Diskussion:St-Pierre (Chauvigny)

Letzter Kommentar: vor 13 Jahren von 84.58.39.201 in Abschnitt GOFRIDUS ME FECIT Künstlersignatur

Die seltsamen Attiken auf den Traufgesimsen Bearbeiten

Hallo Romanik - Experten,

die im oberen bereich nach innen abgeschrägten Aufmauerungen auf den Kraggesimsen des Chores bzw. der Chorkapellen erscheinen mir nicht ein Bauelement der Romanik zu sein. In der Romanik üblich waren hier auf den Gesimsen aufgelagerte offen sichtbare Traufen der Holzdachstühle mit geschuppten Eindeckungen, von denen das Regenwasser ohne Rinne abtropfte. Mir kommen die vorhandenen steinernen Attiken als eine nachträgliche "Renovierung", etwa von Paul Abadie & Co. vor. Kann mir da jemand mit einer fachkundige Auskunft behilflich sein  ?

Grüße Jochen (Autor des Artikels und der beigefügten Fotos, ohne die Texte zu den Kapitellen) ca. Mitte Nov. 07


Hallo Jochen, Ich habe mir die ungewöhnlichen attikaähnlichen Aufbauten auf Saint Pierre nochmal angesehen. Sie stammen m.E. definitiv nicht aus der Romanik Gründe: 1. Das Mauerwerk scheint mir - selbst nur in Kenntnis der Fotos – aus einer späteren Zeit zu stammen. 2. Es dürfte kaum vergleichbare Architekturelemente aus der Romanik geben, mir sind keine bekannt. 3.. waren alle Bauteile in der romanischen Kunst sog. Bedeutungsträger, und was sollten die mannshohen (?) Brüstungen im Weltbild mittelalterlicher Baumeister und Auftraggeber bedeuten? ( Kirchenbau als Symbol eines himmlischen Jerusalem ist ja per definitionem vom Feind uneinnehmbar.)

Aus dem 19. Jh, der Zeit der Restaurierung, dürften sie auch nicht stammen, da dieses Jh mit seinem Hang zu eklektizistischem Dekor die Chance nicht ausgelassen hätte, sich hier auszutoben.

Könnte es nicht sein, dass es sich hier um Aufmauerungen aus der Zeit der Religionskriege handelt? Im 16/17. Jh. - Festungsbau etc. - könnte ich mir solche massigen Brüstungen schon vorstellen, die sicher zu Beobachtungen und für Heckenschützen bestens geeignet waren, zumal sie offenbar gut über Auslässe im Mauerwerk zugänglich zu sein scheinen. Das kann man sehr schön auf dem Bild mit Blick von oben sehen, wo es überall eine Maueröffnung gibt, die übrigen Fenster aber in Blindfester sind .

Auf jeden Fall wirken sie auf dem Bau wie Fremdkörper, der Mühe der Aufmauerung hat man sich sicher nicht ohne triftigen Grund unterzogen, und militärische Zwecke waren schon immer eine gute Begründung. Um hier Klarheit zu bekommen müßte man aber aufs Dach steigen und das Mauerwerk untersuchen..

Ansonsten herzliche Grüße, Gregor Bert (03.07.08)


Hallo Gregor,

danke für Deine Deutung der Ursprünge der Attikaaufmauerungen. Ich erlaube mir, sie als eine von mehreren Möglichkeiten einzustufen. Auch ich bin überzeugt davon, dass sie nicht romanischen Ursprungs sind und wie Fremdkörper aussehen.

Zunächst zu einigen Details Deines Schriftsatzes:

1. „Attikaähnliche Aufbauten“ : Im Kleinen Wörterbuch der Architektur von Reclam wird der Begriff Attika beschrieben: „Attika (griech.-lat.) Brüstungsartige Aufmauerung über dem Abschlussgesims eines Bauwerks; oft als niedriges Obergeschoss (A.-Geschoss) ausgebildet“. In der Baustilkunde von Wilfried Koch heißt es dazu: „..niedrige Wand über dem Hauptgesims eines Gebäudes, mit der das Dach verdeckt werden soll, oft mit Figuren bekrönt ...“.

Nach diesen Formulierungen sind die Aufmauerungen über den Traufgesimsen von Saint-Pierre eindeutig echte Attiken und nicht attikaähnliche Aufbauten.

2. „mannshohe Brüstungen“ : Die Attiken, ab Oberkante der Traufgesimse, die von skulptierten Kragsteinen unterstützt werden, sind geschätzt maximal einen Meter hoch. Innenseitig schließen unmittelbar an. die Regenrinne (wie sieht sie aus?) und die aufsteigende Dachkonstruktion. Ein möglicher Verteidiger konnte sich dann nur in kriechender oder liegender Haltung hinter ihr schützen.

