Flüchtung

Verlagerung wertvoller Dinge zum Schutz vor Kriegseinwirkung

Flüchtung ist die Verlagerung von Archiv-, Bibliotheks-, Sammlungs- und Museumsgut an einen sicheren Ort, um diese Bestände vor Kriegseinwirkung und -folgen zu schützen. Der Begriff ist ein Fachausdruck des Kulturgutschutzes und gehört zur Bestandserhaltung. Auch auf Geld, Schmuck und andere wertvolle Mobilien wurde er angewandt.

Herkunft und Verwendung Bearbeiten

Grammatisch ist Flüchtung eine Substantivierung des transitiven Verbs „flüchten“ und bildet Sätze wie „Die Akten waren bei der Flüchtung also in Unordnung geraten“.[1] Bereits im 17. Jahrhundert war der Begriff in Gebrauch. „Zum andern hatte man also durch Hinaus-Bringung und Flüchtung der Waaren aus der Stadt selbige (...) denen Franzosen preiß gegeben“, heißt es in einer Chronik von 1687.[2]

Im Deutschen Wörterbuch (DWB) der Brüder Grimm ist der Eintrag Flüchtung lediglich als „salus fuga petita“ erklärt, dem in der Flucht gesuchten Heil.[3] Die Autorin Angela Steidele hält das DWB für das „einzige() Lexikon, das den Begriff führt“.[4] Allerdings ist Flüchtung auch Stichwort in Sprachwörterbüchern.[5]

Der Begriff konnte sich ferner auf Personen beziehen. „Dann, nach Flüchtung des Königs, wurde alles mit todten Leichnamen erfüllet“, ließ Franz III. Nádasdy 1664 in einer Vita König Bélas IV. von Ungarn formulieren.[6] Der Archivar Matthias Herrmann schrieb 2003 über ein Nebenlager des KZ Buchenwald: „Bei seiner Flüchtung kam es zu Erschießungen nicht mehr transportfähiger Frauen.“[7]

Sicherungsmethode Bearbeiten

Um Kulturgut vor Luftangriffen zu schützen, wurde es in Deutschland im Zweiten Weltkrieg oft in Kali- und Salzbergwerken mit ihren großen, trockenen Kavernen untergebracht. Die „Flüchtung des Archivguts an weniger exponierte oder besonders gesicherte Orte“ galt als „klassische Methode der Archivaliensicherung“, heißt es in einem Tagungsband zur Bestandserhaltung.[8] Eingeschränkt wurde diese Methode durch Schäden, die durch die Flüchtung selbst an den Beständen entstehen konnten, durch unvollständige Flüchtung wegen der schieren Menge schützenswerten Schriftgutes sowie durch unzulängliche Auswahlkriterien. Als Alternativen zur Flüchtung von Archivalien vor Kriegseinwirkungen galten die äußerliche Kennzeichnung von Archiven als zu respektierende Einrichtungen, die brandgeschützte Unterbringung von Archivalien im Archivgebäude sowie die Sicherungsverfilmung des Schriftgutes.[9] In letzter Zeit ist die Digitalisierung hinzugekommen.[10]

Beispiele Bearbeiten

Zu den Einrichtungen, deren kriegsbedingte Auslagerungen in der Literatur als Flüchtungen bezeichnet werden, gehörten (mit Jahr und Anlass):

