Benutzer:Solon de Gordion/Gedanken zu Relevanzkriterien, Exklusionismus und der Zukunft der Wikipedia

Die Enzykloädie - das unbekannte Wesen Bearbeiten

Als gelegentlicher Gast auf den LD-Seiten musste ich feststellen, dass Löschbefürworter mit einiger Regelmäßigkeit das Argument ins Feld führen, ein Artikel sei "unenzyklopädisch".

Damit scheinen zwei unterschiedliche Sachverhalte gemeint zu sein, die aber nicht scharf unterschieden werden:

  • Ein Artikel erscheint von seiner Relevanz her unenzyklopädisch.
  • Ein Artikel erscheint von seiner Form oder seinem Inhalt her unenzyklopädisch.

Auf den ersten Blick scheint dieses Argument nicht zu beanstanden zu sein.

Die Grundprinzipien der Wikipedia besagen schon in ihrem ersten Satz:

Wikipedia ist ein gemeinschaftliches Projekt mit dem Ziel, eine Enzyklopädie von bestmöglicher Qualität zu schaffen.

Da versteht es sich wohl von selbst, dass unenzyklopädische Inhalte aus der Wikipedia fernzuhalten sind. Also den Artikel löschen?

Erste Zweifel machen sich breit. Nicht nur wegen der fehlenden Unterscheidung in "irrelevant" und "formal und inhaltlich nicht in Ordnung". Sondern vielmehr, weil hier ein einzelnes, leichtfertigt in die Diskussion geworfenes Wort ein Sachargument ersetzt. Als Leser, dem die Kunstgriffe der Eristischen Dialektik Arthur Schopenhauers durchaus vertraut sind, beginnen bei mir die Alarmglocken zu schrillen.

Ja, "Enzyklopädie", das ist schon ein sehr starkes Wort, wenn das Projektziel doch darin besteht, eine ebensolche zu erstellen. Aber was ist das denn eigentlich, so eine Enzyklopädie? Dem Hobby-Linguisten in mir fällt sogleich der Wortstamm auf, der sich aus Enzian und Zyklop zusammensetzt... Über den blauen Enzian hat schon Heino gesungen, der seine große Sonnenbrille bekanntlich aufgrund eines Augenproblems trägt, und ein Zyklop ist ein einäugiger Riese aus der griechischen Sage, der... Ach Unfug. Das kann so nicht richtig sein. Auch wenn Enzyklodie sicherlich im weitesten Sinne damit zu tun hat, etwas zu sehen und sich hier mit Sicherheit auch so mancher tummelt, der auf (mindestens) einem Auge blind ist... Die Definition von Enzyklopädie ist mit Sicherheit eine andere. Aber welche? Ich muss mir eingestehen, dass ich das nicht so genau weiß und wohl besser mal nachschlagen sollte, was eine solche Enzyklodie eigentlich ausmacht.

Okay, wir befinden uns in einer Enzyklopädie, da wird ja wohl erläutert sein, was eine solche ist. Ah ja, ist es auch. Und zwar - wie überraschend - unter dem Stichwort "Enzyklopädie". Und hat man mir nicht im Studium der Rechtswissenschaften eingebläut, dass ein Blick ins Gesetz (gelegentlich) die Rechtsfindung erleichtert?

Das erste, was ich lese, ist Folgendes:

Eine Enzyklopädie ist ein Nachschlagewerk, das zu einer umfangmäßig bestimmten Gesamtheit an Themenbereichen das vorhandene Wissen darstellt. Enzyklopädien, die sich nur auf ein spezielles Thema konzentrieren, werden auch als Fachenzyklopädien bezeichnet.

Ach so, deshalb soll der Artikel gelöscht werden. Wikipedia ist ein Fachlexikon, da sind bestimmte Themenbereiche einfach nicht erwünscht....

Aber halt, was hatte ich da bei Benutzer:TheK gelesen, der viele kluge Unterseiten zu den Belangen der Wikipedia hat, genauer gesagt, unter Benutzer:TheK/Projektziel?