Du kannst die Attikahöhe besonders gut an der Westfassade einschätzen, und zwar an der südlichen Bauwerksecke und dort ganz oben (bitte zoomen). Ich gehe davon aus, dass die Fassade bis einschließlich der Ortgänge (schräge Giebeloberkanten) gänzlich romanisch ist. Etwa einen Meter unter dem Knick, bei dem die senkrechten Wandecke in die schräge Ortgangkante übergeht endet das auskragende Traufgesims der Südwand und wird noch ein gutes Stück um die Ecke herum auf die Fassade geführt, wo es den Strebepfeiler abschließt. Du siehst dort die Seite eines Wasserspeiers, der auf dem Traufgesims aufliegt. In Höhe des o.g. Knicks beginnt dann auf der Fassade ein neues Gesims mit Kragsteinskulptur, ohne jegliche konstruktive Aufgabe, welches beim nächsten Pfeiler endet. Die Attikaaufmauerung steht unmittelbar auf dem Traufgesims, bündig mit der darunter befindlichen Oberfläche der Südwand, und reicht dann um ca. einen Meter senkrecht aufwärts, bis zum o.g. Knickpunkt.

Eine vergleichbare Situation zeigt das Bild „Ecke südlicher Querhausarm“, auf dem man den Giebel des Querhausarms (links) und die gegen ihn stoßende Attika (rechts) gleichzeitig sehen kann. Auch dort schätze ich die Attikahöhe auf maximal einen Meter. Hier fällt mir allerdings auf, dass der Mauerwerksverband der Giebelwand ohne Zäsur um die Ecke herum in den der Attika übergeht, genau wie bei den darunter befindlichen Wänden. Wenn diese Attika nachträglich aufgemauert wäre, müsste zwischen der Giebelwand und der anstoßenden Attika eine senkrechte Fuge zu sehen sein. Es sei denn, man hätte sich die Mühe gemacht, den Verband nachträglich durch Herausstemmen jedes zweiten Ecksteins um die Ecke zu führen. Das hätte man vermutlich bei einer Nachrüstung verteidigungstechnischer Bauteile nicht gemacht.

3. Zugänge zu den Dachflächen über „Auslässe im Mauerwerk“: Den einzig möglichen auf den Fotos sichtbaren Zugang zu einer der Dachflächen erkenne ich auf dem Bild vom Donjon aus, rechts über der nördlichen Umgangskapelle. Dort werden heute dicke Elektrokabel durchgeführt. Die andern Öffnungen, die du meinst, sind drei sehr kleine Fensteröffnungen in der Chorapsis. Schaut man von innen sich die Chorapsis an (sh. Bild „Umgangschor“), so befinden sich diese Fenster hoch oben in der Wölbung der Kalotte über der Apsis, und sind vom Kirchenboden aus so gut wie nicht erreichbar.

Das schließt aber nicht aus, dass es noch andere auf den Bildern nicht sichtbare Zugänge zu den Dachflächen gibt, bzw. gegeben hat. Auf das nördlich Querhausdach kommt man möglicherweise über den Treppenturm, der zur Glockenstube im Turm führt. Wahrscheinlich gibt es von ihm auch Zugänge zu einigen Dachhohlräumen oberhalb der Wölbungen. Bei romanischen Wehrkirchen (z.B. St-Amand-de-Coly ) gab es in diesen Dachräumen ein Verbindungsnetz von Laufstegen und Treppen, die zu allen Dachrändern führten. Im Verteidigungsfall wäre es ein Leichtes, die „Dachhaut“ von innen zu durchstoßen und dort hinaus zu klettern.. Es gab vielleicht auch zu öffnende Luken in den Dachflächen. Man muss wohl auch davon ausgehen, dass die Erbauer der Kirchen alleine schon zur Wartung der Dächer Zugänge nach dorthin schaffen mussten.

Zusammenfassend möchte ich nicht ausschließen, dass die Attiken zu Verteidigungszwecken nachträglich errichtet wurden, ist aber wegen der um die Ecke geführten Mauerwerksverbände möglicherweise unwahrscheinlich.

Für mich bleibt unverständlich , warum es zu den wirklich fremdartig und seltsam anmutenden Attiken keine Quellenaussagen geben soll (?). Das müsste bei Romanik-Experten bzw. Archäologen schon längst Beachtung gefunden haben. Besonders extrem sehen für mich die im oberen Drittel oder gar in der oberen Hälfte nach innen abgeschrägten Attiken der Chorapsis, des Chorumgangs und der Umgangkapellen aus. Die Abschrägungen sehen auf den ersten Blick nach innen gekrümmt aus. Der im Grundriss halbkreisförmig gebogene Verlauf der Attiken lassen, von unter gesehen, den Eindruck erwecken, als ob die Abschrägungen gekrümmt seien. Das ist aber nicht so. Eine optische Täuschung!

