Hauptartikel Bearbeiten

Anonyme_Geburt

Einleitung Bearbeiten

Eine anonyme Geburt ist dadurch gekennzeichnet, dass die Mutter ihre Identität gegenüber niemandem preisgibt und ihre Personenstandsdaten nicht erfasst werden. Ihre Daten sind dann grundsätzlich von niemandem ermittelbar. Das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung ist nicht durchsetzbar und steht dem Recht der Mutter auf informationelle Selbstbestimmung nach.

Im Unterschied zur anonymen Geburt gibt bei einer vertraulichen bzw. geheimen Geburt die Mutter ihre Personendaten z. B. gegenüber einer Beratungsstelle bekannt, diese werden verschlossen verwahrt. Nur dem Kind wird - je nach gesetzlicher Ausgestaltung - ab einem festzusetzenden Mindestalter Kenntnis über seine Abstammung gewährt. Dem Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung (Artikel 2 Abs. 1 i. V. m. Artikel 1 Abs 1 GG) kann entsprochen werden.

Rechtslage in Europa Bearbeiten

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gewährt in einem Urteil vom 13.Febuar 2003 Straffreiheit für Frauen, die sich entscheiden, für ihre Kinder Unbekannte zu bleiben. Anonym geborene Kinder haben demnach auch in Zukunft keinen Anspruch darauf, die Identität ihrer Eltern zu erfahren. Nach Auffassung des Gerichtshofs enthält der in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) behandelte Schutz der Familie und der persönlichen Identität im vorliegenden Fall schwer miteinander vereinbare Rechte: Das Recht der Klägerin auf Information über ihre Herkunft und das der Mutter sowie der Adoptiveltern auf Schutz des Privatlebens. Jeder Staat müsse den Entscheidungsspielraum haben, wie er diese Rechte per Gesetz sichere. [1] [2] [3]

Deutschland Bearbeiten

Nach § 16 des Personenstandsgesetzes (PStG) muss die Geburt eines Kindes innerhalb einer Woche dem Standesamt angezeigt werden, wobei stets der Name der Mutter anzugeben ist (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PStG). Die Verletzung der Anzeigenpflicht stellt grundsätzlich eine Ordnungswidrigkeit dar und kann auch den Straftatbestand der Personenstandsfälschung in der Form der Personenstandsunterdrückung nach § 169 StGB erfüllen. Eine Strafbarkeit der Mutter ist grundsätzlich nach § 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB möglich, aber nicht zwangsläufig gegeben. Die Tat (Entziehung Minderjähriger) kann auch von einem anderen Elternteil gegen den anderen Elternteil begangen werden, sofern dieser Inhaber oder Mitinhaber des Sorge- oder Umgangsrechts ist. Anzeigenpflichtig nach § 17 PStG sind neben Mutter und Vater alle Personen, die bei der Entbindung zugegen waren. Strafbarkeit kann ebenfalls nach § 170 StGB (Verletzung der Unterhaltspflicht) vorliegen und entfällt erst bei Adoption.[4][5]

Frankreich Bearbeiten

Anonyme Geburten gibt es in Frankreich seit 1793. Das geltende französische Recht unterschiedet zwei Arten der anonymen Geburt. Es besteht die Möglichkeit, dass die Mutter ihr Kind ohne Preisgabe ihrer Identität zur Welt bringt (Artikel 326 Code Civil). Dabei hinterlässt sie weder ihre Angaben zur Person noch zum leiblichen Vater. Alternativ kann die Mutter dem sie beratenden Gesundheitsinstitut ihre Daten offenlegen. Diese werden nach Artikel L 222-6 des französischen Familiengesetzbuches vertraulich behandelt. Sollte das Kind später beim nationalen Rat einen Antrag auf Zugang zu den Informationen über seine Abstammung stellen, wird Auskunft erteilt, insofern Vater sowie Mutter die Behörde in einer ausdrücklichen Erklärung der Pflicht zur Geheimhaltung (Artikel 326 Code Civil) entbinden. Gemäß Artikel 341-1 Code Civil hat die Mutter Anspruch auf Wahrung ihrer Anyonmität. Es ist jederzeit möglich, von einem Modell ins andere zu wechseln. Nach französischem Recht besteht zwischen Mutter und Kind kein Rechtsverhältnis, bis die Mutter das Kind als leibliches anerkennt. [6]