In Wikipedia kann und soll jegliches Wissen zu jedem relevanten Thema niedergeschrieben werden; kein Themenbereich ist ausgeschlossen.

Ah ja... Wikipedia konzentriert sich also nicht auf ein spezielles Thema und ist somit auch keine Fachenzyklopädie. Jedes Thema darf behandelt werden... Na gut, was steht unter Enzykloädie denn noch?

Erst im Zeitalter der Aufklärung (17. und 18. Jahrhundert) entstand der Begriff einer scientia generalis (Allgemeinwissenschaft). Fortan bezeichnete man mit dem Wort Enzyklopädie sowohl eine solche Wissenschaft wie die durch sie erfolgende Darstellung der Gesamtheit des Wissens. Der Ausdruck Enzyklopädie wurde schon recht bald zur abkürzenden Bezeichnung eines Enzyklopädischen Lexikons, als die man ihn heute fast nur noch benutzt.

Aaaaaah!!!! Enzyklopädie hat also etwas mit Gesamtheit zu tun. Ohne es näher nachzuschlagen verbinde ich mit dem Begriff der Gesamtheit mit so etwas wie Vollständigkeit, Lückenlosigkeit. Und die soll durch Löschung eines Beitrags zu erreichen sein? Meine Zweifel erhalten neue Nahrung.

Zeit, ein erstes Zwischenergebnis zu formulieren.

Ein Artikel ist nicht unenzyklopädisch, weil er schlecht geschrieben ist Bearbeiten

Dieses Zwischenergebnis lautet:

Wird das Wörtchen "enzyklopädisch" in dem zweiten genannten Sinne verstanden, sprich: "Ein Artikel erscheint von seiner Form oder seinem Inhalt her unenzyklopädisch.", ist dies kein Grund, ihn zu löschen.

Das in der Enzyklopädie präsentierte Wissen soll vollständig sein. Vollständigkeit erreicht man aber nicht dadurch, dass man etwas löscht, sondern ausschließlich dadurch, dass man etwas hinein schreibt. Es leuchtet schon ein, dass ein saumäßig dahingeschmierter Artikel das nicht gewährleisten kann. Aber die Löschung desselben eben auch nicht.

Es gibt nur eine passende Lösung: Jemand muss hergehen und den Artikel verbessern. Ihn in Form bringen, sachliche Fehler korrigieren, fehlende Informationen ergänzen.

Die Trägheit der Masse Bearbeiten

Allmählich wird mir klar, dass Löschanträge der Kategorie zwei einem physikalischen Prinzip folgen, dem der Trägheit der Masse.

Die Masse der Wikipedia-Autoren ist oft unglaublich träge, sprich, faul. Statt einen Artikel zu verbessern, lässt sie ihn, oft über Jahre, in seinem erbarmungswürdigen Zustand vor sich hinverrotten. Bis irgendwem der Kragen platzt und er - na? Genau! Natürlich nicht den Artikel verbessert, sondern einen Löschantrag stellt. (Die Varianten "mit vorhergehender QS" oder "ohne vorherige QS" brauchen hier nicht unterschieden zu werden, da hier nur die Artikel betroffen sind, die nach der QS nicht viel anders aussehen als vorher, also der Regelfall).

Die Absicht, die dahinter steckt, ist leicht zu durchschauen. Sie besteht aus zwei Elementen:

  • Druck aufbauen.
  • Arbeit abwälzen.

Konkretes Beispiel: Der Schachtelkranz ist Brauch, nach dem Frauen zum 25. Geburtstag ihre Ehelosigkeit unter die Nase gerieben wird. Verbreitet in Norddeutschland, vor allem in NRW und Niedersachsen. Genau das stand in dem Artikel aber nicht drin, auch fehlten ihm die Belege. Irgendwann findet sich jemand, der Löschantrag stellt. Mir, der ich Westfale bin, entgleiten alle Gesichtszüge. Wie kann nur jemand die Relevanz dieses weit verbreiteten Rituals in Frage stellen?

