60. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus Mit der vorliegenden Ausgabe des „Klaren Blicks“ beginnen wir eine Serie zum 60. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus, zu den Geschehnissen in dieser Zeit in unserer Stadt und zum schweren Anfang danach. Einige Zuschriften erreichten uns, die persönliche Erlebnisse während der Zerstörung von Chemnitz am 5. März 1945 schildern. Diese Zeitzeugnisse werden wir in der folgenden Ausgabe veröffentlichen. Wer von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, weitere persönliche Erinnerungen an das Jahr 1945 zu Veröffentlichung beisteuern möchte, kann dies gern über den PDS-Stadtvorstand, Rosenplatz 4, Tel. 5 61 90 60, tun. Unsere Serie beginnen wir mit Erinnerungen von Erich Knorr, heute 92, Antifaschist und Kommunist, zum geschilderten Zeitpunkt Soldat im berüchtigten Stafbatallion 999. Die Veröffentlichung seiner Erinnerungen wurde von Enrico Hilbert angeregt. PWrezenmdeypslu wnkutr dsep r efüchr emni.c Ihn zPurmze -wichtigen Punkt meines 999er Schicksals – fast möchte ich von einem mysl begegnete ich erneut Karl König, jenem 999er Schützen, mit dem ich im Januar 1944 eine halbe Nacht gesprochen hatte Sein Ziel wäre es, am letzten Tag des Krieges in Deutschland zu sein. Ich hatte dieses Gespräch nicht vergessen können und mir schien, auch Karl König empfand Freude über unser Wiedersehen. Unsere Unterhaltung war im Grunde genommen die Fortsetzung des Gespräches, das wir am Golf von Korinth geführt hatten. Auf uns wartete die Front, der Krieg. Irgendwo war unser Festungs-Infanterie Bataillon im Einsatz. Mit dem Marschbefehl, den wir bekämen, würden wir uns auf den Weg machen, würden im Krieg ankommen, den ich bisher immer noch als Zuschauer erlebt hatte. In meinem Soldbuch waren zwei Dekaden „Frontzulagen“ eingetragen worden, die mich als Frontkämpfer auswiesen. Ich hatte mich als Strafsoldat inkognito unter deutschen Soldaten bewegt, hatte die Soldatenmesse unter dem Schock von Rückzügen, handfesten Niederlagen in fast panischen Entsetzen erlebt. Ich hatte in Stanislau alles auf eine Karte gesetzt, um auf die andere Seite überzutreten. Für mich war dieser Übergang zur Roten Armee die einzige Möglichkeit, das Leben in diesem Krieg zu bewahren und was noch schwerer wog, mir als Antifaschist treu zu bleiben – eine Frage der Ehre. ... Alle meine Hoffnung lag bei der Roten Armee, der Sowjetunion. Am zweiten oder dritten Tag nahmen die Gespräche mit Karl König eine Wendung, die ich als sensationell oder auch einfach als umwerfend bezeichnen muss. Mein Sprachvermögen reicht keinesfalls aus, um jene Überraschung auszudrücken, die mich überkam, als mir Karl in wohl überlegten Worten mitteilte, dass es zu meinem Vorschlag über unseren künftigen Weg doch eine Alternative gäbe. In nächster Zeit käme es zu einem Attentat, durch das Adolf Hitler beseitigt und mit einem Schlage die gesamte Lage des Krieges verändert würde. ... Er kam aus Berlin, hatte dabei gesessen als die Attentatspläne besprochen wurden. Er sprach von Gewerkschaftsführern, SPD – Koryphäen – natürlich ohne Namen zu nennen, sprach von Generälen, die die drohende Niederlage Deutschlands vor Augen, entschlossen waren, Hitler zu beseitigen, sprach von Offizieren, die bereit waren zum blutigen Staatsstreich. Was ich auch für Fragen stellen mochte, Karl König rechnete mit einem Attentat auf Hitler und er untersetzte diese Aussagen mit dem ihm übertragenen Auftrag, eine Gruppe von 999er Strafsoldaten um sich zu sammeln, die am Tage des Attentats per Flugzeug nach Berlin fliegen sollten, wo zuverlässige Antifaschisten, gebraucht werden würden. Es war ein langes Gespräch, welchem weitere folgten. Karl König hatte mich überzeugt, es gab eine Alternative zum Übergang zur Sowjetarmee. Ich wurde zu seinem Verbündeten, wurde Mitglied der Widerstandsgruppe, die zu bilden Karl König beauftragt worden war. Was da auf mich zugekommen war, empfand ich als sensationell, umwerfend, auf alle Fälle neu. Neu vor allem die Idee eines Attentats auf Hitler. Ein erfolgreiches Attentat, welches Hitler beseitigte, bedeutete das nicht Frieden, sofortigen Frieden? Was für Möglichkeiten, welche Hoffnung! Vorbehalte oder Bedenken gegen ein Attentat konnte es bei mir nicht geben. Schwieriger schon die Vorstellung von den Attentätern in Gestalt von deutschen Offizieren. Ich hatte in meiner Zeit bei 999 keine Offiziere kennengelernt, die ich mir als meine Kameraden im Kampf gegen diesen Krieg vorstellen konnte. Und doch war auch das möglich, denkbar. Der verlorene Krieg konnte, ja musste letztlich auch Offiziere zum Denken und Handeln bringen. Offiziere, Waffenträger an unserer Seite! Offiziere und Generäle an den Schalthebeln der Macht! Auch diese Gedanken überzeugten. Dass es im Osten auf der anderen Seite der Front ein Nationalkomitee Freies Deutschland, einen Bund deutscher Offiziere geben sollte, davon hatte ich gehört. Auch von dem schwarz – weiß – rot als dem Panier dieses Nationalkomitees. Ein General Seydlitz sollte an der Spitze dieser Truppe stehen. Deutsche Soldaten und Offiziere drüben bei der Sowjetarmee und hüben als Attentäter, sollte das nicht möglich sein? ... Sozialdemokraten, Gewerkschafter als Mitverschwörer, war es das nicht, was ich als deutscher Kommunist gewünscht und erhofft hatte? ... Erste Frage damals: Attentat ja, Widerstand ja, aber undenkbar ohne Teilnahme der Kommunisten, der deutschen Kommunisten. ... Karl König hatte auf meine Frage nach der Teilnahme deutscher Kommunisten am Attentat zwei eindeutige Antworten. Eine persönliche, er war für die Zusammenarbeit mit den Kommunisten, für ihre Beteiligung und die andere, die sich auf seine Kontakte und Gespräche in Berlin bezogen: die Frage der Zusammenarbeit „ist in Diskussion“. ... Ein weiteres Problem beschäftigte uns. Diese von uns nicht zu lösende Frage betraf das Deutschland nach der Beseitigung der nazistischen Diktatur. Einig waren wir uns darin, dass es ein ganz anderes Deutschland werden musste, auch in sozialer Hinsicht. Erich Knorr (l.) im Gespräch mit Eberhard Hübsch.

