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Eine Kostprobe

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Geführte Hände

Mein Freund, der wackere Schulmeister Dominik Fluor, hat mich in seine Schulstube mitgenommen. Es ist ein verschlafener Winternachmittag, grau die Berge und schwer die Luft. Es will ein Wetterlein kommen, mein ich.

Die Griffel klappern. Die Kleinen haben Schreibstunde. Es sind junge, kleine Bauernfäustchen, die die Griffel halten. Ängstlich und hart halten sie das dünne Schieferstielchen. Sie schreiben mit ernsten Mienen, Linie um Linie wird vollgemalt, das geht nur so "auf, ab, auf, ab, rund herum und jetzt ein schönes Schwänzlein dran -"

Man sieht es ordentlich an diesen Gesichtern, wie ernst ihnen diese Kunst vorkommt. Aber schwer ist sie, ganz gewaltig schwer! Wenn nur der Griffel nicht wäre! Aber immer will der nach der verkehrten Seite, auch wenn man es recht gemeint hat. Da gibt es dann ein «a» mit einem eingedrückten Bauch, und das "s" bekommt immer einen spitzen Buckel auf dem Rücken. Und so hart sind die Griffel, es pfeift nur so, wenn man sie ein wenig recht in die Hand nimmt...

Der wackere Lehrer nimmt eines nach dem andern dran. Er setzt sich neben jedes eine Weile hin. "Der Griffel ist schlecht, Herr Lehrer!" sagt der kleine Nott. "O nein", sagt mein Freund ruhig und sehr gütig, "deine Hand ist zu scharf und ungeschickt, Nott."

Schon sitzt er neben ihm. Sein schneeweißer Scheitel leuchtet so rein neben dem schwarzen, krausen Kinderkopf. Und ruhig, ruhig und ganz sicher führt er mit seiner Hand die Kinderhand und den Griffel, es hat alles gut Platz darin. "Eins - zwei -" es geht ganz sacht und der Griffel darf nicht mehr pfeifen und leicht und sicher muß nun alles gleiten. Die Knabenhand bekommt ordentlich Vertrauen. ---

Ich denke an mein Leben und daß darin so manche Zeile schief steht. Es wird mir diese Kunst so schwer. Ich denke an mein Leben und daß darin so viel eingedrückt ist, was rund und voll sein sollte. Ich weiß gar nicht, warum mein Griffel keine Bogen zustande bringt und alles stets so eckig wird. Es muß am Griffel liegen, denn ich sehe den Bogen ganz deutlich, den ich machen möchte, - und doch nicht kann.

Ich denke an mein Leben und wie ich schwer und ungeschickt getan. Ich denke an die sichere Hand, die so gütig nachhilft, und an zwei Augen, die sorgen und sinnen, daß mir nicht gar alles mißraten darf.

Aus: Religiöse Miniaturen, Weltliche Andachten, Heilbronn 1917, 1919, 1935

--Hermann Thomas 14:47, 9. Apr 2006 (CEST)