Ab jetzt tickt die Uhr. Der Artikel kann nicht mehr Jahre lang vor sich hingammeln, es bleiben nur noch sieben Tage. Also raffe ich mich auf, bringe den Artikel in Form, ergänze die fehlenden Informationen und füge Belege hinzu. Fertig. Trägheit der Masse überwunden.

Was sich allerdings festhalten lässt: Die Arbeit mit der ganzen Sache hatte letztendlich ich, nicht etwa der Löschantragsteller, der ja eigentlich das Interesse daran hatte, dass der Artikel in Form gebracht wird. Durch seinen schnell gestellten Löschantrag hat er also seine Arbeit auf mich abgewälzt. Des Weiteren hat er mich gezwungen, zu einem Zeitpunkt an dem Artikel zu arbeiten, den er gewählt hat, nicht den ich gewählt habe. Sprich, ich habe seine Arbeit zu seinen Bedingungen gemacht und dafür nicht mal eine Belohnung bekommen.

Dass dieses Vorgehen trotzdem funktioniert, hängt mit dem Verantwortungsbewusstsein dem Projekt gegenüber zusammen. Wenn sichtlich bedeutsames Wissen von der Löschung bedroht ist, bereitet einem das solche Magenschmerzen, dass man sich lieber aufrafft, als die Löschung zuzulassen. Was für das Projekt sicherlich gut ist, aber irgendwie fühlt man sich hinterher trotzdem als der Gelackmeierte.

Fairer wäre es, dass derjenige, der den Sinn des Artikels in Frage stellt, sich selbst an die Recherche begibt, statt über einen leichtfertig gestellten Löschantrag andere mit seiner Arbeit zu belasten.

Wissenschaft, die Wissen schafft Bearbeiten

Da sich das Wörtchen "unenzyklopädisch" somit nicht als Argument zur Löschung schlecht geschriebener Artikel heranziehen lässt, rückt die erste Verwendungsmöglichkeit in den Fokus der Betrachtungen.

Unsere kleine Recherche zum Thema Enzyklopädie hat ergeben, dass diese eine Sammlung von Wissen ist. Und zwar einer Gesamtheit von Wissen. Und wieso dann den Beitrag löschen?

Benutzer Thek hat auch hier das passende Argument parat:

Nicht jede Information ist auch Wissen, so dass man stets abwägen muss, welche Inhalte nun in die Wikipedia aufgenommen werden sollen und welche nicht.

Ah so... Mathematik, notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen, ich erinnere mich.

Dass es sich um eine Information handelt, ist notwendig, damit es in die Wikipedia darf. Hinreichend ist es nicht, denn es muss zusätzlich auch noch Wissen sein.

Und was ist das jetzt wieder, Wissen? Wikipedia, wo bist Du, wenn man Dich braucht... Ah, hier.

Wissen (von althochdeutsch wizzan; zur indogermanischen Perfektform *woida, „ich habe gesehen,“ somit auch „ich weiß“; von der idg. Wurzel *weid- leiten sich auch lateinisch videre, „sehen“ und Sanskrit veda, „Wissen“ ab) wird häufig unscharf als wahre, gerechtfertigte Meinung bestimmt.

Obwohl ich nicht weiß, was Wissen heißt, wusste ich's doch. Das Ganze hat tatsächlich was mit "Sehen" zu tun. Nicht wie der Zyklop, sondern mit beiden Augen, mit gesundem Menschenverstand.

Wissen, die wahre, gerechtfertigte Meinung. Das also ist es, was Relevanzkriterien tun! Sie nehmen uns das Denken ab. Sie sagen uns, was gerechtfertigt ist und was nicht. Sie halten uns davon ab, uns mit Banalitäten zu befassen, mit Minderwertigem, mit Schund. Das ist doch sehr freundlich von ihnen!

Obwohl, irgendwie... Gibt es da nicht das Grundrecht der Handlungsfreiheit, das mir eben dies gestattet? Selbst zu denken, mich mit dem zu befassen, was andere für Schund halten, mich für das zu interessieren, was anderen minderwertig erscheint und mir ein eigenes Urteil bilden?