Herzliche Grüße, bis auf weiteres. Jochen Jahnke (04.07.08)


Hallo Gregor,

in Sachen Attiken von St.-Pierre von Chavigny habe ich einen Aufriss des Langhauses entdeckt (Thorsten Droste, das Poitou, 1984 DuMont Buchverlag, Köln. durchgesehene und aktualisierte Auflage 1988, Seite 66) , der noch keine Attika- Aufmauerungen zeigt. Die Abbildung trägt den Titel "Chauvigny, Querschnitt durch die romanisch Kirche St.-Pierre (nach Dehio und Bezold). Ich habe diese Zeichnung jetzt umgewandelt in eine Handskizze, in der ich die Attikaaufmauerungen eingezeichnet habe, so wie ich sie mir vorstelle (sh. Artikel). Wenn Dehio und Bezold diese Attiken gekannt hätten, hätten sie diese in ihrer Darstellung aufgenommen. Man müsste also herausbekommen, wann die Zeichnung von Dehio und Bezold entstanden ist.

Herzliche Grüße Jochen (19.07.08)

Nachtrag zu Dehio und Bezold: Die Bilder aus dem DUMont Kunstreiseführer stammen möglicherweise aus dem fünfbändigen Werk Die kirchliche Baukunst des Abendlandes von Georg Dehio (1850-1932) und Gustav von Bezold (1848-1934). Herausgegeben vom Verlag der Cotta'schen Buchhandlung 1887 -1901. Demnach könnten die Attiken von Saint-Pierre bei einer Sanierung nach 1900 entstanden sein. Die Zeichnungen von Dehio/Bezold in Commons werden dort jedoch kommentiert mit: "Auf Grund ihres Alters ist sie (die Zeichnung) mit Vorsicht zu benutzen. Sie muss nicht dem neuesten Wissensstand oder dem aktuellen Zustand des abgebildeten Gebäudes entsprechen". Jochen Jahnke 18:50, 13. Aug. 2008 (CEST)Beantworten

Hallo Gregor, Das bedeutet vielleicht, dass die heutigen Attiken erst nach der Entstehung der Aufrisszeichnung von Dehio/Bezold entstanden sind, oder sie wurden von ihnen nicht berücksichtigt, was mir weniger wahrscheinlich erscheint. Es gäbe aber auch noch folgende Möglichkeit: Ich denke dabei an die Attiken vom Priorat Saint-Avit-Sénieur. Diese sind , nach dem sie zur Verteidigung nicht mehr gebraucht wurden definitiv verschwunden (Verfall oder Abbruch) und sind im Rahmen einer Restaurierung nach der Jahrhundertwende zum 20 Jh. wieder neu errichtet worden. Das könnte doch auch den Attiken von Saint-Pierre so gegangen sein, und man hat sie bei der "Rekonstruktion" nicht mehr so hoch gezogen, wie sie für eine Verteidigung erforderlich gewesen wäre. Herzliche Grüße, Jochen.Jochen Jahnke 17:05, 14. Aug. 2008 (CEST)Beantworten

Hallo Gregor,

bin in diesem Jahr zu ersten mal auf eine nahezu identische Attika gestoßen, und zwar über dem Traufgesims der Chorapsis der Prioratskirche von Cadouin (Périgord). Das etwas andersartige Mauerwerk, dürfte nachweisen, dass die Attika auch hier nachträglich aufgemauert worden ist. An den beiden den Chor flankierenden Kapellen ist noch der Originalzustand der romanischen Traufe zu sehen. Auch am übrigen Gebäude gibt es keine solche Attiken. Dazu die folgenden Bilder:

Herzliche Grüße Jochen.Jochen Jahnke 11:59, 4. Okt. 2008 (CEST)Beantworten

GOFRIDUS ME FECIT Künstlersignatur Bearbeiten

Zum Thema Künstlersignatur in der romanischen Skulptur hier ein interessanter Textauszug aus dem Bildband: Die Kunst der ROMANIK Architektur . Skulptur . Malerei 2004 Tandem – Verlag GmbH Könemann

Abschnitt: Romanische Skulptur Uwe Geese Seite 257, 1. Absatz Zum Thema: Künstlersignaturen