Knorr, Erich 24.10.1912 Generalsekretär der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe

Geb. in Claußnitz (Sachsen); Vater Arbeiter; Volksschule; 1927 - 31 Schlosserlehre; 1927 SAJ; 1928 SPD; 1931 KJVD u. KPD; 1931 fünf Mon. Lehrgang an der Heim-VHS Leipzig; 1934/35 Pol.-Ltr. des illeg. KPD-UB Burgstädt-Rochlitz; 1935 Verhaftung u. Verurteilung, bis 1940 Zuchthaushaft in Zwickau u. Waldheim; 1943 - 45 Strafbat. 999 (ab April 1944 Mitgl. der Widerstandsgr. Karl König), nach Lazarettaufenthalt in eine Wehrmachtseinheit an der Neißefront, Ende April 1945 Flucht. Mai 1945 Heimkehr nach Claußnitz; dort Mitgl. des Antifakomitees u. Bürgermstr.; 1945/46 KPD/SED; ab Sept. 1945 Ltr. des Referats Landw. im Landratsamt Rochlitz; 1946 - 48 Landrat; 1946 SED; 1948/49 PHS; 1949/ 50 kurzz. Kulturltr. der MAS-Landesverw. in Sachsen; dann Kulturdir. bzw. Betriebsltr. der Saatzuchtbetriebe Quedlinburg; ab Juli 1950 stellv. Gen.-Sekr. der VdgB; als Ltr. der Westabt. an der Konstituierung u. Arbeit des Gesamtdt. Arbeitskrs. für Land- u. Forstw. beteiligt; Versuche des MfS, E. K. als IM zur Überwachung von —> Kurt Vieweg anzuwerben, infolge ausweichender Haltung selbst überwacht, bes. intensiv nach der Funktionsbeurlaubung; Mai 1952 Mitgl. einer Delegation unter —> Walter Ulbricht zum Studium der Erfahrungen bei der Bildung von Produktionsgenossenschaften in Ungarn; 4.6.1953 (als Nachf. von Kurt Vieweg) Gen.-Sekr. bzw. 1. Sekr. des Zentralvorst. der VdgB; Nov. 1957 beurlaubt, Juli 1958 wegen »revisionist.« Auffassungen abgesetzt; 1954 - 58 Mitgl. des NR der NF; 1958/59 Studium an der LPG-HS Meißen, Dipl.-Agronom; 1959 - 62 Vors. des Rats des Krs. Güstrow, Absetzung wegen »Liberalismus in der Ltg.-Tätigkeit«; 1962 - 72 Lehrer an den SED-Bez.-Parteischulen Güstrow u. Mittweida; 1973 Frührentner; geschichtspublizist. Betätigung; Dez. 1989 Delegierter zum a. o. Parteitag der SED/PDS; Mitgl. des Rats der Alten beim PV der PDS.

