WikiWedding wandert wohlan

Acht Monate WikiWedding – und noch immer hat niemand geheiratet. Namen sind doch nur Schall und Rauch, Aber: acht Monate WikiWedding und der Berliner Altbezirk wurde gründlich verwikipediert. Fast 80 Artikel sind entstanden oder wurden überarbeitet, wir luden mehrere hundert Fotos hoch, wir waren in Blog, Zeitung und Fernsehen und sind im Laufe der Monate einer dreistelligen Zahl von Bibliotheksbesuchern in der Schiller-Bibliothek auf die Nerven gegangen.

Wir schrieben Artikel zu Laubenkolonien, deutschen Spitzeninstituten der medizifinischen Forschung, Parks, Agitpropfilmen, Abgeordneten, Anti-Nazi-Kinderärzten, Islamisten und noch so alles das Leben in diesem Randbezirk Berlins ausmacht. Wir erstiegen „auf eigene Gefahr“ Kirchtürme, verhandelten mit Fotografen, hielten Wikidata-Vorträge und stellten tapfer jeden Sonntag das Fähnchen - beziehungsweise das Roll-Up der Wikipedia - auf den Bürgersteig der Buttmannstraße. Türkische Frauengruppen bekochten uns mit Tee. Syrische Bürgerkriegsflüchtlinge im Wedding kamen mehr oder weniger ausversehen als Wikipedianer ehrenhalber ins Fernsehen.

Damals im Februar

WikiWedding begann mit einem Ödland. Die sibirisch anmutende Steppe direkt hinter dem  Berliner Hauptbahnhof, das Sachsen-Anhalt Berlins, der Windfang im Nichts, die Gegend, die so aussieht als sollte man alle Hoffnung fahren lassen. Man kommt aus Kreuzberg/Schöneberg/Wilmersdorf – dann nichts – und dann wieder das pralle Leben. Eine Straße voller Menschen, Bürgersteige in denen sich Afroshops, Dönerläden, Frühstücksladen und andere geradezu stapeln. Was ist das?

Wedding! Das urbane Berlin außerhalb der eigentlichen Kernstadt. Mit vielen Geschichten und Geschichte; ehemaliges Kurbad, Rückzugsraum der KPD in der Zeit des Nationalsozialismus, Heimat der AEG, ewiges Pflaster für Weltverbesserer und Menschheitsretter, Eigentumswohnungszentrums Berlin; Ort des Weltkulturerbes und Bezirk ohne eigenes echtes Museum. Klischee und pralles Leben. Soviele Themen, die sich für Wikipedia aufbereiten ließen.

So kam ich zum Wedding und schnell stellte sich heraus: in Wikipedia schreiben überraschend viele Weddingerinnen und Weddinger, die auch einmal kommen wollen. Darunter viele Wikipedianerinnen und Wikipedianer, die noch nie bei einem Offline-Treffen waren. Das erste Treffen in der Kneipe, das zweite bereits im Nachbarschsftaladen Buttmannstraße, der uns seitdem Obdach und Unterschlupf bietet.

Die Frage wurde geklärt, dass auch der Ortsteil Gesundbrunnen zum gefühlten Wedding zählt und damit innerhalb des Projektes liegt, dank IvaBerlin hatten wir schnell ein Logo und dank des Weddingweisers schnell sehr viel Aufmerksamkeit und Interesse. Der Name ist bei den richtigen Leuten im Wedding bekannt, der Verweis auf Presse und Berichterstattung immer wieder sinnvoll.

Interessiert, aufgeschlossen, keine Autor*innen

Es zeigte sich aber auch: es ist fast unmöglich aus Interesse echte Mitarbeit im Projekt selber zu generieren: Potenzielle Neuautorinnen und Neuautoren  winkten schon mit der Bemerkung ab, dass sie nichts wüssten, was nicht schon in Wikipedia stände und nichts beitragen könnten. Diejenigen Interessierten, die diese Hürde überwunden hatten, scheiterten an der „Kurz“einführung, in Technik und erwartete Verhaltensweisen, die mittlerweile erstaunlich lange dauert. Echte Neuautoren haben wir einen: Bernd-Peter Lange. Dafür legte Bernd dann mit dem Proletarischen Gesundheitsdienst und dem Ledigenheim Berlin-Wedding richtig losgelegt.

Gleiches bei Fotografen und Fotografinnen. Wenn wir sie denn ausnahmsweise erfolgreich überzeugt hatten, dass ihre Fotografin tatsächlich für die Wikipedia wichtig wären, stiegen sie spätestens beim Punkt „Urheberrecht-in-seiner-Interpretation-durch-die-Wiki-Communities" zu erklären und "wie-Freigaben-ablaufen-müssen“ zu erklären.

Bereitwillig und interessiert waren viele; bereit die Einstiegshürden zu überwinden kaum jemand. Infos und Hilfestellungen durch Externe kamen einfach und oft – nur braucht es dafür jede Menge Communitypower diese abzuholen und in Wikipedia-anschlußfähige-Inhalte aufzubereiten.

Wedding wandelt 2017 wohlanner

Soviel zum Jahr eins. Jetzt zum Jahr zwei. WikiWedding geht weiter. Wir freuen uns über all das Entgegenkommen und das Interesse, dass es überall gibt. Wir suchen weiter, ob es einen einfachen, unkomplizierten Weg gibt, Menschen in das Wiki zu bekommen. Und wir werden weiter sammeln: Geschichte und Geschichten, Fotos und Scans. Und wir hoffen, liebe Wikipedianerinnen und Wikipedianer, dass dies ein kleines Beispiel setzt: geht vor die Tür. Sprecht Leute an. Wikipedia ist ein Türöffner fast überall. Es gibt mehr Wikipedia-interessierte Menschen als ihr denkt. Und es gibt vermutlich auch mehr Wikipedianerinnen und Wikipedianer in der Nähe als ihr denkt. Und spannende Geschichte, interessante Gebäude, geschichtsreiche Parks gibt es auch überall.