Österreich Bearbeiten

In Österreich gibt es kein Recht der Frau auf eine anonyme Geburt. Dennoch ist eine solche in vielen Kliniken mit entsprechenden Fachabteilungen und in Notsituationen möglich. Das Vorliegen einer ausweglosen Lage und der Wunsch einer anonymen Geburt muss in einem vertraulichen Beratungsgespräch im Rahmen der Jugendwohlfahrt dargelegt werden. Die Beratungsstelle entscheidet, ob die vorgetragenen Gründe, dem Verlangen der Mutter auf Wahrung ihrer Anonymität als ausreichend anzusehen sind. Mit Beschluss vom 11.08.2006 hat der Oberste Gerichtshof (OGH) die Rechtmäßigkeit der "anonymen Geburt" prinzipiell bestätigt.[7]

Der Diskurs in Deutschland Bearbeiten

Identitätstheorie vs. biologische Abstammung Bearbeiten

Den Diskurs über anonyme und vertrauliche Geburten aber auch Babyklappen bestimmt die wissenschaftlich ungesicherte Annahme, solche Einrichtungen könnten das Leben bedrohter Neugeborener retten. [8] [9] [10] Es wird dabei davon ausgegangen, dass eine Gefährdungssituation vorgelegen hat, die mit entsprechenden Angeboten ausgeschlossen werden kann. Ein empririscher Beleg für diese These kann (bisher) nicht erbracht werden. In einer Studie der Medizinischen Universität Wien aus Dezember 2012 wird für den Erhebungszeitraum 1991 bis 2009 festgestellt, dass sich seit der Entkriminialisierung der anonymen Geburt in Österreich im Jahr 2001 die Zahl der Kindstötungen innerhalb der ersten 24 Stunden (Neonatizid) von 7,2 Fällen pro 100.000 Geburten auf 3,1 Fälle halbiert habe [11]. Ein linearer Zusammenhang zwischen dem Rückgang der Kindstötungen und der Inanspruchnahme von Angeboten der anonymen Geburt konnte nicht festgestellt werden. Ein Hinweis sei das Fehlen anderer großer sozioökonomischer Veränderungen im Beobachtungszeitraum, erklären die Autoren.

Im Vordergrund der Diskussion in deutschen Medien steht das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Es wird der Kenntnis der eigenen Abstammung ein erheblicher Einfluss auf die gesunde Identitätsentwicklung eingeräumt. Der Frage zur Bedeutung der Kenntnis der biologischen Abstammung geht ein umstrittenes Identitätskonzept voran. Postmoderne Identitätstheorien vertreten den Ansatz, dass Menschen ihre Identität über Wertorientierungen und willentliche Bindungen definieren.[12] Weder die genetische Herkunft noch die Kenntnis darüber sind demnach Voraussetzung für die Identitätsentwicklung. Identität bildet sich folglich nicht ausschließlich über das Subjekt selbst, sondern nur im ständigen Wechselspiel mit der Umwelt.

Das Recht auf Anonymität Bearbeiten

Als Aspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Artikel 2 Abs. 1 i. V. m. Artikel 1 Abs. 1 GG) gibt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dem Einzelnen die Befugnis, grundsätzlich selbst über die Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten zu bestimmen (BVerfGE 65, 1 [43]; 78, 77 [84]; 84, 192 [194]; BVerfG FamRZ 2007, 441 ff.). Eingriffe in dieses Persönlichkeitsrecht können nur gesetzlich legitimiert werden.

Das Recht auf Kenntnis der Abstammung Bearbeiten

Nach deutschem Recht und höchstrichterlicher Rechtsprechung (BVerfGE 79/256) umfasst das Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) auch das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Dieses Recht auf Kenntnis der Abstammung rechtfertigt nach deutschem Verständnis den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht u.a. des Kindes.

Angebote in Deutschland Bearbeiten

Baden-Württemberg Bearbeiten

  • Klinikum Pforzheim
  • St. Hedwigsklinik Mannheim
  • St. Elisabethenkrankenhaus Lörrach [13]

Bayern Bearbeiten

  • Kreisklinikum St. Anna, Sulzbach-Rosenberg
  • Südklinikum, Nürnberg
  • Städtisches Krankenhaus, Nürnberg
  • Schwabinger Krankenhaus
  • Universitätsklinikum München-Großhadern
  • Josefinum, Augsburg

Berlin Bearbeiten

In Berlin bieten Krankenhäuser die Möglichkeit, im Bedarfsfall anonym zu entbinden. [14]

Brandenburg Bearbeiten

  • Kinderhaus Sonnenblume, Bernau/Schönow [15]

Bremen Bearbeiten

  • Beratung zur Elternschaft und Geburt DIAKO, Bremen [16]

Hamburg Bearbeiten

Anonyme Geburten sind seit 2003 grundsätzlich in Hamburger Geburtskliniken möglich.

