Fracht 200 (russisch Груз 200 Grus 200, englisch Cargo 200) ist ein militärisches Codewort, das für den Transport gefallener Soldaten verwendet wird. Die Bezeichnung stammt aus der Sowjetunion.

Wortherkunft Bearbeiten

Der Begriff stammt aus der Zeit des Afghanistan-Krieges.[1] Aufgrund der steigenden Opferzahlen war die sowjetische Militärführung gezwungen, Vorbereitungen für die Rückführung der Gefallenen zu treffen. Die Überführung der sterblichen Überreste der Soldaten in ihre Heimatorte sollte so schnell wie möglich erfolgen – der Transport per Bahn war in Afghanistan allerdings unmöglich und der Transport per Straße sehr zeitraubend und gefährlich. Aus diesem Grund wurden die Leichen in verschweißten Zinksärgen mit Hilfe von Transportflugzeugen aus den schwer zugänglichen Kampfgebieten ausgeflogen.[2][3]

 
Eine Antonow An-12 Cub („Schwarze Tulpe“)

Gemäß mehrerer Quellen geht der Code auf den Befehl Nr. 200 des Verteidigungsministers der UdSSR vom 8. Oktober 1984 zurück, in dem die genannte Vorgehensweise festgelegt wurde.[4] Anderen Quellen zufolge stand die Zahl 200 für das durchschnittliche Gewicht der Luftfracht samt Zinksarg und Transportkiste.[5][3] Am häufigsten wurden für diesen Zweck Transportflugzeuge vom Typ Antonow An-12 verwendet. Bei den Truppen bekam die An-12 aufgrund ihres Ladegutes den Spitznamen Schwarze Tulpe (чёрный тюльпан tschorny tjulpan).[3]

Heutiger Gebrauch Bearbeiten

Der Begriff wird auch nach der Auflösung der Sowjetunion genutzt, wie z. B. in der Ukraine seit 2014. Dort wurden Transportfahrzeuge, die gefallenen Soldaten aus dem Schlachtfeld abholten mit den Worten Груз 200 (also Fracht 200) beschrieben. Die Verwendung des Codes wurde kurz nach der russischen Invasion auf ukrainischer Seite verboten.[2][6]

Ähnliche militärisch genutzte Codewörter Bearbeiten

Neben „Cargo 200“ wurden weitere numerische Codes verwendet, um die Art der beförderten Fracht zu spezifizieren.[4][3]

Cargo 100 Transport von Munition
Cargo 300 Transport von Verwundeten in Hospitale
Cargo 400 Transport leicht Verwundeter bzw. traumatisierter Soldaten und Kriegsgefangener
Cargo 500 Transport von Medikamenten
Cargo 600 Transport großer Fracht
Cargo 700 Transport von Geld, Aktien, Anleihen, Gutscheinen und anderen Wertpapieren
Cargo 800 Transport von chemischen und phytotoxischen Waffen, giftigen Substanzen,

Massenvernichtungswaffen und chemischen Kampfstoffen aller Art

Rezeption Bearbeiten

 
Tscheljabinsk, Mahnmal Schwarze Tulpe

Der russische Sänger und Texter Alexander Rosenbaum besuchte während des Afghanistan-Krieges mehrfach sowjetische Armeeangehörige. Neben seiner Aufgabe der Truppenunterhaltung begleitete er auch Soldaten durch das Kampfgebiet. Dabei half er eines Tages beim Beladen eines Transportflugzeuges mit Kisten der Aufschrift Fracht 200. Diese Begebenheit bewegte Rosenbaum tief; die Erfahrung verarbeitete er im Chanson Tschorny Tjulpan.[7] Der russische Regisseur Alexei Balabanow schuf im Jahr 2007 den Film Grus 200, der in der Endphase der Sowjetunion spielt.[8]

Der russische Söldneranführer Jewgeni Prigoschin, unter dem in der Schlacht um Bachmut nach Angaben seiner Söldnerorganisation Gruppe Wagner 22.000 Söldner verstarben,[9] verwendete den Spruch Fracht 200 – wir bleiben zusammen (Груз 200 – мы вместе) als Patch auf seiner Uniform.[10][11]

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Ukraine invasion: Why the phrase 'Cargo 200' ignites terror among the mothers of Russian soldiers. Sky News, 1. März 2022, abgerufen am 29. April 2023 (englisch).
  2. a b Juri Konkewitsch: Getötete Soldaten in der Ukraine: „Unsere Toten sind keine Statistik“. In: Die Tageszeitung: taz. 30. Januar 2023, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 29. Juli 2023]).
  3. a b c d Груз 200: что это такое, почему так называется и каким еще бывает груз в армейской терминологии?. nokta.md, 22. März 2022, abgerufen am 29. April 2023 (russisch).
  4. a b Alexander Kharaluzhny: The origin of the terms "cargo 200", "cargo 300" and others: facts and versions. 14. August 2020, abgerufen am 30. Juli 2023 (englisch).
  5. 'Cargo 200': Ukraine's grim search for its fallen. Radio France Internationale, 22. Oktober 2022, abgerufen am 29. April 2023 (englisch).
  6. Christian Weise: Fracht 200 - nicht identifiziert - Ukraine-Nachrichten. 18. Dezember 2014, abgerufen am 29. Juli 2023.
  7. Александр Розенбаум «Черный тюльпан»: самая непатриотичная баллада о войне. Soundtimes.ru, abgerufen am 29. April 2023 (russisch).
  8. Guilt of the Public, Aleksei Balabanov’s Cargo 200 (Gruz 200, 2007). East European Film Bulletin, 6. Juni 2011, abgerufen am 29. April 2023 (englisch).
  9. Thore Schröder: Kampf um Bachmut: Die Schlacht, die nicht endet. In: Der Spiegel. 17. August 2023, ISSN 2195-1349 (Kampf um Bachmut: Die Schlacht, die nicht endet (Memento vom 18. August 2023 im Webarchiv archive.today) [abgerufen am 25. August 2023]).
  10. Christian Esch: Jewgenij Prigoschin: Als RA-02795 steil vom Himmel fiel. In: Der Spiegel. 24. August 2023, ISSN 2195-1349 (Jewgenij Prigoschin: Als RA-02795 steil vom Himmel fiel (Memento vom 24. August 2023 im Webarchiv archive.today) [abgerufen am 25. August 2023]).
  11. Christian Esch, Christina Hebel, Alexander Chernyshev, Fedir Petrov, Alexander Sarovic, Christoph Reuter, Fritz Schaap, Andrey Kaganskikh: (S+) Putin-Vertrauter Jewgenij Prigoschin: Vorschlaghammer mit Smiley. In: Der Spiegel. 12. Mai 2023, ISSN 2195-1349 ((S+) Putin-Vertrauter Jewgenij Prigoschin: Vorschlaghammer mit Smiley (Memento vom 12. Mai 2023 im Webarchiv archive.today) [abgerufen am 25. August 2023]).