Benutzer Diskussion:Proofreader/Das Wikipedia-Kollektiv

Letzter Kommentar: vor 15 Jahren von Proofreader

Und wieder ein kleiner Wikipedia-Essay von mir. Ich verzichte mal im Sinne der von mir propagierten Bescheidenheit darauf, das unter Kategorie:Wikipedia:Hypothesen einzusortieren, denn das ist nur meine ganz persönliche unmaßgebliche Meinung, die keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt. Kommentare dazu sind hier aber natürlich dennoch willkommen. Vielleicht ergibt sich daraus ja ein produktiver Austausch. --Proofreader 12:30, 15. Apr. 2007 (CEST)Beantworten

Die Frage wird jedenfalls zunehmend virulent. Es gibt Benutzer, die Assoziationsblasterbetreiber abmahnen, weil die den Autorennamen nicht direkt am 1:1 aus der Wikipedia übernommenen Bild darstellen. Es gibt seitenlange Diskussionen im Kurier und andernorts dazu. Und man stimmt ab, ob es neue Lizenzen braucht oder ob künftig die Autoren direkt im Artikel genannt werden sollen, wie es der Lizenzwortlaut nahelegt. Die Richtung, in die das führen könnte, wurde auch schon vielleicht überspitzt, aber sehr treffend karikiert. Und es gibt unter WP:OWN immer noch diesen unscheinbaren Satz: „Es ist jedoch darauf zu achten, dass ein Autor nicht Eigentümer der von ihm eingestellten Wikipedia-Seite ist.“ (Hervorhebung im Original). Wobei ich das Gefühl nicht loswerde, dass den Gedanken dahinter irgendwann dasselbe Schicksal ereilen wird, wie dem schönen, kernigen Satz aus Artikel 14 des Grundgesetzes, "Eigentum verpflichtet", nämlich das Schicksal, nicht sonderlich ernst genommen zu werden. Ich würde es für eine Tragödie halten und für das Ende dessen, was die Wikipedia besonders und einzigartig und übrigens auch sehr erfolgreich macht.

Es ist eine Grundsatzfrage. Diejenigen, die auf die Rechte der Einzelautoren pochen, erklären, dass ein Großteil der Artikelarbeit von vergleichsweise wenigen engagierten Leuten gemacht werde. Qualitativ hochwertige Artikel entstünden in der Regel aus einem Guss, also idealerweise durch einen Hauptautor, der die Struktur und den roten Faden liefert. All die anderen könnten hier ein Komma und da einen Tippfehler reparieren, aber eine schöpferische Leistung sei das ja nicht. Das mag so sein, dennoch achte ich den kleinen Handwerker nicht weniger gering, der mein undichtes Wasserrohr wieder richtet als den Architekten, der sich für mich vielleicht ein besonders gelungenes Design für mein Haus ausgedacht hat. Es hat etwas von einem Dünkel gegenüber dem Banausen, wie die ollen Griechen den einfachen Ofenleger nannten, der zu nichts Höherem berufen war. Nun mag man seine kritischen Gedanken zum Konzept der Schwarmintelligenz haben und meinen, dass allzu viele Köche den Brei eher verderben. Man kann das mit liberaler Verantwortungsethik untermalen und erklären, dass eine anonyme Masse nie etwas wirklich Brauchbares zustandebringen könne.

Trotzdem funktioniert die Wikipedia. Denn es gibt ja alternative Konzepte, Online-Enzyklopädien, in denen man strikte Qualitätskontrolle durch eine sorgsame Auswahl hochqualifizierter Autoren zu erreichen hofft. Die Bedeutung dieser Projekte hält sich aber in Grenzen. Suche ich in der Wikipedia etwa nach einem Artikel Wikiweise, so fragt mich die Maschine, ob ich nicht etwa Wirkweise suche; sie hält also die Konkurrenz für komplett irrelevant und hat damit objektiv recht. Dort herrscht Klarnamensnennungszwang, was die Fraktion der Einzelautorenrechtler freut. Der Effekt ist aber der, dass eben auch nur eine Hand voll aufrechter Streiter dort mitmacht. Entsprechend dürftig ist das Ergebnis, das von der Dimension her von jedem Miniwörterbuch locker übertroffen wird. Eine Enzyklopädie mit nur 100 Artikeln ist eben keine und kann auf diesem Weg auch keine werden. Weil man versucht, die Vorteile eines Wikis nutzen zu wollen, aber gleichzeitig Autorenindividualismus betreiben will. Man spricht von Redaktion und Kompetenz, will aber doch irgendwie den Charme des Uneigenützigen, des Free Contents bewahren, weil doch zu offensichtlich ist, dass eben diese Aura der Grund ist, warum hier alle mit so viel Engagement bei der Sache sind. Jeder Arbeitgeber träumt von einem derart motiviertem Personal, wie man es bei der Wikipedia findet. Die Sache ist nur die, dass das Ganze eben deshalb funktioniert, weil wir keinen Arbeitgeber haben. Und weil wir es eben nicht um des Geldes willen tun. Wissen wollen wir verbreiten, nicht monopolisieren. Ein absoluter Vorrang von Urheber- und Autorenrechten kann in der realen Welt eines Wikis so nicht funktionieren; das geht dort, wo man tatsächlich für seine Leistung einen echten materiellen Gegenwert bekommt, also am Arbeitsplatz in der freien Wirtschaft. In der Wikipedia aber wäre jeder Ansatz in diese Richtung systemwidrig. Man würde dem Charme dieser freien Enzyklopädie den Garaus machen, wenn man dieses Projekt irgendwelchen Partikularinteressen opfern würde.