Siehe auch Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Christhard Schrenk, Hubert Weckbach: Die Vergangenheit für die Zukunft bewahren. Das Stadtarchiv Heilbronn. Geschichte – Aufgaben – Bestände. Heilbronn 1993, S. 21, Digitalisat 2013, S. 13
  2. Wolfgang Brauser: Der hurtige Briefsteller, Nürnberg 1687, S. 343, Digitalisat
  3. Deutsches Wörterbuch, Band 3, Leipzig 1862, Sp. 1836, Digitalisat
  4. Angela Steidele: In Männerkleidern. Das verwegene Leben der Catharina Margaretha Linck alias Anastasius Lagrantinus Rosenstengel, hingerichtet 1721. Köln, Weimar, Wien 2004, S. 189
  5. z. B. in Christoph Ernst Steinbach: Vollständiges Deutsches Wörter-Buch Vel Lexicon Germanico-Latinum, Breslau 1734, S. 464, Digitalisat
  6. Franz (Ferenc) Nádasdy: Mausoleum potentissimorum ac gloriosissimorum regni apostolici regum et primorum militantis Ungariae ducum, Nürnberg 1664, S. 220, Digitalisat
  7. Matthias Herrmann: Blauer Rauch über dem Herrental. Zur Geschichte des Nebenlagers Kamenz des KZ Gross-Rosen, Kamenz 2003, S. 62
  8. Hartmut Weber: Bestandserhaltung. Herausforderung und Chancen. Stuttgart 1997, S. 302
  9. Dietrich Höroldt: Berichte der Fachgruppen über ihre Arbeitssitzungen auf dem 57. Deutschen Archivtag. Fachgruppe 2: Archivare an Stadtarchiven und Archiven sonstiger Gebietskörperschaften. In: Der Archivar Band 39, 1986, Sp. 63, Digitalisat. – Reimund Haas: Entwicklung, Wandel und Zukunft der Kirchenarchive im Ruhrgebiet. In: Aus evangelischen Archiven, Nr. 47, 2007, S. 147, Anm. 58, Digitalisat
  10. Hans Ernst Hanten: Bundesarchive, Kultur und Medien. In: Verein für Medieninformation und Mediendokumentation (Hrsg.): Fokus Medienarchiv. Reden, Realitäten, Visionen 1999 bis 2009, Berlin 2010, S. 142, Digitalisat
  11. Franz-Georg Kaltwasser: Von München nach Burghausen. Die Flüchtung der Münchener Hofbibliothek vor den Schweden 1632. In: Literatur in Bayern, Band 63, 2001, S. 14–30
  12. Walter Pillich: Die Flüchtung der Schatzkammer, des Archivs und der Hofbibliothek aus Wien im Jahre 1683. In: Mitteilungen des österreichischen Staatsarchivs, Band 10, 1957, S. 136–147
  13. Lothar Braun: Domdekan Philipp Lothar Joseph Freiherr von Kerpen und die Flüchtung des Heiligen Rockes von Trier nach Bamberg. In: Bericht, Band 143, 2007, S. 309–338
  14. Gerhard Techter: Die Flüchtung der Reichskleinodien nach Regensburg 1796. In: Nürnberg – Kaiser und Reich. Ausstellung des Staatsarchivs Nürnberg, 20. September – 31. Oktober 1986, Neustadt an der Aisch 1986, S. 95–98. – Albert Bühler: Die Flüchtung der Nürnberger Reichskleinodien 1796 und ihre Reklamierungen nach deutschen Quellen, Karlsruhe 1955
  15. Franz Georg Kaltwasser: Die Bibliothek als Museum. Von der Renaissance bis heute, dargestellt am Beispiel der Bayerischen Staatsbibliothek, Wiesbaden 1999, S. 182, Digitalisat
  16. Bernhard Koch: Die Flüchtung des Wiener Hauptmünzamtes im Jahr 1866. In: Numismatische Zeitschrift, Band 89, 1974, S. 61–63
  17. Ulrich Pfeil: Über Archivraub und historische Deutungsmacht. Ein anderer Einblick in die deutsche Besatzungspolitik in Frankreich. In Francia, Band 33/3, 2006, S. 163–194, hier S. 178
  18. Als Überblick Josef Henke: Das Schicksal deutscher zeitgeschichtlicher Quellen in Kriegs- und Nachkriegszeit. Beschlagnahme – Rückführung – Verbleib. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Band 30, 1982, S. 557–567, hier S. 560 ff. Digitalisat