Hessen Bearbeiten

  • Hochtaunuskliniken Bad Homburg [17]

Mecklenburg-Vorpommern Bearbeiten

In allen Geburtskliniken ist in Notsituationen die anonyme Entbindung möglich.

Niedersachen Bearbeiten

Über Beratungsangebote und Einrichtungen liegen bisher keine gesicherten Angaben vor.

Rheinland-Pfalz Bearbeiten

Über Beratungsangebote und Einrichtungen liegen bisher keine gesicherten Angaben vor.

Saarland Bearbeiten

Es besteht in allen Krankenhäusern mit einer Fachabteilung Frauenheilkunde und Geburtshilfe sowie in einem Geburtshaus die Möglichkeit einer anonymen Geburt. Hilfesuchende Schwangere werden nicht abgewiesen.

Sachsen Bearbeiten

In sieben Städten besteht für Frauen in Notsituationen auch die Möglichkeit, anonym zu entbinden. [18] In zwei Kliniken, dem Diakonissenkrankenhaus Dresden und einer Dresdner Hebammmenpraxis wurden anonyme Geburten durchgeführt. Die Geburten werden von dem eingetragenen Verein KALEB Dresden durch Spenden finanziert.

Sachsen-Anhalt Bearbeiten

Folgende Krankenhäuser bieten die Möglichkeit einer anonymen Geburt an:

  • AMOS Klinikum St. Salvador, Halberstadt
  • Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara, Halle
  • Universitätsklinikum der Martin-Luther-Universität, Halle
  • Städtisches Klinikum Dessau,
  • Klinik St. Marienstift, Magdeburg
  • Asklepios Klinik, Weißenfels
  • Harz-Klinikum, Wernigerode

Alle Krankenhäuser sind im Rahmen der Nothilfe verpflichtet, zunächst eine anonyme Geburt durchzuführen, wenn das Leben und die Gesundheit der Schwangeren unmittelbar gefährdet sind. [19]

Schleswig-Holstein Bearbeiten

  • Johanniter-Krankenhaus, Geesthacht
  • Diakonissenrankenhaus, Flensburg
  • Marien-Krankenhaus, Lübeck
  • Klinikum Itzehoe
  • imland Klinik Rendsburg-Eckernförde

Thüringen Bearbeiten

Frauen in Krisensituationen können in jeder Klinik mit einer Geburtshilfe-Abteilung anonym entbinden. Die Kosten übernimmt die Thüringer Stiftung "Hand in Hand - Hilfe für Kinder, Schwangere und Familien in Not". [20]

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Europäischer Gerichtshof bestätigte Recht auf anonyme Geburt, news.at vom 12.02.2003
  2. Anonyme Geburten sind rechtens, FAZ vom 13.02.2003
  3. Nicole Stürmann: EuGM und anonyme Geburten in Frankreich, online abrufbar
  4. Deutscher Bundestag - Wissenschaftliche Dienste: Babyklappe und Anonyme Geburt
  5. Studie DJI Anonyme Geburt und Babyklappen in Deutschland
  6. Anonyme Geburt/Regelung in Frankreich
  7. Erlass vom 27. Juli 2001 über Babynest und anonyme Geburt in Österreich
  8. Karin Strempel (CDU): „Babyklappen und anonyme Geburten können Leben retten“, Leipziger Internetzeitung vom 14.12.2012
  9. Berliner Senator: Anonyme Geburt weiter ermöglichen Deutsches Ärzteblatt vom 24.07.2012
  10. Anonyme Geburten: So wollen CDU/FDP Babyleben retten, Sächsische Zeitung vom 13.12.2012
  11. Anonyme Geburt senkt Kindstötungen, wien.orf.at, 5. Dezember 2012.
  12. Yvonne Schütze: Ideologisierung der biologischen Elternschaft, Unsere Jugend, Heft 06, 2004
  13. Stellungnahme des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg, Drucksache 15/1065, 21.12.2011
  14. Babyklappen und anonyme Geburten in Berlin, Hauptstadtportal
  15. Kinderhaus Sonnenblume
  16. Beratung zu Elternschaft und Geburt DIAKO Bremen
  17. Hochtaunuskliniken Bad Homburg
  18. Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen Sachsen vom 04.05.2012
  19. Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung, Drucksache 6/1089, 04.05.2012
  20. 47 anonyme Geburten in Thüringen seit elf Jahren, Thüringer Allgemeine vom 01.04.2013

Weblinks Bearbeiten