Benutzer Diskussion:Johamar/Gasometerbrand 1973

Gasometerbrand 1973 in Salzgitter

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Bericht der Braunschweiger Zeitung vom 5. Dezember 2023: Feuer-Drama: Wie Salzgitter knapp einer Katastrophe entging. Um diesen Bericht zu Lesen oder Hören, ist leider ein Abo der Zeitung erforderlich. Der Link lautet Bericht der Salzgitter-Zeitung. Eine Kopie des Seiteninhaltes findest Du nachfolgend.

Feuer-Drama: Wie Salzgitter knapp einer Katastrophe entging

Salzgitter. 1973 brennt ein Gasometer mit 250.000 Kubikmeter Fassungsvermögen. Was passieren hätte können, schildert der damalige Feuerwehrchef. Am Anfang war ein Rangierer. Der hatte diesen undenkbaren Fall, das Unmögliche nachts gegen 2 Uhr gesehen. Das Gasometer, Fassungsvermögen 250.000 Kubikmeter, 110 Meter hoch, 60 Meter Innendurchmesser, ein Trumm von einem Behälter auf dem Hüttengelände, leuchtete teilweise rot. Es brannte also in dem Zylinder mit dem Koksgas, glaubte der Mann. Er rief die Werksfeuerwehr, die das nicht glauben konnte. Eine Luftspiegelung vielleicht, fragte sie. Naja, es rieche auch nach verbrannter Farbe, soll der Mann gesagt haben.

Die Feuerwehr machte sich auf den Weg, wie es in dem Bericht der Wehr in der Werkszeitschrift „P+S Stahlkurier“ geschildert wird, die im Stadtarchiv Salzgitter zu finden ist. Kurze Zeit später wurde auch Rudolf Münch, Leiter der Feuerwehr, alarmiert. Noch heute erinnert er sich sofort: Es war ein Sonntag. Und es war keine Luftspiegelung: Die Wand des Gasometers glühte rot in etwa 40 Metern Höhe.

Minutiös kann Münch noch den Ablauf dieses Tages im Jahr 1973 erzählen, und dabei ist das Drama 50 Jahre her. Zu dem Gasometer muss man sagen, dass es sich um einen zylindrischen Behälter aus Stahlblech handelt, in dem (gut brennbares) Koksgas gespeichert wird, wie Münch weiß - er hat Eisenhüttenwesen studiert. Ein beweglicher, schwerer „Deckel“ von 610 Tonnen, zusätzlich mit 115 Tonnen Beton belastet, dichtet bei diesem „Scheibengasometer“ nach oben ab. Wenn der Druck bei Gaszufuhr stieg, hob sich also dieser Deckel, sagt Münch. „Es gab außen eine Anzeige, und man konnte daran sehen, wo sich der Deckel innen befindet.“ Als er nun am 22. Juli 1973 aus dem Bett herauslaramiert wurde, wusste er sofort: „Das wird schwierig werden.“

Denn das drängendste Problem bestand erstmal darin, dass das gesamte Behältnis sich durch die Hitze verformen und dadurch Löcher entstehen könnten. Löcher bedeuten aber Luftzufuhr und damit akute Entzündungsgefahr. Das Feuer, erinnert sich Münch, befand sich oberhalb des Deckels. Durch eine Verformung des Gebäudekörpers könnte auch der Deckel eingeklemmt werden mit der Gefahr, dass eine größere Öffnung zum Gasraum entstehen könnte und der tonnenschwere Deckel bei steigendem Gasdruck und Entzündung wie ein Geschoss aus dem Zylinder herauskatapultiert werden könnte.

Kein Hirngespinst: In den 30er-Jahren ist das im Saarland bei Ausbesserungsarbeiten passiert, der „Deckel“ des Scheibengasometers soll damals 2,5 Kilometer weit geschleudert worden sein, gibt Münch zu bedenken. Laut Wikipedia starben bei der Explosion im Februar 1933 insgesamt 68 Menschen, 190 wurden verletzt. Das Hüttengelände wurde verwüstet, 65 Häuser unbewohnbar, ein neues Schulhaus wurde fast völlig zerstört. Und dabei war das Gasometer dort viel kleiner als das in Salzgitter (70 Meter Höhe, 120.000 Kubikmeter Fassungsvermögen). Münch: Wir konnten nur eines machen, das war Kühlen

Die Werksfeuerwehr hatte bereits damit begonnen, das Gebäude mit Wasser zu kühlen, als Münch eintraf. „Wir konnten nur eines machen, das war Kühlen“, resümiert er. „Man muss sehen: Wo kann der größte Schaden entstehen und wie bekommen wir das in den Griff? Wie bekommen wir die Ausbreitung in den Griff? Wie machen wir brennbares Material zu unbrennbarem?“ Ein Glück, sagt er, dass kurz zuvor ein Hochleistungswasserwerfer für die Wehr angeschafft worden war. Der kam nämlich die 40 Meter bis zu dem glühenden Areal hoch.