Die ganze Absurdität einer solchen Klassifizierung kann ich an einem einzigen Beispiel fest machen.

In meiner Heimatstadt Hamm, der ich mich hier bevorzugt widme, ist vor einigen Jahren ein großes Einkaufszentrum gebaut worden, das Alleecenter. Zu diesem existiert hier kein Artikel. Warum nicht? Ich traue mich nicht, ihn zu schreiben. Hamm, obwohl Großstadt, hat so seine strukturellen und wirtschaftlichen Probleme. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Kaufkraft eher gering. Obwohl das Center für Hammer Verhältnisse riesig ist, die Relevanzkriterien für Wirtschaftsunternehmen erreicht es trotzdem nicht ganz. Ich weiß also, was passieren würde, wenn ich den Artikel online stelle... Der erste Depp, dem der Artikel unter die Finger kommt, würde, vermutlich erfolgreich, Löschantrag stellen.

Was man nun über Hamm wissen muss.... Die ganze Infrastrukturentwicklung der letzten Jahre lässt sich mehr oder minder direkt auf das Allecenter zurückführen. Das Gebewerbegebiet Wilhelmstraße ist so gut wie verschwunden, zumal unmittelbar nach Bau des Alleecenters dort über ein Jahr lang geschickt eine Großbaustelle postiert und aufrecht erhalten worden ist. Center und Baustelle haben die Händler in den Ruin getrieben und den Fokus des Einkaufs in das Center selbst verlagert. Die Fußgängerzone ist ebenfalls stark verwaist, dort gelingt es nur mühselig, wieder Handel anzusiedeln. Große Unternehmen wie C&A und Saturn Hansa sind ins Center umgezogen. Kaufhof ist nur deshalb noch da, weil es sich in den alten Saturn-Räumlichkeiten vergrößern konnte. Horten hat den Rückzug aus Hamm angetreten. Auf dem Horten-Gelände konnte deshalb die Fachhochschule gebaut werden.

Jeder Hammer weiß das, allein, es hat noch keiner so explizit darüber geschrieben. Es ist mir also auch nicht möglich, die Relevanz des Centers als bedeutender Faktor der Infrastrukturentwicklung Hamms darzustellen, weil dann die Community sofort nach Belegen schreien würde. Fazit: Das Center gilt sowohl als Wirtschaftsunternehmen als auch als Infrastrukturfaktor als völlig irrelevant. Und 180.000 Hammer, die um die Bedeutung des Ganzen wissen, werden von der Wikipedia im Regen stehen gelassen, wenn sie mal Näheres darüber wissen wollen.

Relevanzkriterien statt Menschenverstand. Eben doch nix mit "Sehen".

The revelation - Die vermeintliche Offenbarung der Relevanz Bearbeiten

Taugt fehlende Relevanz wirklich als Löschgrund? Wie gerade dargelegt sind Zweifel angesagt.

Unsere kleine Recherche zum Thema Enzyklopädie hat ergeben, dass diese eine Sammlung von Wissen ist. Und zwar einer Gesamtheit von Wissen. Um das Thema Wissen mal kurz zu Ende zu führen: Der Wikipedia-Artikel darüber zeigt im weiteren Verlauf, dass es verschiedene Wissensdefinitionen gibt, die teils sehr weitgehend sind und am Ende eigentlich doch das Meiste erfassen, über das man hier schreiben könnte. Das weiß wohl auch Benutzer Thek, indem er schreibt:

In Wikipedia kann und soll jegliches Wissen zu jedem relevanten Thema niedergeschrieben werden; kein Themenbereich ist ausgeschlossen.

Ah ja, relevantes Wissen soll es also sein. Damit rücken wir jetzt endgültig ab vom Anspruch der Enzyklopädie als der Sammlung des gesamten Wissens. Nein, relevantes Wissen soll es sein. Und zwar Relevanz im Sinne der Relevanzkriterien. Geht das, ohne das Enzyklopädieprinzip zu verraten?

