War Kalischer ein NS-Opfer? Bearbeiten

Da der Beitrag von Otto Bayer von 1955 antijudaistische und den NS-Staat verharmlosende Darstellungen enthält, entferne ich die entsprechenden Passagen wieder aus dem Artikel, nicht aber, ohne sie hier zu kommentieren und beides so zur Diskussion zu stellen:

Bayer: Kalischer, S. 44f: „... im Jahre 1932 erging an ihn der ehrenvolle Ruf, die Leitung des Wissenschaftlichen Hauptlaboratoriums in Leverkusen zu übernehmen, vornehmlich mit der Aufgabe, einen geeigneten Nachfolger ausfindig zu machen. Er selbst hatte sich von vornherein die Zeit von 2 Jahren gesetzt, so daß seine Pensionierung im März 1934 nicht aus politischen Gründen erfolgt ist.“

Kalischer wurde am 5. Juni 1873 geboren, das Ausscheiden im Alter von 60 Jahren im März war unzeitig und fiel in die Zeit, in der die I. G. Farben, eingedenk der Wahlkampffinanzierung der Nationalsozialisten, hochrangige Mitarbeiter jüdischer Herkunft aussortierte. Nota bene: Die I. G. Farben erhielten vom NS-Staat Zwangsarbeiter zu Hauf und lieferten später das Zyklon B für die NS-Gaskammern. Otto Bayer als Nachfolger von Kalischer machte seine Karriere also in der NS-Zeit und setzte sie nach dem Krieg ungehindert fort.

„Kalischer hat schon als junger Mensch die Problematik und die Gefahren klar erkannt, die durch das betonte Eigenleben des Judentums innerhalb von Nationalstaaten entstehen konnten. Das mag ihn auch mit bewogen haben, als junger Mann zur lutherischen Religionsgemeinschaft überzutreten ...“

Die Heiratsanzeige vom 6. August 1909 vermerkt: „französisch-reformierte Religion“, eine andere Quelle (Finanzamt Frankfurt-Außenbezirk, Judenvermögensabgabe 1938/39): „ev. seit 1895“ (Aufenthaltsorte: Berlin, Griesheim), die Angabe Bayers „lutherisch“ ist demnach unzutreffend (Ehefrau Marie war, aus Kiel stammend, evang.-lutherisch). Gravierender ist: Bayer macht 1955 das „Eigenleben des Judentums“ für „die Problematik und Gefahren“ verantwortlich, die letztlich in die Shoah mündete – solch ein Antisemitismus disqualifiziert Bayer als Interpreten des Holocaust. Kalischer lernte während seines Chemiestudiums in Heidelberg die reformierte Theologie kennen, vielleicht schon in Berlin, da er als junger Mann in derselben Straße wohnte, in der die einzige reformierte Gemeinde zu Hause war (Mauerstr.). Eine Taufe in Berlin ist jedoch nicht nachweisbar.

„Die politischen Verhältnisse in Deutschland spitzten sich schließlich so zu, daß auch Kalischer im Jahre 1938 verhaftet wurde. In den vier Wochen Konzentrationslageraufenthalt zog er sich eine Lungenentzüdnung zu, an der er am 1.12.1938 in seinem Haus in Frankfurt verstorben ist.“

