Evangelische Kirche Orsoy

Kirchengebäude in Rheinberg

Die denkmalgeschützte evangelische Kirche Orsoy ist eines der bedeutendsten Bauwerke der Backsteingotik am Niederrhein. Die dreischiffige, spätgotische Stufenhallenkirche befindet sich im Zentrum von Orsoy, einem Stadtteil von Rheinberg im Kreis Wesel. Neben ihrer Funktion als evangelische Gottesdienststätte ist das Gebäude das kulturelle Zentrum des Ortes. Hier finden neben dem Gottesdienst auch Lesungen und Konzerte statt. Die Kirchengemeinde gehört zum Kirchenkreis Moers der Evangelischen Kirche im Rheinland.

Evangelische Kirche Orsoy

Basisdaten
Konfession Evangelisch und Römisch-Katholisch
Ort Orsoy, Deutschland
kirchliche Verwaltungseinheit Kirchenkreis Moers
Landeskirche Evangelische Kirche im Rheinland
Koordinaten 51° 31′ 25″ N, 6° 41′ 16″ OKoordinaten: 51° 31′ 25″ N, 6° 41′ 16″ O
Glocken der evangelischen Kirche Orsoy

Geschichte Bearbeiten

Das heutige Kirchenbauwerk geht auf einen Vorgängerbau aus dem 12. Jahrhundert zurück, den die Grafen von Kleve als Eigenkirche für die Angehörigen von deren Grundherrschaft in Orsoy erbauen ließen. Erstmals urkundlich erwähnt wird das Gotteshaus 1223/25 als Filialkirche der Gemeinde Rheinberg. Vor der Reformation stand sie unter dem Patrozinium des heiligen Nikolaus.

Der Großteil der schriftlichen Zeugnisse zur Geschichte der ev. Kirche Orsoy wurde bei den zahlreichen Kriegen und Bränden, die Orsoy erlebt hat, vernichtet. Gerade die Kirchenbücher aus der Zeit vor der Reformation wurden bei einem Schadfeuer am 5. Mai 1587 vernichtet, als italienische Besatzungssoldaten unter anderem auch das Kirchenarchiv in Brand setzten.

 
Springbrunnen auf dem Kirchplatz

Erster bezeugter reformierter Prediger in Orsoy war Bernhard Benrad, nach anderer Lesart auch B. von Rad, der 1547 von Herzog Wilhelm V. von Kleve eingesetzt wurde. Orsoy ist somit eine der ältesten reformierten Gemeinden am Niederrhein. 1564 wurde Benrad vertrieben und ging nach Sonsbeck, wo er erneut vertrieben wurde, als er versuchte, Heiligenbilder aus der dortigen Kirche zu entfernen.[1] Benrad folgten nacheinander die katholischen Pastoren Burchard Stier von Issel und Rudolf Frankomala (Frankenmüller) im Amt. 1580 fand die reformierte Gemeinde von Orsoy Anschluss an den Weseler Konvent. Sechs Jahre später, 1586, verbot ein Erlass von Johann Wilhelm die Ausübung der reformierten Glaubensrichtung. In der Folge kam es zu einem häufigen Wechsel von Priestern beider Konfessionen. Unter niederländischer Besetzung 1632 wurde die ehemals katholische St.-Nikolaus-Kirche letztlich reformiert. Die katholische Gemeinde erhielt 1673 die Orsoyer Gasthauskapelle zugewiesen und erfuhr 1683 die offizielle Neugründung. In den Jahren 1843 bis 1848/50 wurde nördlich der evangelischen Kirche eine neue katholische Pfarrkirche im neugotischen Stil erbaut, die bis zu ihrer Profanierung im Oktober 2023 das Patrozinium weiterführte.

Baugeschichte Bearbeiten

 
Blick in den Innenraum der Kirche
 
Grundriss der Evangelischen Kirche Orsoy

Errichtet wurde die breitgelagerte Backsteinkirche in der Mitte des 15. Jahrhunderts. Der 5/8 Chor ist mit drei Spitzbogenfenstern ausgestattet. Dem überhöhten Mittelschiff ist ein dreigeschossiger Westturm vorgesetzt, der eine Gesamthöhe von 36 Meter aufweist. Bei dem Schadfeuer von 1587 wurde die Kirche stark beschädigt. Nach notdürftigen Ausbesserungen 1605 wurde im Jahre 1611 ein Notbau für die Verrichtung des Gottesdienstes errichtet. 1638 konnten das Dach und der Westturm wiederhergestellt werden. 1755 wurde die Kirche umfassend umgebaut. Aufgrund der steten Hochwassergefährdung wurde der Innenraum immer wieder angehoben. Zuletzt erfolgte eine solche Anhebung 1855 um etwa 65 cm als Angleichung an das ebenfalls angehobene Straßenniveau. Insgesamt kann das ursprüngliche Bodenniveau etwa 1,50 Meter unterhalb des heutigen Kirchenfußbodens angenommen werden. 1855/56 fanden Umbauten am Westturm statt. Gleichzeitig wurde die Westwand mit einer Maßwerkgalerie und mit Eckfialen ausgestattet.