Publ.: Große Tage der kleinen Bauern. Tagebuchblätter aus der demokrat. Bodenreform. Berlin 1956; »Wenn schon eine LPG, dann die beste des Kreises«. In: Wie wir angefangen haben. Erinnerungen. Berlin 1985. Sek.-Lit.: Vesper, K.: E. K. In: Neues Dtl. 1.3.1995. SiK

Chemnitz, den 26.01.2007


Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig würdigt Antifaschisten mit der Eintragung in das Goldene Buch der Stadt Chemnitz


Mit der Eintragung in das Goldene Buch der Stadt Chemnitz ehrte die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig heute im Rahmen einer Festveranstaltung im Rathaus der Stadt Chemnitz zwölf betagte Chemnitzerinnen und Chemnitzer, die während der Zeit des Nazi-Regimes aktiv am antifaschistischen Widerstandskampf teilgenommen haben, von den Nationalsozialisten verfolgt wurden und in Konzentrationslagern leiden mussten. In Ihrer Rede erklärte Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig: „Sie, liebe Ehrengäste, gehörten damals zu jenen jungen Menschen, die sich nicht vereinnahmen ließen, die Courage hatten, Widerstand leisteten oder die als Juden diskriminiert wurden. Verfolgung, Repressalien und lange Haftzeiten in den eigentlich schönsten Jugendjahren waren die Folge.“ Auf das auch heute wichtige Engagement dieser Männer und Frauen als Zeitzeugen weisend, vor Schulklassen und auf anderen Veranstaltungen jungen Menschen über die persönlichen Erlebnisse in der finsteren Zeit des Naziregimes zu berichten, erklärte die Oberbürgermeisterin: „Auch wenn seit dem Untergang des Naziregimes über 60 Jahre vergangenen sind, ist die Auseinandersetzung mit diesem Teil unserer Geschichte für die nachkommenden Generationen von großer Bedeutung.“

Mit der Eintragung in das Goldene Buch der Stadt Chemnitz werden geehrt:

Herr Ruwim Bakmann Frau Hannchen Franz Herr Erich Knorr Frau Hanna Kohn Herr Prof. Dr. Hans Lauter Herr Hermann Müller Herr Heinz Petzold Frau Bella Rotstein Herr Siegmund Rotstein Frau Marga Simon Herr Justin Sonder Herr Werner Spicker

Die Veranstaltung heute im Rathaus Chemnitz steht im Zeichen des nationalen Gedenktages für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft am 27. Januar. Anlässlich dieses Gedenktages findet am morgigen Samstag, 10:00 Uhr, in Chemnitz auch wieder die Gedenkveranstaltung im Park der Opfer des Faschismus statt (siehe PD Nr. 57 vom 24.01.2007). Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig - die alle Bürgerinnen und Bürger zur Teilnahme an der Gedenkveranstaltung aufruft - wird hier am Mahnmal in einer Ansprache das Wort ergreifen.



Pressestelle Stadt Chemnitz