Rund 55.000 Kubikmeter Gas soll der damalige Füllstand gewesen sein, heißt es in dem Bericht der Werksfeuerwehr. Es war noch dunkel, erinnert sich Münch, und von außen habe man also nicht sehen können, wo sich der Deckel befand. „So lange im Gasometer ein Überdruck herrschte und so lange das austretende Gas brannte, bestand keine akute Gefahr“, heißt es im Bericht der Feuerwehr. Münch erklärt: „Der Deckel musste langsam runterkommen, er durfte nicht fallen. Sonst hätte die Gefahr bestanden, dass er sich verklemmt und Sauerstoff mit dem Gas vermischt wird.“ Deshalb wurde auch die Koksgaszufuhr nicht unterbrochen.

Und dann folgte eine komplizierte Rettungsaktion mit Hilfe von Monteuren und Ingenieuren unter schwerem Atemschutz. Die Monteure warteten allerdings zunächst vergeblich vor dem Tor, der Werkschutz wollte sie nicht passieren lassen, erinnert sich Münch, da sie die Vorgabe bekommen hatten, niemanden reinzulassen. „Es verging ein bisschen Zeit, bis wir das gemerkt haben“, weiß er noch.

Der Überdruck musste nun zunächst durch die weitere Zufuhr des Koksgases erhalten bleiben, wird in dem Bericht der Feuerwehr geschildert. Das wurde aber allmählich mit Hilfe von Stickstoff und Wasserdampf verdrängt, um den Druck aufrechtzuerhalten, aber die Gefahr einer Explosion zu mindern. Es gab noch Probleme mit Ventilen, aber das Vorhaben glückte letztlich: Die Koksgaszufuhr konnte abgestellt werden. Ein Luftbild, das das Gasometer um 1955 zeigt (Sammlung Bernhard Schroeter).

Gleichzeitig wurden während der Rettungsaktionen alle möglichen Beschäftigten weggeschickt und die Bevölkerung in der Umgegend durch Lautsprecherwagen aufgefordert, sie sollten die Fenster öffnen (gegen Beschädigung bei Explosionsdruck) und in die Keller gehen, um in Sicherheit zu sein. Über der Stadt schwebte einen Sommermorgen lang die Gefahr einer möglichen und gewaltigen Explosion. Auch der Straßenverkehr wurde abgeriegelt, sogar der Schienenverkehr eingestellt, sagt Münch. Um 13 Uhr war der Spuk dann vorbei.

Im Rathaus war auch ein Stab eingerichtet worden, erzählt Münch. Man darf nicht vergessen: es gab keine Handys. Die Funkgeräte funktionierten nur auf wenigen Kanälen, Telefone waren nicht in der Nähe und wurden zudem für andere Zwecke in den akuten Situationen gebraucht - die Feuerwehr hatte ja auch noch ihr Tagesgeschäft zu erledigen. Um den Stab up to date zu halten, verfuhr Münch an dem Tag zwischen 2 und 18 Uhr, als er endlich Feierabend hatte, 70 Kilometer zwischen der Hütte und dem Rathaus, erinnert er sich. Danach bekam die Feuerwehr bessere Funkgeräte

Die Feuerwehr, verdeutlicht er, hatte damals weniger Personal, Ausrüstung, Geld und Platz. „Die Stadt war im Aufbau“, gibt er zu bedenken. Eine Konsequenz war übrigens, dass die Feuerwehr hinterher bessere Funkgeräte bekam, und beim Bau der Feuerwache wurde auch gleich ein Raum für den Stab eingeplant. Heute habe man laut Münch auch wesentlich stärkere Pumpen. Als Ursache für den Gasometerbrand war in Nachgang übrigens die Selbstentzündung einer schwefligen Eisenverbindung angenommen worden, sagt Münch.

Wie denkt er heute über diesen ja doch brenzligen Tag vor 50 Jahren? „Ich hatte keine Angst“, sagt Münch, „warum?“ Die Feuerwehr habe immer auch mit brennbaren Gasen zu tun, sagt er. „Das ist nichts Seltenes. Nur die Menge war das Problem.“ Ein Gasometerbrand komme zudem selten vor. Doch den Gasometerbrand in Salzgitter habe man mit den Möglichkeiten, die man hatte, in den Griff bekommen, resümiert der ehemalige langjährige Feuerwehrchef. „Und wir haben Glück gehabt.“ 1975 wurde das Gasometer abgerissen

Das Gasometer, erbaut 1939, wurde nach dem Brand nicht wieder in Betrieb genommen. „Es war ein prägendes Gebäude“, sagt Dr. Claudia Böhler vom Stadtarchiv. Ein Zeitungsartikel der Salzgitter-Zeitung beschreibt, wie der Behälter, der sogar vom Harz aus zu sehen gewesen sein soll, bis 1975 demontiert wurde. „Vom größten Bauwerk der Stadt bleibt nichts als Schrott“, titelte die Salzgitter-Zeitung. Damit waren das Gasometer und die dramatischen Ereignisse einer Julinacht Geschichte. --Johamar (Diskussion) 19:02, 29. Feb. 2024 (CET)Beantworten