Der Fall Shi Tao Bearbeiten

www.radiomultikulti.de/aktuelles/der_fall_shi_tao.html (wegen Umzug auf neue techn. Plattform derzeit nicht erreichbar) kannte mal: " Die Menschenrechtsorganisation amnesty international versucht seit Jahren, den betroffenen Menschen ein Gesicht zu verleihen. Deshalb hat amnesty international das Frühwarnsystem der "Urgent Actions" entwickelt. Diese Eilaktionen haben bereits Tausenden von Menschen das Leben gerettet. radiomultikulti unterstützt die Arbeit von ai. Jeden ersten Dienstag im Monat stellen wir einen Fall und seine Geschichte vor – 16:40 Uhr im Café Global.

Eine E-Mail veränderte Shi Taos Leben. Am 27. April 2005 wurde der chinesische Journalist und Dich-ter von einem chinesischen Gericht wegen der „Weitergabe von Staatsgeheimnissen“ zu einer zehnjäh-rigen Haftstrafe verurteilt.

Ein Jahr zuvor, am 20. April 2004, hatte Shi Tao, der damals bei der Zeitung „Dangdai Shangbao“ in Changsha, Provinz Hunan, arbeitete, ein Treffen besucht, in dem die Redaktion eine Direktive der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) über das von den Journalisten erwartete Verhalten im Umfeld des 15. Jahrestages der blutigen Niederschlagung der Demonstrationen am Tiananmen-Platz erhielt.

Die Direktive, die an alle großen öffentlichen Organisationen einschließlich der Medien und der Regierungsbehörden aller Ebenen gerichtet war, warnte vor möglichen sozialen Unruhen und der Unterwanderung durch „demokratische Kräfte“ und „feindliche ausländische Elemente“ in der Zeit um den Jahrestag. Die KPCh forderte darin die Journalisten sowie die Behörden auf, „vorbeugende Maßnahmen“ auf allen Ebenen zu ergreifen. Die Medienvertreter wurden angewiesen, „die öffentliche Meinung korrigierend zu beeinflussen“, „keine Meinungen, die der zentralen Politik zuwiderliefen, zu veröffentlichen“ und diese Aufgaben zu ihrem Arbeitsschwerpunkt zu machen. Weiterhin sollten die Medienvertreter alle Kollegen, die verdächtige Kontakte mit „demokratischen Elementen aus dem Ausland“ unterhielten, bei den Behörden zur Anzeige bringen.

Shi Tao schrieb die Inhalte der Sitzung mit und sandte von seinem Büro aus über seine private Mailadresse eine Zusammenfassung der Direktive an Hong Zhesheng, einen Mitarbeiter der „Asia Democracy Foundation“ mit Sitz in New York. Hong ist Chefredakteur der Website „Democracy Forum“ und des elektronischen „Democracy Newsletter“. Um anonym bleiben zu können, gab Shi Tao als Absender den Zahlencode „198964“ an. Am selben Tag wurde seine Zusammenfassung unter eben diesem Pseudonym im „Democracy Forum“ veröffentlicht, an den Folgetagen auch auf den ausländischen Webseiten „Boxun“ und „Chinese Democracy and Justice Party“.

Die Verhaftung Shi Taos mit Hilfe von "Yahoo" Im Mai 2004 kündigte Shi Tao seinen Job bei „Dangdai Shangbao“ und kehrte in seine Heimatstadt Taiyuan in der Provinz Shaanxi zurück, wo er als freier Journalist arbeitete. Am 24. November 2004 wurde er dort, nahe seiner Wohnung, von Einsatzkräften des Büros für Staatliche Sicherheit aus Changsha verhaftet, seine Wohnung wurde durchsucht und sein Laptop beschlagnahmt. Am 31. Januar 2005 wurde er offiziell angeklagt.

Shi Tao war nicht anonym geblieben. Sein Internet-Anbieter Yahoo! Holdings (Hongkong) Ltd., der den chinesischen Behörden eine „Selbstverpflichtung der Internetbranche” unterschrieben und damit die drastischen Zensurmaßnahmen Chinas faktisch anerkannt hat, hatte den anhand der IP-Adresse ermittelbaren Standort des Sendercomputers an die chinesischen Ermittler weitergegeben und damit zur Festnahme und Strafverfolgung des Publizisten beigetragen.

Top Secret oder nicht? Shi Tao gab im Verfahren zu, die E-Mail an „Minzhu Tongxun“ (Democracy Newsletter) gesendet zu haben, allerdings habe er damit seiner Einschätzung nach keine „Staatsgeheimnisse“ verraten, sondern lediglich die Bevölkerung aufrufen wollen, nicht an Veranstaltungen und Aktionen im Zusammenhang mit dem Jahrestag teilzunehmen, die zu Festnahmen oder Schlimmerem führen könnten. Nachdem der stellvertretende Chefredakteur die Direktive im Rahmen einer Routinesitzung an die Redaktion weitergegeben habe, sei sie ihm nicht als höchst vertraulich erschienen.