Na klar geht das, sagt Benutzer:TheK/RKs:

Die Frage, warum es Relevanzkriterien gibt, wird sehr oft gestellt, darum hier ein paar Gründe...

Überprüfbarkeit
Informationen etwa zu einer Garagenband oder einer 1-Mann-Firma, über die es kaum bis gar keine Angaben im Internet oder in Literatur gibt, kann man nur sehr schlecht überprüfen, das Risiko, einem Fake aufzusitzen steigt also.

Ausprägung des Trägheitsprinzips. Eine solche Überprüfung würde Arbeit mit sich bringen, besser etwas löschen als Arbeit darin zu investieren.

Neutralität
Nah an der Überprüfbarkeit ist auch die Frage, wie man bei einem Thema, über das von außen nicht berichtet wird, neutral schreiben kann – also etwa, ob Eigenangaben überhaupt korrekt sind und wo irgendwelche Kritikpunkte an Leistungen zu erwähnen wären.

Ausprägung des Trägheitsprinzips. Sich so tiefgehend in ein Thema einzuarbeiten, dass man es anschließend überprüfen kann, darf nicht verlangt werden. Besser also etwas löschen, als Arbeit darin zu investieren.

Wartbarkeit
Zudem erzeugt eine große Zahl an Artikeln eben auch eine große Zahl an Artikeln, mit denen sich nur sehr wenige Benutzer – womöglich nur ein einziger, der auch noch selbst involviert ist – überhaupt jemals beschäftigt haben. In diesen Artikeln sind praktisch alle Benutzer außer Stande, inhaltliche Änderungen in irgendeiner Form zu beurteilen und Fehler zu korrigieren – meist ist man in diesem Fällen nicht einmal im Stande, plumpen Vandalismus und Hetzkampagnien der Konkurrenz von wirklichen Korrekturen zu unterscheiden.

Ausprägung des Trägheitsprinzips hier evident. Löschen.

Werbung: Vor kaum etwas haben die Wikipedia-Benutzer so eine schon fast paraniode Angst, wie davor, dass irgendjemand das Projekt zu Werbezwecken nutzt. Hier besteht ein sehr großes Werbepotential: Wikipedia ist bei nahezu jedem Suchwort inzwischen der erste, schlimmstenfalls der zweite (nach dem offiziellen Link, der dies zu einem Teil Wikipedia zu verdanken hat!) Google-Treffer. Zudem sind die Artikel durch die Kategorisierung, Listen und Oberbegriffe miteinander verbunden, so dass auch Themen, nach denen man eigentlich gar nicht gesucht hat, schnell „auffallen“. Es ist also keineswegs so, dass ein Artikel, der keinen interessiert, halt auch nicht wahrgenommen wird.

Endlich mal ein Argument, das nicht dem Trägheitsprinzip folgt. Oder halt, irgendwie doch. Denn wann wird ein Artikel zur Werbung? Doch wohl erst dann, wenn er nicht neutral geschrieben ist. Es müsste sich also jemand finden, der die Neutralität eines solchen nicht neutralen Artikels herstellt. Also doch wieder Trägheitsprinzip. Dass eine Firma klein oder ein Produkt nicht besonders bekannt ist, kann jedenfalls kein Hinderungsgrund für einen Artikel sein. Der Betrieb existiert, das Produkt existiert. Also sollte man auch darüber schreiben dürfen.

Platz
Der Platz in der Datenbank ist eher weniger ein Problem – obgleich Wikipedia durchaus mit eindrucksvollem Tempo wächst und sicherlich nicht viel langsamer, als die Festplatten am Markt – sondern viel mehr ist die Zahl der Begriffe irgendwann am Ende. In der englischen Wikipedia kann man schon heute beobachten, dass es zu praktisch jedem Familiennamen eine ganze Liste von Personen gibt. Kaum besser ist es bei Abkürzungen: so ziemlich jede Folge von 2 oder 3 Buchstaben hat weit mehr als eine Bedeutung. Irgendwann erzeugt dies endlose Begriffsklärungsseiten zu jedem nur erdenklichen Begriff...