An den Innenwänden der Turmhalle weisen Hochwassermarken auf die Überschwemmungskatastrophen vom 15. Februar 1565 und 28. Februar 1687 hin.

Die älteste niederfränkische Inschrift an der Südseite lautet:

 
Hochwassermarke von 1565.
Inschrift Übersetzung[2]
1565 DEN 15. FEBRUAR STUNT HIER AAN DE RYN

DURCH STVCKONGH ISFFARRONGH WATERSGEFEAR

GESCHA T’ORSOY SCHADE GROT YNDE SWAER

DES ÖRE NABVREN OP DEN RYN GESETEN

BEWEINEN MOEGEN VNDE NYTH VERGETEN

Am 15. Februar 1565 stand hier der Rhein an.

Durch Stockung, Eisgang, Wassergefahr

Geschah zu Orsoy Schaden groß und schwer

Was ihre Nachkommen am Rheine wohnend

Beweinen mögen und nicht vergessen.

Ihr gegenüber an der Nordwand ist eine rechteckige Tafel aus Sandstein angebracht, die eine ebenfalls niederfränkische Inschrift von 1687 trägt:

Inschrift Übersetzung[3]
1687 DEN 28. FEBRUARY:

DER RHYN MET EYS BEDECKT,

EEN VLOER VOR PAARD EN WAAGEN,

STAAKT ZYNEN LOOP, EN STAAT

VAST ALS EEN MUR, VOEL DAGEN.

MAAR DOOR EEN ZOETE LUCHT

OUTLAATEN, BREEKT ZYN DEXEL,

EN RUCKT MET KRAAK OP KRAAK

VORBY, GEEFT BREUK EN LETZEL

AAN D’WERKEN DEEZER STADT

AAN DYK EN DAM EN VELDEN

TOT HIERAN GINK ZYN VLOET,

MEN MACH’T AAN KINDSKIND MELDEN.

28. Februar 1687

Der Rhein, mit Eis bedeckt,

Geflurt für Roß und Wagen,

Hemmt seinen Lauf und steht,

Gleich Mauern fest, viele Tage;

Jedoch ein milder West

Erreicht des Stromes Decken,

Und krachend wälzt sich fort

Der Rhein in seinem Becken.

Und läßt an Feldern nur,

An Mauern und an Dämmen

Die seine Wogen schwemmen,

Zurück des Unglücks Spur

Es schlugen seine Fluten

Bis hier an diesen Stein.

Daß man’s den Enkeln melde

Grub man’s auf Ewig ein.

Auf einer dritten Tafel an der Nordwand der Turmhalle sind die Wasserstände vom 1. und 2. März 1855, 30. Januar bis 21. Februar 1799 und zuunterst 29. Februar 1784 markiert.

Eine Besonderheit der Ev. Kirche Orsoy sind die 233 Erbgrüfte unter dem Kirchenboden, welche zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert von Orsoyer Familien belegt wurden. Seit der Sanierung von 1755 waren die Grüfte nicht mehr zugänglich und sind heute nicht mehr sichtbar. Ein Plan von 1774 gibt jedoch detailliert über die Belegung der Gräber Auskunft.[4]

Sanierung und Archäologie Bearbeiten

 
Sich teilweise überschneidende Grablegen vor der Südostecke der Kirche während der Ausgrabungen im Sommer 2010
 
Grablege auf der Südseite während der Ausgrabungen, Sommer 2010

Im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, wurde die Kirche bis 1952 wiederhergestellt. Aufgrund zunehmender Feuchtigkeit wurde das Gebäude 1958/60 und 1977 nochmals renoviert. Derzeit wird eine umfassende Sanierung unter der Leitung des Weseler Dombaumeisters und Architekten Wolfgang G. Deurer vorbereitet.[5]

In diesem Zusammenhang werden unter anderem Fundamente der Kirche freigeschachtet. Auf der Nordseite und der Südseite der Kirche sowie östlich der Apsis konnte dabei ein Teil des im 17. Jahrhundert aufgelassenen Kirchfriedhofes mit insgesamt rund 100 Grabstätten freigelegt werden. Dabei wurde auch ein Grabstein gefunden, der in das Jahr 1661 datiert wird. Der Stein trägt die Inschrift „M. GOTTERT • BARCKHAUS • CATTREINA • SEIN • HAUS • FRAW“. Der Stein wird nach dem Ende der Sanierungsarbeiten in der Kirche ausgestellt werden.

