Reporter: Warum engagierst du dich bei Wikipedia und ihren Schwesterpojekten?

Uwe: Mich faszinieren zwei Dinge. Einerseits ist es die Grundidee, dass Wissen für jeden offen stehen soll, und dass jeder ohne Ansehen der Person zu diesem öffentlichen Wissen beitragen kann. Andererseits ist hier wie auch in der übrigen Open Source Szene sichtbar, dass ein weltweites IT-Projekt allein dadurch erfolgreich sein kann, wenn es nach geeigneten Mustern organisiert ist und die richtige Internet basierte Infrastruktur wie Wiki zur Verfügung steht. Ein Projektteam braucht also nicht unbedingt an ein einem Ort zu sein. Es reicht, gemeinsam virtuell zusammenzuarbeiten, statt dass die Projektmitarbeiter im Großraumbüro sitzen.

Reporter: In der Wirtschaft wird oft gesagt, das Geschäft ist nicht vergleichbar mit Open Source, deshalb können wir uns nicht so wie Wikipedia & Co organisieren. Gibt es eigentlich Beispiele in der Wirtschaft, die Wikipedia ähnlich organisiert sind, und die funktionieren?

Uwe: Die gibt es durchaus, ich kenne drei Firmen, die sehr erfolgreich so arbeiten. Allerdings muss man einschränken: Erstens ist die persönliche Kommunikation zwischen Menschen, Teambildung usw. nicht durch Technik zu ersetzen. Hin und wieder braucht es den direkten Kontakt, der dann eher den Charakter von Events hat, z.B. um dem Projekt die Richtung zu geben, Grundsatzentscheidungen abzusichern usw. Zweitens passt virtuelles Zusammenarbeiten nicht auf jede Art von Geschäft: Solange nur mit Informationen gearbeitet wird, ist virtuelles Arbeiten möglich. Bei gegenständlicher Arbeit wie beim Bauen von Häusern kann man nicht virtuell arbeiten.

Reporter: Zurück zur Wikipedia. Du hast im Artikel über Chemnitz die Telekom in die Liste ansässiger Firmen aufgenommen. Siehst du nicht die Gefahr, dass du so wahrgenommen wirst, Wikipedia-Artikel im Interesse von Firmen umzuschreiben?

Uwe: Keineswegs. Die Telekom ist ein großer Arbeitgeber in Chemnitz, der dort ähnlich viele Menschen beschäftigt wie andere internationale Konzerne, die in Chemnitz vertreten sind. Deshalb habe ich die Telekom in die Liste der in Chemnitz ansässigen Firmen mit aufgenommen. Was übrigens nicht ganz einfach war: Einerseits warf diese Zeile ein Wikipedianer wieder heraus, "weil es die Telekom nun in wirklich jeder Stadt gäbe" - er dachte vermutlich an die T-Punkte. Andererseits war es nicht ganz einfach, Quellen im Internet zu finden, in dem z.B. das Chemnitzer Regionalhaus von T-Systems, der international tätigen IT Tochter der Telekom, erwähnt ist.

Reporter: Was sind deine nächsten Pläne bei Wikipedia?

Uwe: Hauptsächlich das Schließen von Lücken in der Wikipedia, wie etwa meine Ergänzung zu dem in Chemnitz gefundenen Ursaurier - der Fund war eine wissenschaftliche Sensation. Wenn ich mal wieder Zeit habe kümmere ich mich um Chemnitz als Standort der IT Branche. Die hat dort eine lange Tradition, ist aber in der Wikipedia im Zusammenhang mit Chemnitz nicht erwähnt. Man denke an den VEB Robotron, der bis zur Wende den gesamten Ostblock mit Computern belieferte. Die IT ist auch heute ein wesentlicher Pfeiler der Chemnitzer Wirtschaft. Neben den großen internationalen Playern der Branche wie T-Systems und IBM sind dort vor allem auch kleine und mittelständische IT Firmen vertreten. Zu nennen wäre Chemnitz als Produktions-, Dienstleistungs- und Forschungsstandort für Supercomputer: Die Firma Megware fertigt in Chemnitz Supercomputer und exportiert sie in alle Welt. Einer davon steht an der TU Chemnitz - eine Traum für Forscher und Studenten der TU.

Reporter: Du arbeitest in einem internationalen Softwarehaus. Wenn du einfach so die Namen von Konkurrenten aufzählst - siehst du dich da nicht im Interessenkonflikt mit deiner Firma?

Uwe: Diese Informationen sind ohnehin da, ich sage nichts Neues. Das ist alles in öffentlichen Quellen im Internet recherchierbar, insofern sehe ich keinen Interessenskonflikt.

Reporter: Auf deinen Benutzerseiten erfährt man recht viel über dich, in diesem Interview z.B. Themen, die dir wichtig sind und von denen du etwas weißt, ebenso sagt deine berufliche Wikiseite nicht gerade wenig. Besteht im Zeitalter weltweit vagabundierender Daten nicht die Gefahr, dass das zuviel des Guten ist?

Uwe: Preisgabe von Daten ist immer eine Gratwanderung, es gibt kein Patentrezept. Tabu ist für mich z.B., Privates ins Internet zu stellen. Man wird meine Adresse und Telefonnummer nicht in legalen öffentlichen Verzeichnissen finden, bei Google Street View habe ich Widerspruch eingelegt. Aber wenn du in einer Community wie Wikipedia mitmachen willst, benötigst du eines: Das Vertrauen der Wikipedianer. Wenn man sich in die Lage der Wikipedianer versetzt: Da legt sich irgendjemand Unbekanntes einen Account an und beginnt in der Wikipedia zu schreiben. Woher soll ein Wikipedianer wissen, ob dieser Unbekannte vertrauenswürdig ist, ob er nicht vielleicht ein Vandale, ein verkappter Neonazi oder ein Lobbyist einer Organisation ist, die Artikel verfälscht? Es ist wie in jedem Projektteam, in das man neu hineinkommt: Man wird zwar an seinen Ergebnissen gemessen, aber genauso wichtig ist, ob man rein menschlich ins Team hineinpasst. Und da hilft nur eine wohldosierte Portion Selbstkundgabe.

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