Die staatlichen Behörden widersprachen. Das Material sei „top secret“ gewesen. Der Richter verurteilte Shi Tao und wies ihn darauf hin, dass die ihm auferlegte zehnjährige Haft angesichts der Schwere seines Vergehens die geringstmögliche Strafe sei.

Die Haftbedingungen Nun muss Shi Tao im Gefängnis von Changsha Schmuck verarbeiten. Der dabei entstehende Staub hat bei ihm bereits schwere Haut- und Atemwegsreizungen hervorgerufen. Doch Shi Tao leidet nicht nur gesundheitlich, er muss auch erleben, wie ihm der familiäre Rückhalt infolge von Schikanen, denen seine Familie ausgesetzt ist, wegbricht. Seine Frau ließ sich bereits von ihm scheiden, um dem Druck, dem sie wegen seiner Verhaftung am Arbeitsplatz ausgesetzt war, zu entgehen.

Hintergrundinformation zur Menschenrechtslage in China In China sind zehntausende Menschen allein wegen der friedlichen Wahrnehmung ihrer fundamentalen Menschenrechte inhaftiert. Die chinesische Regierung reagiert auf abweichende politische oder religiöse Meinungen oder Überzeugungen mit drastischen Unterdrückungsmaßnahmen. Gewaltlose politische Gefangene in China kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen, von Aktivisten für die Demokratisierung des Landes über Gewerkschaftler, Mitglieder nicht anerkannter Kirchen und Religionsgemeinschaften bis hin zu Anhängern der Unabhängigkeitsbewegung in Tibet und in Xin-jiang.

Viele dieser Gefangenen fallen unter die Kategorie der „Internet-Dissidenten“. Dutzende sind wegen internetbezogener Delikte in Haft, etwa weil sie in Chatrooms dazu aufgerufen haben, die Freilassung von Regierungskritikern zu fordern, Informationen über die Verbreitung von AIDS oder anderen Krankheiten weitergegeben oder sich kritisch zum Massaker vom Juni 1989 geäußert haben. Die chinesische Regierung versucht mit aufwändigen Maßnahmen die Nutzung des Internets einzuschränken und zu kontrollieren. Dabei wir sie auch von ausländischen transnationalen Unternehmen unterstützt.

"Irrepressible.info" Unternehmen stehen in der Verantwortung, überall dort, wo sie geschäftlich tätig sind, die Menschenrechte zu respektieren. Das Vorgehen des US-Unternehmens Yahoo, das im Fall von Shi Tao die chinesischen Behörden aktiv bei der Strafverfolgung eines gewaltlosen politischen Gefangenen unterstützt hat, steht jedoch im Widerspruch zu einer den Menschenrechten verpflichteten Geschäftsethik.

amnesty international hat sich mit ihren Anliegen an Yahoo gewandt und eine Antwort von dem Unter-nehmen erhalten, die jedoch nicht auf alle von ai angesprochenen Punkte eingeht. siehe: www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/windexde/KA2006005

Shi Taos Fall wurde in der Kampagne „Irrepressible“ aufgegriffen, die zum 45. Jahrestag der Gründung von amnesty international von der britischen ai-Sektion gestartet wurde. Die Kampagne richtet sich gegen die wachsende Zensur im Internet. amnesty international ruft Benutzer des World Wide Web auf, online eine Petition gegen diesen besorgniserregenden Trend zu unterschreiben. Darin werden Regierungen aufgefordert, die Zensur von Internetseiten zu beenden. Die Unterschriftenliste soll im November dieses Jahres bei einer UN-Konferenz zur Zukunft des Internets präsentiert werden (Online-Petition und weitere Informationen unter http://irrepressible.info).

amnesty international fordert die chinesischen Behörden auf: den gewaltlosen politischen Gefangenen Shi Tao sofort und bedingungslos frei zu lassen, Shi Tao eine angemessene medizinische Versorgung zukommen zu lassen, da er Berichten zufolge an Atemproblemen und Hautreizungen leidet, die durch die Staubentwicklung bei der Verarbeitung von Schmuck in der Haft entstanden sind, dafür Sorge zu tragen, dass jeder Mensch in China das Internet dazu nutzen darf, um sich im Einklang mit dem grundlegenden Recht auf freie Meinungsäußerung Informationen zu beschaffen, diese weiterzugeben und zu verbreiten.

Appellbriefe/Briefaktionen Die Appellbriefe für Shi Tao sollen an den Ministerpräsidenten Wen Jiabao der Volksrepublik China und den Direktor des Gefängnisses gerichtet werden – Vorschläge für öffentlichkeitswirksame Aktionen, in deren Rahmen viele Menschen mobilisiert werden, diese Briefe abzuschicken, findet ihr im nächsten Abschnitt. Kopiervorlagen für diese Appellbriefe findet ihr im Anhang.

Es wäre gut, wenn ihr jeweils eine Kopie des Briefes an die chinesische Botschaft in Berlin schickt und auch alle Menschen, die ihr mobilisiert, bittet dies zu tun. Da unklar ist, wie sich Grußkarten, die direkt an Shi Tao gerichtet sind, auf seine Situation auswirken (sie könnten sich unter Umständen auch negativ auswirken), möchten wir davon abraten, diese Aktion für Shi Tao durchzuführen. "