Bayer nennt das KZ Buchenwald euphämistisch „...lageraufenthalt“ und erklärt die Verhaftung verharmlosend aus der Zuspitzung der Verhältnisse. Konkret: In Frankfurt zündeten in der Nacht zum 10. November 1938 in Zivil gekleidete Nationalsozialisten die Frankfurter Synagogen an. Am nächsten Tag wurden etwa 2.000 Juden verhaftet, für den Schaden verantwortlich gemacht (sie mußten 20% ihres Vermögens als sog. Sühneleistung für die ihnen angehängten Brandstiftungen bezahlen), in der Festhalle (Messe) gesammelt und in Schüben zum Frankfurter Südbahnhof per LKW gebracht. Kalischer stand, obwohl pensioniert, auf der Liste, weil seit Juni 1938 bekannt war, dass er vermögend war, obwohl evangelisch, im Sinne der NS-Rassenideologie Jude war (alle vier Großeltern waren Juden) – er durfte also zur Judenvermögenssteuer veranlagt werden. Am Südbahnhof wurden die Unschuldigen unter dem Spott und den Schlägen der dortigen Passanten zu den Zügen gebracht, die sie nach Dachau oder Buchenwald transportierten. Nachdem bereits am 11. November 1938 aus Frankfurt 338 Personen nach Buchenwald transportiert wurden, folgte Kalischer mit weiteren 1.513 tags drauf. Von Weimar aus wurden die Häftlinge in Spießrutenlauf-Manier ins KZ geprügelt, dort geplündert und standen dort zum Appell so lange, wie es den Wachhabenden gefiel. Gewaltexzesse, Unterversorgung und Mangel an Hygiene folgten, mindestens 61 Personen starben. Wer Vermögen überschrieb, für Geldsendungen der Verwandten sorgte, unterschrieb, er sei gut behandelt worden und in die Ausreise einwilligte, wurde Wochen später aus der „Hölle“ entlassen. Kalischer wurde, wie andere auch, unmenschlich behandelt, was aktenkundig ist (Hauptstaatsarchiv Wiesbaden), und totkrank am 28. November 1938 nach Hause entlassen. Dort starb er drei Tage später. Seine Frau erhielt die Rechnung für die Beerdigung ihres Mannes; im Januar 1939 mußte sie 20%, im November 1939 weitere 5% ihres Vermögens zwangsweise abgeben (s. o. Judenvermögensabgabe) – als Sühne für die Synagogenbrände, die den unschuldig Verhafteten angelastet worden waren. In Folge knapper Barbestände mußte Marie Kalischer ihr Haus verlassen und vier Jahre in einer Absteige wohnen. Mit 81 Jahren wurde sie nach 12-jährigem Prozeß entschädigt, prozentual, versteht sich... Wer den Brief lesen will (PDF), in dem der Zustand Kalischers beschrieben wird, oder eine Zusammenfassung des Aktenbestandes, möge mich anmailen. --Emmaus Disk 16:57, 2. Mär. 2009 (CET)Beantworten
Ein erschütternder Lebenslauf. Andere Chemiker, die in der Nazi-Zeit drangsaliert wurden waren Alexander Schönberg und Primo Levi. MfG -- 16:46, 14. Apr. 2009 (CEST)Beantworten

Leben und Werk Bearbeiten

Der mit Im Ersten Weltkrieg arbeitet beginnende Absatz ist sehr wirr und schwer verständlich. Welche Bedeutung haben der Reisepass, die Pensionsansprüche? (nicht signierter Beitrag von 92.224.206.121 (Diskussion) 18:13, 24. Okt. 2010 (CEST)) Beantworten

Hab mal eine Verbesserung versucht...--Emmaus Disk 16:04, 16. Dez. 2011 (CET)Beantworten

Was wurde aus den späten Patenten Kalischers? Bearbeiten

Da Kalischer keine Nachfahren hat, wurde nie geklärt, was aus den späten seiner vielen Patente geworden ist. Einer seiner Mitarbeiter seit 1924, Hugo Werner Zerweck, stieg 1936 zum Prokuristen auf, blieb im Werk, veröffentlichte 1948 auch unter seinem eigenen Namen Patente, die aus der Zeit stammen, als Kalischer noch Chef der Abteilung war (die Liste aller Kalischer-Patente wurde erst 1956 veröffentlicht). Diese Patente waren innovativ, weil sie nach dem Zweiten Weltkrieg der neuen Cassella im Bereich der Petrochemie einen Wettbewerbserfolg bescherten, ein wesentlicher Grund, warum Zerweck zum Direktor dieses Werkes ernannt wurde. Seine Karriere in der NS-Zeit ist bislang unerforscht. Auch hat er die Würdigung Kalischers zum posthum 80. Geburtstag 1953 versäumt (sie erfolgte 1956 nachträglich von Leverkusen aus, wo Kalischer nur sehr kurz war).--Emmaus Disk 16:04, 16. Dez. 2011 (CET)Beantworten

Das Kalischer-Fenster ist gotischen Ursprungs Bearbeiten

Bislang wurde das Kalischerfenster nicht als gotischen Urspungs gewertet, weil in der Gotik niemals Johannes gleichzeitig als Jünger Jesu und als Evangelist dargestellt worden ist. Dies sollte jedoch auf dem betreffenden Fenster der Fall sein, weil dort Kelch (Zeichen für den Apostel Johannes) und Adler (Zeichen für das Evangelium nach Johannes) zugleich abgebildet schienen. Bei genauerem Hinsehen handelt es sich bei dem Vogel jedoch nicht um einen Adler, was an Körperform und Gebiss deutlich wird, sondern um ein Untier entsprechend solcher Darstellungen, die den Kelch mit einer Schlange verbinden (Beispiel: Kirche Maria Linden, Ottersweier 1514-1524). Diese Symbolik bezieht sich auf eine Episode aus der legenda aurea und zeigt somit einen Giftbecher, den der Apostel am Artemistempel in Ephesus segnete und unbeschadet trank. Die Farbglasbeschaffenheit (die Zeichnungen auf den Gläsern) sowie die Darstellung der länglichen, segnenden Finger weisen auf älteren Ursprung hin. Das Fenster wurde zwar umgearbeitet, gebrochene Gläser also ersetzt, ist aber in den übrigen Bestandteilen gotischen Urspungs. Die Widmung freilich stammt aus dem Jahr des Einbaus, 1953.--Emmaus Disk