Ausstattung Bearbeiten

Mit den Restaurierungsarbeiten in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde auch die Innenausstattung neu eingerichtet. Nach der Renovierung von 1958/60 erhielt die evangelische Kirche sechs neue Fenster des niederländischen Glasmalers Henk Schilling.

Kanzel Bearbeiten

 
Kanzel aus der Mitte des 16. Jahrhunderts

Die evangelische Kirche Orsoy beherbergt eine der ältesten evangelischen Kanzeln am Niederrhein. Das hölzerne Kunstwerk ist am ersten nördlichen Pfeiler angebracht und stammt aus dem Jahr 1555, der Zeit von Pastor Benrad. Sie ist eine Stiftung des Orsoyer Schöffen Dietrich von Hausen und zeigt ein Dekor aus derben Schnitzereien im Stil der Renaissance. Die vier Reliefbilder am Kanzelkorb zeigen eine Kreuzigungsszene, das Abendmahl, Opferung Isaaks und die Erhöhung der ehernen Schlange nach Mose.[6] Symbolträchtig ausgestaltet ist auch die Kanzeltüre, die die Jahreszahl 1556 trägt. Hier wurde, in Anlehnung an eine wittenbergische Flugschrift, das Motiv „Jesus im Schafstall“ aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 10 1,2, gewählt.[7] In der Interpretation steigen Mönche über das Dach des Stalls, auf dem obenauf der Papst thront, während Jesus Christus vor der Türe bleibt. Hier spiegeln sich die Auseinandersetzungen der Reformationszeit und offene Kritik am Papsttum wider. Die Mönche suchen ihren Weg ins Paradies über die kirchliche Macht, aber ohne Einbeziehung Jesu Christi. Im Jahr 1855 wurde die Kanzel restauriert. Der Sockel der Kanzel trägt in gotischer Schrift die Inschrift: ich stelt an godt.

Seit Mitte Februar 2016 befindet sich der restaurierte Passionsaltar zunächst übergangsweise als Leihgabe in der Kirche, in der er sich bis 1638 befand, weil sich derzeit in der St.-Nikolaus-Kirche deutliche Baumängel und Feuchtigkeitsschäden gezeigt haben, deren Sanierung zwei bis fünf Jahre dauern sollte.[8] Seitdem durch die katholische Pfarrgemeinde in Rheinberg entschieden worden ist, dass die St.-Nikolaus-Kirche dauerhaft aufgegeben werden soll und nachdem diese 2023 profaniert worden ist, soll der Passionsaltar nun dauerhaft in der nun ökumenisch verwendeten Kirche verbleiben.

siehe: Passionsaltar von Orsoy

Orgel Bearbeiten

 
Orgel von 1680

Der Orgelprospekt des Orgelbauers Peter Weidtman (1647–1715) aus Ratingen wurde im Jahr 1680 installiert. 1855 erhielt die Orgel eine Erweiterung auf 18 Register. Der ursprüngliche Holzprospekt ist bis heute erhalten.[9]

I Rückpositiv C–

1. Musiziergedackt 8′
2. Flöten-Praestant 4′
3. Trichterflöte 2′
4. Klein-Scharff IV 12
5. Vox humana 8′
II Hauptwerk C–
6. Principal 8′
7. Hohlpfeife 8′
8. Octave 4′
9. Spillpfeife 2′
10. Sesquialtera II 223′ + 135
11. Mixtur IV 113
12. Trompete 8′
Pedalwerk C–
13. Subbaß 16′
14. Offenbaß 8′
15. Octavbaß 4′
16. Hohlschelle II
17. Posaune lieblich 16′

Glocken Bearbeiten

 
Hauptglocke von 1663.

