Zur Ergänzung: (aus http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2004/0426/medien/0012/)

"Auch im DDR-Fernsehen gab es lange Zeit Werbung. Jetzt ist ein Buch darüber erschienen Das kommt jetzt holterdipolter und klingt wohl auch unpopulär, aber es gibt Augenblicke, in denen man sich die DDR-Regierung zurückwünscht. Tom Cruise hängt an einem Drahtseil über einer extrem gesicherten Geheimmaschine. Sein Schweiß tropft in Richtung Lichtschranke. Es gibt aber keinen Alarm. Schlimmer. Es gibt Werbung.

Heute kann man nichts weiter machen, als vor Wut sieben Minuten lang pinkeln zu gehen. Der DDR-Ministerrat dagegen hat die Fernsehreklame kurzerhand abgeschafft. Das ging damals zack-zack. Es war doch nicht alles schlecht.

Kampfgeist erforderlich

Viel verblüffender als das Verbot ist allerdings die Tatsache, dass bis dahin, also von 1959 bis 1976, immerhin rund 4 000 Werbesendungen im Ostfernsehen ausgestrahlt wurden. Dabei verlautete doch bei jeder Gelegenheit, dass Arbeiter und Bauern stets planmäßig und bedarfsgerecht produzierten und dass die Volkseigenen Betriebe überhaupt kein Interesse daran haben konnten, sich gegenseitig in Grund und Boden zu konkurrieren.

Die Kulturwissenschaftlerin Simone Tippach-Schneider hat sich jetzt mit "Tausend Tele-Tips - Das Werbefernsehen in der DDR" dieses Themas und seiner immanenten Widersprüche angenommen. Es ist ein Nachdruck ihrer Dissertation. Die Lektüre erfordert also einigen Kampfgeist.

Es begann mit einer Hoffnung. 1958 war die Rationierung von Lebensmitteln in der DDR abgeschafft worden. Es war die Zeit zukunftsgläubiger Slogans wie "Chemie gibt Brot, Wohlstand und Schönheit". Tatsächlich gab es plötzlich in den Läden Produkte die man hier kaum je gesehen hatte: Eierschneider, Reißverschlüsse, Kaffeefilter. Das Zentralorgan "Neues Deutschland" fand, dass man mit dieser kleinen bunten Warenwelt durchaus protzen könne: "Die Kapitalisten spielen auf diesem wirksamen Instrument der Meinungsbildung mit Raffinement (.), während wir (.) die beachtlichen neuen Erzeugnisse des Siebenjahresplanes in einem verhängten Schaufenster verstecken."

So kam die Werbung in den Deutschen Fernsehfunk. Sie lief in einer eigenen Sendung unter dem Rubrum "Tausend Tele-Tips", das beispielsweise am 25. April 1960 folgende beachtlichen Erzeugnisse vereinte: "Minol-Schnelldienst. HO-Frühjahrsmoden, Kofferradios vom VEB Stern-Radio Rochlitz, Berlin-Kosmetik, Biox Ultra - die gute Zahnpasta, Esda - der Qualitätsstrumpf, Wartburg - ein zuverlässiger Wagen, Milwa - das bewährte Waschpulver". Laut eigenem Statut wollte das Werbefernsehen "auf Leitbilder (.) orientieren, die dem entwickelten gesellschaftlichen System des Sozialismus entsprechen". Uwe Johnson beobachtete diese Bemühungen von Westberlin aus und schrieb 1964 im Tagesspiegel: "Es werden aber tatsächlich Waren angepriesen, Seifen, Suppen, Sorten, und erstaunlicherweise mit den bekannten Mitteln der Übertreibung und anderer dreister Rhetorik."

Werbung war eben sogar in der DDR erst einmal Werbung und handwerklich nicht immer schlechter als die des Klassenfeindes. - "Mein Mann und Fewa-flüssig, die beiden sind Gold wert" hätte auch vor der Tagesschau laufen können.

Genau deshalb gab es immer wieder Kritik, und die Macher bereuten pflichtschuldig, dass sie sich "in Form und Inhalt in manchen Fällen von Beispielen der anderen Seite leiten ließen". Es war, als hätten sich Autobauer dafür rechtfertigen müssen, ein Fahrzeug auf vier Rädern ausgeliefert zu haben.

Ladenhüter wurden vorzugsweise angepriesen. Kunstfasertextilien zum Beispiel. Oder Eier. Es gab Eier über Eier. Und Margarine, wegen des Buttermangels. 1972 kam ein Spot für einen revolutionären Geschirrspülautomaten. Der GA 4 spülte nur einen Sommer. Das Gerät soll diverse Küchen überflutet haben. Natürlich wurde es unter dem legendären Claim "AKA-Electric - in jedem Haus zuhause" beworben. "AKA" stand für: "Aktiv auf dem Markt - Konzentriert in der Handelstätigkeit - Aktuell im Angebot". Auf die Idee wäre der Normalverbraucher im Leben nicht gekommen.

Klassiker wie "Baden mit Badusan" oder den Minol-Pirol kennt fast jeder Zeitgenosse. Aber dass "nach Meinung namhafter Frauenärzte" eigentlich auch "jeder Mann" das legendäre Unterleibswasser "Yvette Intim" hätte anwenden sollen, das ist nun wirklich eine komplett neue Information.

Erst Mitte der 70er-Jahre bemerkten die zuständigen Entscheidungsträger, dass da kaum noch etwas zu bewerben war und beendeten den 17-jährigen Feldversuch. Da half es auch nicht, dass wenigstens ein 1965 produzierter Spot dem Ideal der sozialistischen Fernsehwerbung schon recht nahe gekommen war. Mann und Frau sitzen am gedeckten Tisch: "Weißwein ist so recht das Getränk unserer Zeit. Für unseren Optimismus. Weißwein für glückliche Menschen, die sich gemeinsam über Vollbrachtes freuen." Und noch viel mehr Weißwein für Menschen, die einfach nur vergessen wollten.


Simone Tippach-Schneider: Tausend Tele-Tips - Das Werbefernsehen in der DDR, 320 Seiten, Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf 19,90 Euro


Foto: Der Motorroller "Troll" wurde ebenfalls der DDR-Bevölkerung angepriesen. Genutzt hat es nichts. Das knatternde Ungeheuer fand wenig Anklang."

richie

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