Ob das eine gute Begründung ist, einen Bahnhofsartikel zu löschen oder den zu einer Feuerwehr?

Worum es eigentlich geht Bearbeiten

Vollständigkeit
Schon mit den heutigen Relevanzkriterien gehen die meisten Schätzungen von einer Größenordung von 100.000.000 relevanten Themen aus. Mag es noch realistisch sein, diese für den deutschsprachigen Raum mehr oder weniger komplett zu erfassen (hier gibt es noch immer Unmengen von Lücken!), ist es für die gesamte Welt (die RKs machen keinen Unterschied, ob deutschsprachiges Thema oder nicht!) schlichtweg illusorisch, dass *jemals* alle Themen erfasst sind - bei dem aktuellen Wachstum würde dies etwa 700 Jahre dauern. Bei einer nur minimalen Absenkung der Kriterien, würde die Zahl der dadurch erlaubten Artikel um ein vielfaches steigen und das Projekt noch weiter davon weg kommen, jemals komplett zu sein.

sowie

Personalverteilung
Die Zahl der Wikipedia-Benutzer ist begrenzt und in der letzten Zeit mehr oder weniger konstant bei einer unvermindert wachsenden Zahl an Artikeln, Grob kümmern sich 1000 „Vollzeit-Wikipedianer“ um derzeit 660.000 Artikel, also jeder um 660 Stück. Entsprechend muss ein einzelner Benutzer immer mehr Artikel aktuell halten, überwachen (insbesondere auf Vandalismus und sachliche Verfälschung überprüfen) und – was immer noch die Haupt-Tätigkeit sein sollte – inhaltlich verbessern. Denn irgendwann soll eigentlich ein jeder Artikel einmal den Status „Lesenswert“ oder gar „Exzellenz“ bekommen, was derzeit nur rund 0,5 % aller Artikel, also jeder 200ste schaffen. Diese Arbeitskraft würde – selbst wenn durch gesenkte Kriterien ein paar Benutzer hinzukommen, was sicherlich weitaus weniger als Artikel sind – auf noch mehr Artikel verteilt werden, als es heute schon der Fall ist. Auch ist schon heute zu beobachten, dass sich die wirklich guten Artikel eher bei sehr speziellen Themen finden, Oberbegriffe mit ausgezeichneten Artikeln gibt es praktisch nicht.

sowie

Gleichgewicht
Ein Merkmal klassischer Enzyklopädien ist es, dass Themen in etwa nach ihrer Bedeutung gewichtet sind. Dies ist bei Wikipedia wesentlich schwieriger: Ein aktueller D-Promi hat eine weitaus größere Chance auf einen Artikel, als etwa ein mittelalterlicher Heiliger. Der Artikel über den D-Promi wird aber in aller Regel weitgehend "Fanbabel" sein, in dem unbedeutende Dinge breitgetreten werden, weil es eigentlich nichts zu berichten gibt. Aus diesem Grund wird die Zahl der Artikel über solche Themen eingeschränkt.

In Erkennung des Trägheitsprinzips wird der unter "Wissenschaft, die Wissen schafft" entwickelte Verdacht zur Gewissheit. Liebe Wikipedianer, haltet euch von Banalitäten fern. D-Promis, Feuerwehren, Bahnhöfe, ein Einkaufszentrum, das die Infrastruktur einer gesamten Stadt prägt, pfui! Kümmert euch lieber um die wichtigen Dinge des Lebens. Irgendwelcher abgehobener Kram, der für die Lebensrealität der Menschen keine Bedeutung hat und letztlich nur eine Minderheit der Leser überhaupt interessiert.

Respekt vorm Kunden Bearbeiten

Leute, bekommt es ein für allemal in euren Schädel. Unsere Leser sind nichts anderes als unsere Kunden, auch wenn sie - oberflächlich betrachtet - nichts für das bezahlen, was sie bekommen. Und als Kunden müssen wir sie mit Respekt behandeln. Der Kunde ist König, und das bedeutet, dass wir ihm geben sollten, was er zu lesen wünscht, selbst wenn's der veramte Adelige aus der Klatschpresse oder das Pornosterchen ist.