Das Geläut besteht aus fünf Glocken, die nach dem ChoralWachet auf, ruft uns die Stimme“ in D′ FIS′ GIS′ A′ H′ gestimmt wurden. Drei Glocken stammen aus den Jahren 1663, 1638 und 1781. Zwei weitere wurden 1969 nachgegossen. Die Hauptglocke von 1663 wiegt ca. 1300 kg und trägt die Inschrift:

JOHAN MAURITS FÜRST ZU NASSAU STATTHALTER. ALEXANDER FREIHERR VON LANDDROST UND DROST ZU ORSOY. PETER ERKENSWICK BUERGERMEISTER, THOMAS THERSTEGEN SCHEFFEN, FRANCISCUS SCRIVERCUS KIRCHMEISTER, CHRISTIAN TEW RICHTER
FRIEDRICH WILHELM CHURFÜRST. LOVISE D’ORANGE.
GLAVDILA MIRAL (?) VON BONN GOSS MICH ANNO 1663.

Die Inschrift der zweiten Glocke lautet:

Psalm 150. WESSELL VON LOH BURGEM. ANTON VAN BEDBER KM. 1638.

Die dritte Glocke trägt die schlichte Herstellergravur:

HENRICUS PETIT ME FECIT 1781

Denkmalschutz Bearbeiten

Der Bereich der Kirche ist ein Bodendenkmal nach dem Gesetz zum Schutz und zur Pflege der Denkmäler im Lande Nordrhein-Westfalen (Denkmalschutzgesetz – DSchG).[10] Nachforschungen und gezieltes Sammeln von Funden sind genehmigungspflichtig. Zufallsfunde sind an die Denkmalbehörden zu melden. Die Evangelische Kirche Orsoys wurde am 25. Juni 1984 unter der Nummer 36 in die Liste der Baudenkmäler in Rheinberg eingetragen.

Literatur Bearbeiten

  • Jürgen Buschmann: Die Orgel der evangelischen Stadtkirche Dinslaken. In: Heimatkalender des Kreises Wesel. (1989), S. 166–169.
  • Paul Clemen: Die Kunstdenkmäler des Kreises Moers. Düsseldorf 1892, S. 43f.
  • Georg Dehio, Ernst Gall: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Nordrhein-Westfalen, I. Rheinland. Deutscher Kunstverlag, München 1967, S. 533f.
  • Dieter Hupka, Dirk Herdemerten: Einfach tiefer gelegt – Untersuchungen in der evangelischen Kirche von Orsoy. In: Jürgen Kunow: Archäologie im Rheinland 2013. Köln 2014, ISBN 978-3-8062-2986-8, S. 220–222.
  • Dieter Kastner: Rheinischer Städteatlas Lfg. IX. Nr 51. Orsoy. R. Habelt 1989, ISBN 3-7927-1048-X, S. 12.
  • Dieter Kastner, Gerhard Köhnen: Orsoy. Geschichte einer kleinen Stadt. Braun, Duisburg 1981, ISBN 3-87096-160-0, S. 217–220.
  • Otto Ottsen: Alt-Orsoy. Beiträge zur Geschichte der Stadt und des Amtes (der Drostei) Orsoy. Steiger, Moers 1980, ISBN 3-921564-16-6 (Repr. d. Aus. Orsoy 1934), S. 55ff.
  • Gottfried B. Mertens: Geschichte der Stadt Orsoy und ihrer Umgebung nebst geschichtlichen Urkunden. Wallmann, Leipzig 1921.
  • Emil Stein: Geschichtliches über die evangelisch-reformierte Gemeinde Orsoy. Spaarmann, Moers 1893. (Digitalisat)
  • Johann Heinrich Schürmann: Altes und Neues aus Orsoy. Selbstverlag, Orsoy 1849.

Weblinks Bearbeiten

Commons: Evangelische Kirche Orsoy – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Stein 1893, S. 9.
  2. Stein 1893, S. 8.
  3. Stein 1893, S. 8.
  4. Ottsen 1980, S. 70.
  5. Sanierungskonzept von Prof. Deurer (Memento des Originals vom 11. Februar 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.historisches-orsoy.de (PDF; 2,01 MB)
  6. 4. Mose 21, 4-9
  7. Joh. 10,1,2: 1 Amen, amen, das sage ich euch: Wer in den Schafstall nicht durch die Tür hineingeht, sondern anderswo einsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. 2 Wer aber durch die Tür hineingeht, ist der Hirt der Schafe.
  8. rp-online.de; Passionsaltar bald bei den Protestanten; 23. Dezember 2015 von Uwe Plien
  9. Geschichte der Orgel (Memento des Originals vom 22. Dezember 2010 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.kirche-orsoy.de
  10. Gesetz zum Schutz und zur Pflege der Denkmäler im Lande Nordrhein-Westfalen (Denkmalschutzgesetz – DSchG)