"Aber wer waren die Bildhauer, die all diese Dinge gearbeitet haben ? Ein verbreitetes Vorurteil über die romanische Kunst will, dass die Künstler bewusst anonym geblieben seien, weil ihr Werk allein der Ehre Gottes gedient habe. Obwohl die meisten Künstler tatsächlich unbekannt geblieben sind, haben sich doch hunderte von Künstlersignaturen vor allem in Frankreich, Spanien und Italien überliefert, die zeigen, dass von einer bewussten Anonymisierung nicht die Rede sein kann. Dabei steht der Name oft für den Meister, der die Leitung über die ganze Werkstatt hatte, von der etwa ein Tympanon oder die Kapitelle eines Teils oder des ganzen Kreuzgangs gefertigt wurden. Man hat versucht, sich die Bedeutung dieser Signaturen zu erklären, wobei der Gedanke, sie seien als Aufforderungen an den Betrachter zu verstehen, den Künstler in sein Gebet einzuschließen, eher als Erklärungsnot gegenüber dem Vorurteil der Anonymisierung anmutet. Der Grund für die Anonymität vieler Künstler dürfte eher darin zu suchen sein, dass sie zunächst nur als gering geachtete Handwerker angesehen wurden. Die auffällige Häufung von Künstlersignaturen in Gebieten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritts legt dagegen nahe, sie auch in diesem Zusammenhang zu verstehen. In dem Sinne etwa, dass der Auftraggeber, sei er weltlicher oder kirchlicher Herkunft, seinen Stolz darüber zum Ausdruck bringen will, einen bedeutenden Meister oder eine ruhmreiche Werkstatt für sich verpflichtet zu haben. Die ausführliche inschriftliche Würdigung des Meisters Wiligelmus in Modena scheint dem zu entsprechen. Aber auch die Künstler gewinnen in der historischen Phase des aufkommenden Bürgertums und der zunehmenden Urbanisierung an Selbstbewusstsein und Stolz über ihr Können und die Qualität ihrer Arbeit, was sie durch ihre Signaturen zum Ausdruck bringen wollen. Man darf dabei nicht vergessen, dass Namen mit dem Zusatz „fecit“ – er hat dies gemacht – oft nur den Auftraggeber benennen, nicht aber den ausführenden Bildhauer.

Es gibt auch Werkgruppen, deren Teile sich durch gemeinsame Charakteristika ihres Stils als zusammengehörig erweisen, von denen man aber die Bildhauer nicht kennt. Zu ihrer Benennung hat man in der Kulturgeschichte so genannte Notnamen eingerichtet, die sich meist nach dem Aufbewahrungsort eines der Hauptwerke richten. So wie etwa der „Meister von Cabestany“ nach einem kleinen Vorort von Perpignan in Südfrankreich, Cabestany, benannt, weil sich dort ein Tympanon befindet, dessen Stil sich mit dem vieler anderer, weit verstreuter Bildwerke identifizieren lässt".

Ende des Textauszugs. Jochen Jahnke 14:08, 25. Mär. 2008 (CET)Beantworten


Auch dazu kurz eine Anmerkung...In der romanischen Skulptur Frankreichs ist es keineswegs so außergewöhnlich, wie im Text dargestellt, möglicherweise würde das eine weitere Ausführung verdienen. Einige der Beispiele: Unbertus, Saint Benoit, um 1050; Gelduinus, Gilabertus, Toulouse, um 1100; nicht zu vergessen der berühmte Gislibertus von Autun aus dem 12.Jh. --84.58.39.201 14:35, 13. Feb. 2011 (CET)Beantworten

Das grausige 19. Jahrhundert...? Bearbeiten

..."Dass in diesem Jahrhundert an dieser Kirche „restauriert“ wurde, sieht man noch an den inneren Ausmalungen, die wohl heute kaum noch die Zustimmung der Denkmalpflege finden würden."

Entschuldigung, aber das hat in einem sonst ganz guten Artikel wenig verloren. Ich möchte jetzt keine Diskussion über die Denkmalpflege-Positionen losbrechen, aber der ganze Satz, inklusive der Anführungsstriche strotzt nur so vor bornierter Abwertung des 19.Jahrhunderts. Gottseidank ist in Frankreich noch der eine oder andere Bau mit dieser Zeitschicht überkommen, die in Deutschland in den 50ern und 60ern meist erbarmungslos weggefegt wurde.

Ich erlaube mir, den Satz zu entschärfen...

Kleine Anmerkung noch zur Attika-Diskussion: Es ist Unsinn, dass jedes Element der romanischen Architektur gleich eine spirituelle (etc...) Bedeutung haben muss...auch wenn man das in populärwissenschaftlichen Büchern gerne mal liest.

--84.58.39.201 14:23, 13. Feb. 2011 (CET)Beantworten