.
  • Die Freistellung zur Veranschaulichung des Unterrichts und der Lehre an Bildungseinrichtungen zu nicht kommerziellen Zwecken (§ 60a UrhG), mit denselben Vergütungsfolgen wie bei der Vervielfältigung zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch (siehe überstehend) nebst einem zusätzlichen verwertungsgesellschaftspflichtigen Anspruch auf angemessene Vergütung (§ 60h UrhG).
  • Die Freistellung zur Aufnahme kleiner Teile von veröffentlichten Werken in Unterrichts- und Lehrmedien (§ 60b UrhG), mit denselben Vergütungsfolgen wie bei der Vervielfältigung zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch (siehe überstehend) nebst einem zusätzlichen verwertungsgesellschaftspflichtigen Anspruch auf angemessene Vergütung (§ 60h UrhG).
  • Die Freistellung zur Nutzung kleiner Teile von Werken zur nicht kommerziellen wissenschaftlichen Forschung (§ 60c UrhG), mit denselben Vergütungsfolgen wie bei der Vervielfältigung zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch (siehe überstehend) nebst einem zusätzlichen verwertungsgesellschaftspflichtigen Anspruch auf angemessene Vergütung (§ 60h UrhG).
  • Die Freistellung bestimmter Nutzungen im Kontext der automatisierten Nutzung (Text und Data Mining) im Rahmen der wissenschaftlichen Forschung (§ 60d UrhG), mit denselben Vergütungsfolgen wie bei der Vervielfältigung zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch (siehe überstehend) nebst einem zusätzlichen verwertungsgesellschaftspflichtigen Anspruch auf angemessene Vergütung (§ 60h UrhG).
  • Die Freistellung bestimmter Nutzungen durch öffentlich zugängliche Bibliotheken und öffentlich zugängliche Archive, Museen und Bildungseinrichtungen (§§ 60e, 60f UrhG), mit denselben Vergütungsfolgen wie bei der Vervielfältigung zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch (siehe überstehend) nebst einem zusätzlichen verwertungsgesellschaftspflichtigen Anspruch auf angemessene Vergütung (§ 60h UrhG).
  • Die Freistellung bestimmter Nutzungen durch öffentlich zugängliche Bibliotheken (§ 60e UrhG), mit denselben Vergütungsfolgen wie bei der Vervielfältigung zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch (siehe überstehend) nebst einem zusätzlichen verwertungsgesellschaftspflichtigen Anspruch auf angemessene Vergütung (§ 60h UrhG).
  • Die Freistellung der Vervielfältigung und der öffentlichen Zugänglichmachung bestimmter verwaister Werke (§§ 61 ff.), die einem Rechteinhaber, der erst nach Beginn der privilegierten Nutzung in Erscheinung tritt, einen Anspruch auf angemessene Vergütung gewährt (§ 61b Abs. 2 UrhG)

Literatur

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  • Friedrich-Karl Beier: Ausschließlichkeit, gesetzliche Lizenzen und Zwangslizenzen im Patent- und Musterrecht. In: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Band 100, Nr. 3/4, 1998, S. 185–195.

Anmerkungen

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  1. Vgl. Dreier in Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 6. Aufl. 2018, Vor §§ 44a–63a Rn. 11; Melichar in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, Vor §§ 44a ff. Rn. 23; Schunke in Artur-Axel Wandtke (Hrsg.), Urheberrecht, 5. Aufl., De Gruyter, Berlin 2016, ISBN 978-3-11-040123-3, S. 274 f.; zur Schweiz: Barrelet/Egloff, Das neue Urheberrecht, 3. Aufl. 2008, Art. 19 Rn. 2; Cherpillod in von Büren/David, Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (SIWR II/1), 3. Aufl. 2014, Rn. 740; zu Österreich: Walter, Österreichisches Urheberrecht, 2008, Rn. 1412; Dillenz/Gutmann, Kommentar zum UrhG & VerwGesG, 2. Aufl. 2004, Vor §§ 41 ff Rn. 11; zur DDR: Püschel in Heinz Püschel (Hrsg.), Urheberrecht, 2. Aufl., Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1986, S. 52.
  2. Vgl. Reto M. Hilty, Urheberrecht, Stämpfli, Bern 2011, ISBN 978-3-7272-8660-5, Rn. 212. Sterling, World Copyright Law, 3. Aufl. 2008, § 32.03 differenziert etwa zwischen der Zwangslizenz (compulsory license) im weiteren Sinne (“statutorily granted licence to do an act covered by an exclusive right, without the prior authority of the rightowner”) und der Zwangslizenz im engeren Sinne (“a licence granted on application to the authority, court, tribunal, etc. specified in the law”), die er von der gesetzlichen Lizenz (statutory licence) (“effective by the mere fulfilment of the statutory conditions, without the necessity of prior application to an authority”) abgrenzt. Ähnlich wie hier für die gesetzliche Lizenz Paul Goldstein und Bernt Hugenholtz, International Copyright, 3. Aufl., Oxford University Press, New York 2013, ISBN 978-0-19-979429-4, S. 372 (“compensated limitation”).
  3. Vgl. Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 8. Aufl. 2017, Rn. 4.
  4. Dazu im Detail Malte Stieper, Rechtfertigung, Rechtsnatur und Disponibilität der Schranken des Urheberrechts, Mohr Siebeck, Tübingen 2009, ISBN 978-3-16-150177-7, Teil 1.
  5. Vgl. Paul Goldstein und Bernt Hugenholtz, International Copyright, 3. Aufl., Oxford University Press, New York 2013, ISBN 978-0-19-979429-4, S. 372; Malte Stieper, Rechtfertigung, Rechtsnatur und Disponibilität der Schranken des Urheberrechts, Mohr Siebeck, Tübingen 2009, ISBN 978-3-16-150177-7, S. 9 ff., 96.
  6. Zu dieser Systematik der urheberrechtlichen Beschränkungen vgl. Ricketson/Ginsburg, International Copyright and Neighboring Rights, Bd. 1, 2. Aufl. 2005, § 13.01.
  7. a b Vgl. Melichar/Stieper in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 5. Aufl. 2017, Vor §§ 44a ff. Rn. 10.
  8. Vgl. Loewenheim in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 5. Aufl. 2017, § 54 Rn. 16; Dreier in Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 6. Aufl. 2018, § 54 Rn. 11; Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel, Urheberrechtsgesetz, 3. Aufl. 2013, § 54 Rn. 25. So mehr oder minder ausdrücklich noch §§ 54 Abs. 1, 54a Abs. 1 Satz 1 a.F. vom 1. August 1994 (neugefasst mit Wirkung zum 1. Januar 2008, BGBl. 2007 I S. 2513), vgl. BGH, Urteil vom 29. November 1984, I ZR 96/83 = GRUR 1985, 280, 282 – Herstellerbegriff II.
  9. Vgl. Melichar in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 5. Aufl. 2017, § 46 Rn. 23; Dreier in Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 6. Aufl. 2018, § 46 Rn. 16; Loewenheim in Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl. 2010, § 31 Rn. 199.
  10. Zu dieser Streitfrage vgl. im Einzelnen Malte Stieper, Rechtfertigung, Rechtsnatur und Disponibilität der Schranken des Urheberrechts, Mohr Siebeck, Tübingen 2009, ISBN 978-3-16-150177-7, S. 139 ff.
  11. Vgl. Dreier in Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 6. Aufl. 2018, Vor §§ 44a–63a Rn. 14.