Das, was hier mit den Relevanzkriterien versucht wird (schlimmer noch mit Wikipedia:WWNI), ist schiere Manipulation. In erster Linie Manipulation am motivierten Wikipediaautor, sich bevorzugt mit den Themen auseinanderzusetzen, die andere für wichtig halten, statt mit dem, was er selbst für wichtig hält oder was ihn interessiert. In zweiter Linie am Kunden, mit dem letztlich genau das Gleiche veranstaltet wird, statt den Fokus auf seine Bedürfnisse zu legen.

Warum denn treffen die großen Enzyklopädien wie Brockhaus, Meyer und andere eine Sachauswahl, bevor sie publizieren? Doch einzig und allein deshalb, weil das Medium Enzyklopädie als Printmedium seinen Kinderschuhen entwachsen ist. Ein Printmedium hat nur eine bestimmte Platzmenge zur Verfügung, und es muss irgendwann fertig sein, damit es in Druck gehen kann. Wikipedia ist aber kein Printmedium. Sie hat nahezu unbeschränkten Speicherplatz, und es geht auch nie in Druck. Es muss nicht fertig sein. Man kann daran arbeiten. An jedem einzelnen Tag, bis zum Untergang der Menschheit.

Der Denkfehler in Theks Ausführungen ist somit evident: Wikipedia muss nicht von Anfang an perfekt sein. Sie kann sich nach und nach entwickeln, selbst wenn es 700 Jahre oder länger dauert. Desweiteren schafft sich die Wikipedia die beschriebenen Probleme selbst. Ein Nachwuchsautor, dessen erster Artikel wohlwollend begeleitet und verbessert wird, bleibt vielleicht dabei und hilft an Ecken aus, wo Personal fehlt. Wird er hingegen sofort mit einem Löschantrag auf sein Erstlingswerk gefrustet, wird er vermutlich das Weite suchen, und die Exklusionisten können sich auf die Schulter klopfen und weiterhin behaupten, es fehle halt an Personal für weitere Artikel.

Wikipedia wird sich weiterentwickeln. Das Projekt ist jetzt schon groß. Es wird noch größer werden. Es wird so groß werden, dass niemand mehr daran vorbei schauen kann. Medien wie Encarta von Microsoft sind heute schon vom Markt verschwunden, auch unseretwegen. Es wird eine Zeit kommen, wo der Kunde ganz selbstverständlich zu jedem Thema, das ihn interessiert, zuerst bei uns nachlesen wird. Und glaubt mir, er wird dann kein Verständnis dafür haben, dass das Thema, das ihn interessiert, wegen fehlender Relevanz wegdiskutiert worden ist.

Je eher wir also vom Exklusionismus wegkommen, desto besser. Nach meiner Überzeugung wird die Quantität der Artikel ihre Qualität nach sich ziehen. Weil eher an einem Artikel gearbeitet wird, der bereits existiert, als dass jemand einen völlig neuen anlegt. Bahnhöfe in Hamm soll hier als Beispiel genügen. Sobald ich den angelegt hatte, kam jemand vorbei und hat die ergänzt, von denen ich nichts wusste oder die ich vergessen hatte. Auch wenn es ein Weilchen dauern mag, irgendwann findet sich jemand. Dann, und nur dann werden wir auf die Kundenwünsche vorbereitet sein, wenn wir eines Tages feststellen, dass das Projekt bedeutsamer geworden ist, als wir uns es je hätten träumen lassen.

Respekt vorm Kunden, das bedeutet vor allem, ihn selbst entscheiden zu lassen, was er für bedeutsam hält und was nicht. Und das können wir nur mit einem großen, unbeschränkten Angebot, nicht mit einem, das wir künstlich klein gehalten haben, aus Erwägungen, die darauf beruhen, dass noch immer in kleinen Maßstäben gedacht wird statt in den wirklich großen.

Einen schönen Tag wünscht euch

Euer --Solon de Gordion 09:27, 17. Feb. 2011 (CET)