Und im Grunde ist das auch denjenigen bewusst, die ihr Autogramm direkt in den Artikeln und bei den Bildern sehen wollen. Es hat ja seinen Grund, dass die Abmahner gegen Nachnutzer ihre Bilder und Texte nicht beispielsweise bei Wikiweise einstellen, wo ihren Individualrechten viel eher Rechnung getragen würde. Nein, man will den Nutzen des Open-Source-Projekts und damit den Nutzen der Gemeinschaftsanstrengung aller Autoren, auch der Kommasetzer und Typobereiniger, für sich kassieren, aber dafür die Basis des ganzen, nämlich die relative Anonymität, nicht hinnehmen, weil man darin eine Einschränkung seiner Persönlichkeitsrechte sieht. Das ist in etwa die Haltung, die in einem Staatswesen gerne alle öffentlichen Einrichtungen und Dienstleistungen quasi als Selbstverständlichkeit mitnutzt, sich dann aber regelmäßig über die Steuern beklagt, die das alles erst ermöglicht.

Auch der engagierteste, intelligenteste und schöpferischste Autor kommt eben in der Wikipedia nicht weit ohne die Mithilfe von tausend fleißigen Händen. Und das ist der Grund, warum ich immer wieder zu etwas mehr Demut, zu mehr Teamgeist, zu Bescheidenheit appelliere. Mehr sein als scheinen, das verhilft am Ende dann auch zu dauerhafterer Befriedigung als der schnelle Kick, für seine Leistung unmittelbar belohnt zu werden und im Rampenlicht zu stehen. Mir ist der Kick lieber, der sich daraus ergibt für eine gute Sache zu arbeiten, vielleicht bin ich in dieser Hinsicht sogar Idealist. Diese gute Sache wird aber erheblich beschädigt, wenn der Eindruck entsteht, dass hier bei einigen persönlicher Ehrgeiz am Werke ist und dass bei manchen Methoden schnell der Verdacht aufkommt, man bediene sich der erfolgreichen Wikipedia und der einen oder anderen juristischen Winkelzüge und Drohkulissen, um auf grenzwertige Weise schnell an Geld zu kommen.

Dem ist in meinen Augen nur beizukommen, wenn wir es quasi mit der olympischen Devise halten, dass das Dabeisein zählt. Anpacken, ja, hier und da Trolle und Vandalen vertreiben, hochwertige Ideen einbringen, aber auch im Detail genau arbeiten, diesem Babelturm immer noch ein Stockwerk hinzufügen, ohne dabei an Eigentumsrechte zu denken, die in dieser Art Projekt keinen Platz haben. Die Enzyklopädie ist das Projekt der Aufklärung gewesen und auch die Wikipedia steht in dieser Tradition. Was aber haben die Väter der Aufklärung gedacht über das Wesen gesammelten und verbreiteten Wissens?

Thomas Jefferson: Wenn es etwas gibt, das sich nicht zum Eigentum eignet, dann ist es die Kraft des Gedankens. Ein Einzelner kann eine Idee vielleicht besitzen, wenn er sie für sich behält. Sobald er sie öffentlich macht, geht sie in das Eigentum aller über. Und: Wenn jemand eine Fackel hat, die brennt und jemand eine Fackel hat, die nicht brennt und ich gebe von der Fackel, die Licht ist, der anderen ein Licht, dann habe ich zwei Fackeln, die brennen und jene Fackel, von der ich das Licht genommen habe, brennt deswegen nicht weniger hell.

Und der unvermeidliche Rousseau, der eindringlich vor denen warnt, die den Eigennutz vor den Gemeinnutz stellen: Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen »Dies gehört mir« und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wieviel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: »Hütet euch, dem Betrüger Glauben zu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört«. Und was für Zäune und Äcker gilt, gilt erst recht für Gedanken und Wissen. Das Wissen über die Gedankenwelt von Jefferson und Rousseau habe ich auch nur, weil ich einen relativ ungehinderten Zugang dazu habe und sich niemand anmaßt, von mir Eintritt für den Zugang in diese Gedankenwelten zu verlangen. Die Monopolisierung des Wissens dagegen ist am Ende der Tod der Aufklärung, sie will das Wissen im Grunde bei denen belassen, die ohnehin über Macht und Geld verfügen oder wenn sie denn Wissen einmal veräußert, dann nur, um auch daraus Profit zu schlagen. Wissen kann aber im Grunde nur durch den Austausch, die gegenseitige gedankliche Bereicherung überhaupt erst entstehen und die Erkenntnis an sich hat keinen persönlichen Besitzer; die Newtons, Einsteins und Mozarts dieser Welt sind jedenfalls ganz sicher nicht vornehmlich von dem Drang getrieben gewesen, ihre Erkenntnisse in persönliche materielle Vorteile umzumünzen. Sie wollten vielmehr teilhaben an der allumfassenden Wahrheit und bezeichnenderweise findet man gerade bei ihnen trotz ihrer genialen Leistungen immer wieder ein hohes Maß an Bescheidenheit, weil ihnen sehr deutlich bewusst ist, dass Inspiration und Einsicht in Zusammenhänge ein Geschenk der Natur ist und das eigene Zutun kaum der Rede wert. Etwas mehr von diesem Ethos bräuchten wir auch in der Wikipedia. --Proofreader 10:30, 1. Mai 2009 (CEST)Beantworten